Die G20 sind mit dem Gedanken gegründet worden, die Global Governance für zentrale globale politische und wirtschaftliche Probleme herzustellen, nachdem UN und Weltsicherheitsrat daran gescheitert sind. Wie sich aber zeigt, scheitert dieser Versuch zusehends an globalen Alleingängen einzelner Mitgliedsstaaten – insbesondere Chinas. Nützt nichts, schadet aber auch nicht, das scheint die Devise der aktuellen G20-Treffen zu sein. Die letzten beiden in diesem Jahr in Hamburg und Buenos Aires haben dies erneut deutlich gemacht. Dass am Enderund fünfzig Sherpas zuletzt darum ringen, ein Communiqué zustande zu bringen, das überhaupt von allen Beteiligten akzeptiert werden kann, macht dies deutlich. Dieses besteht dann darin alle strittigen Fragen sukzessive auszuklammern. Ergebnis ein
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Die G20 sind mit dem Gedanken gegründet worden, die Global Governance für zentrale globale politische und wirtschaftliche Probleme herzustellen, nachdem UN und Weltsicherheitsrat daran gescheitert sind. Wie sich aber zeigt, scheitert dieser Versuch zusehends an globalen Alleingängen einzelner Mitgliedsstaaten – insbesondere Chinas.
Nützt nichts, schadet aber auch nicht, das scheint die Devise der aktuellen G20-Treffen zu sein. Die letzten beiden in diesem Jahr in Hamburg und Buenos Aires haben dies erneut deutlich gemacht. Dass am Enderund fünfzig Sherpas zuletzt darum ringen, ein Communiqué zustande zu bringen, das überhaupt von allen Beteiligten akzeptiert werden kann, macht dies deutlich. Dieses besteht dann darin alle strittigen Fragen sukzessive auszuklammern. Ergebnis ein Sammelsurium von Sprechblasen. Ist es das wert?
Ich denke nein. Das Schaulaufen von zwanzig Staatschefs mit ihrer Entourage aus den wichtigsten Ländern der Weltwirtschaft bringt außer schönen Bildern und angeblich wichtigen bilateralen Hintergrundgesprächen kaum noch etwas zustande. Das liegt nicht zuletzt daran, dass insbesondere die USA, China und Russland sich in zentralen Fragen sowohl in der Weltsicherheitspolitik, der Umwelt- und Klimapolitik und auch insbesondere auch beim Welthandel immer weniger zu sagen haben. Da aber Einstimmigkeit die Grundlage dieser Treffen ist, ist das Ergebnis absehbar. Die Treffen verlaufen im Wesentlichen ergebnislos. Viel Lärm um Nichts, würde man mit Shakespeare sagen.
Die meisten Teilnehmerländer sind bei diesen Treffen nur mehr oder weniger Staffage. Was sollen die eigentlich da? Bedeutung vortäuschen, die sie de facto nicht haben? Bella Figura in einem tristen Welttheater.
Unilaterale Aggressionen bleiben ohne wirksame Abschreckung der multilateralen Weltgemeinschaft
Spätestens mit der Okkupation der Krim durch Russland, der Okkupation Chinas der Südchinasee unter Missachtung der Entscheidung der internationalen Seerechtskommission, war klar, dass es hier nicht mehr um multilaterales Handeln der Weltgemeinschaft geht, sondern wer meint die Macht dazu haben, um seine nationalistischen Ziele durchzusetzen, der macht das dann auch.
Wo sich aber Völkerrecht immer mehr als Chimäre erweist, da es ja an wirksamen Durchsetzungsmechanismen fehlt, und analog zum UN-Sicherheitsrat ein Veto eines einzelnen Teilnehmerlandes zur Handlungsunfähigkeit führt, ist dieses System im wesentlichen als Global Governance gescheitert.
Seitdem Donald Trump als US-Präsident die Geschicke seines Landes nach dem Dictum, America First, leitet, ist der internationale Ordnungsrahmen dann vollständig zusammengebrochen. Russland und China folgen diesem Grundsatz schon zuvor lange nicht mehr. Da mag sich unsere Kanzlerin noch sehr als Moderatorin zwischen diesen drei verhärteten Fronten abrackern. Es nützt nichts. Das Prinzip Hoffnung erweist sich als trügerisch, denn die Welt dreht sich weiter und Zuwarten auf bessere Zeiten ist gefährlich.
Der Krieg in Syrien, der sich ja immer weiter auch in die Nachbarländer frisst, der Krieg im Jemen, die Provokationen von Russland mit der Blockade des Seewegs ins Asowsche Meer für ukrainische Schiffe durch Russland, zeigen erneut, dass die Zeit für ein Spiel auf Zeit immer zu Lasten des jeweils Geschädigten geht.[ 1 ]
Das Prinzip der Abschreckung durch Multilateralismus vor solchen unilateralen Abenteuern funktioniert nicht mehr. Es ermutigt ja stattdessen solche Aktionen im Zuge einer Salamitaktik immer weiter auszuweiten.
Weniger ist mehr
Wenn man diese Lage als realistisch betrachtet, sollte analog der Schrumpfung der G8 zu G7, die G20 zu einer Ländergemeinschaft schrumpfen, die eine Koalition der Willigen darstellt und auf einer gemeinsamen Basis ihre internationalen Aktivitäten koordiniert.
Damit werden quasi automatisch China und Russland aus diesem Gremium ausscheiden. Die G20 wird zu einer G18. Es kann durchaus sein, dass weitere G20-Mitgliedländer dann abspringen, but so what? Länder wie die Schweiz würden vermutlich gerne dieser neuen G18 beitreten wollen. In der Shanghai-Organisation haben Länder im chinesisch-russischen Orbit sich bereits um sie geschart.
Letztendlich käme man dann jedoch wieder zu einer arbeitsfähigen Ländergruppe G20minus, die auch handlungsfähig ist.
Reform der WTO ist überfällig
Bisher war diese Reform wesentlich darauf ausgerichtet China in die WTO zu integrieren. Man hoffte dadurch China zu einer kooperativen Handelspolitik zu bringen. Das hat sich als Illusion erwiesen.
China hat zwar die Vorteile der WTO-Mitgliedschaft massiv für sich zu nutzen gewusst bis hin zur Anerkennung des Renminbi als Weltreservewährung, aber es hat sich beharrlich geweigert seine exorbitanten Handelsbilanzüberschüsse im Welthandel insbesondere gegenüber den USA abzubauen.[ 2 ] Die Absichtserklärung Chinas zu einem binnenorientierten Wirtschaftswachstum umzusteuern, um die exorbitanten Handelsbilanzüberschüsse sukzessive abzubauen, haben sich bisher als Illusion erwiesen.[ 3 ] China kann gar nicht anders als die bisherige, exportorientierte Politik fortzusetzen, wenn es seine ehrgeizigen Ziele erreichen will.
Kumuliert man die Handelsbilanzüberschüsse Chinas gegenüber den USA seit dem Beitritt zur WTO im Jahr 2001, dann ergibt sich die stattliche Summe von rd. 4,5 Billionen US-Dollar. Tendenz weiter rasch steigend. China ist zwar bemüht seine Abhängigkeit vom US-Markt rasch insbesondere durch die Belt-&-Road-Initiative abzubauen und damit der Abhängigkeit von den USA zunehmend zu entgehen, aber das ändert nichts an der Perspektive eines exportgetriebenen Wirtschaftswachstums, das jetzt aber andere Länder als Ziele wählt. Chimerica[ 4 ] soll an Bedeutung verlieren, aber andere Regionen der Welt sollen diesen US-Markt substituieren.
Damit übersteigt dieser kumulierte bilaterale Handelsbilanzsaldo zwischen China und den USA den mit der gesamten Welt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass China als rohstoffarmes Land insbesondere Importe von Nahrungsmitteln und Rohstoffen aus anderen Ländern benötigt, mithin eine negative Handelsbilanz dort ausweist.
Chinas Aufstieg zur Wirtschaftsmacht in direkter Konkurrenz zu den USA
In der Kombination mit einer aktiven Standortpolitik, die insbesondere ausländische multinationale Unternehmen aus den westlichen sowie ostasiatischen Industrieländern zu massiven Direktinvestitionen in China veranlasste, gelang es China innerhalb von knapp zwei Jahrzehnten zur Werkstatt der Welt aufzusteigen. Mit der Vorgabe von Exportquoten, der Erzwingung von Joint-Ventures mit chinesischen Kooperationspartnern wurde letztendlich auch ein einzigartiger Technologietransfer nach China in Gang gesetzt. Gleichzeitig schwärmten chinesische Studenten in großer Zahl an die Top-Universitäten in den USA, Europa und Japan, um den immateriellen Wissenstransfer für die zukünftig geplante indigenious Innovation der chinesischen Wirtschaft sicherzustellen.[ 5 ] Alles in allem eine äußerst erfolgreiche Strategie zu den führenden Industrieländern des Westens rasch aufzuschließen.
China nutzte das vorhandene Potential seiner noch zu Beginn weitgehend in der Landwirtschaft und auf dem Land lebenden Bevölkerung, um diese als billige Arbeitskräfte in die Städte zu locken. Bisher verfügte China dadurch über große Mengen von jungen, schlechtqualifizierten Arbeitskräften, die sich in den Fabriken an der chinesischen Küste, insbesondere dem Perlflussdelta, dem Gebiet um Shanghai und aufwärts dem Yangtse River bis hinauf nach Chengdu und der Region um Tientsin und Beijing abrackerten.
Nicht umsonst titelte Richard Freeman in einem Artikel in Economic Perspectives einmal, Are Your Wages Set In Beijing?[ 6 ]Damals wurde diese Argumentation noch mehrheitlich von zahlreichen führenden neoklassischen Außenhandelstheoretikern zurückgewiesen. Das Argument war die klassische Außenhandelstheorie des absoluten und relativen komparativen Advantages à la Ricardo. Die führenden Industrieländer würden sich in neue innovative und produktivere Wirtschaftsbereiche insbesondere in den High-Tech-Industrien sowie modernen Dienstleistungen fokussieren. Hier wiesen Thesen von der New Economy und der Dienstleistungsgesellschaft à la Fourastié die Richtung.
Allerdings wurde dabei geflissentlich übersehen, dass sich in den High-Tech-Industrien zwar in der Tat einige hochprofitable Beschäftigungsmöglichkeiten herausbildeten, diese konnten aber keineswegs den Verlust der good jobs in den bisherigen Wirtschaftszweigen ausgleichen. Wer dort seinen Job insbesondere auf dem shopfloor verlor, der musste meist mit schlechter bezahlten Jobs und wachsender Unsicherheit seiner Beschäftigung zurück in den Arbeitsmarkt kehren.[ 7 ]
Das findet seinen Niederschlag in der wachsenden sozialen Einkommens- und Vermögensungleichheit dieser Länder, die als Krise des Mittelstands bezeichnet wird. Das offshore outsourcing insbesondere nach China wurde zu einer Massenbewegung, weil die multinationalen Unternehmen aufgrund der niedrigen Löhne in China zunächst massiv von den Standortvorteilen in China profitierten. Das übte auch einen erheblichen Preisdruck in diesen Importländern aus, da zumindest die Preisvorteile teilweise an die Verbraucher weitergegeben wurden.
Ausländische multinationale Unternehmen konnten auch vom rasanten Wirtschaftswachstum der chinesischen Wirtschaft profitieren. Foxconn[ 8 ] avancierte so zu dem Unternehmen, das weltweit die meisten Konsumelektronikprodukte für alle führenden westlichen Unternehmen von Apple, Google, HP, Sony, etc. als OEM-Hersteller in Shenzen produzierte, das sich rasant zu einem führenden Elektronikstandort weltweit entwickelte.
Belt & Road Initiative (Neue Seidenstraße)
Mit der Machtübernahme von Xi Jinping erfolgte noch eine Forcierung der chinesischen Politik sich als globaler Hegemon zu etablieren. Als strategisches Mittel hierzu wurde die Belt & Road Initiative kreiert, die unter dem Stichwort „Investitionsinitiative in globale Infrastruktur“ China zum führenden Geldgeber beim Auf- und Ausbau in bisher 90 Ländern mit einem angestrebten Investitionsvolumen von rd. 1 Bill. US-Dollar machen wird.
Zwar hatte die Weltbank zuvor den Mangel an Infrastruktur in den Entwicklungsländern als zentrales Wachstumshemmnis identifiziert, aber das wurde eher unter dem Blickwinkel einer traditionellen Entwicklungshilfe gesehen.
China definierte diese jedoch zu seinem spezifischen Vorteil um. Es wurden Freihäfen in einer Reihe von Entwicklungsländern, aber auch innerhalb der EU in Piräus etabliert, die als Handelsplattformen eines weiterhin expandierenden chinesischen exportorientierten Wirtschaftswachstums dienen sollen. Teilweise wurden diese Territorien - Vorlage könnte hierfür der Pachtvertrag von Hong Kong durch die Briten gedient haben - für 99 Jahre an China gepachtet, z.B. in Boten (Laos), Sihanoukville (Kambodscha), Colombo und Hambantota (Sri Lanka) und Gwandar (Pakistan) - und damit quasi zu einem exterritorialen Gebiet in diesen Ländern unter ausschließlicher Kontrolle Chinas umgewandelt.
Da China seit langem über massive Überkapazitäten in der Bauindustrie verfügt und durch den rasanten Ausbau seines Hochgeschwindigkeitszugnetzes durch seine Vorgänger verfügt, werden oder sollen diese jetzt im Export von solchen Bauaktivitäten im Sinne eines Built-Operate-Transfer (BOT) weltweit exportiert werden. Dabei kommen vorrangig auch chinesische Arbeitskräfte im Ausland zum Einsatz, was dort schon zu erheblichen Konflikten geführt hat. Die erhofften Beschäftigungseffekte in diesen Ländern für die einheimische Bevölkerung bleiben somit weit unter den Erwartungen zurück. Damit vermeidet China aber in der heimischen Bau- und Schienenfahrzeugindustrie im Inland Arbeitslosigkeit.
Hinzu kommt, dass durch die Finanzierung solcher Mega-Projekte durch chinesische, staatlich kontrollierte Banken zahlreiche Entwicklungsländer in eine finanzielle Abhängigkeit von China geraten, die die chinesische Regierung auch für ihre politischen Zwecke zu nutzen weiß. Da man sich die politische Unterstützung durch Korrumpierung von politischen Eliten in den jeweiligen Entwicklungsländern durch entsprechende kick-backs sichert, hat das in einigen der davon betroffenen Ländern, z.B. Malaysia oder Sri Lanka, zu politischen Krisen aufgrund solcher Einflussnahme geführt.
Man nutzt eben die tiefen Taschen der bisher akkumulierten gewaltigen Devisenreserven, um sich in bestimmte Länder und Märkte einzukaufen, die man langfristig als strategisch bedeutsam für die chinesische Wirtschaft ansieht.
Welche Chancen hat eine Reform der WTO unter diesen Vorzeichen?
Das jetzt vom G20-Treffen verabschiedete Communiqué bleibt da vage.[ 9 ] Der in diesem Jahr massiv eskalierte Handelskonflikt insbesondere mit China dürfte kaum durch diese Absichtserklärung zu stoppen sein. Trump hat ja sogar bereits mit dem Austritt der USA aus der WTO gedroht.[ 10 ] Mithin wird der Handelskrieg im kommenden Jahr zwischen den USA und China aller Voraussicht nach weiter eskalieren. Daran ändert das jetzt vereinbarte Timeout von 90 Tagen für die ab 1. Januar 2019 angekündigten Erhöhung und Ausweitung der Strafzölle der USA gegen China derzeit noch wenig.[ 11 ]
China wird sich seinen großen strategischen Plan nicht abhandeln lassen. Es strebt so oder so zu einer aus seiner Perspektive Rückkehr an die Weltspitze. Die chinesische Führung ist auch fest davon überzeugt: Time is on our side.
Eine nachhaltige Reformation der WTO mit China und Russlandlink12 dürfte illusorisch bleiben.[ 12 ] Es droht eher eine jetzt erneute Spaltung der Weltwirtschaft in zwei Wirtschaftsblöcke.
Eines der letzten Zitate von Helmut Schmidt kurz vor seinem Tod lautete: "In diesem Jahrhundert steht die Selbstbehauptung der europäischen Zivilisation auf dem Spiel."[ 13 ]Ob das unseren Vertretern in Politik, Wirtschaft und Medien, die von einer engen Allianz der EU mit China und Russland träumen, klar ist?
©KOF ETH Zürich, 7. Dez. 2018