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Diener zweier Herrn: Stammwähler oder Grenzwähler?

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In der Wahlforschung wird traditionell zwischen Stamm- und Grenzwählern unterschieden. Bei den letzten Bundestagswahlen scheinen die großen Parteien ihre Stammwähler vergessen zu haben, wie dieser Beitrag zeigt. Die letzte Bundestagswahl hat einige überraschende Ergebnisse gezeitigt. Es kam zu drastischen Wählerwanderungen insbesondere bei den in der an der Großen Koalition beteiligten Parteien, d.h. der CDU und CSU sowie der SPD. Die Union verlor satte 8,6% Stimmenanteil und die SPD 5,2% gegenüber der letzten Bundestagswahl. Dieser Erdrutsch ist einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik. Die großen Gewinner waren die AfD mit plus 7,9% und die FDP mit 5,9%. Die Linke und die Grünen konnten sich nur leicht verbessern und verzeichneten einen prozentualen Zuwachs von 0,6% bzw.

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Georg Erber considers the following as important:

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In der Wahlforschung wird traditionell zwischen Stamm- und Grenzwählern unterschieden. Bei den letzten Bundestagswahlen scheinen die großen Parteien ihre Stammwähler vergessen zu haben, wie dieser Beitrag zeigt.

Die letzte Bundestagswahl hat einige überraschende Ergebnisse gezeitigt. Es kam zu drastischen Wählerwanderungen insbesondere bei den in der an der Großen Koalition beteiligten Parteien, d.h. der CDU und CSU sowie der SPD. Die Union verlor satte 8,6% Stimmenanteil und die SPD 5,2% gegenüber der letzten Bundestagswahl. Dieser Erdrutsch ist einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik. Die großen Gewinner waren die AfD mit plus 7,9% und die FDP mit 5,9%. Die Linke und die Grünen konnten sich nur leicht verbessern und verzeichneten einen prozentualen Zuwachs von 0,6% bzw. 0,5%.

Insbesondere der starke Einbruch bei der Wählergunst war von den Wahlprognosen der einschlägigen Wahlforscher nicht in diesem Ausmaß vorhergesehen worden. So sah Allensbach die Union noch am 22. September bei 36% und GMS am 21. September sogar bei 37%. Eine deutliche Abweichung vom letztendlichen offiziellen Wahlergebnis, das durch Stichprobenfehler nicht erklärbar ist.

Die AfD konnte insbesondere rund 1 Million Stimmen der Union abjagen. Die SPD verlor 500 Tsd. an die AfD und die Linke 430 Tsd.[ 1 ] Hinzu kamen 1,280 Mio. bisherige Nichtwähler, die sich zugunsten der AfD an der Wahl beteiligten. Dieser Erdrutsch erschüttert derzeit die politische Landschaft der Bundesrepublik, da die jetzt neu entstandenen Mehrheitsverhältnisse der Union derzeit nur die Option lässt, eine Jamaika-Koalition zu bilden, die im Parlament eine Mehrheit besitzt. Die SPD hat ja bereits am Wahlabend eine Fortsetzung der Großen Koalition aufgrund des desaströsen Wahlergebnisses ausgeschlossen.

Das Koalitionsgeschacher dürfte jetzt schwierig werden, wie sich derzeit bereits abzeichnet, da auch innerhalb der vier Parteien – CDU, CSU, FDP und Grüne – die internen Flügel der jeweiligen Parteien durchaus nicht geschlossen hinter ihren jeweiligen Parteivorsitzenden stehen. Jeder Kompromiss innerhalb der Koalitionsverhandlungen kann zu einer Zerreißprobe der jeweiligen Parteien führen, die Abspaltungen nicht ausschließen kann. Der Richtungsstreit ist sowohl zwischen den potentiellen Koalitionären und deren inneren Parteiflügeln bereits entbrannt.

Stammwähler versus Grenzwähler

In der Wahlforschung wird traditionell zwischen Stamm- und Grenzwählern unterschieden. Stammwähler sind solche, die aufgrund ihrer traditionellen Bindungen an eine bestimmte Partei diese nicht aufgrund ihres jeweiligen Wahlprogramms wählen, sondern aufgrund von traditionellen Bindungen diese auch bei deutlichen Abweichungen zur aktuellen Parteilinie weiterhin wählen. Grenzwähler bzw. Wechselwähler sind dagegen Wähler, die keine solche enge Parteienbindung aufweisen, sondern von Fall zu Fall ihre Stimme der einen oder anderen Partei geben. Allerdings ist das Verhalten von Stammwählern keineswegs so fixiert, wie es manche Wahlforscher und Politiker zu glauben scheinen.

Auf der Jagd nach zusätzlichen Stimmen für die eigene Partei kann man – so glauben offenbar viele – nur durch einen Wahlkampf, der auf die Grenzwähler zielt, ein Stimmenzuwachs erzielt werden. Das führt dann dazu, dass die Wahlprogramme insbesondere diese Wählergruppen für sich mobilisieren möchten. Allerdings riskiert man dabei, dass die bisherigen Stammwähler sich immer weniger durch die eigene Partei repräsentiert fühlen. Aus Stammwählern können so aufgrund solcher Gegebenheiten plötzlich Wechselwähler werden. Das mag ein einmaliger Vorgang sein, d.h. man will nur der bisherigen Partei einen Denkzettel verpassen, aber es kann auch Ausdruck einer nachhaltigen Entfremdung gegenüber der Partei sein, der man bisher seine Stimme gegeben hat.

In welchem Umfang die Wählerwanderung der letzten Bundestagswahl nur transitorisch oder doch nachhaltig ist, ist derzeit nur schwer vorherzusagen. Es hängt natürlich auch davon ab, ob die Parteien, die einen erheblichen Teil ihrer Stammwähler jetzt verloren haben, einen Politikwechsel vollziehen, um diese zurückzugewinnen. Daraus resultiert auch der jeweils parteiinterne Streit der Parteien, die deutlich an Stimmen zugunsten der AfD und FDP verloren haben.

Die FDP stellt dabei für die CDU das weitaus geringere Problem dar, da man ja traditionell mit der FDP in Koalitionen seit Jahrzehnten die Regierung gestellt hat, d.h. die FDP ist koalitionsfähig, die AfD jedoch nicht.

Der Glaube vieler Politiker in Deutschland man müsse seine Politik vorrangig an den Wechselwählern ausrichten, um einen Zugewinn bei Wahlen erreichen zu können, hat dazu geführt, dass zunehmend Randgruppen als Zielgruppen für deren Wahlplattformen geworden sind. Dabei weiß man selbst aus der Marketingforschung, dass es sehr viel teurer ist, Neukunden hinzu zu gewinnen als Stammkunden zu halten. Wer also seine Stammkundschaft nachhaltig vergräzt, der riskiert double trouble.

Man mag einige Wechselwähler hinzugewinnen, – z.B. durch Angebote wie doppelter Staatsbürgerschaft, Familiennachzug von Flüchtlingen, Ehe für Alle, etc. – aber nur um den Preis andererseits mehr Stammwähler einzubüßen.

Wer seinen Stammwählern nichts mehr zu bieten hat, verliert am Ende deren Unterstützung. Wer sogar eine Politik gegen seine Stammwählerschaft, wie Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 macht, riskiert den politischen Niedergang der eigenen Partei. Know your customers oder hier Kenne Deine Wählerbasis sollte die Devise lauten.

Die wachsende Kritik an den derzeitigen Eliten in den etablierten Parteien zeigt genau diese Lücke zwischen Parteiführungen und Parteibasis und Stammwählerschaft auf. Wer nicht mehr seine Wählerbasis repräsentiert, der hat auf Dauer seine politische Rolle in einer repräsentativen Demokratie verloren.

Die Großen Koalitionen der letzten Jahre mögen diesen Zusammenhang vorübergehend außer Kraft gesetzt haben, so dass Merkel ungehindert bei Eurokrise und Flüchtlingskrise durchregieren konnte, auch wenn es ihrer eigenen Partei und der SPD Stimmen gekostet hat. Es reichte ja immer noch zu einer deutlichen parlamentarischen Mehrheit im Bundestag. Diese Situation ist jetzt jedoch verlorengegangen und schränkt den politischen Handlungsspielraum nachhaltig für die kommende Legislaturperiode jeder Bundesregierung ein.

Ein Schlüsselbereich ist die Migrationspolitik der Parteien

Die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel, die in einsamer Entscheidung für die Grenzöffnung im September 2015 verantwortlich ist, war ein Wendepunkt in der Migrationspolitik in Deutschland[ a ]. Die Hoffnung der Kanzlerin, dass sich dieser Migrationsschock bei der Bevölkerung innerhalb der letzten zwei Jahre abbauen würde, und ihr die Wähler diesen Kardinalfehler ihrer Politik verzeihen, hat sich nicht bewahrheitet. Auch die Parteien, die sich bedingungslos hinter Merkels Flüchtlingspolitik stellten, verloren massiv an Zustimmung und eröffneten der AfD die Chance in dieses politische Vakuum hineinzustoßen. Selbst Horst Seehofer mit seiner Doppelstrategie einer Kritik an Merkel bei de facto gleichzeitiger Duldung konnte die Wähler in Bayern an die CSU nicht mehr binden. Es ist keineswegs übertrieben zu schlussfolgern, dass dieses Thema zum zentralen Faktor bei der Wählergunst bei der jetzigen Bundestagswahl geworden war.

Die SPD hat einen solchen Schock in der Wählergunst bereits vor mehr als einer Dekade mit der Umsetzung der Agenda 2010 insbesondere der Hartz-IV-Reformen erlitten. Der damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder meinte mittels eines Machtwortes – Basta – eine Reform des Arbeitsmarktes und der sozialen Sicherungssysteme durchsetzen zu müssen, obwohl große Teile der eigenen Partei heftig dagegen opponierten.

Damit verlor die SPD die Unterstützung der Gewerkschaften und zahlreicher ihrer Mitglieder und Stammwähler, die traditionell überwiegend der SPD zugetan waren. Man musste eine Abspaltung eines Teils des Linken-Flügels unter der Führung des ehemaligen Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine hinnehmen und ist seither deutlich unter die 30%-Grenze in der Wählergunst geschrumpft. Ob man die SPD mithin noch als Volkspartei im traditionellen Sinne bezeichnen kann, ist Ansichtssache. Das kurze Strohfeuer bei der Nominierung von Martin Schulz im Frühjahr zum Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten der SPD zeigt an, dass die Erwartungen an einen grundsätzlichen Richtungswechsel der SPD damals verfrüht waren, und es zu keiner grundlegenden Erneuerung der SPD unter Martin Schulz Parteiführung bis zum Wahltag gekommen ist. Damit sank jedoch die SPD rasch wieder in der Wählergunst und fiel sogar noch unter das letzte bereits schlechte Wahlergebnis. Die Union scheint sich auf dem gleichen Pfad seit der Flüchtlingskrise 2015 zu befinden.

Wenn in zentralen Politikfragen die politische Führung der jeweiligen Parteien eine Politik implementiert, die auf breite Ablehnung bei großen Teilen seiner Stammwähler stößt, dann werden aus diesen schlagartig Wechselwähler. Offenbar haben das jedoch die Granden der ehemaligen Volksparteien noch nicht begriffen. Sie trösten sich mit der trügerischen Gewissheit, diese Wahl sei nur ein vorübergehender Ausrutscher und nicht eine nachhaltige Entfremdung zwischen großen Teilen der eigenen Wählerbasis und der Parteiführung.

Merkels Politik der Integration von Zuwanderern aus islamischen Ländern – Stichwort: Der Islam gehört zu uns – stößt auf deutliche Ablehnung bei erheblichen Teilen in der eigenen Wählerbasis. Wie Gerhard Schröder versucht die Kanzlerin dies zu ignorieren und am eigeschlagenen Kurs einfach festzuhalten. Sie scheint in ihren damaligen Entscheidungen ja auch keinerlei Fehler zu erkennen, d.h. sie ist lernunwillig. Sie präsentiert ihre Politik weiterhin als alternativlos. Nicht zufällig hat ja die AfD sich den Namen Alternative für Deutschland gegeben, d.h. der alternativlosen Politik Merkels eine klare Alternative entgegenzusetzen.

Eine ehrliche Debatte um die Probleme über Migration und Integration von Zuwanderern in Deutschland ist absolut notwendig. Ein Lavieren – wie bisher – dürfte den etablierten Parteien nur weiterhin Schaden. Es ist nur Wasser auf die Mühlen der AfD, die jetzt auch im Bundestag über eine Plattform verfügt.

Die von Thilo Sarrazin frühzeitig angestoßene Debatte um die Defizite der Integrationspolitik in Deutschland, hat gezeigt, warum eine sachliche Debatte aufgrund der Lagerbildung kaum noch möglich ist. Man konzentriert sich zu sehr auf die Verteufelung und Ausgrenzung der Abweichler wie Sarrazin, hat aber selbst keine inhaltlich überzeugenden Lösungen der konkreten Probleme bei Integration und Migration anzubieten.

"Wir schaffen das", in Merkels Duktus, ist keine konkrete Problemlösung, sondern nur ein hilfloser Appell. Mehr Geld ohne Gestaltung einer funktionstüchtigen Integrationspolitik führt nur zu sinnloser Mittelverschwendung. Das Dilemma, dass Integration außerordentlich kostspielig und langwierig ist, aber eine unkontrollierte Zuwanderung von Flüchtlingen die Budgetgrenze der öffentlichen Haushalte sprengt und die vorhandenen Kapazitäten einer Integration von Zuwanderern übersteigt, ist bei der derzeitigen widersprüchlichen Politik der bisherigen und voraussichtlich zukünftigen Bundesregierung nicht lösbar.

Das eine ist mit dem anderen de facto unvereinbar. Es gibt nicht genügend ausgebildetes Personal, um die Zuwanderer richtig zu betreuen und ein ernsthaftes Integrationsangebot hinsichtlich Ausbildung, Unterbringung und Beschäftigung zu machen. Die Debatte über die Obergrenze bewegt sich jedoch derzeit nicht auf Basis dieser konkreten Restriktionen, sondern bewegt sich im Rahmen eines Prinzipienstreits. Also bleibt nur der schöne Schein und die Skandale um Missbrauch der Mittel durch Abzocker in diesem Bereich häufen sich.

Leider führen die derzeitigen Debatten eher vorrangig Extremisten, die einerseits durch Rassismus und Fremdenfeindlichkeit oder ein bedingungsloses Gutmenschentum vor dem Hintergrund universeller Menschrechte geprägt ist. Letztere ignorieren dabei, dass diese Durchsetzung der universellen Menschenrechte weltweit eine Fiktion ist. Wo in der Welt werden diese denn de facto auch garantiert und durchgesetzt? Die Flüchtlingskrise ist doch das Ergebnis der massiven Missachtung dieser Menschenrechte in den Ländern aus denen die Flüchtlinge über zahllose Ländergrenzen hinweg insbesondere derzeit nach Deutschland flüchten.

Dass aber selbst die ehemaligen Vorbilder Deutschlands in den skandinavischen Ländern eine ultraliberale Flüchtlingspolitik nicht länger aufrechterhalten können, sollte auch in Deutschland zu denken geben. Es sind nicht nur Ungarn unter Viktor Orban und Polen unter Kaczynski, die sich gegen die massive Zuwanderung aus dem außereuropäischen Ausland insbesondere den islamischen Ländern sperren, sondern Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland. Diese Länder waren bisher immer Vorbilder für deutsche Politiker. Jetzt sucht man aber nicht mit ihnen den Schulterschluss.

Die Flüchtlingsfrage und Migration nach Großbritannien war auch ein Schlüsselfaktor bei der Volksabstimmung über den Brexit. Jetzt hat man auch seitens der EU mit den negativen Folgen zu kämpfen.

Österreich, Frankreich und die Niederlande schrammen auch derzeit an dieser Schlüsselfrage mit knappen politischen Mehrheiten gegenüber rechtspopulistischen Parteien entlang. Die Schweiz befindet sich ebenfalls auf einem Weg zu einer größeren Abschottung gegen massive Zuwanderung.

Diese Zusammenhänge zu ignorieren ist aus Sicht des Autors grob fahrlässig und trägt zur zunehmenden Fragilität der politischen Lage in der EU bei, denn es gibt hier keinen tragfähigen Kompromiss mehr, der auf eine breite Zustimmung bei den Menschen innerhalb der EU stößt.

Man leistet sich derzeit in Deutschland in den etablierten Parteien eine Form politischer Romantik, die auf wenig Gegenliebe in der Bevölkerung trifft. Hinzu kommt, dass die konkrete Praxis in der Migrationspolitik mit den Idealen der universellen Menschenrechte nicht in Einklang zu bringen ist. Das führt zu einer Krise der Glaubwürdigkeit. Ideale zu predigen, aber de facto diese nicht einzuhalten, führt zu Problemen der Glaubwürdigkeit gegenüber der Bevölkerung. Die Doppelstrategie geht am Ende nicht auf. Die Isolation Deutschlands in Europa im Umgang mit diesem Problem ist besorgniserregend.

Wachsende soziale Ungleichheit ein weiterer Faktor

Auch Schröder versuchte selbst nach seinem Sturz beharrlich an der Legende zu stricken, dass seine Politik der Agenda 2010 alternativlos gewesen sei. Das zeigt aber nur einen Dogmatismus, der Alternativen einfach nicht für diskussionswürdig anerkennt und Dialogbereitschaft hin zu Kompromissen auf einer breiteren politischen Basis nicht mehr anstrebt.

Diese Form autokratischer Machtausübung steht aber im Gegensatz zu einer Demokratie. Wie sehr eine solche Haltung der politischen Eliten ein Land in eine politische und gesellschaftliche Krise stürzen kann, erlebt man derzeit aktuell anschaulich in den USA mit Donald Trump und mit Theresa May in Großbritannien. Auch hier wird eine Basta-Politik praktiziert, die immer größere Widerstände in der Bevölkerung mobilisiert und damit den Verlust bei zukünftigen Wahlen und damit einen Machtwechsel riskiert.

Die wachsende Armut der bereits hier ansässigen Bevölkerung – seien es kinderreiche Familien, Alleinerziehende, Rentner mit Minirenten, etc. ist nicht mit statistischen Tricks wegzudiskutieren[ b ]. Was nützen Gesetze, die eine Kinderbetreuung garantieren sollen, wenn sie in der Praxis wertlos sind. Was geschieht mit einem aus den Fugen geratenen Wohnungsmarkt  in den Ballungsgebieten, in dem Angebot und Nachfrage nicht mehr nachhaltig miteinander in Übereinstimmung gebracht werden können?

Wie reagieren die Betroffenen, wenn sie diese und andere erhebliche Mängel ertragen müssen, und die Politik hier nicht tragfähige Lösungen anbieten kann und will. Hier wird der Finanzierungsvorbehalt dann immer wieder geltend gemacht, in der Flüchtlingspolitik jedoch nicht. Da konnte Wolfgang Schäuble schlagartig Mittel mobilisieren, für eine Politik zur Minderung der Kinderarmut fehlte zuvor das Geld dazu[ c ].

Das Selbstverständnis der EU kommt als Problem hinzu

Die Eurokrise, insbesondere um die Rettung Griechenlands, war ein weiterer Meilenstein in der Entfremdung der Wähler in Deutschland von den eigenen Parteien. Merkels Politik, die darauf ausgerichtet war, unter allen Umständen auch unter Hintanstellung der Interessen der eigenen Bevölkerung, die Integration der EU weiter voranzutreiben, stößt in einer großen Zahl von Mitgliedsländern auf wenig Sympathie und Gegenliebe.

Auch in Deutschland sind die Widerstände gegen eine Haftungs- und Transferunion innerhalb der EU massiv und reichen bis weit in das bürgerliche Lager der Union und die Wähler der SPD hinein. Diese Wähler finden aber derzeit bei den etablierten Parteien kein Gehör. Es gibt keine Repräsentanz für deren Vertreter, die wirksam Einfluss auf die Entscheidungsprozesse nehmen können. Stattdessen werden deren Repräsentanten eher als Querulanten politisch kaltgestellt. Man denke nur am Umgang mit Kritikern der Politik der EZB, wie Otmar Issing, Axel Weber, Jürgen Stark oder Hans-Werner Sinn.

Der Vorstoß von Emmanuel Macron einer noch weiteren engeren Bindung bis hin zu einem Einstieg in eine Fiskalunion trifft auf wenig Sympathie in großen Teilen der Bevölkerung in Deutschland. Damit sind weitere politische Krisen der EU vorgezeichnet.

Fazit

Die derzeitige Krise in der Politik in Deutschland ist das Ergebnis einer Politik der letzten Bundesregierungen, die unter Hintanstellung der Interessen wichtiger Teile ihrer eigenen Wählerbasis eine Politik umgesetzt hat, die den Interessen und Wünschen der eigenen Wähler in großen Teilen widerspricht.

Das wird im Rahmen einer repräsentativen Demokratie auf Dauer nicht gutgehen. Wird die Lücke zwischen Politikern und ihren Wählern und Parteibasis nicht geschlossen, dürfte der Entfremdungsprozess sich fortsetzen mit allen negativen Folgen, am Ende auch für die Legitimation des gesamten politischen Systems.


©KOF ETH Zürich, 17. Okt. 2017

Georg Erber
Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Freien Universität Berlin war Georg Erber dort wissenschaftlicher Assistent am Institut für Versicherungsmathematik und Statistik mit dem Schwerpunkt Ökonometrie und Statistik.

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