Photo: Wikimedia Commons (CC 0) Die italienische Mafia fasst Fuß in Deutschland. Mit der Härte des Staates wird ihr nicht beizukommen sein. Stattdessen sollte der Staat die Nachfrage nach Mafia-Ordnung untergraben. Mafia-Gewalt: Jetzt auch bei Ihnen um die Ecke? Die Mafia ist in Deutschland angekommen – das ist der Tenor umfangreicher gemeinsamer Recherchen von FAZ und MDR, die in dieser Woche veröffentlicht wurden. Konkret geht es um die ‘Ndrangheta, die ausgehend von dem kleinen italienischen Örtchen San Luca (3600 Einwohner) ein weltumspannendes Netzwerk aufgebaut hat, das heute als die mächtigste Mafia der Welt gilt. In Deutschland wird die ‘Ndrangheta vor allem mit den sogenannten „Mafia-Morden von Duisburg“ in Verbindung gebracht. 2007 wurden dort vor einem italienischen Restaurant
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Die italienische Mafia fasst Fuß in Deutschland. Mit der Härte des Staates wird ihr nicht beizukommen sein. Stattdessen sollte der Staat die Nachfrage nach Mafia-Ordnung untergraben.
Mafia-Gewalt: Jetzt auch bei Ihnen um die Ecke?
Die Mafia ist in Deutschland angekommen – das ist der Tenor umfangreicher gemeinsamer Recherchen von FAZ und MDR, die in dieser Woche veröffentlicht wurden. Konkret geht es um die ‘Ndrangheta, die ausgehend von dem kleinen italienischen Örtchen San Luca (3600 Einwohner) ein weltumspannendes Netzwerk aufgebaut hat, das heute als die mächtigste Mafia der Welt gilt. In Deutschland wird die ‘Ndrangheta vor allem mit den sogenannten „Mafia-Morden von Duisburg“ in Verbindung gebracht. 2007 wurden dort vor einem italienischen Restaurant sechs Männer mit insgesamt 55 Schüssen ermordet – Täter wie Opfer kamen allesamt aus San Luca. Bringt die Mafia jetzt Gewalt, Drogen und Chaos über die Alpen nach Deutschland?
Die Mafia ist der Staat in der Unterwelt
Bei der Mafia klaffen Mythos und Realität weit auseinander. Assoziiert wird sie mit Drogen- und Menschenhandel und Chaos. Tatsächlich aber ist die vor allem eine auf die Bereitstellung von Ordnung spezialisierte kriminelle Organisation. Ihr Tätigkeitsfeld fällt in den Bereich der organisierten Kriminalität. Die organisierte Kriminalität unterscheidet vom Drogendealer um die Ecke, dass sie die Bereitstellung eines illegalen Gutes monopoliert. Beispielsweise den Handel mit bestimmten Drogen, Zwangsprostitution, illegales Glücksspiel oder unregulierte Kredite. Die Mafia mag auch hier ihre Finger im Spiel haben, doch anders als häufig angenommen ist das nicht ihr Kerngeschäft.
Im Grunde ist die Mafia nämlich ein Dienstleister. Sie tritt dann in Erscheinung, wenn der Staat entweder nicht dazu in der Lage oder nicht gewillt ist, Ordnung bereitzustellen. Wer in Deutschland einen legalen Vertrag schließt (etwas, das wir alltäglich dutzende Male tun, vom Einkauf beim Bäcker bis zum Betreten des Fitness-Studios), der kann sich zumeist darauf verlassen, dass das Gegenüber die vereinbarte Leistung erbringt. Im Hintergrund regelt das Bürgerliche Gesetzbuch wie solche Verträge zustande kommen und im Notfall stehen Polizei und Gerichte bereit, um Dispute zu lösen und Ansprüche durchzusetzen. Auch wenn wir staatliche Institutionen in den seltensten Fällen tatsächlich benötigen, wären wir ohne sie (erst einmal) komplett aufgeschmissen. Wir könnten unserem Gegenüber schlicht nicht mehr vertrauen. Deshalb sind stabile, verlässliche und berechenbare Institutionen so wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes.
Was der Staat für den legalen Teil unserer Gesellschaft, das ist die Mafia für die Unterwelt. Sie reguliert und setzt durch, wenn der Staat unzuverlässig und korrupt ist oder nicht zur Verfügung steht.
Einflussreiche Mafias sind ein Indikator für Staatsversagen
Dabei geht die Mafia keinesfalls zimperlich vor. Ihr primäres Instrument ist die Gewalt und ihr regionales Gewaltmonopol ist durch nichts anderes als ihre Präsenz legitimiert. Im Umkehrschluss bedeutet das: Menschen, die sich auf die Mafia einlassen, brauchen sehr gute Gründe dafür. Und die gibt es, das zeigt die Geschichte, immer wieder. Beispielsweise in Osteuropa nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, als Polizisten ihren ausbleibenden Sold direkt von Geschäftsbesitzern erpressten und die Mafia verlässlichen Schutz gegen den noch unberechenbareren Staat bot. Oder in den USA der 20er Jahre, als eine Organisation benötigt wurde, die trotz Prohibition den Alkoholhandel regulierte. Oder eben im Sizilien des 19. Jahrhunderts, in dem der Staat so weit weg und so schwach war, dass die Cosa Nostra die Durchsetzung von Eigentumsrechten übernahm.
Was alle diese Fälle gemeinsam haben, ist das Staatsversagen. Mafia-Ordnung, so unberechenbar und gefährlich sie ist, wird dann nachgefragt, wenn der Staat seiner Ordnungsfunktion nicht nachkommt. Und der globale „War on Drugs“ beispielsweise ist im Grunde nichts anderes als Staatsversagen. Würde der Staat den Handel mit Drogen regulieren und ordnen, würde die Mafia auf einen Schlag ihren ertragreichsten Geschäftszweig verlieren. In der Abwesenheit des Staates hingegen ist Mafia-Ordnung immer noch besser als überhaupt keine Ordnung. Warum das so ist, illustriert Fall der ‘Ndrangheta in Deutschland. So belegen die Ermittlungsdokumente, auf die sich MDR und FAZ berufen, dass die Duisburger Mafia-Morde keinesfalls folgenlos blieben. So regelt nun ein „Crimine di Germania“ die Aktivitäten und Beziehungen des losen Verbundes der ‘Ndrangheta-Untergruppen in Deutschland. Dieser aus 9 Mafiosi bestehender Rat erfüllt die Kernfunktion der Mafia: er schafft Ordnung, setzt Regeln und schlichtet Dispute (damit sich Duisburg nicht wiederholt). Damit produziert die Mafia aus eigenem Interesse positive externe Effekte für die gesamte Gesellschaft. Denn ausufernde Gewalt ist immer ein Zeichen von Ineffizienz und kommt letztlich nicht nur die Gesellschaft und die Beteiligten teuer zu stehen, sondern auch die Mafia, die unliebsame Aufmerksamkeit erfährt. Chaos ist nicht gut fürs Business.
Mit Gewalt kann die Mafia nicht besiegt werden
Was bedeutet das für den Umgang mit der Mafia in Deutschland? Ziel staatlichen Handelns sollte es ohne jede Frage sein, die Entstehung von Mafias zu vermeiden. Denn je länger der Staat den globalen Mafias die Regulierung bestimmter Wirtschaftsbereiche einfach überlässt, desto fester sitzen die Paten im Sattel. Und auch wenn Mafia-Ordnung besser als keine Ordnung ist, ist sie doch willkürlich, brutal und unberechenbar. Es ist das Wunderbare an unseren liberalen Demokratien, dass die ordnungsgebende Gewalt an Gerichte und Verfassungen gebunden ist, und nicht nur durch Gewalt sondern durch Wahlen legitimiert ist. Doch das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Mafias und Staaten zwei Seiten derselben Medaille sind. Beide streben ein regionales Gewaltmonopol an, der Unterscheid liegt lediglich in der Legitimation. Und das bedeutet auch, dass sie im direkten Wettbewerb miteinander stehen.
Und das ist des Pudels Kern: Der Wettbewerbsvorteil der Mafia ist die Gewalt – der Wettbewerbsvorteil des liberalen Rechtsstaates ist die kostengünstige und verlässliche Bereitstellung von ordnenden Institutionen. Dass ist der Grund, warum es unmöglich ist, die Mafia mit der Härte des Staates zu besiegen – denn die Mafia ist schlicht effizienter in der Ausübung von klandestiner Gewalt. Stattdessen sollte der Staat dort die Nachfrage nach Mafia-Ordnung untergraben, wo er selbst einen Moralkrieg gegen die Bürger führt. Beispielsweise durch ein Ende der Drogenprohibition und die vollkommene Legalisierung von Sexarbeit und Glücksspiel.
Denn am Ende ist Mafia-Ordnung eben nur ein Angebot, das man doch ablehnen kann. Vorausgesetzt das Ordnungsangebot des Staates ist gut genug.
Weiterführende Links und Empfehlungen:
… über die Recherchen von MDR und FAZ: https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kalabrische-mafia-ndrangheta-spurensuche-in-bunkern-und-akten-17184245.html?premium#wurzeln
… über Mafias und die organisierte Kriminalität aus Sicht der Ökonomik der Kriminalität: „What is Organised Crime“ von Federico Varese (englisch)
… über die Organisation und Aktivitäten der sizilianischen Mafia: „The Sicilian Mafia: The Business of Private Protection” von Diego Gambetta (englisch)
… über die positiven externen Effekte von organisierter Kriminalität: „A Defense of Organized Crime“ von James Buchanan (englisch)