Foto: wikimedia commons (CC0) „Wieso bist du liberal?“ Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft mir diese Frage gestellt wurde. Die Antwort scheint auf den ersten Blick sehr einfach und kommt wie aus der Pistole geschossen: „Weil ich Freiheit liebe.“ Aber eine differenzierte Betrachtung dieser wichtigen Frage sieht anders aus. Denn je besser man den Liberalismus versteht, desto besser versteht man auch seine Schwachstellen. Ein wesentliches Merkmal des Menschen ist, dass er Dinge aufbauen und sie anschließend erhalten will. Dies gilt für greifbare Dinge, wie beispielsweise das gutbürgerliche Vorstadthaus mit Garten, es gilt aber auch für Abstraktes wie zwischenmenschliche Beziehungen oder sogar Meinungen. Liberalen scheint, überspitzt gesagt, ebendieser Drang zum Erhalt von Dingen ein wenig
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„Wieso bist du liberal?“ Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft mir diese Frage gestellt wurde. Die Antwort scheint auf den ersten Blick sehr einfach und kommt wie aus der Pistole geschossen: „Weil ich Freiheit liebe.“ Aber eine differenzierte Betrachtung dieser wichtigen Frage sieht anders aus. Denn je besser man den Liberalismus versteht, desto besser versteht man auch seine Schwachstellen.
Ein wesentliches Merkmal des Menschen ist, dass er Dinge aufbauen und sie anschließend erhalten will. Dies gilt für greifbare Dinge, wie beispielsweise das gutbürgerliche Vorstadthaus mit Garten, es gilt aber auch für Abstraktes wie zwischenmenschliche Beziehungen oder sogar Meinungen. Liberalen scheint, überspitzt gesagt, ebendieser Drang zum Erhalt von Dingen ein wenig abhanden gekommen zu sein, denn gelebter Liberalismus führt fortlaufend zu Veränderung. Mit Veränderung einher geht der unvermeidbare Schmerz über den Verlust des Gewohnten und auch das Risiko, dass Fehler passieren. Diese Aspekte der Veränderung sind beängstigend, sie widersprechen der beschriebenen Natur des Menschen und destabilisieren Gesellschaften kurzfristig.
Liberale machen also Radau, sie wollen, dass Neues entsteht, nur um es im Zweifelsfall wieder wegzuwerfen, und können dabei nicht einmal garantieren, dass dieses Vorgehen die Lebensumstände der Menschen verbessern wird. Es wäre ein Leichtes, aufgrund dessen anzunehmen, dass hier Fortschritt nur um des Fortschritt Willens erzwungen wird. Doch das ist nicht der Fall! Was Liberale wirklich antreibt, ist ein unbedingter Optimismus, das große Vertrauen darauf, dass mit mehr Freiheit die Welt verrückter, bunter und damit auch bezaubernder wird. Dieses Vertrauen übertragen wir auf jeden Bereich: Wir vertrauen auf den freien Menschen und feiern die Eigenverantwortung. Wir vertrauen auf den freien Markt und feiern die wachsenden Graphen. Wir vertrauen auf die freie Wissenschaft und feiern heute schon die Innovation von morgen. Während allen, die dieses Vertrauen in die Zukunft haben, jede Form des Konservatismus oft absurd erscheint, erscheinen sie selbst wiederum absurd für alle, die menschlicherweise an dem klammern, was sie in der Gegenwart sind und haben.
Und hier kommen wir zum Grundproblem des Liberalismus – wir können nichts versprechen. Wir bringen einen schlechten Deal für alle, die gern ein wenig Sicherheit hätten. Es gibt im Liberalismus kein Dogma. Es kann nie ein liberales Glaubensbekenntnis geben, dass für alle Ewigkeit Gültigkeit besitzt. Oder?
Im politischen Liberalismus wird gern versucht, diese Tatsache zu vertuschen, indem Wahlprogramme geschrieben und Versprechungen gemacht werden, die in einer Koalition zum Großteil sowieso nicht gehalten werden können. Doch während der politische Liberalismus allerlei Verrenkungen unternimmt, um ein konsistentes Bild in der Öffentlichkeit zu erzeugen, welches in der Konfrontation mit neuen Herausforderungen sofort wieder zerfällt, ist die Konkurrenz, klar im Vorteil. Konservatismus als Ideologie ist dem Liberalismus um Längen voraus, wenn es darum geht, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Auf ihm beruhen erfolgreiche Volksparteien mit Mehrheiten, von denen Liberale nur träumen können. Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, dass in Deutschland viele Menschen leben, die viel zu verlieren haben. Ältere, Wohlhabende, Menschen, die sich keine Gedanken um ihre Grundrechte machen müssen. Für diese Gruppen ist der Liberalismus mit seinen kühnen Versuchen, alles anders zu machen, eher ein Störenfried.
Wieso bin ich also liberal? Ja, ich bin Optimist. Und ja, ich glaube, dass mehr Freiheit langfristig auch immer zu mehr Glück führen wird. Doch möchte nicht auch ich zumindest ein wenig konkrete Sicherheit von der Ideologie geboten bekommen, der meine Werte unterliegen?
Diese Sicherheit, nach der sich zugegebenermaßen auch Liberale sehnen, denn auch sie sind nur Menschen – diese Sicherheit gibt es! Sie lässt sich in der Geschichte finden, in jedem gewagten Protest gegen Unterdrückung und Unrecht. Sie lässt sich in der Gegenwart finden, von der Debatte um Technologieoffenheit bis zur Unterstützung der Ukraine. Und sie wird sich auch in Zukunft finden lassen, denn komme, was wolle: für die Freiheit werden sich Liberale immer einsetzen. Ungeachtet der Verluste, die damit einhergehen.
Diese Perspektive kann der Liberalismus geben und das ist es, was wir den Konservativen voraus haben. Sie werden auf Lebzeit versuchen, Bestehendes zu erhalten, wie auch immer das Bestehende aussieht. Auch diskriminierende Strukturen und Vorurteile können aus diesem Ansatz heraus als erhaltenswert gelten. Liberale hingegen werden immer Veränderung suchen. Doch der Gegenstand unserer Ideologie, die Freiheit, bleibt seit Jahrhunderten unangetastet. Umso wichtiger ist es, dass wir anfangen, dieses großartige Versprechen des Liberalismus in den Vordergrund zu rücken und diese Sicherheit nicht zunichte machen, indem wir widersprüchlich zu ihr handeln.
Das liberale Glaubensbekenntnis existiert. Es lautet: Für die Freiheit wollen wir kämpfen. Immer. Und besonders dann, wenn es darauf ankommt.