In seinem Beitrag Gegen einen Pluralismus-Kodex spricht sich Rüdiger Bachmann gegen die Heterodoxie in der Ökonomik aus. Hier folgt eine Replik, die Bachmann vorwirft, dass er mit seiner ablehnenden Haltung den öffentlichen Diskurs verhindere. Ein erfundener Container-Begriff Die Forderung nach mehr Pluralität in der Ökonomik wird von vielen KritikerInnen der so genannten Mainstream Economics vorgebracht. Sie umfasst divergente Ansätze, Theorien und methodische Positionen. Ein Blick in das Heterodox Economics Directory (http://heterodoxnews.com/hed/) kann einen ersten Eindruck vermitteln. Bachmann unterstellt all diesen Positionen ein einziges "Standardnarrativ" – "die moderne Mainstreamökonomik sei ein Hochamt auf den freien Markt mit dem Staat als Satan, gehalten von einer mächtigen Priesterkaste". Eine Quelle für diese Behauptung nennt er nicht; das Narrativ ist Bachmanns eigene Erfindung. So schafft er ein Stereotyp, ohne auf die diversen Selbstverständnisse auch nur ansatzweise einzugehen. Unterstellung schlechter Motive Auch die KritikerInnen der "moderne[n] Mainstreamökonomik" werden von Bachmann künstlich homogenisiert und ihnen pauschal u.a. folgende Motive zugeschrieben: Sie selbst würden "Hobbyheterodoxien" pflegen und wollten eine "Zwangspluralisierung" politisch initiieren, die man "aus der Geschichte der deutschen Ökonomik" als "Negativbeispiele" kennt.
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In seinem Beitrag Gegen einen Pluralismus-Kodex spricht sich Rüdiger Bachmann gegen die Heterodoxie in der Ökonomik aus. Hier folgt eine Replik, die Bachmann vorwirft, dass er mit seiner ablehnenden Haltung den öffentlichen Diskurs verhindere.
Ein erfundener Container-Begriff
Die Forderung nach mehr Pluralität in der Ökonomik wird von vielen KritikerInnen der so genannten Mainstream Economics vorgebracht. Sie umfasst divergente Ansätze, Theorien und methodische Positionen. Ein Blick in das Heterodox Economics Directory (http://heterodoxnews.com/hed/) kann einen ersten Eindruck vermitteln. Bachmann unterstellt all diesen Positionen ein einziges "Standardnarrativ" – "die moderne Mainstreamökonomik sei ein Hochamt auf den freien Markt mit dem Staat als Satan, gehalten von einer mächtigen Priesterkaste". Eine Quelle für diese Behauptung nennt er nicht; das Narrativ ist Bachmanns eigene Erfindung. So schafft er ein Stereotyp, ohne auf die diversen Selbstverständnisse auch nur ansatzweise einzugehen.
Unterstellung schlechter Motive
Auch die KritikerInnen der "moderne[n] Mainstreamökonomik" werden von Bachmann künstlich homogenisiert und ihnen pauschal u.a. folgende Motive zugeschrieben: Sie selbst würden "Hobbyheterodoxien" pflegen und wollten eine "Zwangspluralisierung" politisch initiieren, die man "aus der Geschichte der deutschen Ökonomik" als "Negativbeispiele" kennt. Auch die schärfste Waffe im politischen Diskurs – die Unterstellung einer Nähe zu nationalsozialistischen Ideen – wird von Bachmann ausgepackt: Braucht, so fragt er rhetorisch, "die völkische Nationalökonomik der Nazis heute auch eine akademische Repräsentanz?" – eine Verunglimpfung von KollegInnen, die uns in dieser Form in den Wirtschaftswissenschaften noch nicht begegnet ist.
Abwertungen
Bachmann entwirft auf Basis der von ihm konstruierten Gruppe der KritikerInnen ein drastisches Schwarz-Weiß-Bild. Auf der einen Seite steht die "international orientierte, akademische Ökonomik". Auf der anderen Seite tummeln sich keine Wissenschaftler, sondern "Journalisten" und "Studenten" bzw. später auch "politikberatende[r] TV-Ökonom[en] und Personen mit einem "sonderlingshaftem akademischem Sektierertum", die in "unfruchtbar gewordene[n] wissenschaftliche[n] Sackgassen" herumirren. Und: Diese Personen verwenden ein "Standardnarrativ", das man "einfach durch einen Besuch von Konferenzen und die Lektüre von Fachzeitschriften […] widerlegen" kann. Mit anderen Worten: die von ihm kritisierten KritikerInnen gehen offenbar auf keine Konferenzen und lesen keine Fachzeitschriften. Ihre Kritiken "basieren meist auf Fehldarstellungen der modernen akademischen Ökonomik sowie auf einer Reihe von Fehlschlüssen und Non-sequiturs."
Leugnung ganzer Forschungsstränge
Bachmann Rundumschlag dokumentiert eine erstaunliche Ignoranz und Vorverurteilung breiter Forschungsstränge:
(a) "Es wird auch nie sauber begründet, warum paradigmatische Vielfalt in der Ökonomik notwendig oder zumindest wünschenswert ist." Bachmann erweckt den Anschein, als ob es z.B. in der Didaktik nicht den Nachweis eines prinzipiellen Nutzen von Pluralität in der Lehre gäbe, als ob nicht eine Vielzahl anderer Paradigmen gäbe (die unterschiedlich begründet für Pluralität plädieren) oder – grundsätzlich – als ob es nicht eine Fülle von philosophischen oder wissenschaftstheoretischen (z.B. pragmatischen) Kritiken für die Ökonomik ausgearbeitet wurden, die ihrerseits Pluralität implizieren, usw.
(b) Bachmann argumentiert: "Die Ökonomik sei keine Naturwissenschaft, heißt es dann oft. Warum daraus aber notwendig paradigmatische Vielfalt folgt, wird bestenfalls mit Schlagworten wie ‚Reflexivität‘ beantwortet". Zum ersten Satz: Der Nachweis, dass die Ökonomik keine Naturwissenschaft sein kann, wird seit Jahrzehnten fundiert geführt. (Mirowski z.B. hat gezeigt, warum die Neoklassiker sowohl in der Erstformulierungen in den 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts als auch in den topologischen Neuformulierungen ab den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts die Parallele zur Physik gesucht haben und dabei gescheitert sind.) Auf dem (unseres Erachtens berechtigten) Vorwurf eines "Physikalismus" geht Bachmann aber nicht ein. Er suggeriert (zweitens) man können daraus nur "Schlagworte" ableiten – die reiche Literatur zu dieser grundsätzlichen Kritik der Neoklassik bleibt unbeachtet – und nennt (drittens) "Reflexivität" als solches Schlagwort. Bachmann versteht darunter eine Bezogenheit der Theorie auf den Erkenntnisgegenstand, ein Tatbestand, der ansonsten (korrekt) als Performativität bezeichnet wird. Reflexivität im Sinne einer Selbstbezüglichkeit scheint er noch nicht einmal zu kennen, siehe unten.
(c) "Die meisten heutigen Heterodoxien erscheinen doch eher als unfruchtbar gewordene wissenschaftliche Sackgassen. Die Beweislast, dass dem nicht so ist, läge ohnehin bei den Vertretern dieser Heterodoxien […] Dieser Beweis ist selbst in den letzten zehn Jahren, also in der Zeit der größten Wahrnehmungskrise der Mainstreamökonomik, nicht geglückt." Richtig ist, dass das Zerrbild, was Bachmann von den KritikerInnen entwirft, diesen Beweis nicht antreten kann. Er zieht richtige Schlussfolgerungen aus falschen Prämissen. Zudem liegt das Problem darin, dass Bachmann einen Maßstab der Bewertung ansetzt, den er weder offenlegt noch zur Disposition stellt. Der Erkenntnistheoretiker Ludwik Fleck hat ein solches Vorgehen als "stilgemäßen Denkzwang" beschrieben: ein Zwang, der bestimmt "was nicht anders gedacht werden kann" und jegliche Äußerungen eines anderen "Denkkollektivs" automatisch als unverständlich, ja verachtenswert erscheinen lässt. Ganz nebenbei verschweigt Bachmann so auch, dass seit Jahrzehnten eine reiche Kritik der Mainstreamökonomik existiert, die sie, gemessen an ihren eigenen Erfolgskriterien, in Bezug auf bestimmte Fragestellungen selbst als "wissenschaftliche Sackgasse" erscheinen lässt.
Bachmanns Vorgangsweise als Beleg, wie Exklusion in der Ökonomik (manchmal) stattfindet
Bachmann will offenbar nicht erkennen, dass in dem Chor der KritikerInnen viele Positionen zu finden sind, die aus Sorge um ein Feld argumentieren, das sich selbst nicht mehr wissenschaftstheoretisch oder epistemologisch fundieren kann (dazu gibt es viele Befunde) und das den Anschluss an viele andere Entwicklungen in den Sozialwissenschaften (insbesondere zu den verschiedenen "cultural turns) verloren hat. Er sucht noch nicht einmal nach diesen Positionen.
"Lernt unsere Sprache, bevor ihr mitredet!", rief Bachmann protestierenden Studierenden bereits 2012 entgegen. "Die VWL der Zukunft werde mehr und komplexere Mathematik brauchen, nicht weniger." Dies war ein erster Versuch, die Spielregeln des pluralen Diskurses einseitig im Vorhinein festzulegen. Jetzt geht Bachmann ein gutes Stück weiter: Die Regeln, nach denen er argumentiert, siedeln sich außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses im Bereich der Polemik an. So verunglimpft er nicht nur die Pluralität und ihre VertreterInnen. Er schließt den Dialog, das gemeinsame Nachdenken und Ringen um Antworten kategorisch aus. Wie Bachmann argumentiert, darin liegt der eigentliche Ausschluss von Pluralität begründet. Hier möchte keiner ins gemeinsame Nachdenken kommen, sondern das Ringen um gemeinsames Verständnis im Keim ersticken und die Leser auf seine Seite ziehen, koste es, was es wolle. Sein Artikel macht so eindrucksvoll spürbar, was es heißt, sich mit dem Mainstream seiner Coleur anzulegen. Mehr als Ablehnung, ja (Wort-)Gewalt wird es nicht geben. Kann der Nachwuchsbeauftragte des Vereins für Socialpolitik dies tun, ohne hierfür aus seinen eigenen Reihen sichtbaren Widerspruch zu ernten?
Pluralität und Reflexivität
Pluralität bedeutet nach Bachmann, "dass Ideen aus diversen Orthodoxien bereits fruchtbar in den Mainstream integriert wurden". Ein Standardansatz (oder eine Standardmethode) wird auf beliebig viele Themen angewandt (ein Ansatz, für den v.a. die Chicago School of Economics steht). Pluralität kann aber weit mehr: Sie kann eine Vielfalt von Perspektiven und methodischen Zugängen auf wirtschaftliche Themen zulassen und zumindest eine friedliche Koexistenz (auch der unterschiedlichen Erfolgsmaßstäbe) anstreben. Darüber hinaus existiert noch ein drittes Pluralitätsverständnis, das wir selbst vertreten: Hier kommen WissenschaftlerInnen aus unterschiedlichen Perspektiven über ein Thema ins Gespräch, nicht nur um den anderen und seine Weltsicht zu verstehen, sondern im Spiegel des Fremden sich selbst und die eigenen Vorannahmen zu reflektieren und zu verändern. Hier steht das gemeinsame Ringen um Erkenntnis der Sache wegen im Vordergrund. Dazu braucht es keine Harmonie, aber man muss einen echten Dialog führen wollen, anstatt Zerrbilder zu attackieren. Das Minimum wäre ein Principle of Charity, wie es die Sprachphilosophie formuliert hat: Jede Person gibt der anderen (etwas) Vertrauen, um sich um ein Verstehen des erstmals Unverständlichen zu bemühen.
Reflexivität ist kein "Schlagwort", sondern ein Kernelement des wissenschaftlichen Denkens. Reflexives Wissen ist vor allem ein Wissen, das ein Wissen über sich selbst und die eigene Position enthält – über deren Entstehungskontext, die epistemologischen Voreinstellungen und Grenzen. Eine Ökonomik, die nicht systematisch mit der Kenntnis ihrer eigenen (kontingenten) Geschichte daherkommt, verführt Wissenschaftler zu starren Positionen ohne jede Möglichkeit zur Selbstkritik. Wie blind und überheblich dies macht, lässt sich bei Bachmann beobachten. Reflexivität hingegen schließt Selbstkritik und -veränderung immer mit ein. Erst so kann man gemeinsam mit anderen diskutieren, anstatt über sie zu urteilen.
©KOF ETH Zürich, 10. Aug. 2016