Christine Lagarde soll Nachfolgerin von Mario Draghi im EZB-Präsidentenamt werden. (Quelle: IMF) In Brüssel wurden die Weichen für wichtige europäische Spitzenämter gestellt. Christine Lagarde wurde von den Regierungschefs der Europäischen Union als neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank nominiert. Ökonomen von Aberdeen Standard Investments, DWS und Schroders kommentieren die Nominierung.Viele Kandidaten waren für die Nachfolge von Mario Draghi im Gespräch, doch die Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF) hatte kaum jemand auf dem Radar. Nun soll die Französin Christine Lagarde die erste Frau an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) werden. Darauf einigten sich die Regierungschefs der Europäischen Union (EU). Läuft alles nach Plan – formell müssen noch
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In Brüssel wurden die Weichen für wichtige europäische Spitzenämter gestellt. Christine Lagarde wurde von den Regierungschefs der Europäischen Union als neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank nominiert. Ökonomen von Aberdeen Standard Investments, DWS und Schroders kommentieren die Nominierung.
Viele Kandidaten waren für die Nachfolge von Mario Draghi im Gespräch, doch die Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF) hatte kaum jemand auf dem Radar. Nun soll die Französin Christine Lagarde die erste Frau an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) werden. Darauf einigten sich die Regierungschefs der Europäischen Union (EU). Läuft alles nach Plan – formell müssen noch das Europäische Parlament und der EZB-Rat konsultiert werden –, übernimmt Lagarde am 1. November als erste Frau das EZB-Präsidentenamt.
Im Gegensatz zu ihren Vorgängern Wim Duisenberg, Jean-Claude Trichet und Mario Draghi hat Lagarde keine wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung. Nach einer langen Laufbahn als Rechtsanwältin in der internationalen Wirtschaftskanzlei Baker McKenzie trat sie 2005 der französischen Regierung bei. 2007 wurde sie unter Präsident Nicolas Sarkozy die erste Frau an der Spitze des französischen Finanzministeriums, 2011 dann die erste Chefin des IWF.
"Dass die Wahl auf Lagarde gefallen ist, sagt viel über die Situation aus, in der sich Europa befindet: Man will jemanden mit perfekten staatsmännischen Fähigkeiten für eine geldpolitische Aufgabe ernennen. Das ist nicht unbedingt eine schlechte Sache", kommentiert Paul Diggle, Senior Economist bei Aberdeen Standard Investments. In den eher technischen Aspekten des Jobs werde sie von Chefökonom Philip Lane unterstützt.
Eine "dovishe" Gouverneurin
"Obwohl sie keine direkte Erfahrung in der Geldpolitik hat, hat Lagarde zuvor die Ansicht vertreten, dass negative Zinssätze in Europa und Japan netto positiv für die Weltwirtschaft seien. In Anbetracht dieser Faktoren sind wir der Meinung, dass sie eine 'dovishe' Gouverneurin sein wird, was für Investoren recht positiv zu bewerten ist", sagt Piya Sachdeva, Ökonomin bei Schroders. Lagarde habe auch die Notwendigkeit betont, bei der nächsten Rezession alle politischen Instrumente zu nutzen, so dass ihre Ernennung wahrscheinlich weitere Diskussionen über die Nutzung der Finanzpolitik in Europa zur Unterstützung des Wachstums erleichtern werde.
"Wir erwarten eine Fortsetzung der akkommodierenden Geldpolitik der EZB, sollte die Inflation weiter auf niedrigem Niveau verharren", kommentiert Martin Moryson, Chefvolkswirt Europa bei DWS, die Wahl. Als IWF-Direktorin hatte sich Lagarde bereits sehr früh und nachdrücklich für das Instrument der quantitativen Lockerung (Anleihekaufprogramm) ausgesprochen. Wie Draghi poche auch Lagarde auf die Bedeutung der Fiskalpolitik zur Unterstützung der europäischen Wirtschaft. "Vor dem Hintergrund ihrer ausgewiesenen fiskalpolitischen Expertise, könnte sie unseres Erachtens hier den Druck auf die europäischen Staats- und Regierungschefs noch erhöhen. Ähnlich könnte es beim Thema Fiskalunion aussehen, für die sie sich regelmässig stark gemacht hat", meint Moryson. Ähnlich wie Draghi zeichne sie sich durch einen undogmatischen Stil aus. Hinzu komme ihre exzellente Vernetzung in die Politik.
Anderer Führungsstil
Im Führungsstil dürfte es nach Einschätzung Morysons zu Veränderungen kommen. Draghi habe immer wieder Tatsachen geschaffen, wie zuletzt beim EZB-Forum in Sintra, indem er mit zuvor nicht abgesprochenen Aussagen vor die Presse trat. Lagarde hingegen dürfte stärker bemüht sein, ihre Entscheidungen auf den vorigen Konsens des EZB-Rats zu stützen. "Nicht zuletzt, da sie keine ausgebildete Ökonomin ist und über keinerlei Erfahrung als Zentralbankerin verfügt, dürfte dies nicht nur den EZB-Rat aufwerten, sondern im Direktorium auch die Position des erst jüngst nominierten Chefökonomen Philip Lane, der zuvor der irischen Zentralbank vorstand", so Moryson. Er ist im sechsköpfigen EZB-Direktorium somit der einzige ausgebildete Ökonom. Eine weitere Veränderung des Direktoriums wird mit dem Ausscheiden von Benoit Coeuré im Laufe des Jahres erfolgen.
"Die Bewegungen an den Finanzmärkten sind eine allgemeine Reaktion darauf, dass Lagarde als gemässigt wahrgenommenen wird. Aber ihre Ernennung werde kurzfristig keinen grossen Einfluss auf die Politik der EZB haben", meint Diggle von Aberdeen Standard Investments. Die Rally der europäischen Anleihenmärkte sei bereits durch die Überzeugung ausgelöst worden, dass Draghi eine Zinssenkung und QE vorbereite. Als gemässigte Kandidatin habe Lagardes Nominierung nur das Feuer angeheizt.
Was die Rallye an den Märkten ignoriere, sei jedoch die Herkulesaufgabe, vor der Lagarde stehe, so Diggle. Zinssenkungen und mehr QE würden die Aktien- und Anleihemärkte vorerst stützen. Es werde den europäischen Banken eine Gnadenfrist einräumen und den Unternehmen helfen, die Kreditkosten niedrig zu halten. Das längerfristige Bild ist nach Meinung Diggles jedoch eher beunruhigend: "Die EZB hat nur sehr wenig Spielraum, die Zinsen sinnvoll zu senken, und es wird nur begrenzte Gewinne aus dem Neustart von QE geben. Was Europa wirklich braucht, ist, dass die Regierungen die fiskalischen Impulse, tiefgreifende Strukturreformen und die weitere europäische Integration fortsetzen. Jeder weiss das, und Mario Draghi selbst hat Jahre damit verbracht, die Botschaft endlos zu wiederholen, grösstenteils ohne Erfolg."