Bisher konnte für die Bundesrepublik Deutschland kein Lohneffekt eines zusätzlichen Schuljahres festgestellt werden. In einer neuen Replikation einer vielzitierten Studie zeigt sich nun aber, dass dieser Befund nicht stabil und möglicherweise verzerrt ist. Die Frage, welchen Wert die Bildung für den Einzelnen und die Gesellschaft stiftet, beschäftigt die Forschung seit Langem. Sie spielt auch in der aktuellen Debatte um die langfristigen ökonomischen Folgen der Corona-bedingten Schulschließungen eine wichtige Rolle (z.B. Wößmann, 2020). Aus der ökonomischen Sicht wird Bildung als Kapitalinvestition betrachtet, welche sich später im Leben durch höhere Löhne auszahlen soll. Der Grundgedanke dabei ist, dass Menschen durch eine längere Bildung ihr Wissen, ihre Fähigkeiten und
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Bisher konnte für die Bundesrepublik Deutschland kein Lohneffekt eines zusätzlichen Schuljahres festgestellt werden. In einer neuen Replikation einer vielzitierten Studie zeigt sich nun aber, dass dieser Befund nicht stabil und möglicherweise verzerrt ist.
Die Frage, welchen Wert die Bildung für den Einzelnen und die Gesellschaft stiftet, beschäftigt die Forschung seit Langem. Sie spielt auch in der aktuellen Debatte um die langfristigen ökonomischen Folgen der Corona-bedingten Schulschließungen eine wichtige Rolle (z.B. Wößmann, 2020).
Aus der ökonomischen Sicht wird Bildung als Kapitalinvestition betrachtet, welche sich später im Leben durch höhere Löhne auszahlen soll. Der Grundgedanke dabei ist, dass Menschen durch eine längere Bildung ihr Wissen, ihre Fähigkeiten und Kompetenzen verbessern und somit später beim Ausüben ihrer Arbeitstätigkeiten produktiver werden, was wiederum durch ein höheres Erwerbseinkommen entlohnt wird. So zumindest die Humankapitaltheorie (Schultz, 1961; Becker, 1964; Mincer, 1974). In der Praxis ist der Nachweis einer sogenannten Bildungsrendite schwierig, da unbeobachtete oder schwer zu messende Faktoren (wie bspw. Begabung, intrinsische Motivation) bildungsspezifische Lohndifferenzen mitbeeinflussen können und somit zu Verzerrungen bei der Schätzung der Bildungsrendite führen.
Prominente Studie fand keinen lohnsteigernden Effekt von Schuldbildung
Aufgrund dessen haben zahlreiche empirische Studien die Lohneffekte von Pflichtschulzeitverlängerungen in verschiedenen Ländern und Zeiträumen untersucht (z.B. Meghir & Palme, 2005; Brunello et al., 2009; Oreopoulos, 2006; Devereux & Hart, 2010; Bhuller et al., 2017), da aufgrund von gesetzlichen Veränderungen ein quasi-experimentelles Setting vorliegt, womit kausale Wirkungen von anderweitig verursachten Zusammenhängen isoliert werden können. In den meisten Studien wurden beachtenswerte Bildungsrenditen von durchschnittlich 6% - 12% pro Schuljahr ermittelt. Eine prominente Ausnahme davon ist die Studie von Pischke & von Wachter (2008), die keinen signifikanten Lohneffekt der Pflichtschulzeitverlängerung in der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik Deutschland nachweisen konnte. Diese „Nullrendite“ wurde international anerkannt, viel zitiert und inzwischen in einem anderen Datensatz repliziert (Kamhöfer & Schmitz, 2016).
Nullrendite von Schuldbildung hält Robustheitsanalyse nicht stand
In einer aktuellen Studie (Cygan-Rehm, 2021) greife ich die Originalergebnisse von Pischke & von Wachter (2008) auf und überprüfe den Einfluss bestimmter Daten- und Spezifikationsentscheidungen auf ihre Befunde. Zunächst wird auf der Datenbasis der BIBB/IAB-Erhebungen „Qualifikation und Berufsverlauf“ (BIBB/IAB, verschiedene Jahre) das Hauptergebnis der Originalstudie repliziert. Dabei dienen die gesetzlichen Verlängerungen der Vollzeitschulpflicht in den alten Bundesländern von acht auf neun Jahre als Instrument für die individuelle Schulzeitdauer. Der kausale Effekt eines zusätzlichen Bildungsjahres wird im Rahmen einer Instrumentenvariablenanalyse geschätzt. Obwohl an den Daten inzwischen mehrere Revisionen vorgenommen wurden, liefert eine reine Replikationsanalyse nahezu identische Schätzergebnisse. Allerdings legt die anschließende Robustheitsanalyse nahe, dass das insignifikante Resultat unter Verwendung von anderen plausiblen Modellspezifikationen und Stichprobenabgrenzungen nicht standhält. Beispielsweise zeigt sich, dass die geschätzte Bildungsrendite statistisch signifikant und ökonomisch relevant ausfällt, wenn die Analysestichprobe geringfügig bezüglich der berücksichtigten Geburtsjahrgänge oder Altersjahre modifiziert wird. Ebenso wird die Nullrendite widerlegt, wenn die Lohndaten um Ausreißer bereinigt werden oder alternative Methoden zum Umgang mit fehlenden Informationen anwendet werden. Erweiterte Modellspezifikationen, welche für andere Schulreformen der Nachkriegszeit (insb. Kurzschuljahre und temporäre Schulzeitverlängerungen) kontrollieren, deuten ebenso darauf hin, dass sich ein zusätzliches Bildungsjahr durchaus positiv auf die Löhne auswirkt.
Insgesamt liefern die zahlreichen alternativen Schätzungen klare Hinweise auf die Existenz von signifikanten Bildungsrenditen in Deutschland. Die geschätzte Effektgröße steht im Einklang mit bestehender Evidenz aus anderen europäischen Ländern. Im Allgemeinen unterstreicht die aktuelle Studie die Notwendigkeit etablierte Forschungsergebnisse zu überprüfen, da eine Neubewertung zu grundverschiedenen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Implikationen führen kann.
Becker, G. S. (1962). Investment in human capital: A theoretical analysis. Journal of Political Economy 70(5), 9–49.
Bhuller, M., M. Mogstad, und K. G. Salvanes (2017). Life-cycle earnings, education premiums, and internal rates of return. Journal of Labor Economics 35(4), 993–1030.
BIBB/IAB (verschiedene Jahre). Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), Berlin; Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg: Qualifikation und Berufsverlauf 1979-1998/99. GESIS Datenarchiv, Köln. doi:10.4232/1.1243 (1979), doi:10.4232/1.12563 (1985/86), doi:10.4232/1.2565 (1991/92), doi:10.4232/1.12247 (1998/99)
Brunello, G., M. Fort, und G. Weber (2009). Changes in compulsory schooling, education and the distribution of wages in Europe. Economic Journal 119(536), 516–539.
Cygan-Rehm K. (2021). Are there no wage returns to compulsory schooling in Germany? A Reassessment. Journal of Applied Econometrics (im Erscheinen).
Devereux, P. J. und R. A. Hart (2010). Forced to be rich? Returns to compulsory schooling in Britain. Economic Journal 120(549), 1345–1364.
Kamhöfer, D. A. und H. Schmitz (2016). Reanalyzing zero returns to education in Germany. Journal of Applied Econometrics 31(5), 865–872.
Meghir, C. und M. Palme (2005). Educational reform, ability, and family background. American Economic Review 95(1), 414–424.
Mincer, J. (1974). Schooling, Experience, and Earnings. New York: Columbia University Press.
Oreopoulos, P. (2006). Estimating average and local average treatment effects of education when compulsory schooling laws really matter. American Economic Review 96(1), 152–175.
Pischke, J.-S. und T. von Wachter (2008). Zero returns to compulsory schooling in Germany: Evidence and interpretation. Review of Economics and Statistics 90(3), 592–598.
Schultz, T. W. (1961). Investment in human capital. American Economic Review 51(1), 1–17.
Wößmann, L. (2020). Folgekosten ausbleibenden Lernens: Was wir über die Corona-bedingten Schulschließungen aus der Forschung lernen können. ifo Schnelldienst 73(06), 38–44.
©KOF ETH Zürich, 28. Jul. 2021