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Kein Wohlstand ohne Vertrauen

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Photo: Atlas Network from Flickr Wenn es um Wohlstand für die Ärmsten der Welt geht, kennt die öffentliche Debatte häufig nur zwei zentrale Lösungen: mehr Markt oder mehr Staat. Der Geburtstag einer der größten Sozialwissenschaftlerinnen des 20. Jahrhunderts erinnert uns daran, dass dies nicht die einzigen beiden gangbaren Wege sind, um den Weg zum Wohlstand der Nationen einzuschlagen. Im Jahr 2009 gewann mit der US-Amerikanerin Elinor Ostrom das erste Mal eine Frau den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften, die neben zahlreichen Feldern der Sozialwissenschaft auch die Frage nach dem Wohlstand der Nationen durch neue Perspektiven verändert und bereichert hat. Heute wäre die Politikwissenschaftlerin 87 Jahre alt geworden. Wenn es heute um die Frage geht, wie eine

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Wenn es um Wohlstand für die Ärmsten der Welt geht, kennt die öffentliche Debatte häufig nur zwei zentrale Lösungen: mehr Markt oder mehr Staat. Der Geburtstag einer der größten Sozialwissenschaftlerinnen des 20. Jahrhunderts erinnert uns daran, dass dies nicht die einzigen beiden gangbaren Wege sind, um den Weg zum Wohlstand der Nationen einzuschlagen.

Im Jahr 2009 gewann mit der US-Amerikanerin Elinor Ostrom das erste Mal eine Frau den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften, die neben zahlreichen Feldern der Sozialwissenschaft auch die Frage nach dem Wohlstand der Nationen durch neue Perspektiven verändert und bereichert hat. Heute wäre die Politikwissenschaftlerin 87 Jahre alt geworden.

Wenn es heute um die Frage geht, wie eine Gesellschaft wohlhabend wird, geben Ökonomen meist eine von zwei Antworten. Die eine Position sagt: Wir brauchen mehr Staat. In Form keynesianischer Stimuli muss den armen Ländern ein herzhafter Schubs gegeben werden – dann wächst der Wohlstand alleine weiter. Die andere Position sagt: Der Markt regelt das. Privatisierungen und Deregulierungen schaffen das Spielfeld  – dann bringt sich der Wohlstand das Wachsen selbst bei.

Es gibt mehr als nur Markt und Staat

Elinor Ostrom hingegen zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich aus der simplen Zweiteilung „Markt vs. Staat“ befreit und ein Kernproblem erkennt, für das es unzählige unterschiedliche Lösungen geben kann: Die Tragik, dass menschliche Kooperation nicht so funktioniert wie es sich Sozialwissenschaftler von Marx bis Bastiat immer vorgestellt haben. Wenn Menschen kooperieren und handeln, dann können sie Güter nach ihren Präferenzen austauchen, sich spezialisieren, Arbeit teilen und investieren – sprich Wohlstand aufbauen. Doch liegt die Tragik in dem Fakt, dass Kooperation Vertrauen voraussetzt. Dies wiederum ist kein selbstverständliches Phänomen in einer Gesellschaft. Wer in einer dysfunktionalen Gesellschaft lebt, wird ausgenutzt, wenn er anderen vertraut. Niemand investiert und handelt, wenn man dauernd Angst haben muss, über den Tisch gezogen zu werden. Ostrom argumentiert, dass es einer Gesellschaft gelingen muss, Institutionen auszubilden, die Menschen helfen, einander zu vertrauen, damit gegenseitig gewinnbringender Handel möglich ist. In mühevoller, jahrzehntelanger empirischer Detailarbeit erforschte Ostrom eine Vielzahl von Institutionen, die Vertrauen und damit Kooperation ermöglichen. Von alpinen Forstlandschaften in der Schweiz über kommunale Gemeinschaftsgüter in Japan bis hin zu lokalen Bewässerungsanlagen in Spanien zeigte sie, dass Menschen vor Ort dezentrale Lösungen schaffen, um Vertrauen zu stiften und Kooperation zu stimulieren.

Während Ostrom ihre Theorie hauptsächlich auf das Management natürlicher Ressourcen anwandte und zeigte, dass Menschen in der Lage sind, einzigartige Institutionen zu finden, um ökologische Probleme zu lösen, beschreibt der Ökonom John McMillian in einer Weiterentwicklung ihrer Theorie eindrucksvoll ein ähnliches Problem in der Entwicklungsökonomik.

Dezentrale Schöpfungskraft statt zentrales Reißbrett

Kommunistische Regime haben zuhauf Beispiele geliefert, wie ein zentralistischer Staat zu unvorstellbarem Leid führt anstatt zu Wohlstand. Zugleich haben viele nach dem Fall des Eisernen Vorhangs von oben verordnete marktwirtschaftliche Schocktherapien nicht das gewünschte Ergebnis gebracht.

Ein besonders anschauliches Beispiel hierfür ist das post-sowjetische Russland. 1992 schaffte die russische Regierung unter Führung des Reformers Jegor Gaidar alle herrschenden Preiskontrollen ab, staatliche Firmen wurden privatisiert und der Staatshaushalt konsolidiert. Der abrupte Systemwechsel führte aber nicht zu den von den Ökonomen erwarteten positiven Konsequenzen. Im Gegenteil: die Implosion der noch intakten politischen und ökonomischen Institutionen führte zu einem drastischen Rückgang des Lebensstandards und massiv reduziertem Wirtschaftswachstum. Der Produktionsrückgang wird heute u.a. auf zerstörte Vertrauensverhältnisse innerhalb der russischen Ökonomie zurückgeführt. Wie Ostrom darlegte, ist Ökonomie ein kooperativer Prozess, der Vertrauen voraussetzt. Herrscht kein Vertrauen zwischen Individuen, kann auch kein Wachstum stattfinden. Das Design eines neuen ökonomischen Systems am Reißbrett zerstörte die existierenden Vertrauensverhältnisse in der post-kommunistischen Ökonomie, die so schnell nicht wieder aufbaubar sind.

So wie eine Vielzahl von Ökonomen den Misserfolg der ökonomischen Schocktherapie nicht vorhersahen, war der Erfolg der dezentralen Maßnahmen im chinesischen System für sie auch eine Überraschung.

Vertrauensstiftende Institutionen sind nicht planbar

Unter dem Eindruck der kolossal gescheiterten chinesischen Gesellschaftspläne während des „Großen Sprungs nach Vorn“ und der Kulturrevolution wählte die Kommunistische Partei Chinas ab den 1980er Jahren nicht den Weg einer zentralen Schocktherapie, sondern entschied sich für dezentrale und graduelle Reformen. Der Rückzug des kommandierenden Zentralstaates erlaubte einer neuen, überraschenden Art von Firma den Durchbruch, die weder privat noch staatlich war:

Hauptsächlich lokalisiert in ländlichen Gegenden, gab es keine klare Eigentümerstruktur für diese Unternehmungen. Sie wurden vielmehr von den Dorfgemeinschaften vor Ort betrieben. Die Firmen hatten keinen Zugang zu Kreditmärkten – sie beschafften sich Mittel aus lokalen Quellen. Im Gegensatz zu den Erwartungen der ökonomischen Orthodoxie wirtschafteten die Unternehmen trotzdem effizient, weil sie in intensiven Wettbewerbsmärkten agierten und sich Ineffizienzen nicht leisten konnten. McMillan sieht in diesem Hybrid aus privaten und staatlichen Unternehmen wichtige Institutionen, die den ökonomischen Erfolg Chinas in den 1990er wesentlich ermöglicht haben, weil sie Vertrauen stifteten und Kooperation ermöglichten.

Elinor Ostroms Theorien zeigen ihre Relevanz in der aktuellen Frage nach dem Wohlstand der Nationen: Nur gesellschaftliches Vertrauen untereinander macht gewinnbringende ökonomische Kooperation möglich. Wie die Reformen in Russland und China aber zeigen, ist die Bereitstellung des Gutes Vertrauen keine Selbstverständlichkeit. Deshalb ist Ostroms Forschung heute wichtiger denn je, indem sie uns zeigt, dass Marktwirtschaft und ein effizienter Staat mehr brauchen als einen von oben herab verordneten Plan. Es braucht dezentrale Strukturen. Denn nur dort können sich Institutionen entwickeln, die eine wohlhabende Vertrauensgesellschaft prägen.

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