Derzeit wird viel über Ungleichheit diskutiert. Doch den Ursachen wird zu wenig Augenmerk gewidmet. In Deutschland ist die Einkommensverteilung nicht so ungleich wie in vielen anderen Ländern, etwa den USA. Dafür gibt es einen kaum beachteten Grund, wie dieser Beitrag zeigt. Eine wesentliche Triebkraft der Ungleichheit in reichen Industrieländern ist wie sich die Einkommen des obersten Prozents in der Bevölkerung entwickeln. Welche Berufsgruppen gehören zu den top 1 % der Einkommensbezieher? In Deutschland sind das Vorstandsvorsitzende, insbesondere von Industriebetrieben, Partner in Rechtsanwaltskanzleien und in Unternehmensberatungen oder auch manche Ärzte. Warum sind die Einkommen dieser Gruppe so stark gestiegen? Wo man arbeitet ist entscheidend Zwei neue Studien für die USA und Deutschland geben darauf eine spektakuläre Antwort: das Einkommen hängt nicht so sehr vom Bildungsgrad ab, als von der Unternehmung, in der man arbeitet. Will man sein Einkommen steigern, so wechselt man zu Unternehmen, die besonders produktiv sind und hohe Löhne zahlen. Denn verbleibt man während des Karriereverlaufs im selben Unternehmen, so kann man sein Einkommen nur unwesentlich steigern. Es sind also die Lohnunterschiede zwischen Firmen und nicht innerhalb eines Unternehmens, die die Ungleichheit erklären.
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Derzeit wird viel über Ungleichheit diskutiert. Doch den Ursachen wird zu wenig Augenmerk gewidmet. In Deutschland ist die Einkommensverteilung nicht so ungleich wie in vielen anderen Ländern, etwa den USA. Dafür gibt es einen kaum beachteten Grund, wie dieser Beitrag zeigt.
Eine wesentliche Triebkraft der Ungleichheit in reichen Industrieländern ist wie sich die Einkommen des obersten Prozents in der Bevölkerung entwickeln. Welche Berufsgruppen gehören zu den top 1 % der Einkommensbezieher? In Deutschland sind das Vorstandsvorsitzende, insbesondere von Industriebetrieben, Partner in Rechtsanwaltskanzleien und in Unternehmensberatungen oder auch manche Ärzte. Warum sind die Einkommen dieser Gruppe so stark gestiegen?
Wo man arbeitet ist entscheidend
Zwei neue Studien für die USA und Deutschland geben darauf eine spektakuläre Antwort: das Einkommen hängt nicht so sehr vom Bildungsgrad ab, als von der Unternehmung, in der man arbeitet. Will man sein Einkommen steigern, so wechselt man zu Unternehmen, die besonders produktiv sind und hohe Löhne zahlen. Denn verbleibt man während des Karriereverlaufs im selben Unternehmen, so kann man sein Einkommen nur unwesentlich steigern. Es sind also die Lohnunterschiede zwischen Firmen und nicht innerhalb eines Unternehmens, die die Ungleichheit erklären. Durch die Paarung besonders produktiver Firmen mit besonders produktiven Arbeitnehmern entsteht Ungleichheit. Die Mobilität ist entscheidend.
Der Wettbewerb um die Talente
Aber was beeinflusst die Mobilität der Arbeitskräfte zwischen Firmen? In einer Studie zeige ich gemeinsam mit meinem Kooperationspartner Professor Thierry Verdier (Ecole Normal Superieur, Paris), dass die Mobilität von Managern wesentlich vom außenwirtschaftlichen Umfeld abhängt, denen sich die Firmen gegenübersehen. In Deutschland hat sich durch die Öffnung der Märkte im Zuge der Globalisierung die Chance einen besser bezahlten Job zu finden wesentlich erhöht. Neue ausländische Firmen, die in den deutschen Markt eintreten, suchen nach qualifizierten Managern. Manager, die mit dem deutschen Marktumfeld vertraut sind, sind jedoch nicht reichlich verfügbar. Dadurch setzt ein Wettbewerb um die Managertalente ein. Neu eintretende Firmen werben Manager von anderen Firmen ab. Das treibt die Managerentlohnung in die Höhe. In einer weiteren Studie über die Entlohnung von Managern in Deutschland fanden wir heraus, dass es insbesondere dieser Wettbewerb um die Manager ist, der den Anstieg der Vorstandsbezüge um das 3.5-fache zwischen 1977 und 2009 in Deutschland erklärt.
Deutschland ist eine besonders offene Volkswirtschaft. Der lohntreibende Wettbewerb um die Managertalente durch ausländische Firmen müsste deshalb in Deutschland stärker ausfallen als in den USA. Trotzdem ist die Entlohnung von Managern im selben Zeitraum dort sogar um das Sechsfache gestiegen. Der Offenheitsgrad allein kann daher nicht die Erklärung liefern.
Die Verlagerung von Managementfunktionen
In einer neuen Arbeit finden wir eine Antwort auf dieses Rätsel. Der Grund für den im Vergleich geringeren Anstieg in Deutschland ist, dass deutsche Unternehmen überraschend viele Managementfunktionen in das östliche Europa verlagert haben. Bei 57 Prozent aller Auslandsinvestitionen nach Osteuropa wurden örtliche statt deutsche Manager eingestellt. Im Durchschnitt wurden 2 bis 3 Manager pro Investition versetzt. Durch die gewaltige Verlagerung von Managementfunktionen in das östliche Europa spart man sich Leitungskräfte in Deutschland. Das dämpft die Nachfrage nach ihnen im Inland und damit auch ihre Lohnentwicklung – nach unserer Berechnung fiel der Anstieg der Vorstandsbezüge dadurch um 18 Prozent niedriger aus. Das Ergebnis deutet darauf hin, dass in Deutschland die Manager in einem sehr angespannten Arbeitsmarkt operieren. Sie sind generell knapp und diese Knappheit erlaubt ihnen hohe Renten einzustreifen, die nicht unbedingt etwas mit ihrer Leistung zu tun haben.
Sinkende Bildungrenditen
Neben der Entwicklung der Vorstandsgehälter hat noch ein weiterer Faktor dazu geführt, dass die Ungleichheit in Deutschland weniger stark ausgeprägt ist als in den USA: auch Produktionen wurden nach Osteuropa verlagert. Deutsche Firmen verlagerten insbesondere den Skill-intensiven Teil der Wertschöpfungskette in das östliche Europa. Weil sie am deutschen Markt nicht die Fachkräfte finden konnten (insbesondere Ingenieure), machten sie im östlichen Europa neue Fabriken auf und stellten dort die qualifizierten Fachkräfte ein, wo diese Beschäftigten reichlich und billig vorhanden waren. Das reduzierte die Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften in Deutschland, was auf die Entlohnung dieser Fachkräfte drückte.
Meine Schätzungen ergaben, dass die Produktionsverlagerungen in das östliche Europa das Einkommen der Hochschulabgänger relativ zu den Abiturienten um 40 Prozent reduzierte. Akademiker gehören zu den oberen Einkommensschichten der deutschen Gesellschaft. Die sinkende Prämie für Bildung dämpfte dadurch die Spreizung der Einkommen in Deutschland. In den USA fanden in der selben Zeit Produktionsverlagerungen insbesondere nach Mexiko statt. Im Gegensatz zu Deutschland war die Verlagerung der US-Wertschöpfungsketten nach Mexiko aber nicht Skill-intensiv, sondern arbeitsintensiv. Die Verlagerung der Produktion nach Mexiko führte in den USA zu einem Rückgang der Nachfrage nach unqualifizierter Arbeit, was die Entlohnung der unqualifizierten Arbeit reduzierte. Dadurch kam es in den USA zu einer stärkeren Spreizung des Einkommens zwischen qualifizierter und unqualifzierter Arbeit.
Warum Bildung kein Allheilmittel ist
Kann man den sinkenden Bildungsrenditen mit mehr Bildung begegnen? In den reichen Industrieländer hat sich eine neue Maxime zum Umgang mit der Globalisierung etabliert: Bildung, Bildung, Bildung. Die einzige Möglichkeit dem neuen Konkurrenten China zu begegnen, so lautet das Argument, ist Bildungsexpansion. Aber sinkende Prämien für Bildung deuten darauf hin, dass das Angebot an Bildung seine Nachfrage übersteigt. Eine weitere Bildungsexpansion wird dazu führen, dass die Bildungsrenditen weiter sinken werden. Das ist kaum wünschenswert. Derzeit verdient ein Akademiker rund 60 Prozent mehr als ein Abiturient. Man kann darüber streiten, ob das viel oder wenig ist. Aber eine gewisse Spreizung der Einkommen ist wünschenswert, damit der Anreiz zur Bildung bestehen bleibt. Heute treibt die Furcht vor der Zukunft die Abiturienten in die Hörsäle der Universitäten. Aber wird sich die Versicherung durch ein Hochschulstudium auch rechnen, wenn es bald ein Heer von Akademikern geben wird?
Bei der Spreizung der Einkommen zwischen den Vorstandsvorsitzenden von Unternehmen und dem Rest der Bevölkerung lohnt es sich neue Wege zu gehen. Zur Veranschaulichung: im Jahr 1977 verdiente ein Vorstandsvorsitzender in deutschen Unternehmen rund 8 mal soviel wie ein qualifizierter Angestellter, im Jahr 2007 rund 17 mal soviel. Diese Erhöhung der Managerentlohnung ist Ausdruck einer Knappheit an Managern wie unsere oben beschriebenen Studien verdeutlichen. Um diesen Anstieg zu dämpfen, wäre es sinnvoll die Knappheit zu verringern. Dazu bieten sich zwei Wege an: die Vorstandsetage mit mehr Ausländern zu bevölkern – und mit mehr Frauen. In Deutschland sind die Vorstände meist männlich und deutsch. Mit mehr Frauen und mehr Ausländern ließe sich das Knappheitsproblem rasch beseitigen – und die Ungleichheit verringern.
©KOF ETH Zürich, 3. Mai. 2016