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Helikoptergeld und die Eigenständigkeit von Geld- und Fiskalpolitik

Summary:
Eine Einführung von Helikoptergeld würde die – in der Praxis auch nicht vollständige – Eigenständigkeit von Geld- und Fiskalpolitik reduzieren, mit den entsprechenden Risiken. Die Entscheidung für oder gegen Helikoptergeld bleibt aber für jedes Land eine andere. Das aus der Not geborene "Second-Best"-Arrangement, in dem politisierte Fiskalpolitik und weitaus weniger politisierte, mandatsgesteuerte Geldpolitik weitgehend unabhängig voneinander ihre Ziele zu verwirklichen suchen, hätte ausgedient. An seine Stelle träte ein neues Arrangement mit gegenseitiger Abstimmung. Über die Vor- und Nachteile von "Helikoptergeld" ist in wichtigen Währungsräumen eine heftige Diskussion entbrannt. Bei diesem früher nur in akademischen Kreisen diskutierten Instrument handelt es sich um die Kombination von Geldschöpfung durch die Zentralbank und Transfers von dieser an den Fiskus oder Privathaushalte. Geld wird also "gedruckt" und verschenkt, nicht wie üblich verliehen. Dies schlägt sich zwangsläufig in Verlusten der Zentralbank und einer Schmälerung ihres Eigenkapitals nieder. Helikoptergeld führt zu dauerhafter Geldschöpfung. Es bringt Liquidität unter Umgehung des Bankensektors in Umlauf. Und es erhöht die nominelle Kaufkraft der Empfänger, die Geld geschenkt bekommen, statt es im Tausch gegen Forderungen zu erhalten.

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Eine Einführung von Helikoptergeld würde die – in der Praxis auch nicht vollständige – Eigenständigkeit von Geld- und Fiskalpolitik reduzieren, mit den entsprechenden Risiken. Die Entscheidung für oder gegen Helikoptergeld bleibt aber für jedes Land eine andere.

Das aus der Not geborene "Second-Best"-Arrangement, in dem politisierte Fiskalpolitik und weitaus weniger politisierte, mandatsgesteuerte Geldpolitik weitgehend unabhängig voneinander ihre Ziele zu verwirklichen suchen, hätte ausgedient. An seine Stelle träte ein neues Arrangement mit gegenseitiger Abstimmung.

Über die Vor- und Nachteile von "Helikoptergeld" ist in wichtigen Währungsräumen eine heftige Diskussion entbrannt. Bei diesem früher nur in akademischen Kreisen diskutierten Instrument handelt es sich um die Kombination von Geldschöpfung durch die Zentralbank und Transfers von dieser an den Fiskus oder Privathaushalte. Geld wird also "gedruckt" und verschenkt, nicht wie üblich verliehen. Dies schlägt sich zwangsläufig in Verlusten der Zentralbank und einer Schmälerung ihres Eigenkapitals nieder.

Helikoptergeld führt zu dauerhafter Geldschöpfung. Es bringt Liquidität unter Umgehung des Bankensektors in Umlauf. Und es erhöht die nominelle Kaufkraft der Empfänger, die Geld geschenkt bekommen, statt es im Tausch gegen Forderungen zu erhalten. Alle diese Elemente könnten einen Anstieg der Inflationsraten begünstigen, wie er vielerorts herbeigesehnt wird. Doch die Massnahme würde das Tätigkeitsfeld der Geldpolitik nochmals deutlich ausweiten und ihre Grenzen weiter verwischen. Dies stösst auf Widerstand.

Befürworter von durch Geldschöpfung finanzierten Transfers beschwichtigen. Sie argumentieren, Helikoptergeld reihe sich konsequent in die geldpolitischen Schritte der letzten Jahre ein, im Zuge derer Zentralbanken ihre Bilanzpositionen stark vergrössert haben. Schliesslich sei ungewiss, ob die Bilanzen jemals wieder auf ihre Länge vor der Finanzkrise zurückgestutzt würden. Falls dies nicht geschehe, sei bereits jetzt im grossen Umfang dauerhaft Geld in Umlauf gebracht worden.

Das mag stimmen. Doch der wichtigere Aspekt von Helikoptergeld — und der entscheidende Unterschied zur konventionellen und unkonventionellen Geldpolitik der vergangenen Jahre — ist ein anderer. Er betrifft die mit der Massnahme verbundene direkte Schmälerung des Eigenkapitals der Zentralbank und deren Kehrseite, die Transfers an private oder staatliche Haushalte. Derartige Transfers laufen auf eine noch engere Verflechtung von Geld- und Fiskalpolitik hinaus als sie schon heute besteht.

Geld- vs. Fiskalpolitik

Mit der Diskussion um Helikoptergeld ist somit das Verhältnis von Geld- und Fiskalpolitik wieder ins Zentrum des Interesses gerückt. Dieses Verhältnis schien geklärt: Geldpolitik, so ein breiter Konsens, solle sich um die Preisstabilität kümmern und Fiskalpolitik um den Rest. Doch lässt sich diese Aufgabenteilung überhaupt konsequent durchhalten? Und sollte sie überdacht werden, nachdem die Geldpolitik mit ihren traditionellen Instrumenten offenbar an Grenzen stösst?

Im Prinzip lassen sich Geld- und Fiskalpolitik nur dann völlig unabhängig voneinander betrachten, wenn die Budgets von Zentralbank und Fiskus vollständig getrennt sind. In der Praxis ist dies typischerweise nicht der Fall, denn positive Rechnungsabschlüsse der Notenbank kommen mittelfristig dem Staatshaushalt zugute. Bei einer vollständigen Entkoppelung dürften ausschliesslich private Eigentümer der Zentralbank Ansprüche auf deren Gewinne anmelden. Selbst die Schweiz mit ihrer als Aktiengesellschaft organisierten Nationalbank ist davon weit entfernt.

Ein pragmatischeres Kriterium zur Beurteilung der Eigenständigkeit von Geld- und Fiskalpolitik stellt auf die Intention bei der Entscheidungsfindung ab. Im Vordergrund steht nicht die Frage, ob die verfolgte Geldpolitik fiskalische Auswirkungen hat, sondern ob die geldpolitischen Entscheide massgeblich von Einschätzungen zu diesen Auswirkungen beeinflusst werden. Wenn die Zentralbank Geld drucken "muss", um Staatsdefizite zu finanzieren oder Staatsschulden durch Inflation zu entwerten, dann kann von Eigenständigkeit keine Rede sein. Wenn fiskalischen Auswirkungen dagegen wenig Gewicht bei der Beschlussfassung beigemessen wird, ist die Eigenständigkeit stärker ausgeprägt.

Wünschenswerte Eigenständigkeit?

Ist eine eigenständige Geldpolitik überhaupt wünschenswert? Die Frage mag erstaunen, wird doch allgemein anerkannt, dass Geldpolitik bessere makroökonomische Resultate erzielt, wenn sie nicht auf fiskalische Interessen Rücksicht nehmen muss. Doch rein logisch betrachtet scheint dies wenig Sinn zu machen. Schliesslich kann ein unkoordiniertes Vorgehen unmöglich zu besseren Ergebnissen führen als eine koordinierte Fiskal- und Geldpolitik; alles, was sich unkoordiniert erreichen lässt, kann notwendigerweise auch mit aufeinander abgestimmten Massnahmen verwirklicht werden.

 Die Auflösung dieses scheinbaren Widerspruchs ergibt sich aus der Tatsache, dass eine reibungslose Koordination von Geld- und Fiskalpolitik in der Praxis nicht möglich ist. Der wichtigste Grund hierfür ist die Zeitinkonsistenz optimaler Pläne. Gerade in einer Demokratie ist es schwierig oder gar unmöglich, das langfristig Vernünftige im politischen Tagesgeschäft umzusetzen, wo die Suche nach kurzfristigen Problemlösungen dominiert. Gesellschaften müssen sich daher vor sich selbst schützen. Sie tun dies, indem sie Verantwortung delegieren und wirtschaftspolitische Aufgaben vom Tagesgeschäft isolieren, wie dies Odysseus vor der Insel der Sirenen vorexerzierte. 

Die Trennung von Geld- und Fiskalpolitik ist kein Arrangement für die beste aller Welten, sondern sie ist aus der Not geboren. Angesichts vielfältiger politischer Friktionen hat sie den Zweck, dort Verantwortung an Technokraten und Spezialisten zu delegieren, wo wirtschaftspolitische Instrumente relativ einfach regelgebunden eingesetzt werden können. In der Geldpolitik ist dies der Fall oder er war es zumindest. In wichtigen fiskalpolitischen Bereichen hingegen wird er es nie sein. Diese Delegation hilft, Desaster zu vermeiden. Zugleich vergibt man sich mit ihr aber die theoretische Möglichkeit, das gesamte wirtschaftspolitische Instrumentarium bestmöglich koordiniert einzusetzen.

Güterabwägung

Für die Diskussion um den Einsatz von Helikoptergeld ergibt sich hieraus die Notwendigkeit einer Güterabwägung. Rein theoretisch betrachtet wäre das Drucken von Geld und seine Verteilung an private oder öffentliche Haushalte mit hoher Wahrscheinlichkeit ein geeignetes Mittel, um Inflationserwartungen zu schüren und die Rückkehr zu höheren Preissteigerungsraten zu beschleunigen. Praktisch hingegen wäre der Prozess mit erheblichen Unwägbarkeiten verbunden, denn er ginge mit einem grundlegenden Regimewechsel einher.

Das aus der Not geborene "Second-Best"-Arrangement, in dem politisierte Fiskalpolitik und weitaus weniger politisierte, mandatsgesteuerte Geldpolitik weitgehend unabhängig voneinander ihre Ziele zu verwirklichen suchen, hätte ausgedient. An seine Stelle träte ein neues Arrangement mit gegenseitiger Abstimmung. Ob sich diese Abstimmung positiv oder negativ auswirken würde, ist unklar. Im besten Fall gelänge die Koordination und käme der Erreichung von Zielen zugute, die im langfristigen gesellschaftlichen Interesse  liegen. Im schlechtesten Fall misslänge sie und diente vor allem opportunistischen Zielen. Die Geldpolitik wäre dann stärker politisiert als heute, und langfristige Stabilitätsziele liessen sich infolgedessen nur noch schwer erreichen.

Ob man sich mit dem Spatz in der Hand zufrieden gibt oder aber angesichts des neuartigen geldpolitischen Umfelds nach der Taube auf dem Dach schielt, wird von Land zu Land verschieden sein. Der Entscheid hierüber wird nicht zuletzt davon abhängen, wie viel Vertrauen man wirtschaftspolitischen Entscheidungsprozessen entgegenbringt und wie gut man sie versteht. In der Schweiz dürfte die Skepsis gegenüber hochfliegenden Plänen und kühnen Visionen wohl dazu führen, dass Helikoptergeld in seinen verschiedenen Varianten eine klare Absage erteilt wird. Das ist gut nachvollziehbar.

©KOF ETH Zürich, 29. Jul. 2016

Dirk Niepelt
Dirk Niepelt is Director of the Study Center Gerzensee and Professor at the University of Bern. A research fellow at the Centre for Economic Policy Research (CEPR, London), CESifo (Munich) research network member and member of the macroeconomic committee of the Verein für Socialpolitik, he served on the board of the Swiss Society of Economics and Statistics and was an invited professor at the University of Lausanne as well as a visiting professor at the Institute for International Economic Studies (IIES) at Stockholm University.

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