Viele im Westen wurden durch die Sonderoperation der Russen in der Ukraine auf dem falschen Fuss erwischt. Der seit 2014 schwellende innerstaatliche Konflikt war und ist vielen nicht bewusst. Die grundlegenden Probleme mit ihrem geschichtlichen Hintergrund, welche die Operation verständlicher erscheinen liessen, sind selbst heute den Entscheidungsträgern unbekannt. Man hat das Gefühl, dass alles, was vor dem Einmarsch passiert ist, inexistent ist. Die Einschätzungen zur Lage basiert einzig auf westliche (NATO-)Quellen. Andere Quellen werden ignoriert oder wie es heute heisst “gecancelt”. Entsprechend einseitig ist die Beurteilung der Lage. Wie sehr sie den Tatsachen entspricht, wird man erst Jahre später erkennen. Vom Konflikt völlig aufgeschreckt, ist auch die
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Viele im Westen wurden durch die Sonderoperation der Russen in der Ukraine auf dem falschen Fuss erwischt. Der seit 2014 schwellende innerstaatliche Konflikt war und ist vielen nicht bewusst. Die grundlegenden Probleme mit ihrem geschichtlichen Hintergrund, welche die Operation verständlicher erscheinen liessen, sind selbst heute den Entscheidungsträgern unbekannt. Man hat das Gefühl, dass alles, was vor dem Einmarsch passiert ist, inexistent ist.
Die Einschätzungen zur Lage basiert einzig auf westliche (NATO-)Quellen. Andere Quellen werden ignoriert oder wie es heute heisst “gecancelt”. Entsprechend einseitig ist die Beurteilung der Lage. Wie sehr sie den Tatsachen entspricht, wird man erst Jahre später erkennen.
Vom Konflikt völlig aufgeschreckt, ist auch die Schweizer Politik erwacht. Die “Armeefreunde” im rechten Lager nutzen die Gunst der Stunde und verweisen darauf, dass sie ja schon immer davor gewarnt hätten, dass ein Krieg in Europa möglich sei. Nun sei es an der Zeit, endlich “Gegensteuer” zu geben.
Sie vergessen dabei aber komplett, dass es genau sie waren, welche in den vergangenen 30 Jahren die Armee heruntergefahren haben. In groben Zügen ging das so:
Die Abstimmung über die Abschaffung der Armee vom 26. November 1989 – wenige Tage nach dem Mauerfall vom 9. November 1989 – war eine Zäsur. Es war der Start einer unheilsamen Entwicklung. Viele glaubten mit dem Wegfall des Eisernen Vorhangs, dem absehbaren Zusammenbruch des Ostblocks, dem Abzug der Russen aus Afghanistan, der baldigen Auflösung der Sowjetunion und des “Warschauer Paktes”, dass der ewige Frieden vor der Türe stehen würde. In der Luft schwebte ein grosser Aufbruch, den Beginn der IT-Revolution und des baldigen Jahrtausendwechsels. Jetzt war die positive Zeit gekommen. Hurra!
Die etwas in Verruf geratene Schweizer Armee (siehe auch Abstimmung über die Rothenthurm-Initiative) mit ihrem starren Verteidigungskonzept stand komplett schief in der Landschaft. Die Reform “Armee 95” war bereits angestossen und bekam mit den historischen Ereignissen nochmals kräftig Schub. 1996 trat die Schweiz der “Partnerschaft für den Frieden (PfP)” bei. Wer wollte da schon gegen den Frieden politisieren? Nur wenige mahnten, dass dies der “Vorhof” einer NATO-Vollmitgliedschaft sein würde.
Die Armee 95 wurde umgesetzt und sofort stellte man fest, dass das Konzept noch nicht ganz den neuen geopolitischen Realitäten entsprach. Also wurde sofort mit der Planung für die “Armee XXI” begonnen. Da wollte man den neuen Gegebenheiten nun wirklich Rechnung tragen.
Von den einst 650’000 Ada der Armee 61 (eigentlich über 800’000 AdA) blieben in der Armee 95 noch 420’000 AdA. Mit der Armee XXI reduziert man die Zahl erneut um 50% auf noch 220’000 Ada (davon fast die Hälfte als Reserve). Mit dem “Entwicklungsschritt 08/11” gab es weitere Arrondierungen (Auflösung von Verbänden) und dank der “Weiterentwicklung der Armee (WEA)” wurde die Armee in einem vierten Schritt auf noch 100’000 Ada zurückgefahren.
Treiber der Reformen waren dabei stets die “Bürgerlichen”, welche sowohl das Oberkommando im EMD/VBS inne hatten wie auch in den Parteien und Milizorganisationen für die Reformen entraten. “Weniger Fett, mehr Muskeln”, “Betriebskosten senken”, “Ballast abwerfen” und natürlich “die Armee weiterentwickeln” waren gängige Schlagworte.
Die Linke und die GSoA hatten dabei wenig zu tun. Ihre Aktionen dienten mehr dem Aufrechterhalten der Drohkulisse und der Darstellung eines Gegners. Die Bürgerlichen erledigten die Arbeit selbst.
Interessant in diesem Zusammenhang: Das Risikomanagement, also die Frage, was man bei einer Fehlbeurteilung tun würde. In der Armee XXI hatte man wenigstens noch ein “Aufwuchskonzept”, welches zwar komplett untauglich und unrealistisch war (es fehlten die Schlüsselnachrichten, wann der Plan auszulösen wäre). Danach verzichtete man komplett auf diesen Fall. Von den Theoretikern liess man sich versichern, dass ein Konflikt eine Vorwarnzeit von 10 Jahren haben werde. Im Falle der Ukraine stimmt dies fast, denn so richtig schlimm wurde es ab 2014. Doch damals hat sich niemand mit Verantwortung getraut, die Richtung zu wechseln, denn das hätte bedeutet, die WEA zu opfern – was man natürlich nicht wolle/konnte.
Nur wenige Warner waren entlang des Weges zu finden: Pro Militia und zuletzt die Gruppe Giardino sind die bekannteren. Der Widerstand gegen PfP war schwach, gegen die Armee XXI wurde immerhin das Referendum ergriffen. Gegen die WEA scheiterte dann aber bereits das Referendum selbst. Die Phalanx aus SOG, bürgerlichen Parteien und der Wirtschaft, die noch so gerne einer Reduktion der Diensttage und des maximalen Dienstalters zustimmten, war zu stark. Wer wollte noch für die “Armee 61” kämpfen? Doch nur noch die “Ewig-Gestrigen” und die “Stahlhelmfraktion”.
Dass nun aber genau diese wenigen Gegner der Reformen Recht behalten würden, fällt aktuell nur wenigen auf. Schnell vergisst man, dass man gegen den Abbau der Armee war und fordert nun lauthals die Erhöhung des Militärbudgets. Das ist nicht nur scheinheilig, sondern v.a. auch unehrlich.
Die Befürworter des F-35 (und des Patriot-Flab-Systems) nutzen die Gunst der Stunde umso mehr und fordern nun eine rasche Beschaffung. Die Hürde einer Initiative muss beiseite geschoben werden. Sogar die Erhöhung des Armeebestands um 20% (!) wird gefordert. Man wähnt sich im Hühnerstall, wo nach dem Fauchen des Fuchses sich die Hühner kopflos im Kreis bewegen und sich dabei gegenseitig Angst einjagen.
Besonders interessant ist derweil die Kampagne der 5. Kolonne, welche nun subtil den Anschluss bzw. die Annäherung an die NATO befürworten. Hier ein paar Schlaglichter:
“Ein konventioneller Konflikt auf Schweizer Boden ist weiterhin wenig plausibel. Falls ein solcher stattfinden würde, dann würde diese Bedrohung mit grosser Sicherheit nicht die Schweiz isoliert betreffen, sondern Mitteleuropa als Kollektiv. Daher ist dem Aspekt der transnationalen Kooperation eine höhere Bedeutung beizumessen.“
These 2:
Die Kampfjets F-35 sind für Einsätze in einem militärischen Verbund konzipiert. Erst dann können sie ihre volle Wirkung entfalten. Daher liege es nahe, sich wie etwa das neutrale Schweden oder Finnland an Nato-Übungen zu beteiligen. Dazu seien aber erst neutralitätspolitische Fragen zu klären.
These 4:
Allfällige Fähigkeitslücken, z.B. in den mechanisierten Verbänden, könnten durch stärkere transnationale militärische Kooperation kompensiert werden.
Auch der SP-Unsicherheitspolitiker Hug bläst ins gleiche Horn:
Und selbst Stefan Holenstein, ehem. Präsident der SOG drängt in die NATO:
…oder der FDP-Präsident:
Die Liste ist nicht vollständig und kann fast täglich erweitert werden. Es scheint, als ob die Diskussion genau auf dieses Thema gelenkt werden muss.
Und damit sind wir bei meiner Prognose, welche sich nun bewahrheitet. Sie lautet:
Die Schweizer Armee wird seit 1990 kontinuierlich geschwächt, reduziert und zu Tode “weiterentwickelt”. Dieser Abbau hat zum Ziel, die eigenständige Verteidigung der Schweiz zu verunmöglichen. Am Tag X wird der Bundesrat vor das Volk treten und verkünden, dass eine eigenständige Verteidigung durch unsere Armee nicht mehr möglich ist: Es fehlt an Menschen, Waffen, Material, Munition, Fähigkeiten und einem Konzept, wie diese Verteidigungsfähigkeit wieder erreicht werden könnte. Als einzige, alternativlose (!) Lösung würde nur noch ein Beitritt zur NATO die Sicherheit der Schweiz garantieren.
Natürlich sagt man dies heute noch nicht so offen. Stattdessen spricht man von einer “engeren Zusammenarbeit/Kooperation” oder einem “solidarischen Beitrag”. Das sind aber nur Nebelpetarden, welchen den Blick auf das Ziel verschleiern. Denn schliesslich hat jede “Weiterentwicklung” ein strategisches Ziel. Wäre es die eigenständige Verteidigung der Schweiz, wären einige Eckwerte der Reformen komplett anders.
Aber zurück zur aktuellen Lage. Ehrlich gesagt, müsste der CdA und die C VBS nun eingestehen, dass die Armee für einen europäischen Konflikt nicht bereit ist. Zu viel Ungelöstes hat sich in den vergangenen Jahren angestaut. Die Armee ist unterdessen ein Flickwerk. Viele Waffensysteme hat man ohne Not aufgegeben, ohne einen adäquaten Ersatz bereit zu haben. Offenbar waren die Kosten für den Betrieb dieser System zu hoch oder das Ende der Lebenszeit wurde erreicht. Die Schrotthändler machten ein gutes Geschäft und auch die vielen zuvor noch geheimen Bunkeranlagen an strategisch wichtigen Stellen wurden entklassifiziert und teilweise zurückgebaut.
Wollte man die Armee wieder aufbauen, würden – gemäss der Fausregel von Franz Betschon (sel.) – genauso viele Jahre vergehen, wie mit der Zerstörung der Armee. Das wären dann also grob 30 Jahre. Wir wären also 2050 wieder da, wo wir 1994 mal waren. Aber das nur nebenbei…
Würde man die Leistung der Schweizer Armee an einem Gegner wie Russland messen wollen, käme dabei sicher kein positiver Schlussbericht zustande. Zu gross sind die Unterschiede in nahezu sämtlichen Bereichen (Video). Bei einem Vergleich mit einem NATO-Gegner (bzw. der NATO selbst), sieht es wohl etwas besser aus. Aber “genügend” wären wir wohl kaum.
Wir stehen also vor dem Dilemma, dass die aktuelle Armee weder dem einen noch dem anderen Gegner standhalten würde. Der Knüppel ist morsch und wir sollten ihn nicht einsetzen.
Was wäre nun zu tun, wenn man sich eingestehen würde, dass die Armee aktuell “ungenügend” ist. Wäre eine Annäherung an die NATO nicht eine passende Antwort?
Vordergründig ja. Man wirft sich an die Brust des stärkeren “Grossen Bruders” und hofft, dass sich dieser ganz uneigennützig vor die Schweizer stellen würde, wenn auf sie geschossen würde. Dass dies aber nicht – zumindest nicht ohne Vollbeitritt – der Fall sein würde, sehen wir aktuell am Beispiel der Ukraine. Die Hilfe besteht einzig aus Sanktionen, Waffenlieferungen, diplomatischem Gedöns und nichtssagenden Zusagen. Kämpfen müsste die Schweiz selbst. Und ein NATO-Beitritt ist angesichts der aktuellen Neutralitäts-Freundlichkeit nicht zu machen. Dazu fehlt der Druck.
Wäre eine Annäherung an Russland eine Lösung? Wohl kaum, denn die NATO hat bereits mit Kaliningrad so seine Mühe, da wird es kaum ein russland-freundliches Land inmitten Europas akzeptieren.
Was als Lösungsansatz bleibt, ist die absolute Neutralität.
Aktuell lässt sich nicht abschätzten, wie der Konflikt weitergeht. Eine Eskalation ist ebenso möglich wie ein militärischer Sieg Russlands. Sich auf eine der Seiten zu stellen, kann also negative Konsequenzen mit sich ziehen. Diesem Risiko sollten wir uns nicht aussetzen.
Die Neutralität muss insbesondere “absolut” sein – nicht “situativ” oder “eingeschränkt”, nicht “vielleicht mal so oder so”. Der Konflikt ist komplett auszublenden. Die Schweiz sollte mit allen (!) Parteien sehr gute Beziehungen pflegen. Dazu gehören auch Staaten, die in der Öffentlichkeit eher negativ dargestellt werden.
Sanktionen sind komplett abzulehnen. Wenn wir kein Problem mit dem Land haben, gibt es nichts zu sanktionieren. Ausserdem – so zeigt es sich gerade exemplarisch – treffen die Sanktionen weniger das Zielland, sondern die Verhänger dieser Sanktionen.
Mit dieser absoluten Neutralität (welche historisch sehr gute Dienste geleistet hat & bei der Bevölkerung sehr positiv (>90% Zustimmung) angesehen wird) treten wir aus der möglichen Zielscheibe.
Da der Bundesrat mit der Übernahme der EU-Sanktionen aber bereits viel Geschirr verschlagen hat, müsste er sich bei den Russen entschuldigen (was ja nicht öffentlich geschehen muss), die Sanktionen zurücknehmen und die Neutralität erneut reaktivieren. Dazu sollte eine Absichtserklärung erstellt werden, wie die Schweizer Armee in Zukunft ausgerichtet werden soll, damit diese neutrale Position auch von allen Seiten (wieder) akzeptiert wird.
Oder kurz: Wer militärisch schwach ist, sollte sich aus Konflikten heraushalten, da er in einem Konflikt nicht bestehen könnte. Genau das wäre die Lösung. Ob jemand den Mut hat, dies politisch zu fordern?
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