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Schrumpfende Städte in Deutschland: Ursachen und Strategien zur Bewältigung der Probleme

Summary:
Die weltweite voranschreitende Urbanisierung täuscht darüber hinweg, dass in Europa und insbesondere in Deutschland viele Städte schrumpfen. Doch Schrumpfen ist nicht gleich Schrumpfen, wie dieser Beitrag zeigt. Auf globaler Ebene ist zu beobachten, dass die Urbanisierung mehr und mehr voranschreitet. Dennoch leidet weltweit rund jede sechste Stadt – in Europa sogar jede dritte – unter Bevölkerungsverlust. Es gibt viele Ursachen, die hierzu beitragen: Neben rein demographischen Aspekten, wie der Alterung der Bevölkerung, einer niedrigen Fertilitätsrate oder einer zu geringen Einwanderung, sind auch der Trend zur Suburbanisierung, die stetig voranschreitenden post-industriellen Transformationsprozesse oder auch Kriege sowie Naturkatastrophen zu benennen. Alle diese Veränderungen und Probleme ziehen gravierende Konsequenzen nach sich, die dazu führen, dass sich die betroffenen Städte einer (kostspieligen) Unterauslastung ihrer Infrastruktur und dem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit von lokal ansässigen Unternehmen gegenübersehen. In der wissenschaftlichen Diskussion wird in vielen Fällen der Bevölkerungsrückgang als einziger Indikator für schrumpfende Städte herangezogen (vgl. Rink et al. 2012 oder Hospers 2014).

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Die weltweite voranschreitende Urbanisierung täuscht darüber hinweg, dass in Europa und insbesondere in Deutschland viele Städte schrumpfen. Doch Schrumpfen ist nicht gleich Schrumpfen, wie dieser Beitrag zeigt.

Auf globaler Ebene ist zu beobachten, dass die Urbanisierung mehr und mehr voranschreitet. Dennoch leidet weltweit rund jede sechste Stadt – in Europa sogar jede dritte – unter Bevölkerungsverlust. Es gibt viele Ursachen, die hierzu beitragen: Neben rein demographischen Aspekten, wie der Alterung der Bevölkerung, einer niedrigen Fertilitätsrate oder einer zu geringen Einwanderung, sind auch der Trend zur Suburbanisierung, die stetig voranschreitenden post-industriellen Transformationsprozesse oder auch Kriege sowie Naturkatastrophen zu benennen. Alle diese Veränderungen und Probleme ziehen gravierende Konsequenzen nach sich, die dazu führen, dass sich die betroffenen Städte einer (kostspieligen) Unterauslastung ihrer Infrastruktur und dem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit von lokal ansässigen Unternehmen gegenübersehen.

In der wissenschaftlichen Diskussion wird in vielen Fällen der Bevölkerungsrückgang als einziger Indikator für schrumpfende Städte herangezogen (vgl. Rink et al. 2012 oder Hospers 2014). Dabei werden oftmals zwei wichtige Fragen vernachlässigt: Zum einen, inwiefern urbanes Schrumpfen tatsächlich nur durch einen Bevölkerungsrückgang gekennzeichnet ist und zum anderen, ob bei der Charakterisierung dieses Phänomens von einer Parallelität zwischen demographischer und ökonomischer Entwicklung ausgegangen werden kann. Vor allem im (wirtschafts-)politischen Kontext ist die Zuspitzung der Schrumpfungsprozesse allein auf die demographische Entwicklung als äußerst kritisch zu sehen, da dies dazu führen kann, dass eventuelle Maßnahmen nicht zielführend sind. Insbesondere dann nicht, wenn der Bevölkerungsrückgang die rückläufige städtische Entwicklung unvollständig erfasst. In diesem Zusammenhang schlägt dieser Beitrag vor, bei der Beschreibung urbaner Schrumpfung auch das ökonomische Potential von Städten zu berücksichtigen.

Am Beispiel ausgewählter deutscher Städte lässt sich aufzeigen, dass diese umfassendere Betrachtung aufschlussreich für die zukünftige urbane Politik ist. Denn betrachtet man zusätzlich zu der demographischen Entwicklung auch die erzeugte Bruttowertschöpfung, kann aufgrund dieser beiden Indikatoren folgende Klassifizierung vorgenommen werden:

Tabelle 1: Klassifikation ausgewählter großer deutscher Städte basierend auf ihrer Entwicklung 1995 bis 2012

Quelle: Bartholomae et al. (2017)

Die Klassifikation der Städte zeigt deutlich die Unterschiede in ihrer urbanen Entwicklung auf: Während die meisten westdeutschen Großstädte sowohl demographisch als auch ökonomisch in den letzten Jahren gewachsen sind, haben insbesondere viele Städte im Ruhrgebiet nach der postindustriellen Transformation ebenso wie einige ostdeutsche Städte nach der postsozialistischen Transformation Bevölkerung verloren. Dennoch waren diese Städte in der Lage ökonomisch zu wachsen: So nahm etwa in Dortmund zwischen 1995 und 2012 die Bevölkerung um knapp 12% ab, durch erhebliche Produktivitätszuwächse konnte dennoch ein Wachstum der Bruttowertschöpfung von 11% realisiert werden. Anders sieht es bei vielen ostdeutschen Städten aus, die in Bezug auf beide Dimensionen als schrumpfend zu bezeichnen sind. Am stärksten ist dabei Halle von urbanen Schrumpfungsprozessen betroffen: Zusätzlich zu einem sehr gravierenden Bevölkerungsverlust von 18%, kämpft es auch mit einem Rückgang seiner Bruttowertschöpfung von 14%. Als sogenannter „Bevölkerungsmagnet“ unter allen analysierten Städten erweist sich Weimar, das trotz Einbußen in seiner Wertschöpfung einen Bevölkerungszuwachs von 2% verzeichnen konnte.

Auf der anderen Seite zeigt das Beispiel der meisten Städte im Ruhrgebiet und mancher ostdeutschen Städte wie Magdeburg, Rostock und Leipzig, dass ökonomisches Wachstum auch bei Bevölkerungsrückgang möglich ist – so genanntes smart growth. Dies wirft die Frage auf, welche Erfolgsfaktoren für eine solche Entwicklung begünstigend sind. Im Gegensatz zu den wachsenden Städten, die ihre Produktivität erhöhen konnten, leiden schrumpfende Städte unter massiven strukturellen Problemen aufgrund eines gescheiterten Transformationsprozesses. Einer der Hauptgründe für die unterschiedliche Entwicklung dieser Städte liegt in der höheren Bedeutung moderner Industrie- und Dienstleistungsbetriebe für ihre Wirtschaftsstruktur. Das Negativbeispiel der Stadt Halle verdeutlicht dies: Vergleicht man mithilfe der Beschäftigungsstruktur der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer die Bedeutung der verschiedenen ökonomischen Sektoren in Halle mit derjenigen in den smartly growing cities im Ruhrgebiet und in Ostdeutschland, so zeigt sich, dass der Anteil der Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe in Halle signifikant niedriger ist. Abbildung 1 zeigt exemplarisch den Vergleich der Beschäftigungsstruktur zwischen Halle und dem smartly growing Dortmund aus dem Ruhrgebiet und dem (ökonomisch und demographisch) wachsenden ostdeutschen Dresden, das sich nach der Wende ähnlichen Herausforderungen genübersah, diesen aber offensichtlich besser begegnen konnte. Der hohe Anteil an Beschäftigten im weniger produktiven Bildungs-, Gesundheits-und öffentlichen Sektor in Halle verweist in hohem Maße darauf, dass dort die Transformation hin zu modernen Dienstleistungen und Industrien nicht gelungen ist.

Abbildung 1: Vergleich der Beschäftigungsstruktur zwischen Halle und ausgewählten Städten in 2014

Quelle: Statistisches Bundesamt, Regionaldatenbank

Welche Lehren können nun aus diesen Beobachtungen für (wirtschafts-)politische Maßnahmen gegen das urbane Schrumpfen gezogen werden?

Grundsätzlich lassen sich zwei Typen von politischen Strategien zum Umgang mit urbanem Schrumpfen unterscheiden: eine aktive „wachstumsorientierte“ Politik und eine passive „schrumpfungsorientierte“ Politik. Während eine aktive Politik darauf abzielt, die Rahmenbedingungen für ökonomisches Wachstum zu verbessern, indem etwa die Clusterbildung bestimmter Industrien unterstützt wird, um dadurch Agglomerationsvorteile zu fördern, verfolgt eine passive Politik eher das Ziel, die Lebensqualität der verbleibenden Einwohner zu verbessern, ohne das wirtschaftliche Schrumpfen aktiv zu bekämpfen. In Deutschland wurde bislang vorwiegend die passive schrumpfungsorientierte Politik angewandt (Hospers 2014). Die Ausgestaltung dieser Politik findet sich in zahlreichen durch den Bund geförderten Projekten wieder, wie sie in Tabelle 2 aufgeführt sind. Zudem wird etwa die Stadterneuerung in Halle und Cottbus auch im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW)  gefördert, die finanziell durch den EU-Kohäsionsfond unterstützt wird.

Tabelle 2: Bundessubventionen zur Erneuerung und Verbesserung von Stadtzentren

Bei diesem Umgang mit Schrumpfen ergibt sich aber das Problem, dass hohe Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Kultur zur Erhöhung der Attraktivität der jeweiligen Innenstadt und der Lebensqualität der Stadtbewohner die strukturellen Probleme kaum lösen können, solange die lokale Produktivität mittels einer Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit von Firmen und der Innovationsaktivität nicht gesteigert wird. Gerade diese Problematik kann sehr gut in Halle, Schwerin oder Cottbus beobachtet werden. Eine wachstumsorientierte Industriepolitik ist daher dringend erforderlich, um strukturelle Schwierigkeiten zu überwinden und nicht nur restaurative Verbesserungen und sonstige Erneuerungen in den Innenstädten vorzunehmen.

Ein derartiger Kurswechsel kann umgesetzt werden, indem eine gesunde Wirtschaftsstruktur aufgebaut wird, die insbesondere auch moderne Industrie- und Dienstleistungsunternehmen beinhaltet und demensprechend aufbaut. Dabei sollte die Clusterbildung gefördert werden, wodurch lokale und regionale Innovationsnetzwerke entstehen können, welche die Interaktion zwischen Unternehmen, unternehmensnahen Dienstleistern und Forschungsinstitutionen forcieren. Eine solche aktive Strukturpolitik gegen die Stadtschrumpfung ist zudem gut mit der EU-Kohäsionspolitik vereinbar, die gerade darauf abzielt, das Wachstum rückständiger Regionen zu fördern. Dadurch kann auch in schrumpfenden Städten ein nachhaltiges ökonomisches Wachstum erfolgen, das hilft, die Folgen des (bevorstehenden) demographischen Wandels auch in bislang strukturschwachen Regionen und Städten abzufedern.

Literatur

Bartholomae, F.W. und C.W. Nam (2014): Are large Germany cities really shrinking? Demographic and economic development in recent years, in: Richardson, H.W. and C.W. Nam (Hrsg.), Shrinking Cities: A Global Perspective, Abingdon: Routledge, 86-104.

Bartholomae, F.W., C.W. Nam, und A.M. Schoenberg (2017): Urban shrinkage and resurgence in Germany, Urban Studies, im Erscheinen, vorab.

Hospers, G.J. (2014): Urban Shrinkage in the EU, in: Richardson, H.W. and C.W. Nam (Hrsg.), Shrinking cities: A global perspective, Abingdon: Routledge, 47-58.

Rink, D., P. Rumpel, O. Slach, C. Cortese, A. Violante, P. Calza Bini, A. Haase, V. Mykhnenko, B. Nadolu, C. Couch, M. Cocks und R. Krzystofik (2012): Governance of shrinkage: Lessons learnt from analysis for urban planning and policy, Leipzig: Helmholtz Centre for Environmental Research.

©KOF ETH Zürich, 30. Dez. 2016

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