Photo: Septikphoto from Flickr (CC BY 2.0) Heute endet das Weltwirtschaftsforum in Davos und eine Schlagzeile titelt: weltweit verlieren die Menschen das Vertrauen in den Kapitalismus. 56% der Menschen weltweit vertrauen nicht mehr darauf, dass der „Kapitalismus wie er heutzutage existiert in der Welt mehr Gutes als Schaden anrichtet.“ Die Studie der Kommunikationsagentur Edelman, die mittlerweile zum zwanzigsten Mal erschien und weltweit auf allen Kontinenten mehr als 34.000 Menschen befragt hat, zeichnet mit diesem Befund ein düsteres Bild der Wahrnehmung des Kapitalismus. Während sich das Statement gut in den Schlagzeilen der Medienhäuser macht, darf gezweifelt werden, was im Edelman Trust Barometer eigentlich gemessen wurde. Denn mangelndes Vertrauen der Bürger in den Kapitalismus
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Heute endet das Weltwirtschaftsforum in Davos und eine Schlagzeile titelt: weltweit verlieren die Menschen das Vertrauen in den Kapitalismus. 56% der Menschen weltweit vertrauen nicht mehr darauf, dass der „Kapitalismus wie er heutzutage existiert in der Welt mehr Gutes als Schaden anrichtet.“ Die Studie der Kommunikationsagentur Edelman, die mittlerweile zum zwanzigsten Mal erschien und weltweit auf allen Kontinenten mehr als 34.000 Menschen befragt hat, zeichnet mit diesem Befund ein düsteres Bild der Wahrnehmung des Kapitalismus.
Während sich das Statement gut in den Schlagzeilen der Medienhäuser macht, darf gezweifelt werden, was im Edelman Trust Barometer eigentlich gemessen wurde. Denn mangelndes Vertrauen der Bürger in den Kapitalismus unterstellt natürlich auch mangelndes Vertrauen in die Grundlagen der liberalen Wirtschaftsordnung: dezentrale politische Organisation, Güterproduktion und Arbeitsverhältnisse durch private Unternehmen sowie eine starke Kontrolle von Staat und privaten Akteuren durch eine lebendige Zivilgesellschaft. Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass die Befragten dem, was sie unter Kapitalismus verstehen, zwar sehr skeptisch gegenüberstehen, den drei entscheidenden Grundpfeilern der liberalen Wirtschaftsordnung aber sehr viel Vertrauen entgegenbringen.
Eine dezentrale politische Ordnung wird aus zwei Gründen einer zentralistischen Ordnung vorgezogen: Zum einen ist Sorge gegenüber der Machtkonzentration in einem Zentralstaat angebracht. Wenn dieser seine Macht missbraucht, kann der Staat nur unter enorm hohen Kosten verlassen werden. Ein Föderalstaat bietet mehr Möglichkeiten, sich innerhalb von vielen kleinen Einheiten diejenige auszusuchen, die einem am besten gefällt. Zum anderen wissen Regierungen in Hannover und Wiesbaden eher Bescheid, was Ihre Bürger brauchen, wollen und sich leisten können, als eine Regierung in Berlin oder Brüssel. Diese Argumente bestätigen sich im Trust Barometer, wenn man die Vertrauenswerte lokaler Regierungen, mit denen der zentralen Regierung vergleicht. In 18 von 24 Ländern vertrauen Menschen ihren lokalen Regierungen mehr als der weit entfernten Zentralregierung. In Deutschland vertrauen 54% der Befragten den Landesregierungen, während nur 45% der Bundesregierung Vertrauen schenken.
Neben Regierungen als gesellschaftlichen Institutionen analysiert Edelman auch das Vertrauen der Bürger in zwei weitere gesellschaftlichen Institutionen: private Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Gesellschaftliches Vertrauen für eine Institution speist sich aus Kompetenz und Ethik. Dabei bedeutet Kompetenz, dass eine Institution gut ist, in dem was sie tut. Ethik wiederherum bedeutet, dass eine Institution idealistisch, ehrlich und fair ist. Während viele Zentralregierungen weder als kompetent noch als ethisch eingeschätzt werden, können die privaten Unternehmen mit Kompetenz punkten: Eine Mehrheit der Bürger weltweit vertraut auf Unternehmen als Motor für Innovationen und zukünftige ökonomische Entwicklung. Zudem erwarten 74% aller Bürger, dass sich CEOs von großen Unternehmen vermehrt für Wandel einsetzen werden – sowohl durch ihre Produkte als auch durch ihre Vorbildfunktion. Ganz besonders deutlich wird die überraschend positiv bewertete Rolle privater Unternehmen, wenn die Befragten nicht mehr allgemein über ihr Vertrauen zu allen Unternehmen gefragt werden, sondern zu ihrem eigenen bzw. demjenigen, bei dem sie angestellt sind. Ähnlich wie bei der Frage nach (de-)zentralen Regierungen, vertrauen Arbeitnehmer ihrem eigenen Arbeitgeber mit starken 76%.
Während die gesellschaftliche Institution des privaten Unternehmertums als kompetente Institution auftrumpft, zeigt das Trust Barometer auch, wie NGOs als die moralische Kraft im gesellschaftlichen Diskurs wahrgenommen werden. Während Regierungen und Unternehmen nicht zugetraut wird, sich für moralische Fragen einzusetzen, vertrauen Bürger darauf, dass NGOs am kompetentesten für den Schutz der Umwelt eintreten, sich für den Schutz von Menschenrechten einsetzen und sich gegen Armut, Analphabetismus und schwere Krankheiten engagieren.
Skepsis gegenüber den Versprechen einer zentralen Regierung, Vertrauen auf die Kompetenz des privaten Unternehmertums und die moralische Integrität einer vielfältigen Zivilgesellschaft und zugleich überwältigendes Misstrauen gegenüber dem Kapitalismus: Wie kann das zusammenpassen?
Das Trust Barometer zeigt eindeutig, dass der Begriff Kapitalismus mittlerweile für viele Menschen einfach nicht mehr die Grundpfeiler einer liberalen Wirtschaftsordnung beschreibt, denen sie immer noch vertrauen. Anders als während des Kalten Krieges steht der Begriff Kapitalismus nicht mehr für die positiven Errungenschaften des Westens – Machtverteilung, Privateigentum und bürgerschaftliches Engagement. Er steht für einen Staat, der mehr und mehr Macht über das Wirtschaftsgeschehen übernommen hat. Diese Macht haben „crony capitalists“ – Korporatisten – für sich entdeckt und setzen alle Hebel in Bewegung um sie zu beeinflussen.
Kapitalismus steht für VW, Banken und Pharma. Er steht nicht mehr für den Aufstieg von hunderten Millionen Menschen aus der extremen Armut in den letzten 30 Jahren, sondern für Politiker und Konzernlenker, die vor verschneiten Bergen stehen und sich zur nächsten Runde von Subventionen und Kungelei beglückwünschen.
Deshalb sollten wir keine Schnellschüsse aus der Kapitalismusskepsis ziehen. Die Daten aus der Edelman Studie geben uns Hoffnung, dass die Grundpfeiler der liberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung weiterhin großes Vertrauen in der Gesellschaft genießen – nur wird dieses Set an Werten und Institutionen eben nicht mehr durch den Begriff Kapitalismus beschrieben.