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Helikoptergeld: Wie es funktionieren soll

Summary:
Die Idee, Geld aus dem Helikopter zu werfen findet eine steigende Zahl von Befürwortern. Dieser Beitrag beschreibt, wie ein solcher "Wurf" technisch funktionieren könnte und weist gleichzeitig auf die Risiken hin. Immer stärker drängt der Begriff des "Helikoptergeldes" in die Öffentlichkeit. Nicht zuletzt EZB-Präsident Mario Draghi war es, der im Rahmen einer auf die Ratssitzung folgenden Pressekonferenz im März 2016 das Helikoptergeld "a very interesting concept" nannte." Dieser Beitrag beschäftigt sich im Folgenden mit dem aktuellen Stand der Debatte und beschreibt, ob bzw. wie Helikoptergeld technisch durchführbar wäre. Was dabei im Vergleich mit den öffentlicher Debatte auffällt ist: Im dahinter stehenden akademischen Diskurs geht nicht um Helikoptergeld, verstanden als Zentralbankgeld, das aus der Druckerpresse geschaffen und an die Bürger/Endverbraucher verteilt wird. Das ist nur durch den Rückgriff auf diesen ursprünglich von Milton Friedman eingeführten Gedanken in die aktuelle Debatte geraten. Es geht um die Monetisierung der Staatsschuld, d.h. der Finanzierung bestehender Staatsschulden wie laufender Defizite durch die Geldpolitik. Hauptverfechter dieser Denkrichtung ist vermutlich Adair Turner. Aber auch Willem Buiter geht in diese Richtung.

Topics:
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Die Idee, Geld aus dem Helikopter zu werfen findet eine steigende Zahl von Befürwortern. Dieser Beitrag beschreibt, wie ein solcher "Wurf" technisch funktionieren könnte und weist gleichzeitig auf die Risiken hin.

Immer stärker drängt der Begriff des "Helikoptergeldes" in die Öffentlichkeit. Nicht zuletzt EZB-Präsident Mario Draghi war es, der im Rahmen einer auf die Ratssitzung folgenden Pressekonferenz im März 2016 das Helikoptergeld "a very interesting concept" nannte." Dieser Beitrag beschäftigt sich im Folgenden mit dem aktuellen Stand der Debatte und beschreibt, ob bzw. wie Helikoptergeld technisch durchführbar wäre.

Was dabei im Vergleich mit den öffentlicher Debatte auffällt ist: Im dahinter stehenden akademischen Diskurs geht nicht um Helikoptergeld, verstanden als Zentralbankgeld, das aus der Druckerpresse geschaffen und an die Bürger/Endverbraucher verteilt wird. Das ist nur durch den Rückgriff auf diesen ursprünglich von Milton Friedman eingeführten Gedanken in die aktuelle Debatte geraten. Es geht um die Monetisierung der Staatsschuld, d.h. der Finanzierung bestehender Staatsschulden wie laufender Defizite durch die Geldpolitik.

Hauptverfechter dieser Denkrichtung ist vermutlich Adair Turner. Aber auch Willem Buiter geht in diese Richtung. Der Internationale Währungsfonds räumte diesem Thema auf seiner "16th Jacques Polak Annual Research Conference" vom November 2015 breiten Raum ein, wobei die Befürworter das Bild bestimmten. Die Anhänger dieser Sichtweise der Geldpolitik, die sich unter "Modern Monetary Theorie" formiert, treten dafür ein, dass die Zentralbanken unter dem Primat der Fiskalpolitik genau genommen vom "Lender" auch zum "Spender of last resort" werden.

Während das Helikoptergeld zur Finanzierung laufender Konjunkturpakete zum Einsatz kommen soll, setzt die Monetisierung an den bereits bestehenden Staatsschulden an. Die Monetisierung könnte in verschiedenen Ausprägungen stattfinden: temporär, z.B. um übergangsweise die Refinanzierungsbedingungen durch günstigere Zinsen zu erleichtern (was der quantitativen Lockerung "QE" entspricht), oder permanent.

Aber auch bei einer permanenten Monetisierung wäre wieder zu unterscheiden, wie weitgehend diese ist. Drei Ausprägungen sind vorstellbar, die teilweise etwas unterschiedlich von ihrer bilanziellen Wirkung gesehen werden müssen:

  1. Die Staatsanleihen werden im Rahmen der quantitativen Lockerung durch die Zentralbank gekauft, und durch fortgesetzte Aufkäufe neu emittierter Staatsanleihen prolongiert. Die Kupons werden folglich direkt von der Zentralbank und nicht aus dem öffentlichen Haushalt bedient. Eine Entwicklung, die bei der Bank of Japan (BoJ) bereits zu beobachten ist.
  2. Die Staatsanleihen blieben pro forma auf der Aktivseite der Zentralbankbilanz stehen. Laufzeiten und Kupons würden aber so verändert, dass sie faktisch kaum noch eine Verpflichtung für die Staaten darstellen. Es könnten z.B. die Laufzeiten deutlich verlängert bis hin zu sogenannten "perpetuals" und Kupons reduziert oder ganz auf Null gesenkt werden. Das käme von der Wirkung einem Schuldenschnitt gleich, da der Barwert der Anleihen gegen Null sinken würde, würde aber, zumindest wenn die allgemein gängigen Bilanzierungsregeln nicht angewendet werden, die Zentralbanken davor schützen, dass sie Abschreibungen vornehmen müssten.
  3. Die Staatsanleihen werden "ausgebucht", was einem selektiven Schuldenschnitt ("haircut") auf die eigenen Aktiva gleich käme, aber eben nicht einem generellen Haircut, bei dem auch weitere Schuldner außer der Zentralbank in Mitleidenschaft gezogen werden.

Aus der Perspektive der Bilanztechnik stellt sich die Frage: Ist diese Form der fiskalisch induzierten Geldpolitik überhaupt möglich und – falls ja – wie könnte sie aussehen?

Im Fall der Monetisierung, in dem ein "Exit" in Form eines Verkaufs der erworbenen Wertpapiere ausbleibt und lediglich der Bestand an Staatsanleihen unverändert gehalten wird, bliebe die Zentralbankbilanz in Relation zum BIP zwar zunächst aufgebläht, würde sich aber entlang des nominalen Wirtschaftswachstums nach einiger Zeit normalisieren. Die Zentralbank hätte erreicht, dass sie die Marktrenditen gesenkt und damit dem Staat die Finanzierung erleichtert hätte.

Im Fall der zweiten der hier beschriebenen Optionen, wenn die Staatsanleihen zu "Perpetuals" (Anleihen mit unbegrenzter Laufzeit) werden, ggf. bei einer gleichzeitigen Absenkung oder Aussetzung der Kuponzahlungen von Seiten des Staates, müsste es eigentlich bilanztechnisch zu einer Abschreibung kommen, was zu Verlusten oder gar zu negativem Eigenkapital führen würde. Da es sich bei einer Zentralbank aber nicht um eine herkömmliche Geschäftsbank handelt, muss diese nicht zu Marktpreisen bewerten. Die Aktiva, auch wenn sich ihr Wertgehalt drastisch verändert hat, können unverändert in der Bilanz stehen bleiben.

Bleibt die Möglichkeit (Option 3), dass die Staatsanleihen stillgelegt werden. Wenn die Zentralbank Staatsanleihen des eigenen Staates hält, hat der Staat, so Turner , faktisch nur Forderungen gegen sich selbst. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) betrachtet die Zentralbankbilanz entsprechend als eine Einheit mit der Bilanz des Staates. Aus dieser Sicht wären die von der Zentralbank gehaltenen Staatsanleihen nichts anderes als Aktiva, die auf fiskalischer Seite als Passiva bilanziert werden. Werden beide saldiert, kommt es zu einer Verkürzung der Bilanzsumme.

So betrachtet ist es in der Folge unerheblich, ob der Staat seinem Schuldendienst nachkommt, also z.B. ob er die fällig werdenden Kupons an die Zentralbank ausbezahlt oder nicht. Die Kuponzahlungen fallen bei der Zentralbank als "Seignorage" ("Münzgewinn") an, die an den Fiskus überwiesen werden – nachdem dieser sie zuerst an die Zentralbank gezahlt hat. Rein schematisch betrachtet ist dies ein Linke-Tasche-Rechte-Tasche- Ergebnis, das in der Summe Null ist.

Allerdings: Aus der Perspektive der Zentralbanken für sich genommen müssten diese dann eine Abschreibung vornehmen, die je nach Höhe auch zu einem negativen Eigenkapital führen könnte. Historisch betrachtet wäre dies jedoch kein Novum. In der Vergangenheit hatten verschiedene Zentralbanken über mehrere Jahre negatives Eigenkapital oder wiesen zumindest in Folge Verluste aus und waren trotzdem weiter operativ tätig. Besonders bei Zentralbanken der aufstrebenden Staaten war dies zu beobachten, da diese gelegentlich Abschreibungen auf Währungsverluste vornehmen müssten. Die chilenische Zentralbank z.B. verbuchte Verluste über 20 Jahre hinweg, bis ihr Eigenkapital aufgebraucht war. Die Schweizer Notenbank musste 2015 starke Verluste auf ihren Devisenbestand in Folge der Freigabe des Franken hinnehmen, und sah sich genötigt darauf hinzuweisen, dass eine Zentralbank auch negatives Eigenkapital haben könne. Ein "rechtlicher Zwang zur Liquidation" bestehe nicht.

Alan Greenspan, der frühere Fed-Chef, stellte ebenfalls heraus, dass die Zentralbank selbst bei negativem Eigenkapital unbegrenzt eigenes Geld schöpfen könne, worin ihn sein Nachfolger im Amt, Ben Bernanke, bestärkte:

"In short, one could make an economic case that the balance sheet of the Central Bank should be of marginal relevance at best to the determination of monetary policy."

Bilanztechnisch wäre eine permanente Monetisierung demnach kein Hindernis. Ggf. würde über die Jahre der Münzgewinn zum Aufbau von Aktiva genutzt und könnte nicht an die Finanzminister überwiesen werden – was aber unter dem Aspekt "Linke Tasche – rechte Tasche" von untergeordneter Bedeutung wäre. Kurz gesagt: Eine Zentralbank "cannot go bankrupt in the sense that a private firm can."

Was bei der aktuellen Debatte auffällt ist, dass die Finanzierung staatlicher Ausgaben durch die Zentralbank als machbar und scheinbar frei von Konsequenzen geschildert wird, wenn es hier auch Nuancen gibt. Die Einheit von Zentralbankbilanz und dem Haushalt der Zentralregierung wäre aber faktisch das Ende der Zentralbankunabhängigkeit, was einem Verstoß gegen die Maastrichter Verträge gleichkommen dürfte. Bundesbankpräsident Weidmann hat auf das Problem der "fiskalischen Dominanz" bereits 2013 hingewiesen, in dem er die Frage aufwarf, wer letztlich die Oberhand über die Geldpolitik habe: die Zentralbank oder die Fiskalpolitik? Fiskalische Dominanz führe zu höherer Inflation. Die Geldpolitik würde zum Erfüllungsgehilfen der Fiskalpolitik. Wirtschaftsnobelpreisträger Hayek hat dies wie folgt zusammengefasst:

"Eine von der Finanzpolitik unabhängige Geldpolitik ist möglich, solange die Staatsausgaben nur einen verhältnismäßig kleinen Teil aller Ausgaben bilden und die Staatsschulden (und insbesondere die kurzfristigen Verschuldungen) nur einen kleinen Teil der Kreditmittel ausmachen. Heute ist diese Bedingung nicht mehr gegeben. Infolgedessen kann eine wirksame Geldpolitik nur in Koordination mit der Finanzpolitik der Regierung durchgeführt werden. Koordination bedeutet aber hier unvermeidlich, dass, sofern nominell unabhängige Währungsbehörden noch bestehen, sie ihre Politik tatsächlich der Regierung anpassen müssen."

Und nicht zuletzt der im Kontext des Helikoptergeldes gerne als Kronzeuge zitierte Milton Friedman hat auf die Gefahr der Inflation hingewiesen: Wenn Geld explizit dazu geschöpft würde, um die Defizite der Regierung zu finanzieren, so könnte dies eine unverantwortliche Fiskalpolitik und in der Folge Inflation fördert.

Was technisch betrachtet machbar erscheint, muss deshalb noch lange nicht wünschenswert sein. Nachdem der Geist des Helikoptergeldes aus der Flasche ist, müssen dringen die Risiken und Nebenwirkungen diskutiert werden.

©KOF ETH Zürich, 4. Apr. 2016

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