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G20 in Hamburg – Vanity Fair

Summary:
Der G20-Gipfel in Hamburg hat nichts gebracht, außer die Einsicht, dass die Bereitschaft der beteiligten Staaten zur internationalen Kooperation minimal ist. Je nach Perspektive des Betrachters war das Gipfeltreffen der Regierungschefs der zwanzig größten Nationen in Hamburg ein Erfolg oder ein Fiasko. Es gibt dabei zweierlei zu betrachten. Zum einen war es der Ablauf der offiziellen Veranstaltung über zwei Tage und zum anderen die Reaktion in der Öffentlichkeit, die von Massenprotesten bis hin zu ausufernden Gewaltexzessen insbesondere im Schanzenviertel[ a ] geprägt war. Offenbar hatten sich die Regierungschefs hinter einer Mauer von Sicherheitskräften von mehr als 20000 Polizisten plus ausländischen Sicherheitsdiensten, die bewaffnet für die Sicherheit ihrer jeweiligen

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Georg Erber considers the following as important:

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Der G20-Gipfel in Hamburg hat nichts gebracht, außer die Einsicht, dass die Bereitschaft der beteiligten Staaten zur internationalen Kooperation minimal ist.

Je nach Perspektive des Betrachters war das Gipfeltreffen der Regierungschefs der zwanzig größten Nationen in Hamburg ein Erfolg oder ein Fiasko. Es gibt dabei zweierlei zu betrachten. Zum einen war es der Ablauf der offiziellen Veranstaltung über zwei Tage und zum anderen die Reaktion in der Öffentlichkeit, die von Massenprotesten bis hin zu ausufernden Gewaltexzessen insbesondere im Schanzenviertel[ a ] geprägt war.

Offenbar hatten sich die Regierungschefs hinter einer Mauer von Sicherheitskräften von mehr als 20000 Polizisten plus ausländischen Sicherheitsdiensten, die bewaffnet für die Sicherheit ihrer jeweiligen Regierungschefs zuständig waren, zu einer Jubelveranstaltung versammelt, die ihren Höhepunkt mit der Ode an die Freude von Beethoven in der skandalträchtigen Elbphilharmonie finden sollte.

Offenbar waren Angela Merkel und Olaf Scholz schon im Vorfeld von der großen Sorge geplagt, dass es zu gewalttätigen Zwischenfällen beim G20-Treffen kommen könnte. Nur hat man dabei die Sicherheit der Hamburger Bürger aus dem Blickfeld verloren. Die Folgen konnte man dann besichtigen, als Anarchisten des Schwarzen Blocks insbesondere im Schanzenviertel zeitweise die Macht übernahmen und brandschatzend die dortigen Anwohner in Angst und Schrecken versetzten.

Mithin waren alle Vorkehrungen eines friedlichen Ablaufs am Ende für die Katz. Es ist anders gekommen und die verantwortlichen Politiker zeigen sich überrascht. Sofort brach danach eine Serie von wechselseitigen Schuldzuweisungen aus. Der Oppositionsführer der Hamburger CDU forderte gleich den Rücktritt von Olaf Scholz[ b ], wohl nicht zuletzt mit dem Hintergedanken, dass damit einer Kritik an der Kanzlerin, die ja an der Auswahl Hamburgs als Tagungsort durchaus mitverantwortlich war, in Richtung der SPD abgelenkt werden sollte.

Trotzdem schaden die unschönen Bilder sowohl der Kanzlerin als auch der SPD in Hamburg. Kein gutes Omen für den kommenden Bundestagswahlkampf. Das Ergebnis des G20-Gipfels in Hamburg hat eben viele Väter und Mütter.

Merkels Traum von der Führerin des Westens im Angesicht der Herausforderung durch Trump

Angela Merkel hatte wohl ursprünglich darauf gehofft, dass sie durch schöne Bilder vom G20-Gipfel als Gastgeberin für ihre Reputation sowohl im In- wie auch im Ausland eine deutlichen Schub erhalten könnte, der ihr auch bei der Bundestagswahl helfen würde. Heiligendamm lässt grüßen. Nun ist dieses Image durch den Ablauf des Treffens erheblich beschädigt worden. Gerade die drei die Weltpolitik dominierenden Mächte wie die USA, China und – mit deutlichem Abstand – auch Russland werden sich still ihren eigenen Reim auf das ganze Geschehen in Hamburg gemacht haben. Ein Symbol der Führungsstärke sieht anders aus.

Merkels Führungsanspruch für die westliche Wertegemeinschaft hat einen empfindlichen Rückschlag erlitten. Trump und Putin machten dies mehr als deutlich als sie die Sitzung zum Klimawandel schwänzten und sich zum Tête à tête zur Diskussion ihrer bilateralen Probleme zurückzogen. Herausgekommen ist dabei ein partieller Waffenstillstand in Syrien, der wohl schon lange vor dem Treffen in Geheimverhandlungen festgezurrt worden war. Ob die geplante Kooperation bei der Cybersicherheit zustande kommt, steht in den Sternen[ c ].

Merkels Sherpa Lars Hendrik-Röller kam die undankbare Aufgabe zu, einen Text für die Abschlussresolution mit den Vertretern der anderen Staaten auszuhandeln, der niemandem weh tat. Herausgekommen ist ein Dokument, dass jedem genügend Interpretationsspielraum einräumt, seine Sicht der Dinge daraus herauszulesen. Von substantiellen Fortschritten in der Frage der Wahrung eines freien Welthandels oder der Wahrung des Pariser Klimaabkommens ist man nach diesem Gipfeltreffen genauso weit entfernt wie zuvor. Außer Spesen nix gewesen, könnte das knappe Resümee lauten. Kritiker an dem G20-Gipfeln war das Wasser auf die Mühlen. Vielleicht ist ja die große Bühne auch kein geeigneter Ort für komplizierte Verhandlungen. Schon Helmut Schmidt war da hanseatisch nüchterner. Er hat diese überdimensionierten Politshows als überflüssig angesehen, da sie keineswegs einen substantiellen Beitrag leisten können.

Weil man keine substantiellen Fortschritte bei den beiden Kernthemen Welthandel und Klimawandel schon im Vorfeld erwarten konnte, verlor man sich im Kleinklein. Ein Frauenförderfond für Frauen in Afrika war so ein Trostpflaster, das schleunigst als großer Erfolg des Gipfeltreffens gefeiert werden soll. Fragt sich nur, ob sich dies rechtfertigen lässt, gemessen an den Kosten einer solchen Veranstaltung von rd. 120 Mio. Euro plus der darin nicht enthaltenen Schäden durch den Vandalismus insbesondere im Schanzenviertel. Von jetzt zugesagten 350 Mio. US-Dollar für einen solchen Afrika-Fond müssen ja keineswegs alle ihre Beiträge wie versprochen leisten. Hinzu kommt, dass die konkrete Umsetzung derzeit in den Sternen steht. Eigentlich sind das nur Peanuts, um mit Rolf Breuer zu sprechen.

Merkels Versuch im Vorfeld die globale Migrationsfrage auf die Agenda des G20-Gipfels zu heben, scheiterte bereits im Ansatz. Fragen der globalen Sicherheitsarchitektur wie Nordkorea, Syrien und der Ukraine wurden ebenfalls ausgeklammert oder – siehe Trump-Putins-Dialog – bilateral ausgehandelt. Das Ergebnis des Dialogs von Trump und Putin hätte ohne weiteres anderswo herbeigeführt werden können und ist wohl auch schon anderswo beschlossen worden. Wie so oft bei solchen Gipfeltreffen werden konkrete Maßnahmen bereits im Vorfeld beschlossen und nur bis zum Gipfel zurückgehalten.

Quo vadis global Governance?

Eigentlich war ja mal die Idee der Errichtung der G20-Treffen im Zuge der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise die zentralen Fragen der Stabilisierung der Weltwirtschaft durch ein koordiniertes Handeln der wichtigen Länder der Weltwirtschaft voranzutreiben. Von diesen hehren Zielvorstellungen ist man inzwischen meilenweit entfernt. Von Maßnahmen zur Förderung des globalen Wachstums[ d ] und Welthandels[ e ] keine Spur. Die sich abzeichnende globale Beschäftigungskrise durch neue AI-basierte Technologien waren kein Thema auf dem G20-Treffen. Konsequenzen der globalen Zinswende und der hohen Staatsverschuldung und auch privater Überschuldung in zahlreichen Ländern, die die globale Finanzstabilität bedrohen, kein Thema.

In einer multipolaren Welt in der die drei dominierenden Mächte, die USA, China und – mit deutlichem Abstand – erneut Russland ihre jeweilige  Interessen in einem Konkurrenzkampf untereinander durchsetzen wollen, ist wenig Raum für eine harmonische globale Governance gegeben. All die anderen am Dialog beteiligten Länder können kaum maßgeblichen Einfluss auf diesen Konflikt um die hegemonialen Ansprüche der Rivalen untereinander nehmen. Das ist jedenfalls aus Sicht des Autors dieses Beitrags die traurige Realität.

Mithin fehlt den G20-Treffen die eigentliche Geschäftsgrundlage. Der Ausgangsgedanke war ja wohl ursprünglich, dass es gemeinsame Interessen gibt, die zu einem kollektiven Handeln aller zum Wohle aller einschließlich der nichtbeteiligten am G20-Treffen beteiligten Länder führen sollte. Dieser Gedanke einer win-win-Strategie ist derzeit in dem G20-Format völlig irreal. Man mag sich seitens der Bundesregierung an der Feststellung wärmen, dass man Trump mit seiner Haltung des America First beim Welthandel und Klimaschutz habe isolieren können, aber bereits die Reaktion von Erdogan kurz nach dem Treffen[ f ] zeigt, wie wenig tragfähig dieser Formelkompromiss des Abschlusskommuniqués letztendlich ist. Man spielt halt gute Miene zum bösen Spiel der auseinanderdriftenden Einzelinteressen.

Vieles erinnert an die Machtlosigkeit des Völkerbundes[ g ] in der Zwischenkriegszeit und derzeit auch der UN, da sich aufgrund der Vetos im Weltsicherheitsrat die dortigen stimmberechtigten Mächte fortlaufend wechselseitig blockieren. Ein strategisches Patt aber in zentralen Fragen der Weltpolitik sowohl im Bereich der Wirtschaft und der Sicherheit illustriert ja nur den desolaten Zustand der Weltgemeinschaft.

Merkels, Gabriels oder Steinmeiers schöne Worte können darüber nicht hinwegtäuschen. Europa spricht noch nicht einmal mit einer Stimme, wenn man nur an den Brexit und auch die Bestrebungen der Drei-Meere-Initiative[ h ] angeführt von Polen denkt. Jeder kocht halt sein eigenes Süppchen. Dass Europa unter diesen Umständen von den anderen Mächten nicht mehr echt ernst genommen wird, ist eigentlich wenig überraschend.

Politischer Romantik der Bundesregierung

In dieser verfahrenen globalen Lage macht man seitens der Bundesregierung nur gute Miene zum bösen Spiel. Man versucht durch Appelle an die rivalisierenden Parteien sich immer wieder als Mittler zu betätigen – mit mäßigem Erfolg. Das Mantra, das Gespräche zwischen den Konfliktparteien schon ein Erfolg seien, überzeugt nur bedingt. Gespräche sollen auch Ergebnisse erzielen, die auch in konkrete Politik münden. Danach sieht es derzeit nur äußerst begrenzt aus.

Zwar stirbt bekanntlich die Hoffnung zuletzt, aber die Gestaltungsmöglichkeiten der Bundesregierung sind außerordentlich gering. Solange die USA, China und Russland sich nicht auf eine gemeinsame Haltung zu den großen Fragen der Weltpolitik einigen können, wird es auch keine nachhaltige Politik in zentralen Fragen für die Weltgemeinschaft geben können.[ 1 ] Kissingers Vision einer nachhaltigen Weltordnung der Völkergemeinschaft scheitert am Mangel der Verständigungsbereitschaft der wichtigsten Akteure. Derzeit stehen alle Zeichen auf einen sich beschleunigenden Rüstungswettlauf und Konfrontation unter ihnen.

Deutschland droht sogar bei diesem Drahtseilakt schnell zwischen alle Stühle zu geraten, da es ja versucht anybody‘s Darling zu sein, was auf Dauer bei Fortbestehen der Rivalitäten nur schiefgehen[ i ] kann. Ian Bremmer hat in seinem Buch, Ground Zero, die Lage zutreffender erfasst.[ 2 ]

Derzeit werden von den USA und China nur neue Allianzen geschmiedet. Deutschland und Europa sind dabei nur als Hilfstruppen vorgesehen. China nutzt bereits die enge Kooperation mit Russland und bei einem fortwährenden Konflikt zwischen den USA und den Westeuropäern in der Wirtschafts- und Sicherheitspolitik wird die Lage für beide Seiten, aber für die Europäer, insbesondere Deutschland, nur bedrohlicher.

Merkels Idee eine engere Kooperation mit China würde Deutschland und der EU hier zum Zünglein in der Waage größeres Gewicht verschaffen, ist hoch riskant, da man letztendlich auf die USA weiterhin als Garant der Sicherheit in Europa bedingungslos angewiesen ist.

Schon in der Flüchtlingsfrage hat sich das Gutmenschentum der Kanzlerin als hoch problematisch erwiesen. Es hat Europa gespalten und ist ein Schlüsselfaktor, der den Brexit in Großbritannien herbeigeführt hat. Hinzu kommt die nachhaltige Spaltung zwischen Ost- und Westeuropa in der Flüchtlingsfrage.

Wie viele solcher ad hoc Aktionen sich Deutschland unter der Kanzlerschaft von Merkel noch leisten kann, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Auch nach einem Wahlsieg wird Merkel sich entscheiden müssen, ob sie eher Realpolitik betreiben oder ihren jeweiligen moralisch-ethischen Stimmungen folgt. Schöne Presse ist das eine, erfolgreiche Politik ist die andere Seite der Medaille.

Last but not least zeigt der G20-Gipfel die Sprachlosigkeit der Regierungschefs mit den Kritikern der Globalisierung. Kein Wort und keine Geste, wie es mit der Globalisierung mit ihren Schwächen wie Verteilungsungerechtigkeit weitergehen soll. Der Chor der Kritiker wird nicht verstummen und die Randalierer als Sündenbock für die Probleme der Globalisierung zu nutzen, dürfte wegen der wachsenden Zahl der Kritiker, die keineswegs auf Randale aus sind, nicht erfolgversprechend sein. Es fehlt an Inklusion der Verlierer der Globalisierung und an konkreten Angeboten der G20-Regierungschefs. Das ist die eigentliche Botschaft aus Hamburg.


©KOF ETH Zürich, 10. Jul. 2017

Georg Erber
Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Freien Universität Berlin war Georg Erber dort wissenschaftlicher Assistent am Institut für Versicherungsmathematik und Statistik mit dem Schwerpunkt Ökonometrie und Statistik.

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