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Die globale Armut konvergiert, aber nicht schnell genug

Summary:
Die Armutsraten in Entwicklungsländern gleichen sich über die Zeit an, auch wenn diesbezüglich aufgrund einer Studie von Martin Ravallion Zweifel aufgekommen sind. Allerdings ist das Konvergenztempo viel zu langsam, um die Armutsziele 2030 der UNO zu erreichen, wie dieser Beitrag zeigt. Eigentlich sollten Einkommensniveaus zwischen verschiedenen Ländern konvergieren. Und ein höheres Einkommensniveau sollte die Armutsrate eines Landes senken. Würden wir da nicht erwarten, dass sich auch die Armutsraten zwischen Ländern angleichen? Martin Ravallion (2012) hat dazu neulich ein Rätsel präsentiert: für etwa 90 Entwicklungsländer findet er, dass sich die Haushaltseinkommen (unkonditional) angleichen und dass höhere Haushaltseinkommen im Durchschnitt zu niedrigeren Armutsraten führen. Wenn er die prozentuelle Veränderung der Armutsrate auf deren ursprüngliches (logarithmiertes) Niveau Hi,t-1  regressiert, findet er allerdings keine Angleichung der Armutsraten in Entwicklungsländern: in der Schätzgleichung ΔlnHit = α*i + β*i ln Hi,t-1 + ε*it,                                 (1) ist der zentrale Parameter β*i wider Erwarten leicht positiv und statistisch insignifikant. Dieser Zusammenhang ist auch in Abbildung 1 (und der durchgängigen Linie darin) dargestellt.

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Die Armutsraten in Entwicklungsländern gleichen sich über die Zeit an, auch wenn diesbezüglich aufgrund einer Studie von Martin Ravallion Zweifel aufgekommen sind. Allerdings ist das Konvergenztempo viel zu langsam, um die Armutsziele 2030 der UNO zu erreichen, wie dieser Beitrag zeigt.

Eigentlich sollten Einkommensniveaus zwischen verschiedenen Ländern konvergieren. Und ein höheres Einkommensniveau sollte die Armutsrate eines Landes senken. Würden wir da nicht erwarten, dass sich auch die Armutsraten zwischen Ländern angleichen?

Martin Ravallion (2012) hat dazu neulich ein Rätsel präsentiert: für etwa 90 Entwicklungsländer findet er, dass sich die Haushaltseinkommen (unkonditional) angleichen und dass höhere Haushaltseinkommen im Durchschnitt zu niedrigeren Armutsraten führen. Wenn er die prozentuelle Veränderung der Armutsrate auf deren ursprüngliches (logarithmiertes) Niveau Hi,t-1  regressiert, findet er allerdings keine Angleichung der Armutsraten in Entwicklungsländern: in der Schätzgleichung

ΔlnHit = α*i + β*i ln Hi,t-1 + ε*it,                                 (1)

ist der zentrale Parameter β*i wider Erwarten leicht positiv und statistisch insignifikant. Dieser Zusammenhang ist auch in Abbildung 1 (und der durchgängigen Linie darin) dargestellt. Ravallion erklärt dies mit den nachteiligen ökonomischen Effekten von Armut sowohl auf Wachstum (und damit Einkommenskonvergenz) sowie dessen armutsverringernde Wirkung – der Grund für fehlende Armutskonvergenz ist also Armut selbst.

Abbildung 1: logarithmierte Armutskonvergenz

Abbildung 2: Wachstumselastizität der Armut

Wie sollen Konvergenz und Wachstumseffekte gemessen werden?

In unserem jüngsten Forschungspapier zeigen wir allerdings, dass die Ergebnisse von Ravallion keineswegs ein Rätsel darstellen und Armutsraten in Entwicklungsländern bei richtiger Schätzung klar konvergieren. Das hat drei wesentliche Gründe:

  1. Ravallions Schätzung basiert auf der sogenannten “Wachstumselastizität der Armutsbekämpfung”, in der ΔlnHit linear von der Einkommenswachstumsrate abhängt. Es ist allerdings bekannt, dass diese Beziehung stark nicht-linear ist und insbesondere für reichere Länder (mit niedrigerer Armut) stärker ausfällt (siehe auch Abbildung 2). Das hat per se nichts mit nachteiligen ökonomischen Effekten von Armut zu tun, sondern ist zunächst eine rein analytische Identität die sich aus der weitverbreiteten log-normalen Verteilung von Einkommen ergibt.
  2. Klasen und Misselhorn (2008) haben daher eine “Semi-Elastizität” vorgeschlagen, wo die absolute Veränderung in der Armutsrate (in Prozentpunkten), ΔHit, der zentrale Faktor ist. Aus politischer Sicht ist dies die Kenngröße von weit größerem Interesse: eine Halbierung der Armutsrate von 60 auf 30 Prozent ist vermutlich eine relevantere Leistung, als von 10 auf 5 Prozent, obwohl auch letzteres eine Halbierung (also ein Fallen um 50 Prozent) darstellt. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass die Konvergenzgleichung (1) in der Studie von Ravallion viel mehr verlangt als Konvergenz von Armutsraten im landläufigen Sinn: sie verlangt dass Länder eher ihre Armut von 60 auf 30 Prozent reduzieren, als von 10 auf 5 Prozent.
  3. Die Semi-Elastizität hat auch einen methodischen Vorteil: Armut kann nicht extrem präzise gemessen werden. Vor allem bei niedrigen Armutsraten wirkt sich das dahingehend aus, dass schon kleine Messfehler große Prozent-Veränderungen erzeugen, die dann enorm ins Gewicht fallen. Bei der absoluten Prozentpunkt-Veränderung im Sinne der Semi-Elastizität ist dieses Problem weit weniger gravierend. Besonders deutlich ist dies bei den zentral- und osteuropäischen Transformationsländern in der Stichprobe der Studie von Ravallion, die in den Abbildungen 1 und 2 dunkel hervorgehoben sind. Vergleicht man die Elastizität in Abbildung 2 mit der Semi-Elastizität in Abbildung 3, wird klar, dass dieses Problem im zweiten Fall weit weniger gravierend ist.

Abbildung 3: Wachstums-Semi-Elastizität der Armut

Abbildung 4: Absolute Armutskonvergenz

Globale Armut: und sie konvergiert doch

In unserem Papier zeigen wir, dass Armutsraten statistisch signifikant konvergieren, wenn man die Schätzgleichung (1) folgerichtig im Sinne einer Semi-Elastizität auf

ΔHit = α*i + β*i Hi,t-1 + ε*it,                                 (2)

anpasst. Wie erwähnt ist dies auch die Spezifikation, welche am ehesten mit klassischer Konvergenz verbunden wird: die Armutsraten in Entwicklungsländern gleichen sich über die Zeit an. Nicht nur ist dieses Ergebnis robust für verschiedenste Armutsmaße und Kontrollvariablen. Wir finden auch, dass es schon genügt von der Stichprobe in der Studie von Ravallion die zentral- und osteuropäischen Transformationsländer herauszunehmen (wo Messfehler ein potenziell hohes Problem darstellen), um selbst in seinem Sinne von Spezifikationsgleichung (1) signifikante Armutskonvergenz zu erhalten (siehe die gestrichelte Linie in Abbildung 1). In der von uns vorgeschlagenen Spezifikation fällt dieser Messfehler nicht ins Gewicht (vgl. Abbildung 4).

Konvergenz und Wachstum sind zu wenig, um Armutsziele 2030 zu erreichen

Alles gut also und bloß warten bis die Armutsraten im freien Spiel der Kräfte konvergieren? Leider nicht, denn unsere Erweiterung zur Studie von Ravallion ist in gewissen Sinne bloß eine andere Art zu sagen: Armutsraten konvergieren zwar, aber nicht rasch genug. Ein auf Basis unserer Schätzungen errechnetes Ergebnis verdeutlicht dies: nehmen wir ein Land mit einer Armutsrate von 41.1 Prozent an (dem Mittelwert am Ende der Stichprobe), so würde dort diese Armutsrate jährlich um 0.29 Prozentpunkte sinken – eindeutig zu wenig, um die globalen Armutsziele für 2030 zu erreichen. Selbst eine höhere Einkommenswachstumsrate würde die Differenz nicht wettmachen: steigt das Wachstum von 1.3 auf 3.5 Prozent an (also vom Mittelwert zum 75. Perzentil), so steigt die Reduktion der Armutsrate von 0.31 auf 0.88 Prozentpunkte pro Jahr an – noch immer zu wenig, um Armut für die meisten Länder rasch genug zu reduzieren. Der eindeutige Befund von unseren wie von den Ergebnissen von Ravallion ist also, dass raschere Armutsreduzierung nur durch eine gleichzeitige Verringerung der Einkommensungleichheit erreicht werden kann.

©KOF ETH Zürich, 22. Feb. 2016

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