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Was tragen Ökonomen zur Ökonomie bei?

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Ökonomen – so die Annahme – nehmen mit ihrer Forschungs- und Beratungstätigkeit Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung von Volkswirtschaften. Je "besser" die Ökonomen sind – beispielsweise gemessen an ihrem Forschungsoutput in Rankings – desto besser für die Volkswirtschaft. Wie lässt sich aber beispielsweise der Erfolg der chinesischen Wirtschaft erklären angesichts der Tatsache, dass kein einziger chinesischer Ökonom vorne in einem der Rankings auftaucht? Wirtschaftswissenschaftler analysieren ökonomische Beziehungen und geben Ratschläge, wie sich die wirtschaftlichen Beziehungen verbessern lassen. Ein positiver Zusammenhang zwischen der Qualität der beteiligten Ökonomen und der Wirtschaftslage wird gemeinhin als selbstverständlich angesehen. Insbesondere sollte sich eine

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Ökonomen – so die Annahme – nehmen mit ihrer Forschungs- und Beratungstätigkeit Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung von Volkswirtschaften. Je "besser" die Ökonomen sind – beispielsweise gemessen an ihrem Forschungsoutput in Rankings – desto besser für die Volkswirtschaft. Wie lässt sich aber beispielsweise der Erfolg der chinesischen Wirtschaft erklären angesichts der Tatsache, dass kein einziger chinesischer Ökonom vorne in einem der Rankings auftaucht?

Wirtschaftswissenschaftler analysieren ökonomische Beziehungen und geben Ratschläge, wie sich die wirtschaftlichen Beziehungen verbessern lassen. Ein positiver Zusammenhang zwischen der Qualität der beteiligten Ökonomen und der Wirtschaftslage wird gemeinhin als selbstverständlich angesehen. Insbesondere sollte sich eine Wirtschaft umso besser entwickeln, je kompetenter die beratenden Wirtschaftswissenschaftler in einem Land sind.

Die Wirtschaftslage wird gemeinhin mit dem Sozialprodukt gemessen. Die Qualität der wissenschaftlichen Ratgeber ist schwieriger zu erfassen. In der akademischen Welt haben sich in den letzten Jahren Ranglisten der führenden Ökonomen durchgesetzt, so etwa auf RePEc, Google Scholar oder Web of Science. Diese Ranglisten und der Nobelpreis werden nicht direkt aufgrund beratender Kompetenz gebildet, sondern es wird die Zahl der Publikationen oder der Zitierungen in wissenschaftlichen Werken gezählt (vgl. Hamermesh 2018 für eine umfassende Diskussion). Es kann erwartet werden, dass die führenden Wissenschaftler einen Einfluss auf die Wirtschaft ausüben. Dies kann direkt – in eigener Person (viele, wenn nicht die meisten Ökonomen an der Spitze der Ranglisten sind auch als Politikberater tätig) – oder indirekt (über die Ausstrahlung ihrer Publikationen auf Praktiker und Berater) – erfolgen.

Auch der Nobelpreis in Wirtschaftswissenschaft (genauer: "Nobelpreis der Schwedischen Nationalbank zur Erinnerung an Alfred Nobel") wird als wichtiger Indikator für die Bedeutung von Ökonomen (und einer einzigen Ökonomin, Elinor Ostrom) angesehen. Der Nobelpreis gilt als höchste Ehrung für einen Wissenschaftler.

Aufgrund dieser Überlegungen ist zu erwarten, dass sich die durch das Sozialprodukt gemessene wirtschaftliche Entwicklung eines Landes und der Anteil der Ökonomen in den Ranglisten und deren Anteil an den Nobelpreisen in etwa entsprechen. Stimmt dies jedoch?

Diese Frage soll in vorliegendem Beitrag anhand der zwei dominanten Länder der heutigen Zeit diskutiert werden, den Vereinigten Staaten (Amerika) und der Volksrepublik China.

Veränderungen im wirtschaftlichen Gewicht

China hat im Vergleich zu den USA in den letzten Jahren unbestritten an Bedeutung gewonnen. Aufgrund vieler unterschiedlicher statistischer Quellen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank scheint China bereits im Jahre 2014 die grösste Wirtschaft der Welt gehabt zu haben, gefolgt von den USA (vgl. z.B. auch Arends 2014, Giles 2014). Auf dieser Grundlage hat China auch stark an strategischer Bedeutung in der Politik gewonnen (vgl. ausführlich Allison 2017).

Auch wenn – zu recht – gegenüber der Berechnung des Sozialprodukts in China grosse Zweifel erhoben werden können, lässt sich nicht bestreiten, dass China wirtschaftlich (und politisch) im Vergleich zu den USA erheblich an Bedeutung gewonnen hat. Chinas gesamte Wirtschaftsleistung befindet sich heute in einer ähnlichen Grössenordnung wie diejenige der Vereinigten Staaten.

Ranglisten von Ökonomen

Angesichts dieser Entwicklung erstaunt, dass in den üblichen Ranglisten akademischer Ökonomen kein einziger Chinese in irgendeinem Spitzenrang zu finden ist. Dies sei anhand der Rankings der Research Papers in Economics (RePEc, oder auch IDEAS) gezeigt, in denen rund 50 000 akademische Ökonomen auf der ganzen Welt erfasst sind.

Im April 2018 finden sich hinsichtlich der Zahl der Publikationen unter den 20 führenden Personen 17 Amerikaner, zwei Briten und ein Franzose. Damit besetzen die USA 85% der Spitzenränge. Im Gegensatz dazu findet sich kein einziger Chinese unter ihnen. Das gleiche Bild zeigt sich für die Publikationen über die letzten zehn Jahre (2008-2018). 16 von 20, oder 80%, sind Amerikaner, aber kein einziger ist Chinese. Die Lage ist noch extremer, wenn die Zahl der Zitierungen betrachtet wird. Im April 2018 belegten die Amerikaner 18 der 20 Spitzenplätze, d.h. 90%.

In diesen Rankings findet sich kein Chinese, nicht einmal unter den Hundert Führenden.

Der Gegensatz zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und den Ökonomenrankings scheint auf eine unvollständige und möglicherweise stark verzerrte Messung dieser Ranglisten zurückzuführen sein. Dies wird in einer umfassenden Literatur erörtert (z.B. Osterloh 2010, Hudson 2013, Laband 2013, Frey und Osterloh 2014). Diese Mängel spielen jedoch in unserem Zusammenhang eine geringe Rolle, besonders da die weitgehende Absenz chinesischer Ökonomen in den Ranglisten durch die Absenz bei den Nobelpreisen untermauert wird.

Nobelpreise

 Seit der Etablierung des Preises für Wirtschaftswissenschaftler im Jahre 1969 ist er in 50 Jahren vergeben worden. Öfters werden zwei, oder gar drei Personen gleichzeitig ausgezeichnet. Jede Person erhält jedoch einen "vollen" Preis als Anerkennung für ihre wissenschaftliche Leistung. So hat Kenneth Arrow nicht nur einen "halben Nobelpreise" erhalten, weil gleichzeitig John Hicks damit geehrt wurde; ebenso wenig hat Reinhart Selten nur einen "Drittel-Nobelpreis" erhalten, weil er gleichzeitig an John Harsanyi und John Nash verliehen wurde. Einige Preisträger haben eine doppelte Staatsbürgerschaft, wie zum Beispiel Friedrich von Hayek, der zugleich Österreicher und Engländer war. In diesem Fall wird nur die Hälfte eines Preises dem entsprechenden Land zugeordnet.

Über die Gesamtperiode (1969-2018) wurden an 81 Personen Nobelpreise in Wirtschaftswissenschaft vergeben. Davon sind 57,5 amerikanische Ökonomen, somit haben sie 71% aller ökonomischen Nobelpreise erhalten. Die bereits grosse amerikanische Dominanz hat sogar im Laufe der Zeit zugenommen. In den ersten zehn Jahren (1969-1979) erhielten die Amerikaner 47% der Preise. Im letzten Jahrzehnt (2007-2018) hat sich ihr Anteil sogar auf 80% erhöht. Wenn nicht die Staatszugehörigkeit betrachtet wird, sondern vielmehr der Ort, an dem der oder die Geehrte zum Zeitpunkt der Verleihung tätig war, erhöht sich der Anteil der Amerikaner noch weiter.

Kein Chinese hat bisher den Nobelpreis für Wirtschaft erhalten.

Überraschender Gegensatz

Die Rangliste der akademischen Ökonomen und die Verteilung des Nobelpreises zeigen das gleiche Bild: Die Amerikaner dominieren enorm, die Chinesen sind völlig absent. In den letzten fünfzig Jahren hat sich die amerikanische Dominanz in der Bewertung der Qualität der Ökonomen sogar verstärkt. Gleichzeitig haben die Chinesen wirtschaftlich gewaltige Fortschritte erzielt und haben gegenüber den USA stark aufgeholt.

Dieser Gegensatz erstaunt. Es lassen sich verschiedene Gründe für diese riesigen Unterschiede zwischen der Bedeutung der Wirtschaft und der führenden Ökonomen anführen:

1. Extrem wäre die Vermutung, akademische Ökonomen seien für die wirtschaftliche Entwicklung irrelevant. China hätte ohne die Hilfe international führender Ökonomen sein Sozialprodukt gewaltig steigern können. Noch extremer wäre die Vermutung einer umgekehrten Kausalität. Je besser die wirtschaftlichen Bedingungen in einem Land sind, desto eher kann es sich Wissenschaftler leisten, die sich mit wirtschaftlichen Fragen beschäftigen. Diese Ansicht wird (in abgeschwächter Form) etwa von Stephan (2012) oder Bok (2004) vertreten.

Eine solche Interpretation ist für akademische Ökonominnen und Ökonomen (inbegriffen den Autor) schwer verdaulich und schmerzlich und dürfte von vielen vehement zurückgewiesen werden. Allerdings bedarf ein überzeugendes Gegenargument einer sorgfältigen und umfassenden empirischen Analyse, in welcher der kausale Zusammenhang zwischen den hoch eingestuften akademischen Ökonomen und der Entwicklung und Höhe des Sozialproduktes gezeigt werden muss. Dabei ist eine grosse Zahl von Zwischenschritten zu bedenken. Auf welche Weise fliessen die Erkenntnisse von den in den Ranglisten führenden Ökonomen in die wirtschaftswissenschaftliche Beratung ein, und inwiefern werden solche Ratschläge in der politischen Praxis überhaupt zu Kenntnis genommen und gar umgesetzt? Eine solche Analyse ist äusserst schwierig und ist bisher meines Wissens noch nicht unternommen worden (ein zaghafter Versuch findet sich in Frey 2006). Dabei ist auch die umgekehrte Kausalität zu berücksichtigen, denn es ist denkbar, dass Ökonomen in einem wirtschaftlich erfolgreichen Land bessere Möglichkeiten haben zu publizieren und zitiert zu werden, und sogar einen Nobelpreis zu erhalten.

2. Die Chinesen haben die wirtschaftswissenschaftlichen Einsichten westlicher, vor allem amerikanischer, Ökonomen aufgenommen und fruchtbar auf ihr Land übertragen. Die Spitzenökonomen haben somit indirekt einen Beitrag geliefert.

Diese Folgerung ist für uns Ökonomen sehr viel angenehmer. Im Jahre 2016 haben nicht weniger als 454 000 Chinesen im Ausland, überwiegend in westlichen Ländern, studiert (CCG 2018) und sicherlich viele Kenntnisse in ihr Land übertragen. Allerdings studieren die meisten unter ihnen gerade nicht Volkswirtschaftslehre, sondern Sprachen, Literatur, Pädagogik oder Betriebswirtschaft (CCG 2018). Auch hier müsste der Zusammenhang überzeugend empirisch gezeigt werden, was wiederum sehr schwierig ist.

Es könnte vermutet werden, die Chinesen hätten vor allem allgemeine Lehren vom Westen übernommen, vor allem dass offene Märkte produktive Institutionen sind, die zu wirtschaftlichem Wohlstand führen. Allerdings fragt sich dann, ob die extrem fortgeschrittene Forschung, die zu Publikationen in führenden Fachzeitschriften und zu Zitierungen, oder zu Nobelpreisen führt, für dieses allgemeine Wissen notwendig ist.

3. Chinesische Ökonomen brauchen sich nicht um (westliche) Ranglisten oder Nobelpreise zu kümmern, weil sie genügend Anerkennung und Positionen in ihrem riesigen Heimatland erhalten. An der Spitze chinesischer Ökonomen zu stehen, könnte als wichtig genug angesehen werden.

4. Das durch amerikanische Ökonomen entscheidend geprägte Paradigma der Wirtschaftswissenschaft (vgl. Stiglitz 2002) ist den Chinesen unvertraut oder sogar suspekt. Sie streben deshalb nicht danach, in die Ranglisten zu kommen oder Nobelpreise zu erhalten. Die Europäer sind eher fähig und willig, sich an das amerikanische Paradigma anzupassen (Kolm 1988, Frey und Eichenberger 1992). Diese Interpretation bezieht sich auf den Gegensatz der Zivilisationen (Huntington 1996).

5. Ein weiterer Grund für die beobachtete Diskrepanz könnte der politische Druck der autoritären Regierung in China sein, der die Übernahme ausländischer ökonomischer Ideen und wirtschaftspolitischer Rezepte behindert.

Zukünftige Entwicklungen

Beim beobachteten Gegensatz handelt es sich möglicherweise nur um einen vorübergehenden Zustand. Schon bald könnten chinesische Ökonominnen und Ökonomen vordere Ränge in den etablierten Rankings besetzen und danach auch Nobelpreise gewinnen.

Denkbar ist jedoch auch, dass die Chinesen ein eigenes Ranking konstruieren, in dem sie ein für sie günstigeres Paradigma zugrunde legen. Wegen der immer stärkeren wirtschaftlichen Bedeutung Chinas kann sich eine solche Rangliste durchaus durchsetzen.

Auch eine Kombination der beiden Entwicklungen lässt sich vorstellen. Allerdings dürfte sich wegen des medialen "winner-take-all"-Effekts über kurz oder lang das eine der beiden Rankings durchsetzen.

Offen bleibt, ob der hier analysierte fehlende Zusammenhang zwischen der Wirtschaftsleistung und der Qualität der Ökonomen allgemein gilt. In diesem Zusammenhang müssen auch die Ranglisten berücksichtigt werden, die stärker als die oben genannten auch auf mediale Präsenz und Bekanntheit in der Öffentlichkeit berücksichtigen (wie zum Beispiel die Ranglisten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Presse und der Neuen Zürcher Zeitung).

Allison, Graham (2017). Destined For War. Can America and China Escape the Thucydides’s Trap. Boston and New York: Houghton Mifflin Harcourt.

Arends, Brett (2014). "It’s Official: America is Now No. 2[ a ]", MarketWatch, December 4. 

Bok, Derek (2004). Universities in the Market Place. The Commercialization of Higher Education. Princeton and Oxford: Princeton University Press.

CCG Annual Report 2018: Number of Chinese Studying Abroad Reaches Record High in 2016[ b ]

Frey, Bruno S. (2006). How Influential is Economics? De Economist 154(2): 295-311.

Frey, Bruno S. and Reiner Eichenberger (1992). Economics and Economists: A European Perspective. American Economic Review 82(2): 216-220.

Frey, Bruno S. and Margit Osterloh (2014). Ranking Games. Evaluation Review 39(1): 102-129.

Giles, Chris (2014). "Money Supply: The New World Economy in Four Charts[ c ]", Alphaville Blog, Financial Times, October 7. 

Hamermesh, Daniel S. (2018). Citations in Economics: Measurement, Uses and Impacts. Journal of Economic Literature 56(1): 115-156.

Hudson, John (2013). Ranking Journals. The Economic Journal 123(570): F202-222.

Huntington, Samuel P. (1996). The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order. New York: Simon & Schuster.

Kolm, Serge-Christoph (1988). Economics in Europe and in the U.S. European Economic Review 32(1): 207-212.

Laband, David N. (2013). On the Use and Abuse of Economic Journal Rankings. Economic Journal 123(570): F223-254.

Osterloh, Margit (2010). Governance by Numbers. Does it really work in Research? Analyse & Kritik 2: 267-283.

Stephan, Paula (2012). How Economics Shapes Science. Cambridge: Harvard University Press.

Stiglitz, Joseph E. (2002). Information and the Change in the Paradigm of Economics. American Economic Review 92(3): 460-501.

©KOF ETH Zürich, 12. Okt. 2018

Bruno S. Frey
Bruno S. Frey hat Nationalökonomie an den Universitäten von Basel und Cambridge (England) studiert, 1965 an der Universität Basel doktoriert und 1969 habilitiert. Von 2012-2014 war Frey Senior Professor für Politische Ökonomie an der Zeppelin Universität Friedrichshafen. Seit 2015 ist er Ständiger Gastprofessor an der Universität Basel.

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