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Langfristige Wachstumseffekte der Digitalisierung

Summary:
Die voranschreitende Digitalisierung hat sowohl wachstumsfördernde als auch -dämpfende Effekte. Dieser Beitrag geht kurzfristig, d. h. bis etwa 2025/2030, davon aus, dass in entwickelten Volkswirtschaften wie Deutschland die wachstumsfördernden Effekte überwiegen. Mittel- und langfristig, d. h. ab 2040/2050, dürften hingegen die wachstumsdämpfenden Effekte die Oberhand gewinnen. Digitalisierung – worum geht es? Der Begriff der Digitalisierung wird in diesem Artikel verstanden als die weltweite Ausbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien in allen Bereichen des menschlichen Daseins.[ 1 ] Exemplarisch verdeutlichen einige wenige Entwicklungen, die sich bereits heute andeuten, wie stark die Digitalisierung zukünftig Wirtschaftsprozesse verändern kann: Moderne Industrieroboter produzieren mit immer weniger menschlicher Unterstützung Produkte, Vorleistungen, Maschinen und Industrieroboter. Selbstfahrende Fahrzeuge ersetzen perspektivisch Lkw-, Bus- und Taxifahrer. Gleiches ist für den Schienenverkehr und die Schifffahrt zu erwarten. Immer leistungsfähigere Software übernimmt viele Tätigkeiten von Dolmetschern, Übersetzern, Juristen, Medizinern und Journalisten. Schließlich werden 3D-Drucker zunehmend dafür sorgen, dass Konsumenten Produkte selbst herstellen können. Perspektivisch kann dies zum Ende zahlreicher Produktions- und Handelsunternehmen führen.

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Die voranschreitende Digitalisierung hat sowohl wachstumsfördernde als auch -dämpfende Effekte. Dieser Beitrag geht kurzfristig, d. h. bis etwa 2025/2030, davon aus, dass in entwickelten Volkswirtschaften wie Deutschland die wachstumsfördernden Effekte überwiegen. Mittel- und langfristig, d. h. ab 2040/2050, dürften hingegen die wachstumsdämpfenden Effekte die Oberhand gewinnen.

Digitalisierung – worum geht es?

Der Begriff der Digitalisierung wird in diesem Artikel verstanden als die weltweite Ausbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien in allen Bereichen des menschlichen Daseins.[ 1 ] Exemplarisch verdeutlichen einige wenige Entwicklungen, die sich bereits heute andeuten, wie stark die Digitalisierung zukünftig Wirtschaftsprozesse verändern kann: Moderne Industrieroboter produzieren mit immer weniger menschlicher Unterstützung Produkte, Vorleistungen, Maschinen und Industrieroboter. Selbstfahrende Fahrzeuge ersetzen perspektivisch Lkw-, Bus- und Taxifahrer. Gleiches ist für den Schienenverkehr und die Schifffahrt zu erwarten. Immer leistungsfähigere Software übernimmt viele Tätigkeiten von Dolmetschern, Übersetzern, Juristen, Medizinern und Journalisten. Schließlich werden 3D-Drucker zunehmend dafür sorgen, dass Konsumenten Produkte selbst herstellen können. Perspektivisch kann dies zum Ende zahlreicher Produktions- und Handelsunternehmen führen.

Diese und weitere sich bereits andeutende technologische Entwicklungen lassen erwarten, dass digitale Technologien sich in den nächsten Jahrzehnten weiter ausbereiten werden. Einschränkend ist jedoch darauf hinzuweisen, dass digitale Entwicklungen keinem naturgesetzlichen Lauf folgen, sondern durch gesellschaftspolitische Entscheidungen geprägt werden. Da es also keine Gewissheit über die konkrete Ausgestaltung der Digitalisierung gibt, handelt es sich bei den nachfolgenden Ausführungen um grobe Leitplanken möglicher Entwicklungen.

Digitalisierung und Wachstum

Der verstärkte Einsatz digitaler Technologien beeinflusst das wirtschaftliche Wachstum über zahlreiche Kanäle.

Investitionsbedarf und technologischer Fortschritt

Der Investitionsbedarf zum Aufbau der digitalen Infrastruktur erhöht die gesamtwirtschaftliche Güternachfrage. Unternehmen passen ihr Produktionsniveau an die gestiegene Nachfrage an, sodass es zu einem stärkeren Wirtschaftswachstum kommt. Auch öffentliche Investitionen haben einen positiven Wachstums- und Beschäftigungseffekt.

Der mit der Digitalisierung einhergehende technologische Fortschritt wirkt ebenfalls wachstumssteigernd: Er bedeutet, dass die Produktionskosten sinken und die Unternehmen ihr Produkt zu einem geringen Preisen anbieten können. Im Normalfall reagieren Verbraucher auf einen sinkenden Preis, indem sie mehr Einheiten des betreffenden Produkts nachfragen. Sofern die Unternehmen sich an die steigende Nachfrage anpassen, steigt das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP).

Einschränkend ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Wert der produzierten Sachgüter und Dienstleistungen sinken kann: Wenn der Preisrückgang relativ groß ist und der damit verbundene Anstieg der nachgefragten Gütermenge nur gering ausfällt, geht der Wert der produzierten und nachgefragten Güter zurück. Das bedeutet, dass das nominale BIP als Folge des mit der voranschreitenden Digitalisierung verbundenen technologischen Fortschritts sinkt.

Sharing Economy

Das Prinzip der Sharing Economy bedeutet, dass Verbraucher bestimmte Produkte nicht mehr kaufen, sondern für eine bestimmte Zeit mieten. Ein prominentes Beispiel ist das Carsharing. Digitale Technologien ermöglichen eine stärkere Nutzung dieser Nutzungsform. Mit Blick auf das Wirtschaftswachstum ergeben sich hieraus drei zentrale Konsequenzen:

  1. Die Tendenz zur Sharing Economy senkt das Wachstum, weil die Nachfrage nach Konsumgütern zurückgeht: Wenn sich vier Personen einen Pkw teilen, wird nur noch ein Pkw nachgefragt und produziert.
  2. Die Sharing Economy senkt das Wirtschaftswachstum zusätzlich, sofern die Verbraucher dabei die traditionellen Kanäle des Marktes umgehen:[ 2 ] Wenn Touristen auf private Wohnungen zugreifen, zahlen sie dafür geringere Gebühren als für ein Hotelzimmer. Mengenmäßig bleibt die nachgefragte Gütermenge zwar konstant. Da das BIP die Güter jedoch zu ihren Marktpreisen bewertet, führt die Substitution von Hotelzimmern durch private Wohnungen zu einem Rückgang des nominalen BIP.
  3. Wenn infolge dieser beiden Effekte das Wirtschaftswachstum nachlässt, gehen auch die Investitionen zurück. Eine sinkende Investitionsnachfrage hat zur Folge, dass die Investitionsgüterindustrie ihre Produktion reduziert.

Alle drei wachstumsdämpfenden Effekte haben Rückwirkungen auf den Arbeitsmarkt: Unternehmen passen sich an die geringere Nachfrage an, reduzieren ihre Produktion und damit auch die Beschäftigung. Falls die freigesetzten Arbeitskräfte keine neuen Stellen finden, sinkt ihr verfügbares Einkommen. Die damit verbundene Verringerung der privaten Konsumnachfrage reduziert die Produktion in der Konsumgüterindustrie und schwächt das wirtschaftliche Wachstum weiter.

Beschäftigungseffekte der voranschreitenden Digitalisierung

Der technologische Fortschritt hat in vielen Tätigkeitsbereichen bereits dazu geführt, dass Maschinen die menschliche Arbeitskraft weitgehend ersetzen. Die Frage, ob es zukünftig einen tendenziell sinkenden Bedarf an Arbeit gibt, weil Kapital und Technik verstärkt die menschliche Arbeitskraft ersetzen, wird in der Literatur uneinheitlich beantwortet:

  • Frey und Osborne veröffentlichten 2013 eine vielbeachtete Studie, in der sie berechnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass bestimmte Tätigkeiten in den USA im Jahr 2035 computerisiert sein werden. Ausgehend von 702 Tätigkeiten kommen sie zu der Einschätzung, dass im Jahr 2035 rund 47 Prozent der amerikanischen Beschäftigten durch Computer ersetzt sein könnten.[ 3 ] Wird die von ihnen verwendet Methode auf Deutschland angewendet, kommt das ZEW zu Einsparpotenzialen von 42 Prozent der Beschäftigten,[ 4 ] während ING DiBa sogar 59 Prozent der Arbeitsplätze als gefährdet einstuft.[ 5 ]
  • Noch größer sind die technologisch bedingten Jobverluste, die Jeremy Rifkin vorhersieht: "Die Möglichkeit eines unvorhergesehenen Rückschlags einmal außer Acht gelassen, werden wir auf unserem Weg in die Mitte des 21. Jahrhunderts den größten Teil der produktiven ökonomischen Aktivität der Gesellschaft zunehmend von intelligenten Technologien erledigen lassen, die unter der Aufsicht kleiner Gruppen hoch qualifizierter Geistes- und technischer Arbeiter stehen".[ 6 ]

Daneben gibt es aber auch Studien, die zumindest mittelfristig sogar Beschäftigungszuwächse oder nur geringe Arbeitsplatzverluste erwarten: Eine im Juli 2016 veröffentlichte Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales erstellt eine Prognose bezüglich der Auswirkungen der voranschreitenden Digitalisierung auf den deutschen Arbeitsmarkt bis zum Jahr 2030. Die Autoren gehen zwar auch von einer hohen Freisetzung von Arbeitskräften in digitalisierbaren Tätigkeitsfeldern aus, sie sehen aber gleichzeitig einen höheren Bedarf an "koordinierenden, forschenden, kommunikativen, kreativen und entscheidungsintensiven Tätigkeiten".[ 7 ] Zwischen 2014 und 2030 erwarten sie per Saldo eine Zunahme der Erwerbstätigenzahl um 240.000.[ 8 ] Andere Studien berechnen im Rahmen des Übergangs zur Industrie 4.0 für Deutschland bis zum Jahr 2025 per Saldo einen Arbeitsplatzzuwachs in Höhe von rund 400.000[ 9 ] oder auch einen Verlust von rund 60.000 Arbeitsplätzen.[ 10 ]

Wie sind diese divergierenden Thesen einzuschätzen? Die voranschreitende Digitalisierung wird meiner Ansicht nach dazu führen, dass Kapital und Technologien die menschliche Arbeitskraft in den Produktionsprozessen hoch entwickelter Industrienationen wie Deutschland immer mehr ersetzen. In den nächsten zehn bis 15 Jahren werden die damit verbundenen Arbeitsplatzverluste noch moderat ausfallen. Langfristig gehe ich jedoch davon aus, dass es zu erheblichen Arbeitsplatzverlusten kommt. Trotz der zu erwartenden erheblichen Einsparungspotenziale der menschlichen Arbeit durch die voranschreitende Digitalisierung sehe ich ein Ende der Arbeit, das eine vollautomatische Produktion in allen Bereichen des menschlichen Daseins impliziert, jedoch auch langfristig nicht. Die Einsparung an menschlichen Arbeitskräften könnte aber immerhin so massiv sein, dass sie ab 2040/2050 in entwickelten Volkswirtschaften die von Frey und Osborne berechneten rund 50 Prozent erreicht.

Diese Freisetzung von Arbeitskräften hat wiederum Rückwirkungen auf die Güternachfrage: Wenn der Bedarf an menschlicher Arbeit zurückgeht, sinkt der Lohn als Preis für den Produktionsfaktor Arbeit. Gleichzeitig sinken die verfügbaren Einkommen derjenigen, die keine bezahlte Beschäftigung finden. Damit geht die Konsumnachfrage zurück, was das Wirtschaftswachstum nachfrageseitig schwächt.

Zeitwohlstand und Wachstum

Wenn der Einsatz von Kapital und Technologien die gesamtwirtschaftliche Produktivität erhöht, kann eine konstante Gütermenge mit immer weniger Arbeitsinput hergestellt werden. Ob das BIP der Gesellschaft dann steigt, hängt im Wesentlichen davon ab, wie die Menschen die gewonnene Zeit nutzen. Hier sind vier grundlegende Entwicklungen denkbar:

  1. Die Menschen nutzen die gewonnene Zeit für Freizeitaktivitäten und nehmen dabei kommerzielle Angebote in Anspruch. Beispiele hierfür sind Kreuzfahrten, Städtereisen, der Besuch von Freizeit- und Vergnügungsparks und vieles mehr.[ 11 ] Diese Tendenz hin zu einer kommerziellen Event- und Erlebnis-Ökonomie ist wachstumsfördernd, weil für derartige Angebote Marktpreise gezahlt werden und diese Angebote somit von der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung erfasst werden.
  2. Die Bürger nutzen die gewonnene Zeit für Freizeitaktivitäten, ohne dabei auf kommerzielle Angebote zurückzugreifen. Sie musizieren, spielen Theater, arbeiten im eigenen Garten oder treiben Sport. Abgesehen von den für diese Aktivitäten notwendigen Produkten wie Musikinstrumente und Sportbekleidung werden keine weiteren Produkte benötigt. Es kommt daher zu keiner nennenswerten Steigerung des BIP.
  3. Die gewonnene Zeit kann für ehrenamtliche Tätigkeiten verwendet werden. Da es für diese Tätigkeiten keinen Marktpreis gibt, erfasst die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung diese Aktivitäten nicht. Das BIP steigt somit nicht. Sofern das ehrenamtliche Engagement am Markt gehandelte Dienstleistungen verdrängt, sinkt das BIP sogar.
  4. Denkbar ist schließlich auch, dass die Menschen die zusätzliche Zeit für die Ausübung von Erwerbsarbeit nutzen. Wenn die zusätzlich produzierten Güter auf Märkten verkauft werden, kommt es zu einer Steigerung des BIP. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass es auch eine kaufkräftige Nachfrage für diese zusätzlichen Produkte gibt. Dies ist jedoch nicht garantiert: Wenn es wegen des verstärkten Kapitaleinsatzes zu einer erheblichen Reduzierung der Erwerbsarbeit kommt, fehlt es an einer entsprechenden Massenkaufkraft.

Welche dieser vier Entwicklungstrends tatsächlich Realität werden, lässt sich nicht vorhersagen. Entscheidend dafür sind die Wertvorstellungen der Bürger. Auf jeden Fall aber ist nicht auszuschließen, dass es im Zuge der mit der voranschreitenden Digitalisierung einhergehenden Zeitgewinne in hoch entwickelten Volkswirtschaften ceteris paribus zu einer Stagnationstendenz kommt oder sogar zu einem Rückgang des BIP. Dies bedeutet jedoch nicht notwendigerweise, dass sich die Lebenssituation der Menschen verschlechtert. Die Bürger können die gewonnene Zeit für selbstbestimmte Tätigkeiten nutzen, was ihre Lebenszufriedenheit erhöhen kann. Der Wohlstand der Menschen – definiert als Lebenszufriedenheit oder Glück – steigt dann, obwohl das BIP sinkt.


©KOF ETH Zürich, 27. Apr. 2017

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