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Sinkende staatliche Investitionen gefährden Wachstum

Summary:
Eit geraumer Zeit sinken in vielen westlichen Industrieländern die staatlichen Nettoinvestitionen. Dies beeinträchtigt das Produktivitätswachstum. Dieser Beitrag plädiert anhand des Schweizer Beispiels für ein stärkeres Engagement des Staates. Die Staatsquote, also der Anteil der staatlichen Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt, hat sich in den meisten Ländern den letzten Jahren nicht stark verändert. Dabei gab es aber in der Regel eine Verlagerung innerhalb der staatlichen Ausgaben. Die Ausgaben der Sozialversicherungen, die üblicherweise zum staatlichen Sektor gezählt werden,  sind gestiegen. Dazu gehören der Care-Sektor, die Arbeitslosenversicherung, die Sozialhilfe und das Rentensystem. Deutlich gesunken ist in den letzten Jahrzehnten der Anteil der staatlichen Nettoinvestitionen. Das hat erhebliche volkswirtschaftliche Auswirkungen. Zwei kürzlich erschienene Analysen zur Entwicklung der staatlichen Investitionen in Europa zeigen ein deutliches Absinken der staatlichen Nettoinvestitionen im Euroraum seit den 1990er Jahren (Truger 2015, Gechert 2015). Unter Nettoinvestitionen des Staates versteht man die Bruttoinvestitionsausgaben minus Abschreibungen, also die tatsächlichen Neuinvestitionen.

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eit geraumer Zeit sinken in vielen westlichen Industrieländern die staatlichen Nettoinvestitionen. Dies beeinträchtigt das Produktivitätswachstum. Dieser Beitrag plädiert anhand des Schweizer Beispiels für ein stärkeres Engagement des Staates.

Die Staatsquote, also der Anteil der staatlichen Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt, hat sich in den meisten Ländern den letzten Jahren nicht stark verändert. Dabei gab es aber in der Regel eine Verlagerung innerhalb der staatlichen Ausgaben. Die Ausgaben der Sozialversicherungen, die üblicherweise zum staatlichen Sektor gezählt werden,  sind gestiegen. Dazu gehören der Care-Sektor, die Arbeitslosenversicherung, die Sozialhilfe und das Rentensystem. Deutlich gesunken ist in den letzten Jahrzehnten der Anteil der staatlichen Nettoinvestitionen. Das hat erhebliche volkswirtschaftliche Auswirkungen.

Zwei kürzlich erschienene Analysen zur Entwicklung der staatlichen Investitionen in Europa zeigen ein deutliches Absinken der staatlichen Nettoinvestitionen im Euroraum seit den 1990er Jahren (Truger 2015, Gechert 2015). Unter Nettoinvestitionen des Staates versteht man die Bruttoinvestitionsausgaben minus Abschreibungen, also die tatsächlichen Neuinvestitionen. Dabei scheint es naheliegend, dass die staatlichen Investitionen in den so genannten “Peripheriestaaten” Griechenland, Spanien, Portugal und Irland unter dem Druck der von den europäischen Institutionen auferlegten Austeritätsprogrammen gesunken sind. In diesen vier Ländern zusammen sind die staatlichen Nettoinvestitionen von über 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf unter Null gesunken. Das heisst, es werden jährlich mehr staatliche Vermögenswerte vernichtet als neue hinzukommen. Das gleiche trifft in geringerem Mass aber auch auf Länder wie Frankreich, Italien und Deutschland zu. Auch in den USA und der Schweiz haben sich die staatlichen Nettoinvestitionen verringert.

Tiefe Investitionsquote beeinträchtigt Produktivität

Neben den kaum bestrittenen negativen Folgen sinkender staatlicher Investitionen auf die Konjunkturentwicklung gibt es auch eine längere ökonomische Diskussion der möglichen längerfristigen Wirkung staatlicher Investitionen auf die Wachstumsentwicklung eines Landes. Ob und in welchem Mass sich öffentliche Investitionen auf die Arbeitsproduktivität und damit auf das Wachstum positiv auswirken, ist abhängig davon, um welche Investitionen es sich handelt und ob dadurch ein “crowding out” ausgelöst wird, d.h. private Investitionen durch öffentliche verdrängt werden. Die meisten Ökonomen sind sich einig, dass mindestens jene öffentlichen Investitionen wachstumswirksam sind, die eine direkte positive Auswirkung auf die private Produktion haben. Dies trifft z.B. auf Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur oder in Bildung und Forschung zu. Untersuchungen, die für die USA und für die G-7 Staaten gemacht wurden, weisen einen deutlichen Zusammenhang zwischen sinkender Produktivität und rückläufigen Nettoinvestitionen des Staates nach (Aschauer 1989, Munell 1990). Weniger offensichtlich ist der Zusammenhang bei Investitionen in den Care-Sektor. Dort sind wir mit dem Problem konfrontiert, dass in weiten Teilen des Care-Sektors die Rationalisierungsmöglichkeiten viel beschränkter sind als in der Industrie oder bei privaten Dienstleistungen. Aus dem Problem der “divergierenden Produktivitäten” aber zu schliessen, dass Investitionen etwa in den Gesundheitssektor keine positiven (oder gar negative) Wirkungen auf das gesamtwirtschaftliche Wachstum haben, wäre zu kurz gegriffen. Erhöht sich zum Beispiel durch eine Modernisierung des Gesundheitswesens die Qualität der Pflege, hat dies positive Auswirkungen auf die Beschäftigung: Arbeitnehmende können schneller und besser wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden, dadurch steigt die gesamtwirtschaftliche Produktivität.

Auch in der Schweiz sinken staatliche Investitionen

Das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit OECD kritisierten letztes Jahr, dass das Wachstum der Arbeitsproduktivität in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern zu gering ist (OECD 2015, Jäger u.a. 2015). Auch der jüngste Wachstumsbericht des Bundesrates befasst sich mit diesem Thema (Schweizerische Eidgenossenschaft, 2016). Die Schweiz hat gemäss diesen Berichten noch ein relativ hohes Produktivitätsniveau, droht aber jetzt in Rückstand zu geraten.

Als Hauptgrund wird vom Seco wie auch von der OECD eine zu tiefe gesamtwirtschaftliche Netto-Investitionsquote geortet. Diese Quote ist in der Schweiz von über 10 Prozent zu Beginn der 1990er Jahre auf rund drei Prozent gesunken. Der Grund für die sinkenden Investitionen liegt im privaten Sektor nicht etwa darin, dass die Unternehmen keine Profite mehr machen. Die steigenden Gewinne werden aber nicht mehr im Inland in Sachwerte investiert, sondern fliessen auf die internationalen Finanzmärkte, in spekulative Finanzprodukte, in den Rohstoffhandel usw. Verstärkt wurde dieser Trend durch den Frankenschock infolge der Freigabe des Wechselkurses durch die Nationalbank.

Das Einbrechen der privaten Investitionsquote mag ein Grund für die schwache Produktivitätsentwicklung sein. Kaum aufgeworfen wurde in diesem Zusammenhang aber die Frage, ob nicht auch die deutlich sinkenden staatlichen Nettoinvestitionen etwas mit der schwachen Produktivitätsentwicklung zu tun haben. In der Schweiz sind der Bund, die Kantone und die Gemeinden ein bedeutender Investor. Und gerade im öffentlichen Sektor sind die Nettoinvestitionen dramatisch gesunken. Während zu Beginn der 1990er Jahre jährlich noch fast vier Milliarden investiert wurden, ist diese Zahl auf unter eine Milliarde im Jahr 2013 gesunken. 1990 entsprach dies 3.5 Prozent der gesamten staatlichen Ausgaben, heute sind es unter 1 Prozent. Und dies trotz der grossen nationalen Infrastrukturprojekte der letzten 25 Jahre, wie z.B. der Bahn 2000 oder der erfolgreichen Fertigstellung des neuen Gotthard-Basistunnels.

Abbildung: Sinkende Investitionen des Staates

Quelle: Bundesamt für Statistik, Öffentliche Finanzen der Schweiz, div. Jahrgänge

Zeit für eine Trendumkehr

In einer Situation der privaten Investitionsschwäche sollte eigentlich der Staat in die Bresche springen und die fehlenden privaten Investitionen kompensieren. Seit geraumer Zeit ist aber genau das Gegenteil der Fall. Die sinkenden staatlichen Investitionen verstärken den negativen Effekt der rückläufigen privaten Investitionen. Und der politische Trend geht zur Zeit weiter in die gleiche Richtung: Bund und Kantone legen Sparprogramme auf, Ausgaben und Investitionen werden gekürzt. Die geplante Unternehmenssteuerreform III wird Mindereinnahmen bringen und feuert das Steuerdumping zwischen den Kantonen an. Das dadurch absehbare, weitere Absinken der öffentlichen Investitionen gefährdet Wachstum, bedroht Arbeitsplätze und verstärkt die Abhängigkeit von den Export orientierten Branchen. Dabei braucht es aktuell nicht nur den Unterhalt und die Erneuerung der bestehenden Infrastruktur. In vielen Bereichen, wie z.B. in der Gesundheit und Pflege, im Bildungssektor und im Energie-/Umweltbereich gibt es einen grossen Investitionsbedarf und auch entsprechende Projekte. Allein in der Gesundheitsversorgung und im Bereich von Schule/Hochschule wird der Bedarf an Neuinvestitionen für die nächsten 10 Jahre auf rund 200 Milliarden Franken geschätzt.[ 1 ]

Der Zeitpunkt für ein stärkeres Engagement des Staates und somit eine Trendumkehr bei den staatlichen Investitionen wäre in der Schweiz günstig. Die Finanzen fast aller Gemeinden und Kantone sind noch im Lot. Die öffentliche Hand ist ein bevorzugter Schuldner und erhält heute Kredite zu minimalen Zinssätzen oder sogar umsonst. Diese Tiefzinsperiode dürfte auch noch eine Weile andauern.

Von verschiedenen Seiten gibt es seit einigen Jahren Vorschläge, um einen Produktionsfonds zu gründen und mit diesem die Investitionen im Inland anzukurbeln.[ 2 ] Zahlreiche Ökonomen unterstützen die Idee eines Investitionsfonds, andere kritisieren sie als “planwirtschaftlich” (Brunetti 2015). Zuletzt hat der Lausanner Professor Garelli vorgeschlagen, einen Staatsfonds zu gründen und aus den 600 Milliarden Devisenreserven der Nationalbank zu speisen. Andere Länder wie Norwegen würden ausserordentliche Einnahmen aus ihren Ölverkäufen für einen Staatsfonds verwenden. Die Schweiz verkaufe “Stabilität” und solle deshalb diese ausserordentlichen Devisenreserven ebenfalls in einen Staatsfonds einfliessen lassen, um damit nötige öffentliche Investitionen ankurbeln.[ 3 ] In der gegenwärtigen Situation stetig sinkender Investitionsquoten verdienen diese Vorschläge eine intensivere Diskussion.

Literatur

Aschauer, David E.: Public Investment and Productivity Growth in the Group of Seven. In: Economic Perspectives 13.5, 1989.

Brunetti, Aymo: Der irreführende Charme von Staatsfonds. In: Ökonomenstimme 9.6.2015.

Gechert, Sebastian: Öffentliche Investitionen und Staatsverschuldung im Euro-Raum. IMK Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung. Policy Brief. Juli 2015.

Madörin, Mascha: Das Auseinanderdriften der Arbeitsproduktivitäten. Eine feministische Sicht. In: Denknetz Jahrbuch 2011.

Jäger, Philipp; Rujin, Svetlana; Schmidt, Thorsten; Föllmi, Reto: Der Zusammenhang zwischen dem technischen Fortschritt, der Investitionstätigkeit und dem Produktivitätsfortschritt. Strukturberichterstattung 54/4. Studien im Auftrage des Seco. Bern  2015.

Munell, Alicia H.: Why has Productivity Growth declined? Productivity and Public Investment. In: New England Public Review, January/February 1990.

OECD: Economic Surveys, Switzerland. December 2015.

Ringger, Beat: Die neoliberale Zerstörung der Res Publicae. In: Denknetz-Jahrbuch, Zürich 2015.

Schweizerische Eidgenossenschaft: Neue Wachstumspolitik 2016-2019. Bericht des Bundesrates vom 22.06.2016.

Truger, Achim: Reform der EU-Finanzpolitik. Die goldene Regel für öffentliche Investitionen. WISO direkt Nr. 35/2015.


©KOF ETH Zürich, 27. Jul. 2016

Hans Baumann
Hans Baumann, geb. 1948, war Chefökonom der grössten Schweizer Gewerkschaft UNIA. Heute ist er als Dozent und Autor tätig. Er ist aktives Mitglied im Schweizer Thinktank „Denknetz“, im Vorstand des European Institute of Construction Labour Research (CLR) in London sowie im SEEurope-Netzwerk des Europäischen Gewerkschaftsinstituts ETUI.