Der neue Stärkeanfall des Frankens wirft die Frage auf, wie die Schweizerische Nationalbank ihr Geld verbucht. Im August 1971 kündete US-Präsident Richard Nixon die Bindung des Dollars an Gold auf. Fünf Jahre später empfahl der Internationale Währungsfonds allen seinen Mitgliedern, die Goldbindung aufzugeben. Damit war der Regime-Wechsel vollzogen, für die Notenbanken galten ab sofort neue Spielregeln: Sie müssen nicht mehr mit ihrem Vermögen für die Noten haften, die sie emittieren. Das Notenbankgeld ist kein Schuldschein der Notenbanken mehr, sondern bloss noch ein Warengutschein. Sein Gegenwert ist das BIP des emittierenden Landes, nicht das Vermögen der Zentralbank. Diese Änderung der Spielregeln hat sich allerdings nie in der Buchungspraxis der Notenbanken niedergeschlagen. Sie verbuchen den Geldumlauf immer noch auf der Passivseite der Bilanz. Das ist insofern nicht korrekt, als die Besitzer der Notenbankgeldmenge keinen Anspruch auf die Aktiven der Notenbank erheben können.
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Der neue Stärkeanfall des Frankens wirft die Frage auf, wie die Schweizerische Nationalbank ihr Geld verbucht.
Im August 1971 kündete US-Präsident Richard Nixon die Bindung des Dollars an Gold auf. Fünf Jahre später empfahl der Internationale Währungsfonds allen seinen Mitgliedern, die Goldbindung aufzugeben. Damit war der Regime-Wechsel vollzogen, für die Notenbanken galten ab sofort neue Spielregeln: Sie müssen nicht mehr mit ihrem Vermögen für die Noten haften, die sie emittieren. Das Notenbankgeld ist kein Schuldschein der Notenbanken mehr, sondern bloss noch ein Warengutschein. Sein Gegenwert ist das BIP des emittierenden Landes, nicht das Vermögen der Zentralbank.
Diese Änderung der Spielregeln hat sich allerdings nie in der Buchungspraxis der Notenbanken niedergeschlagen. Sie verbuchen den Geldumlauf immer noch auf der Passivseite der Bilanz. Das ist insofern nicht korrekt, als die Besitzer der Notenbankgeldmenge keinen Anspruch auf die Aktiven der Notenbank erheben können. Zwischen dem Geldumlauf und den Währungsreserven gibt es keinen buchhalterischen oder rechtlichen , sondern bloss einen volkswirtschaftlichen Zusammenhang: Die Notenbank kann (und soll) ihre Währungsreserven im Rahmen ihres volkswirtschaftlichen Auftrags veräussern, um den Aussenwert der Währung zu stärken oder um die Inflation zu bekämpfen, oder sie kann Währungsreserven gegen Banknotengeld erwerben, wenn sie die eigene Währung schwächen und/oder die Inflation ankurbeln will.
Doch spielt es wirklich eine Rolle, wie die Zentralbanken ihr Geld verbuchen? Im Prinzip nicht. Es sei denn, die Buchungspraxis hindere die Notenbanker daran, die richtige Entscheidung zu treffen. Beispielsweise weil schlecht informierte politische Kreise Druck ausüben.
Diese Gefahr besteht namentlich dann, wenn eine Notenbank eine spekulative Aufwertung durch den Erwerb von Devisenreserven verhindert und dadurch die eigene Bilanz aufbläht. Bei der oben beschriebenen falschen Rechnungslegung führt das zwangsläufig dazu, dass der Anteil des (falsch) ausgewiesenen Eigenkapitals mit steigenden Devisenreserven immer weiter sinkt, bis irgendwann wann mal schon eine kleine Abwertung genügt, um das ganze Eigenkapital zu vernichten. Diese (vermeintliche) Gefahr könnte eine Notenbank dazu verleiten, den Spekulanten nachzugeben, die eigene Haut durch eine Aufwertung zu retten, auf wenn dies der Volkswirtschaft schadet.
Genau dies ist offensichtlich im Falle der Schweizerischen Nationalbank geschehen. Sie hat am 15. Januar 2015 die Fixierung des Frankenkurses gegenüber dem Euro auf 1.20 aufgegeben. Die Gründe für diesen spektakulären Schritt waren bisher schwer nachvollziehbar. Anlässlich der Pressekonferenz von damals verwies der SNB-Chef Thomas Jordan auf die starke Abschwächung des Euro gegenüber dem Dollar und schloss daraus, "dass die Durchsetzung und die Aufrechterhaltung des Euro-Franken- Mindestkurses nicht mehr gerechtfertigt sind." Im März 2015 schob er dann noch die These nach, ein "Hinauszo?gern des Aufhebens des Mindestkurses wa?re nur auf Kosten einer unkontrollierbaren Ausdehnung der Bilanz um mehrere 100 Mrd. Franken – potenziell um ein Mehrfaches des schweizerischen Bruttoinlandprodukts – möglich gewesen. Diese unkontrollierbare Bilanzausdehnung ha?tte die zuku?nftige geldpolitische Handlungsfa?higkeit der SNB stark beeintra?chtigt und die Erfu?llung des Mandats in der langen Frist gefa?hrdet." Doch zu welchen Handlungen die SNB dann nicht mehr fähig gewesen sein sollte, blieb unerklärt und ungesagt.
Inzwischen ist erstmals eine detaillierte Begründung nachgeliefert worden. Sie stammt zwar nicht von der SNB, aber von einer Quelle, die der ihr sehr nahe steht. Professor Reto Föllmi hat lange im Studienzentrum der SNB in Gerzensee geforscht und steht als Professor für Währungspolitik an der Universität St. Gallen im ständigen Kontakt mit der den Spezialisten der SNB. In einem Text, der erstmals in der NZZ und kurz danach in der Oekonomenstimme veröffentlicht wurde, versetzen sich Foellmi und Fabian Schnell von Avenirsuisse in die Lage der SNB im Januar 2015. Sie stand damals vor der Frage, wie viel es kostet, den Wechselkurs weiterhin auf dem Niveau von 1.20 Franken pro Euro zu verteidigen und wie sich diese Kosten mit denen einer Freigabe vergleichen.
Letztere schätzten Foellmi und Schnell auf 17 Milliarden Franken. Das scheint etwas tief gegriffen. Noch Ende 2014 hatte die KOF die Kosten einer Aufwertung des Frankens auf 1 Euro auf 2,4 im ersten und weitere 2,1 BIP-Prozente im folgenden Jahr geschätzt. Doch insgesamt scheint die Schätzung von Föllmi und Schnell zumindest nicht unplausibel. Die Herleitung hingegen schon. Mehr dazu am Schluss dieses Textes.
Kosten der Verteidigung
Interessanter sind die Überlegungen zu den Kosten der Verteidigung des Mindestkurses. Hier bewegen wir uns im Kompetenzbereich der Notenbanken und wir können davon ausgehen, dass die Überlegungen der Autoren denen der SBB entsprechen. Schauen wir uns diese Argumente also genauer an. Zitat: "In der Regel gehen die meisten Kommentatoren davon aus, dass die SNB Devisenreserven unendlich anhäufen kann, denn die dazu nötigen Franken schöpft sie ja selbst kostenlos. Dies ist jedoch nicht korrekt, denn realisiert sie auf ihren Reserven Verluste, nachdem eine Untergrenze preisgegeben werden musste, sind diese nicht nur Buchverluste, sondern für die Bevölkerung mit Kosten verbunden. Diese äussern sich typischerweise durch tiefere Ausschüttungen der SNB zugunsten der Staatsrechnung von Kanton und Bund, welche dann potentiell durch höhere Steuern oder schlechtere Leistungen kompensiert werden müssen."
Diese theoretischen Überlegungen werden nun anhand eines Gedankenspiels konkretisiert, das passenderweise so konstruiert wird, dass die Kosten der Verteidigung höher ausfallen als die der Kursfreigabe. Zitat: "Nehmen wir an, die SNB hätte für 200 Milliarden Franken Devisenreserven zur weiteren Stützung des Mindestkurses von 1.20 CHF/Euro gekauft – nach dem 15. Januar 2015 wäre diese Grössenordnung wohl mindestens nötig geworden –, so wäre diese Intervention vorderhand tatsächlich ohne Kostenfolge gewesen. Da der aktuelle "freie" Wechselkurs jedoch rund 10 Prozent tiefer liegt, hätte spätestens bei Preisgabe des Mindestkurses auf eben diesen Reserven ein Verlust in der gleichen Grössenordnung verbucht werden müssen. In unserer Annahme wären das 20 Milliarden Franken – die realen Kosten der Währungsintervention." Fazit: "Der Entscheid der Nationalbank erscheint vor diesem Hintergrund wesentlich nachvollziehbarer als es bis anhin dem Anschein machte."
Das trifft zu. Dank den Erläuterungen von Föllmi und Schnell können wir nun den Entscheid der Nationalbank tatsächlich Punkt für Punkt nach verfolgen. Allerdings basiert diese Logik auf zwei nicht explizit formulieren Annahmen, die es in sich haben. Sie zeigen, dass das SNB-Direktorium auf nach bald 50 Jahren noch immer die Spielregeln des Goldstandards verinnerlicht hat. Offenbar geht die SNB erstens davon aus, dass ihre Buchverluste reale Verluste sind und zweitens, dass sie nur zwei Optionen hat: Kurs auf dem aktuellen Niveau verteidigen, oder Kurs fallen lassen.
Zunächst zur ersten Annahme: Unter der Logik des Goldstandard – bzw. bei Einlösepflicht - hätte die SNB tatsächlich einen Verlust von 20 Milliarden verbuchen müssen. Begründung: Die Besitzer der 200 Milliarden Frankenguthaben, hätten ihre Forderungen zum neuen Kurs gegen Devisen einlösen können und die SNB hätte dafür 10% mehr Devisen herauszurücken müssen, als sie zuvor kassiert hatte. Faktencheck: Nach der Abwertung ist die Eigenkapital der SNB von 86 auf 34 Milliarden gesunken. Hätte die SNB zuvor noch weitere 200 Milliarden Franken in die Verteidigung des Frankens gesteckt, wäre sie – technisch – Pleite gewesen. Hoppla, das war knapp. Da hat Thomas Jordan den Fehler seines eitlen Vorgängers gerade noch rechtzeitig erkannt – und muss sich leider über den Undank der Nation ärgern.
Zur zweiten Annahme: Föllmi, Schnell und die SNB gehen offensichtlich davon aus, dass die SNB nur die Wahl hat zwischen Freigabe und Verteidigung des Kurses auf dem bisherigen Niveau. Thomas Jordan hat nie öffentlich begründet, warum er den Franken nicht auf einem neuen – nur leicht höheren – Kurs fixiert hat. Dass das SNB-Direktorium diese Möglichkeit offenbar nie erwogen hat, zeigt auch die Jordans Formulierung, wonach es damals nur noch um ein "Hinauszögern des Aufhebens" gegangen sei. Auch das leuchtet ein – sofern man von einem Einlösungszwang ausgeht.
Und nun spielen wir dasselbe Szenario noch einmal unter der Annahme durch, dass die SNB ihre Buchhaltung nicht formal, sondern funktionell korrekt führt. Sie bringt also weitere 200 Milliarden in Umlauf und erwirbt dafür Devisen, die sich auf der Aktivseite verbucht. Die Gegenbuchung geht auf das BIP, nicht auf die SNB. Deren Eigenkapital steigt folglich um 200 Milliarden. Dann gibt die SNB die Fixierung auf und der Wert der Devisenbestände sinkt auf 180 Milliarden. Das ist immer noch ein klarer Gewinn. Die Devisen und die Rendite, die sie abwerfen sind immer noch da, die Negativzinsen fliessen weiter und die SNB hat keinen Grund, ihre Ausschüttung zu kürzen. Wo ist da das Problem?
Nun es liegt jetzt ganz bei der Volkswirtschaft, deren Produktionskraft allmählich in einem Missverhältnis zu den ausstehenden Warengutscheinen steht. Das Bruttosozialprodukt wird ja zusätzlich noch von den laufenden Löhnen und Kapitaleinkommen beansprucht. Wenn nun auch noch die Spekulanten ihre Warengutscheine einlösen wollen, bevor es andere gemacht haben, und bevor die Kaufkraft des Frankens weiter sinkt, dann riecht es nach Panik. Es droht eine unkontrollierbare Inflation.
Unkontrollierbar? Zentralbanken kontrollieren die Inflation indem sie die Geldmenge verkürzen und Entwertung der eigenen Währung bremsen. Die SNB könnte sich in diesem Fall etwa dazu entscheiden, den Frankenkurs nicht tiefer als 1.40 Euro sinken zu lassen. In diesem Fall müsste sie nur 86% ihrer Devisen aufwenden, um 100 % der Franken, die sie zuvor für 1.20 pro Euro in Umlauf gebracht hatte, wieder einzusammeln. Anders als Jordan meint, hätte die "unkontrollierbare Bilanzausdehnung" die geldpolitische Handlungsfa?higkeit der SNB also nicht beeinträchtigt, sondern sogar noch gestärkt.
Nun ist die SNB offensichtlich davon ausgegangen, dass eine wirklich "unkontrollierbare" Bilanzausweitung bis zu den von Jordan befürchteten "Mehrfachen" des BIP eine unkontrollierbare Inflationsdynamik entwickeln könnte. Doch welcher halbwegs intelligente Spekulant hätte auch "nur" die von Föllmi und Schnell erwähnten 200 Milliarden Franken gegen die SNB setzen wollen? Bei 2% entgangener Rendite und 0.75% Strafzins wäre daraus schon dann ein Verlustgeschäft geworden, wenn die SNB mit einer Aufwertung auf 1,14 Franken pro Euro zwei Jahre zugewartet hätte. Mit seiner Erfahrung als früherer Hedgefund-Manager hätte Philipp Hildebrand gewusst, wie – wenig – weit die Gegenseite gehen kann.
Doch warum haben die Märkte dennoch grosse Summen auf eine Aufwertung des Frankens gesetzt? Vermutlich haben sie nicht bloss auf die schwachen Nerven des SNB-Direktoriums gesetzt, sondern sind davon ausgegangen, dass dieses auch volkswirtschaftliche Gründe für eine Aufwertung hatte. Die Schweizer Konsumenten hätten von tieferen Importpreisen profitiert, die SNB hätte nicht mehr so hohe Leistungsbilanzüberschüsse vom Markt nehmen müssen, der "Strukturwandel" wäre beschleunigt worden. Zudem hatte sich der Franken seit der Fixierung gegenüber dem Euro und dem Dollar real leicht verbilligt. Die SNB hatte zwar immer wieder behauptet, der Franken sei überbewertet, aber "der Markt" weiss natürlich, dass Notenbanken auch schon mal lügen müssen.
Doch die Märkte hätten sich sofort beruhigt, wenn die SNB den Mindestkurs auf – zum Beispiel – 1.14 gesenkt und gleichzeitig zu erkennen gegeben hätte, dass sie sich auch in Zukunft vorbehält, den Frankenkurs immer wieder mal den Inflations-Unterschieden anzupassen, ihn also real – in etwa – zu stabilisieren. Genau dies hatte Jordans Doktorvater, Professor Ernst Baltensperger noch am 11. Januar 2015 in einem Interview[ a ] mir der NZZ vorgeschlagen. Praktisch wäre das auf einen neuen Mindestkurs von 1.14 hinausgelaufen. In der Tat hat eine Notenbank, wenn sie unter Aufwertungsdruck steht, immer die Möglichkeit, den Wechselkurs der Entwicklung der Inflation anzupassen. Sie macht dabei so lange sogar noch ein gutes Geschäft, als die Zinsdifferenz (Marktzins plus Strafzins) höher ist die Differenz zwischen der einheimischen und der ausländischen Inflationsrate. Und da Zins und Inflationsrate zusammenhängen, ist dies praktisch immer der Fall.
Die SNB kann noch immer zu dieser Strategie zurückfinden und damit den Schaden begrenzen. Zu diesem Zweck müssten sich die Märkte allerdings davon überzeugen lassen, dass die SNB die Spiel- und Buchhaltungsregeln der Nach-Goldstandard-Ära begriffen hat.
Abschliessend noch eine Bemerkung zur Herleitung, der maximal 17 Milliarden Franken, welche die Freigabe des Frankenkurses laut Föllmi und Schnell kosten soll. Die Autoren stellen dazu folgende Überlegung an: Welchen Anteil ihrer Kaufkraft würden die Privathaushalte opfern, um eine Abweichung des BIP-Wachstums vom langfristigen Pfad von 2 bis 3 BIP-Prozent zu verhindern? Das hat zwar mit der aktuellen Fragestellung, bei der es um eine Abweichung nach unten geht, nichts zu tun, hat aber erstens kann man sich bei dieser Überlegung auf ein Modell des Nobelpreisträgers Robert E. Lucas stützten und zweitens gibt es dazu ein paar ökonometrische Berechnungen, aus denen man einen volkswirtschaftlichen Schaden von 700 Millionen herleiten kann. Da diese Grössenordnung wenig plausibel erscheint, fügt man ein paar schlaue Ad-hoc-Überlegungen und landet dann genau bei wieder bei den rund 17 Milliarden Franken, die man von Anfang an als Annahme in das Modell eingefüttert hatte.
Der Trick ist bekannt: Man argumentiere so lange im Kreis, bis man am Schluss den Zirkel nicht mehr sieht.
©KOF ETH Zürich, 30. Nov. 2016