Von einer Goldlöckchen-Ökonomie spricht man bei robustem Wirtschaftswachstum, niedriger Inflation und tiefen Zinsen. Viele Anleger setzen dann auf das "TINA"-Szenario – "There Is No Alternative“ zu Aktien). (Bild: Shutterstock.com/Aleksey Mnogosmyslov)Salopp gesagt liege die grösste Gefahr an den Kapitalmärkten aktuell darin, dass sich Anleger vor lauter Optimismus selbst ein Bein stellten, kommentiert Ali Masarwah von Morningstar ...
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Von einer Goldlöckchen-Ökonomie spricht man bei robustem Wirtschaftswachstum, niedriger Inflation und tiefen Zinsen. Viele Anleger setzen dann auf das "TINA"-Szenario – "There Is No Alternative“ zu Aktien). (Bild: Shutterstock.com/Aleksey Mnogosmyslov)
Salopp gesagt liege die grösste Gefahr an den Kapitalmärkten aktuell darin, dass sich Anleger vor lauter Optimismus selbst ein Bein stellten, kommentiert Ali Masarwah von Morningstar die aktuelle Stimmung. An der Schwelle zum neuen Jahr zeichneten Kapitalmarktexperten in einem fast beängstigenden Gleichklang ein rosiges Bild der Zukunft.
Was passieren kann, wenn die Konjunkturoptimisten die Oberhand gewinnen, zeige die Liste der Gewinner im November: Der MSCI Branchenindex für Energiewerte zog (Euro-basiert) um gut 25% an. Die Länder-Indizes von Spanien, Italien und Österreich, die allesamt banken- und/oder Rohstoff-lastig sind, konnten ebenfalls um rund ein Viertel zulegen. Auch Schwellenländer-Indizes, etwa für Aktien aus der Türkei, Brasilien oder Russland zählten zu den grossen Gewinnern.
Es gebe prominente Verfechter im Bullenlager, so Masarwah. Goldman Sachs etwa habe in diesen Tagen prognostiziert, dass der US-Leitindex S&P500 bis Ende 2021 vom heutigen Niveau aus noch einmal um gut 20% steigen könnte. Auch wenn die meisten anderen US-Grossbanken konservativer rechneten, würden auch sie mehrheitlich einen ordentlichen einstelligen Anstieg von US-Aktien für 2021 sehen. Der Optimismus gelte längst nicht nur für US-Aktien, sondern für Dividendentitel weltweit.
Die aussichtsreichsten Gewinner
Die aussichtsreichsten Gewinner unter diesem positiven Konjunkturszenario werden die oben genannten Aktien-Gewinner im November sein, die noch viel an Boden gut zu machen haben, handelt es sich doch um die Branchen, Länder und Regionen, die im Zuge der Covid-19-Pandemie besonders stark unter dem Einbruch der Weltwirtschaft gelitten haben. Energie-Aktien notierten auch noch Ende November gut ein Drittel unter dem Niveau vom Jahresanfang. Türkei- und Brasilienaktien weisen ebenfalls ein Minus von bis zu 30% aus.
Etwas besser haben sich Eurozonen-Aktien mit einem Minus von knapp 3% gehalten, und der DAX steht mit einem Miniplus von 0,3% auf dem Stand von Anfang 2020. Zum Vergleich: Der US-Leitindex S&P500 stieg in diesem Jahr aus Sicht von Euro-Investoren um knapp 6,5%; der Nasdaq-100-Index schoss sogar um fast ein Drittel in die Höhe. Das hat Folgen für die Bewertungen: Gemessen an den Fair-Value-Schätzungen von Morningstar notierten US-Aktien Anfang Dezember deutlich über ihrem fairen Wert; europäische Aktien waren dagegen zumeist unterbewertet.
Was bedeutet das nun für das große Gesamtbild? Da die Notenbanken erst Recht in heutigen Zeiten eine sehr lockere Geldpolitik zur Stützung der Konjunktur fahren, die seitens einer expansiven Fiskalpolitik dies- und jenseits des Atlantik flankiert wird, dann fühlt man sich zu Recht an die Situation der vergangenen Jahre erinnert, als zwei Szenarien die Kapitalmarktausblicke der Banken und Fondshäuser zum Jahresende dominierten: "Goldilocks" und "TINA".
Die Sirenengesänge von "Goldilocks" und "TINA"
Wie Masarwah erklärt, leitet sich das Goldlöckchen-Szenario (auf Englisch: Goldilocks) von einem englischen Märchen ab, in dem sich ein Mädchen in einem Wald verirrt, zur verlassenen Hütte der drei Bären gelangt und dort einen gerade richtig warmen Brei isst um sich dann auf das gerade richtig weiche Bett zu legen. Man spricht von einer Goldlöckchen-Ökonomie, wenn das Wirtschaftswachstum robust, die Inflation zugleich niedrig ist und die Zinsen tief bleiben. Das sei der Stoff, aus dem eine Aktien-Hausse gemacht ist.
Unterstützung komme dabei unverändert von den Anleihenmärkten. Zwar korrigierten die Kurse sicherer Anleihen zeitgleich mit dem Kurssprung an den Aktienmärkten im November, doch jenseits eines kleinen Renditesprungs erwiesen sich die Anleihenmärkte als bemerkenswert stabil. Und verharren die Anleihekurse auf hohem Niveau, sind die Renditechancen bei Anleihen begrenzt. Das wiederum führe umstandslos zum TINA-Szenario, so Masarwah. Dieses Akronym steht für "There Is No Alternative“. Aktien sind demnach alternativlos.
Die Kombination aus niedrigen Zinsen, sehr weiten fiskalpolitischen Spendierhosen und stabilen Unternehmensgewinnen (die im dritten Quartal tendenziell positiv überrascht haben) könnten einen Kursturbo bei Aktien zünden und Anlegern in Risiko-Papieren ein gutes Jahr 2021 bescheren, fährt er weiter fort. Dass Investoren diesem Szenario anhängen, zeigen die von Morningstar erhobenen monatlichen Mittelflussdaten. Im September, vor allem im Oktober haben Investoren erneut in ordentlichem Umfang in Risiko-Fonds investiert. Aktienfonds waren in beiden Monaten nachgefragt, und bei Anleihenfonds gingen Investoren im Oktober verstärkt ins Risiko auf der Suche nach auskömmlichen Renditen. "Sie gehen also mit TINA und Goldilocks auf Renditejagd", stellt Masarwah fest.
Und wenn alles anders kommt?
Das fast schon undenkbare Alternativ-Szenario, also die Gefahr, dass alles anders kommt, spiele für die allermeisten Investoren erkennbar die zweite Geige. Wenn Anleger unisono optimistisch sind, dann könnte es gut sein, so die Skeptiker, dass die meisten bereits investiert sind. Das Pulver wäre also jetzt schon verschossen. Ein Indikator dafür sind die niedrigen Cash-Quoten bei Fonds. Die Barquoten global anlegender Aktienfonds bewegten sich bereits per Ende Oktober auf dem niedrigsten Niveau seit der Finanzkrise 2007-09. Der Treibstoff für weitere Kurssteigerungen könnte also fehlen.
"Vielleicht haben Anleihe-Investoren am Ende Recht mit ihrer unverändert pessimistischen Sicht auf die Lage der Weltwirtschaft, die man aus den unverändert hohen Kursen ableiten könnte", gibt Masarwah zu bedenken. Demnach könnten sich noch Unfälle auf dem Weg der Konjunkturerholung ereignen, die eine Neubewertung von Kapitalmarktrisiken erforderlich machen würden; oder eine Eskalation der Pandemie könnte einen erneuten Einbruch der Wirtschaft verursachen; oder ausreichend hohe Konjunkturstützen durch die Fiskalpolitik könnten ausbleiben, was verheerende Folgen für die Unternehmensgewinne hätte.
"Vielleicht sollten Anleger in der Euphorie ähnlich besonnen agieren", meint Masarwah. Das hatten viele mit mutigen Käufen bereits unter anderen Vorzeichen auf dem Höhepunkt der Corona-Krise im ersten Quartal getan. Sie würden dann den Rat von Warren Buffett beherzigen: Gierig sein, wenn die anderen Angst haben und Angst haben, wenn die anderen gierig sind. "Und auch wer die Argumente der Bullen befolgt, sollte nicht alles auf die eine Karte setzen. Mögen die Sirenengesänge von Goldilocks und TINA noch so verführerisch klingen", schliesst Masarwah den Morningstar-Einblick in die Bullen- und Bären-Szenarien zum Jahresende.
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