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Das Boot ist voll

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Wie hängen Zinssatz und die Bereitschaft einer Volkswirtschaft, die Grenzen zu öffnen zusammen? Dieser Beitrag gibt Hinweise. Das Boot ist voll, sagten viele Schweizer im Jahr 1942 und so beschloss es auch das Parlament in Bern, wodurch den in Deutschland verfolgten Juden die Einreise in die Schweiz verweigert wurde.[ 1 ] Dadurch wurden etwa 5 000 bis 25 000 deutsche Juden dem sicheren Tod in einem Konzentrationslager ausgeliefert. Das Wort vom vollen Boot überzeugte damals viele Schweizer. Die Schweiz könne nicht mehr als vier Millionen Menschen aufnehmen, hiess es, ohne dass das Boot kenterte und alle Insassen den Tod riss. An diesem Punkt habe die Pflicht zur Hilfe in der Not ein Ende. Doch wie gross war die Aufnahmefähigkeit der Schweiz? Damals zählte die Schweiz vier

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Wie hängen Zinssatz und die Bereitschaft einer Volkswirtschaft, die Grenzen zu öffnen zusammen? Dieser Beitrag gibt Hinweise.

Das Boot ist voll, sagten viele Schweizer im Jahr 1942 und so beschloss es auch das Parlament in Bern, wodurch den in Deutschland verfolgten Juden die Einreise in die Schweiz verweigert wurde.[ 1 ] Dadurch wurden etwa 5 000 bis 25 000 deutsche Juden dem sicheren Tod in einem Konzentrationslager ausgeliefert. Das Wort vom vollen Boot überzeugte damals viele Schweizer. Die Schweiz könne nicht mehr als vier Millionen Menschen aufnehmen, hiess es, ohne dass das Boot kenterte und alle Insassen den Tod riss. An diesem Punkt habe die Pflicht zur Hilfe in der Not ein Ende.

Doch wie gross war die Aufnahmefähigkeit der Schweiz? Damals zählte die Schweiz vier Millionen Einwohner, heute sind es 8 Millionen Einwohner, demnächst vielleicht 15 Millionen. Wenn die Eigenossen den Flüchtlingen hohe Tagessätze gewähren, so hängt die Kapazität von der Zahlungsbereitschaft der Einheimischen ab. Hier gibt es eine ökonomische Grenze. Die ökonomische Aufnahmefähigkeit ist rascher erschöpft, als wenn den Flüchtlingen gar nichts gegeben wird und sie sich selbst durchschlagen müssen. Mit diesem Problem hat sich der Mathematiker David Hilbert (1862-1943) befasst. Er fragt: Wie lässt sich eine unendliche Anzahl von Touristen in einem Hotel mit unendlich vielen Zimmern unterbringen?

Ein Hotel mit unendlich vielen Zimmern

Eines Tages kommen unendlich viele Gäste vor einem Hotel mit unendlich vielen Zimmern angefahren. Sie alle wollen ein Zimmer. Der Hoteldirektor ist überfordert. Er sagt den Gästen: "Unser Hotel hat zwar unendlich viele Zimmer. Abe es ist voll besetzt. Würde ich einen Nachfrager zulassen, so müsste der Gast von (beispielsweise) Zimmer Nr. 1 ausziehen. Er wäre schlechter gestellt und würde sich beschweren. Das ist nicht Pareto-optimal." Der Eigentümer des Hotels entlässt den Direktor und stellt einen neuen Direktor ein.

Eines Tages kommen wieder Busse mit unendlich vielen Touristen angefahren. Sie alle wollen ein Zimmer. Der Direktor sagt: Das ist kein Problem, wir müssen uns nur etwas umorganisieren. Der Gast von Zimmer Nr. 1 geht in Zimmer Nr. 2, der Gast von Zimmer Nr. 2 geht in Zimmer Nr. 3, der Gast von Zimmer Nr. 3 geht in Zimmer Nr. 4 usw. Dadurch wird Zimmer Nr. 1 frei. Diese Verfahren lässt sich wiederholen, bis alle Touristen untergebracht sind.

Wie erklärt sich dieses verblüffende Ergebnis? Hilbert erläutert: Bei einem Hotel mit endlicher Anzahl von Zimmern ist die Mächtigkeit einer Teilmenge von (n-1) Zimmern immer kleiner als die Mächtigkeit aller Zimmer. In einem Hotel mit unendlich vielen Zimmern ist die Mächtigkeit aller Zimmer gleich groß wie die Mächtigkeit von (n-1) Zimmern.

Hilbert ließ die Frage offen, wie sich die Geschichte der Touristen (Einwanderer) weiter fortsetzt. Hierzu hat der amerikanische Ökonom Paul A. Samuelson (1915-2009), einen wichtigen Beitrag geleistet. In Samuelsons Modell erhöht sich die Zahl der Einwanderer (bei Hilbert: die Touristen jedes Jahr). Sie sparen in zertifizierten Wertpapieren (Papiergeld). Im Rentenalter verkaufen sie ihr Papiergeld an die Nachfolgegeneration wofür sie einen Zins erhalten, weil die Nachfolgegeneration immer größer ist als die Vorgängergeneration.

Paul A. Samuelson (1915-2009), der Hilbert nie gesehen hatte, fragte: Wie kann eine unendliche Zahl von Einwanderern in einem unendlich großen Land wie den USA, bewältigt werden? Seine Antwort lautet: Die Einwanderer bilden Einwanderer-Generationen. Auf die erste Generation folgt eine zweite usw. Durch eine Sozialversicherung würde das Problem nie bewältigt. Da es aber eine solche nicht gibt, muss jede Generation für sich selbst sorgen. Sie schafft sich einen festen Stock von Papiergeld an, den die vorangegangene Generation verkauft und hierfür einen Zins erhält. Weil jede nachfolgende Generation größer ist als die vorangegangene, ist der Zins positiv.

Umgekehrt fällt bei stagnierender oder gar schrumpfender Bevölkerung der Preis des Papiergeldes. Der Zins wird schließlich null oder sogar negativ werden, wenn die Bevölkerung zurückgeht.

Das Samuelson-Theorem

Paul A. Samuelson stellt daraus sein fundamentales Theorem auf: "Jede geometrisch wachsende Konsum-Darlehens-Ökonomie hat einen gleichgewichtigen Marktzinssatz, der genau gleich seiner biologischen Wachstumsrate ist." (P. A. Samuelson, 1958, S. 472). Sollte die Wachstumsrate der Bevölkerung sinken, so sinkt auch der Preis des Papiergeldes und damit der gleichgewichtige Zins. Samuelsons Modell funktioniert immer noch. Aber es sichert den Sparern nicht mehr das Überleben im Alter. Die private Altersvorsorge sinkt. So entsteht das Problem der Niedrigzinsen, das wir heute beobachten.

Freilich trägt die Europäische Zentralbank zu den Niedrigzinsen bei, indem sie Staatsanleihen von fast-bankrotten Eurostaaten aufkauft und sie so vor dem Staatsbankrott bewahrt. Dies wiederum hält die Krisenstaaten davon ab, ihre veralteten Wirtschaftsstrukturen durch Wirtschaftsreformen zu erneuern.

Die europäische Zentralbank wird kritisiert, weil sie durch die Niedrigzinsen die Sparer enteignet. Doch der Zins ist keine Naturkonstante (wie z. B. die Temperatur von minus 273 Grad Celsius im Weltall), sondern er ist ein Preis, der sich durch Angebot und Nachfrage bildet.

Auch ohne Wachstum des Kapitals wächst das BIP, weil Arbeit, natürliche Ressourcen und technischer Fortschritt ein Wachstum des BIP bewirken. Freilich wächst das BIP nicht so stark, als wenn auch noch das Kapital zum Wachstum beiträgt. Es gibt einen Punkt, an dem die Wachstumsrate des BIP aus Arbeit und technischem Fortschritt sich dem Zinssatz angleicht oder diesen sogar übertrifft. Es tritt dann der interessante Fall ein, dass die Wachstumsrate des BIP über dem Zinssatz, bzw. der Habenzins übern dem Sollzins liegt, was heute in Europa weitgehend der Fall ist.

Der italo-amerikanische Finanzjongleur Charles Ponzi hat sich in den 1920er Jahren die Ungleichheit zwischen Zins und Wachstumsrate des BIP zu eigen gemacht und seinen Kunden Anleihen mit Habenzinsen über den Sollzinsen versprochen. Weil er nur über beschränkte Mittel verfügte, konnte er sein Versprechen nicht halten. Er erlitt Pleite und landete wegen unglaubwürdiger Versprechen im Gefängnis. Nur der Staat kann Wachstum und Verschuldung vertauschen. Er finanziert sich aus dem BIP und erwirtschaftet hieraus ein höheres Wachstum als ihm die Zinsen versprächen. Wegen seiner unbeschränkten Mittel kann er sein Versprechen auch halten, Ponzi aber nicht. Daher ist für den Staat (und nur für ihn) Staatsverschuldung angezeigt.

Sparen ist als Produktionsumweg zu verstehen ist. Je weiter ein Unternehmen oder der Staat Produktionsumwege einschlagen, desto geringer wird der erzielbare Zusatzertrag. Kapital hat heute auch eine kürzere Lebensdauer als früher. Es wird schon bald vom "Gilb" befallen. Es hat ein "schlechtes Alter". Der Staat kann das Problem der Niedrigzinsen aufhalten oder beseitigen, indem er sich verschuldet. Dann steigt der Zinssatz wieder an (oder er fällt nicht weiter ins Bodenlose). Dann können die Sparer wieder ein eigenes Kapital für ihre Altersvorsorge aufbauen. Das Samuelsonsche Alterssparen über Generationen funktioniert wieder.

Die eingangs betrachtete Theorie "Das Boot ist voll", widerspiegelt eine Situation von knappem Kapital und hohem Zins. Auf der Titanic sagten sich die Schiffsbrüchigen, ich gäbe mein ganzes Vermögen für ein zusätzliches Rettungsboot. Der Zins auf der Titanic ist unendlich hoch. Aber auch auf der Titanic ist der Zins nicht eine Naturkonstante, sondern ein Preis aus Angebot und Nachfrage.


©KOF ETH Zürich, 16. Mär. 2018

Charles B. Blankart
Charles B. Blankart ist em. Professor für Öffentliche Finanzen an der Humboldt-Universität zu Berlin und Ständiger Gastprofessor an der Universität Luzern sowie Lehrbeauftragter an verschiedenen Universitäten. Er ist Autor verschiedener Bücher und zahlreicher Aufsätze in internationalen Fachzeitschriften. Seine Forschungsschwerpunkte sind: öffentliche Finanzen, Public Choice und

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