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Selbsttragender Föderalismus

Summary:
Sind in einem föderalistischen Staatsaufbau die Kreise der Nutzniesser, Entscheidungsträger und Steuerzahler identisch, dann sind Bailouts ausgeschlossen, wie dieser Beitrag zeigt. Ein gut gebauter Föderalismus bedarf der Subventionen nicht.[ 1 ] Er trägt sich selbst. Eine notwendige Bedingung hierfür ist die institutionelle Kongruenz, wonach sich in jeder Gemeinde die Kreise der Nutzniesser kongruent mit den Kreisen der Entscheidungsträger und denen der Steuerzahler decken, so dass Aussenstehende nicht in Anspruch genommen werden. Eine so finanzierte Gemeinde kann nicht in Konkurs geraten. Wollen die Einwohner ein Sportstadion bauen, das ihre aktuelle Finanzkraft überschreitet, so müssen sie den Bau über einen Kredit zwischenfinanzieren. Die Bank weiss das. Sie schliesst die

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Charles B. Blankart considers the following as important:

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Sind in einem föderalistischen Staatsaufbau die Kreise der Nutzniesser, Entscheidungsträger und Steuerzahler identisch, dann sind Bailouts ausgeschlossen, wie dieser Beitrag zeigt.

Ein gut gebauter Föderalismus bedarf der Subventionen nicht.[ 1 ] Er trägt sich selbst. Eine notwendige Bedingung hierfür ist die institutionelle Kongruenz, wonach sich in jeder Gemeinde die Kreise der Nutzniesser kongruent mit den Kreisen der Entscheidungsträger und denen der Steuerzahler decken, so dass Aussenstehende nicht in Anspruch genommen werden. Eine so finanzierte Gemeinde kann nicht in Konkurs geraten. Wollen die Einwohner ein Sportstadion bauen, das ihre aktuelle Finanzkraft überschreitet, so müssen sie den Bau über einen Kredit zwischenfinanzieren. Die Bank weiss das. Sie schliesst die institutionelle Kongruenz im Zins ein. Die Gemeinde kann den Kredit aus eigenen Kräften zurückzahlen.

Dieses Rezept funktionierte in der Schweiz Jahrzehnte lang gut. Die Schweizer Gemeinden finanzierten sich nach dem Prinzip der institutionellen Kongruenz. Nutzniesser, Entscheidungsträger und Steuerzahler jeder Gemeinde waren in den drei entsprechenden kongruenten Kreisen vereint. Dies war der Zustand, bis 1981 im Walliser Kurort Leukerbad der regional bekannte Notar, Verwaltungsrat und CVP-Nationalrat Otto G. Loretan Gemeindepräsident wurde. Loretan strebte nach Höherem. Er wollte das kleine Leukerbad zu einer mondänen Badedestination ausbauen und nahm hierfür weit mehr Kredit auf, als die Gemeinde tragen konnte. Die Gemeindeschuld stieg auf 170 Mio. Fr. oder 105 000 Fr. pro Kopf. Im Oktober 1998 wurde Leukerbad zahlungsunfähig. Es wurde vom Staatsrat des Kantons Wallis teilweise unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt.

Leukerbad – keine Hilfe vom Kanton

Das Mandat für die Zwangsverwaltung wurde drei ausserkantonalen Experten übertragen, deren Aufgabe es war, einen Sanierungsplan zu erstellen, der im März 1999 vorlag. Die Experten errechneten für die Gemeinde eine maximal tragbare Schuld von rund 40 Mio. Fr.

Den Gläubigern wurde ein Forderungsverzicht von 80% (entsprechend 144,5 Mio. Fr.) unterbreitet, was diese aber ablehnten. Sie wollten, dass der Kanton Wallis (mit Steuergeldern) für die Schulden von Leukerbad einsteht. Der Kanton habe seine Aufsichtspflicht verletzt, sagten die Banken. Das Prinzip der institutionellen Kongruenz (von Nutzniessern, Entscheidungsträgern und Steuerzahlern) drohte zu zerbrechen.

Doch wer sollte für die Schulden haften? Das Bundesgericht in Lausanne widersprach den Banken: Nicht der Kanton, sondern die kreditgebenden Banken hätten ihre Aufsichtspflicht verletzt; eine Bank müsse prüfen, wem sie Kredit gibt. Die Banken hatten vor Bundesgericht keinen Erfolg, ihre Klage wurde 2003 endgültig abgewiesen. Damit bestätigte das Bundesgericht das Urteil des Walliser Kantonsgerichts letztinstanzlich.

Das Urteil löste Erstaunen aus, wäre doch ein Bailout mittels Steuergeldern des Kantons Wallis viel einfacher gewesen. Doch der Richterspruch enthielt eine wichtige Lehre für die Banken: Er stellte die institutionelle Kongruenz wieder her. Von nun an hatten die Banken wieder einen Anreiz, ihre Schuldner zu kontrollieren und finanzielle Schieflagen rechtzeitig aufzudecken und zu korrigieren. Hierzu schufen sie Rating-Agenturen (die es bislang noch nicht gab), sie nahmen nicht nur die Gemeinden, sondern auch die Kantone unter Kontrolle, mit dem Ergebnis, dass sich das Finanzgebaren aller Gebietskörperschaften verbesserte. Hätte das Gericht umgekehrt den Kanton Wallis zur Schuldenübernahme gezwungen, so wären die Rating-Agenturen nicht entstanden, die Fähigkeit des Kapitalmarkts, Marktversagen zu überwinden, wäre verdeckt geblieben und ein Anreiz, der Gemeinden, ihren Haushalt sorgfältig zu kalkulieren, wäre ausgeblieben. Infolge des Urteils des Bundesgerichts musste der Kanton Wallis keine Rettungszahlung für Leukerbad leisten. Den kreditgebenden Banken gelang es nicht, die kantonalen Steuerzahler mit in die Verantwortung zu ziehen. Das Prinzip der institutionellen Kongruenz blieb erhalten.

Durch dieses Urteil wurde das kleine Leukerbad quasi zum Musterfall für die Eurokrise. Eine Krise der Währungsunion entsteht als Schuldenkrise, wenn das Prinzip der institutionellen Kongruenz verletzt wird. Wären (beispielsweise) im Fall Griechenlands die übrigen Eurostaaten passiv geblieben, so hätte Athen mit seinen Gläubigerbanken ein Schuldenarrangement treffen müssen mit dem Ergebnis, dass diese in Zukunft vorsichtiger dabei gewesen wären, Griechenland Kredite einzuräumen. Ebenso wären die Banken gegenüber anderen Schuldnerstaaten wie Italien, Spanien, Portugal usw. vorsichtig geworden.

Die Marktkräfte hätten das Problem gelöst. Die Steuerzahler wären nicht in Anspruch genommen worden. Wäre umgekehrt, im Falle Leukerbads, der Kanton mit Steuergeldern eingesprungen, hätte er zwar das Finanzproblem in dem einen Fall beseitigt, doch er hätte den anderen Gemeinden Anreize gegeben, künftig auf Staatsrettung zu vertrauen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Wo der Föderalismus strikt nach dem Prinzip der institutionellen Kongruenz organisiert ist (wo Nutzniesser-, Entscheidungsträger- und Steuerzahlerkreise deckungsgleich sind), da wissen die Gemeinden, dass sie selbst für ihre Schulden aufkommen müssen und nicht mit einem Bailout durch den Kanton rechnen können.

Doch wann kommt institutionelle Kongruenz der Gebietskörperschaften zustande? Das hängt davon ab, ob sich die finanziell gefährdeten Gebietskörperschaften zu einer massgebenden politischen Kraft organisieren können. Dies wiederum hängt von ihrer Zahl ab. Es dürfen nicht zu viele und nicht zu wenige sein. In einem Staat gibt es Hunderte oder Tausende von Gemeinden, zu viele, als dass sie ihre Interessen ballen und sich für eine Rettung aus Steuermitteln organisieren könnten.

Das gilt auch für die 50 amerikanischen Bundesstaaten – sie sind zu zahlreich, als dass sie mit einer Stimme in Washington auftreten und dort ihre Interessen auf Bundesrettung vorbringen und durchsetzen könnten. Daher gib es in den USA keinen Bailout, wenn Einzelstaaten zahlungsunfähig werden.

Kantone – keine Hilfe vom Bund

Die Schweiz hat 26 Kantone. Zu einer Bailout-Koalition von Kantonen gegenüber dem Bund hat es bisher nicht gereicht. Als Bern, Solothurn, Genf, Waadt, Appenzell Ausserrhoden und Glarus in den 1990er Jahren infolge grosser Verluste ihrer Kantonalbanken in Finanznot gerieten, blieben sie auf sich selbst gestellt. Zur Bildung einer Koalition, um sich vom Bund retten zu lassen, war ihre Zahl zu klein – es waren ja nur sechs von 26. (In Deutschland ist die Zahl der Bundesländer, 16, im Grundgesetz aufgeführt. Finanziell gefährdete Länder können daher erheblichen Druck auf die Bundesregierung ausüben, um ihnen Hilfszahlungen zu gewähren.)

Unter völlig souveränen Staaten gibt es keinen Bailout. Sie sind zu zahlreich und zu heterogen, um sich zu gegenseitigen Hilfepakten zu organisieren. Souveräne Staaten müssen sich selbst darum bemühen, einen Konkurs durchzustehen. Denn anders als der Volksmund sagt, lebt es sich in der Pleite nicht wirklich gut: Staaten, die ihre Schulden nicht zurückzahlen können, erhalten keinen Zugang mehr zu den internationalen Kapitalmärkten. Im Fall Argentiniens wollten die Gläubiger den Nennwert der strittigen Anleihen vollständig zurück und zudem 50% der ursprünglichen Zinsen erstattet erhalten; andernfalls erhalte Argentinien keine neuen internationalen Kredite. Daher hat das Land schliesslich seine notorische Haltung als Zahlungsverweigerer aufgegeben und 6,5 Mrd. $ in bar an die Gläubiger überwiesen. Die Vereinbarung entspricht in etwa einem Vorschlag, den Argentinien am Anfang des Jahres 2016 den Gläubigerbanken vorgelegt hatte.  


©KOF ETH Zürich, 19. Sep. 2017

Charles B. Blankart
Charles B. Blankart ist em. Professor für Öffentliche Finanzen an der Humboldt-Universität zu Berlin und Ständiger Gastprofessor an der Universität Luzern sowie Lehrbeauftragter an verschiedenen Universitäten. Er ist Autor verschiedener Bücher und zahlreicher Aufsätze in internationalen Fachzeitschriften. Seine Forschungsschwerpunkte sind: öffentliche Finanzen, Public Choice und

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