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Mittelmaß ist keine Tugend

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Photo: Wikimedia Commons (CC 0) Deutschland wird zur Mittelmäßigkeit erzogen. An die Stelle von Tatkraft, Erfindergeist und Ambition tritt die Worthülse des Zusammenhalts. Das degradiert den Bürger vom selbstverantwortlichen Problemlöser zum ohnmächtigen Erfüllungsgehilfen der Staatsräson. Irgendwann wurde die Mittelmäßigkeit in Deutschland zur Tugend. Heutzutage müssen politische Parteien bis zur Unkenntlichkeit in „der Mitte“ verschmelzen, um beim Wähler anzukommen. Ideologische Unterschiede wurden so lange zu Kompromissen relativiert, bis sich die Wähler entweder den Irren an den Rändern des (demokratischen) Spektrums zuwenden oder aber gleich zu Hause bleiben. Und auch in der Wirtschaft sieht es nicht besser aus. Erstmals befindet sich unter den 100 wertvollsten börsennotierten

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Deutschland wird zur Mittelmäßigkeit erzogen. An die Stelle von Tatkraft, Erfindergeist und Ambition tritt die Worthülse des Zusammenhalts. Das degradiert den Bürger vom selbstverantwortlichen Problemlöser zum ohnmächtigen Erfüllungsgehilfen der Staatsräson.

Irgendwann wurde die Mittelmäßigkeit in Deutschland zur Tugend. Heutzutage müssen politische Parteien bis zur Unkenntlichkeit in „der Mitte“ verschmelzen, um beim Wähler anzukommen. Ideologische Unterschiede wurden so lange zu Kompromissen relativiert, bis sich die Wähler entweder den Irren an den Rändern des (demokratischen) Spektrums zuwenden oder aber gleich zu Hause bleiben. Und auch in der Wirtschaft sieht es nicht besser aus. Erstmals befindet sich unter den 100 wertvollsten börsennotierten Unternehmen der Welt kein einziges deutsches mehr. Zum Vergleich: Frankreich ist mit fünf Unternehmen, Großbritannien mit vier und die kleine Schweiz mit drei vertreten. Aber, aber! Deutschland ist doch das Land der „hidden Champions“, der starken Mittelständler mit stilsicherer Firmenkrawatte. Als ob irgendein Unternehmen irgendwann einfach aufhören würde zu wachsen, um nur bloß im Mittelstand zu bleiben. In Wahrheit ist das Mittelmaß keine Tugend. Es ist die schwache Rechtfertigung für eine tief verwurzelte Ambitions- und Mutlosigkeit und Ausdruck einer Politik, die keinen Sinn mehr für das Individuum hat.

Der Staat sollte den Menschen dienen

Individualismus gilt mittlerweile als obszön. In seiner Neujahrsansprache bemühte Olaf Scholz vor allem ein Narrativ: Zusammenhalt sei unser „größtes Pfund“. Erstmal ist das nichts als eine pathetische Worthülse. Was ist schließlich Ausdruck dieses Zusammenhalts? Etwa die gigantische schuldenfinanzierte Subventionierung von Energiekosten? Wurden zukünftige Generation denn gefragt, ob sie die Rechnung übernehmen wollen für eine jahrzehntelange fehlgeleitete Energiepolitik? Nein, diese Politik beruht nicht auf Zusammenhalt, sie beruht auf der Beruhigung der Massen in bester Bismarckscher Manier. Zusammenhalt ist das, was Ukrainer angesichts Putins Terror zeigen, oder Iranerinnern in ihrem Kampf für mehr Würde und Freiheit. Hier finden sich mutige Menschen aus freien Stücken und im klaren Bewusstsein der Kosten und Konsequenzen zu einer Sache zusammen, für die sie kämpfen: Das Überleben ihrer Kinder und Nachbarn, die Freiheit von Barbarei und Unterdrückung. Hier wird in einer Zeit größter Not das Wohl der Gemeinschaft zum obersten Ziel von Individuen. Glücklicherweise etwas, das in den letzten 70 Jahren in Deutschland geborene Menschen schwer nachvollziehen können.

Der „Zusammenhalt“, wie der Kanzler den abstrakten Staat pittoresk umschreibt, sollte grundsätzlich der Entfaltung der vielen Einzelnen dienen. Wie es Bundespräsident Roman Herzog anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens der Bundesrepublik im Jahr 1999 ausdrückte: „Unser Staat ist zuallererst ein freiheitlicher Rechtsstaat, der die Rechte und Würde seiner Bürger gewährt und sichert. Als die Mitglieder des Parlamentarischen Rates den Artikel 1 des Grundgesetzes formulierten (‚Die Würde des Menschen ist unantastbar‘), hatten sie keine unverbindliche Feiertags-Losung im Sinn. Sie wollten zunächst die radikale Absage an jeden Totalitarismus und an jede Staatsüberhöhung. Sie wollten einen dienenden Staat, der für die Menschen da ist – und nicht die Menschen für ihn.“

Das Mittelmaß wird zum präferierten Lebenskonzept

So gut und warmherzig sie zunächst klingen mag, die inhaltsleere Zusammenhalterhetorik des Kanzlers offenbart keinen Sinn für das Individuum. Sie hat nur die Egalisierung im Sinn. Und tatsächlich überhöht sie den Staat zum mystischen Retter und erniedrigt den Bürger zum ansonsten ohnmächtigen Erfüllungsgehilfen gesellschaftlichen Zusammenhalts. Damit propagiert Scholz ein Gesellschaftsbild, in dem das Mittelmaß das präferierte Lebenskonzept ist. Auf den Einzelnen kommt es hier nicht mehr an. Und der Einzelne hat auch keinen Grund, aus der Masse herauszustechen. Sein Lebenszweck ist es, Teil des großen Ganzen zu sein. Dies manifestiert sich in einem stetig wachsenden Staat, der seinen Bürgern immer mehr Verantwortung abnimmt. Und in einer politischen Elite, die das Streben danach, durch Leistung aus der Masse hervorzustechen, zur Obszönität erklärt.

Dabei bräuchte es gerade angesichts der großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, findige und mutige Menschen, die etwas bewirken wollen. Staaten werden weder die Auswirkungen der globalen Klimaveränderungen bewältigen können noch die Digitalisierung umsetzen oder Nachhaltigkeit mit Effizienz vereinen. Dafür braucht es keinen Zusammenhalt, es braucht Menschen, die mit ihren einzigartigen Ideen hervorstechen und andere inspirieren. Stellen wir uns doch nur einmal vor, der Bundeskanzler würde in seiner Neujahrsansprache besondere Leistungen unserer Mitbürger herausstellen. Also nicht die vermeintlichen Leistungen „seiner“ Regierung, sondern die der Menschen, für die er eigentlich arbeiten sollte; die Geschichten erfolgreicher Unternehmer, Wissenschaftler, Sportler, Künstler. Aber das würde ja bedeuten, den Einzelnen aus dem Kollektiv hervorzuheben.

„Sicherheit – Schießt dir in den Kopf mit deiner Kleinlichkeit“

Die vermeintliche Tugend der Mittelmäßigkeit ist uns in Fleisch und Blut übergegangen. Alles, was das Individuum herausstechen lässt, gilt als unschicklich: Wettbewerb, Ambitionen, Streben nach Erfolg, ja auch der Erfolg selbst. Das fängt in den Schulen ab, in denen Schulnoten abgeschafft werden. Es geht weiter im tertiären Bildungssektor, in dem am besten möglichst viele junge Menschen durch Universitäten geschleust werden sollen, ohne Rücksicht auf ihre Begabungen und Fähigkeiten. Und es mündet in eine Gesellschaft, in der sich der Einzelne lieber in der Masse versteckt und mit Missgunst und Neid auf die wenigen blickt, die herausstechen.

Das zeigt sich beispielsweise daran, dass mittlerweile über ein Viertel der Hochschulabsolventen eine Anstellung im öffentlichen Dienst anstreben. Verwalten statt Gründen ist hier die Devise. Ein risikoarmer und kalkulierbarer Lebensweg ist das Ziel. Und eine Gesellschaft, die sich nur noch verwaltet und in der keiner mehr Verantwortung übernimmt für sich und andere ist das Ergebnis. Eine Lebenseinstellung, die der Sänger „Faber“ so treffend ausdrückt mit „Sicherheit – Schießt dir in den Kopf mit deiner Kleinlichkeit“.

Der Austritt aus der selbstverschuldeten Mittelmäßigkeit

Zwei Mal wurden die Bürger des Landes zuletzt mit leeren Appellen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt konfrontiert, denn die Weihnachtsrede des Bundespräsidenten unterschied sich lediglich dadurch von der Neujahrsansprache des Kanzlers, dass sie (noch) weniger griffig war. Angesichts der bleiernen Lage im Land bräuchte es stattdessen einen Appell zum Austritt aus der selbstverschuldeten Mittelmäßigkeit. Und es bräuchte Vorbilder, die Tatkraft und Selbstverantwortung vorleben und den Mut aus ihren Mitmenschen herauskitzeln. Denn was gibt es denn Besseres als selbst etwas zu (er)schaffen? Egal in welcher Berufung.

Deshalb möchte ich zurückkehren zu Roman Herzog und Ihnen, quasi als Ersatz für die kläglichen Reden von Staatsoberhaupt und Regierungschef zum Jahreswechsel, mitgeben, was der damalige Bundespräsident in seiner „Ruck-Rede“ formulierte:

„Ich ermutige zur Selbstverantwortung, damit unsere jungen Menschen Freiheit als Gewinn und nicht als Last empfinden. Freiheit ist das Schwungrad für Dynamik und Veränderung. (…) Wir müssen unserer Jugend zu mehr Selbständigkeit, zu mehr Bindungsfähigkeit, zu mehr Unternehmensgeist und mehr Verantwortungsbereitschaft Mut machen. Wir sollten ihr sagen: Ihr müsst etwas leisten, sonst fallt ihr zurück. Aber: Ihr könnt auch etwas leisten. Es gibt genug Aufgaben in unserer Gesellschaft, an denen junge Menschen ihre Verantwortung für sich und das Ganze beweisen können. (…) Wir müssen jetzt an die Arbeit gehen. Ich rufe auf zu mehr Selbstverantwortung. Ich setze auf erneuerten Mut. Und ich vertraue auf unsere Gestaltungskraft. Glauben wir wieder an uns selber. Die besten Jahre liegen noch vor uns.“

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