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Coronakrise: Die Schweiz hat die Balance verloren

Summary:
Die Schweiz entscheidet bei Zielkonflikten in der Pandemiebekämpfung zuungunsten der Gesundheit und mittelfristig auch gegen die wirtschaftliche Erholung. Weitere Kontakteinschränkungen und der Verzicht auf rasche Lockerungen sowie zeitlich begrenzte und moderate Überbrückungshilfen für betroffene Branchen können die verlorene Balance wiederherstellen. Die Schweiz hat in der Pandemiebekämpfung die Balance zwischen gesundheitspolitischen und wirtschaftlichen Massnahmen verloren. Sie entscheidet die Zielkonflikte zuungunsten der Gesundheit und mittelfristig auch gegen die wirtschaftliche Erholung, weil sie zu früh das Ende der Pandemie eingeläutet hat. Ein neues Massnahmenpaket, welches auf rasche Lockerungen verzichtet und weitere Einschränkungen der Kontakte beinhaltet, gepaart

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Hans Gersbach considers the following as important:

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Die Schweiz entscheidet bei Zielkonflikten in der Pandemiebekämpfung zuungunsten der Gesundheit und mittelfristig auch gegen die wirtschaftliche Erholung. Weitere Kontakteinschränkungen und der Verzicht auf rasche Lockerungen sowie zeitlich begrenzte und moderate Überbrückungshilfen für betroffene Branchen können die verlorene Balance wiederherstellen.

Die Schweiz hat in der Pandemiebekämpfung die Balance zwischen gesundheitspolitischen und wirtschaftlichen Massnahmen verloren. Sie entscheidet die Zielkonflikte zuungunsten der Gesundheit und mittelfristig auch gegen die wirtschaftliche Erholung, weil sie zu früh das Ende der Pandemie eingeläutet hat. Ein neues Massnahmenpaket, welches auf rasche Lockerungen verzichtet und weitere Einschränkungen der Kontakte beinhaltet, gepaart mit zeitlich begrenzten und moderaten Überbrückungshilfen für direkt betroffene Branchen, kann diese Balance wiederherstellen. Mit einer starken Impfkampagne könnte dann bald die vollständige wirtschaftliche Erholung eingeleitet werden.

Verengter Spielraum

Die Schweiz hat sich in der COVID-19 Pandemie in eine prekäre Situation manövriert oder sich manövrieren lassen. Mit leichteren Einschränkungen sollte die zweite Welle stabilisiert, reduziert und dann ein Zustand erreicht werden, der bis zur Wirkung der Impfungen erträglich anhält.  Die Kantone sollten zusätzliche Massnahmen ergreifen, um regionale Verschärfungen des Infektionsgeschehens zu bekämpfen. Diese Strategie wurde durch die Fortführung wirtschaftlicher Programme wie der Kurzarbeit unterstützt und mit einer Härtefallregelung ergänzt.

Ein solches Vorgehen ist ausgehend von Informationen, wie sie im Oktober 2020 vorlagen, zwar riskant, aber durchaus nachvollziehbar. Sie hat sich aber spätestens im Dezember 2020 als eine Blockade für bessere Lösungen herausgestellt. Mit der Härtefallregelung hatte man eigentlich schon das Ende der Pandemie eingeläutet. Härtefallregelungen sind nämlich das letzte Mittel, sowohl zeitlich wie auch wirtschaftlich, um eine Krisensituation abzuschliessen. Härtefallregelungen sollen einzelnen Firmen, welche besonders starke Einbrüche ihres Geschäfts durch die Pandemie erleiden, aber ein gutes Geschäftsmodell für die Zeit nach der Pandemie haben, ermöglichen, dass sie nach der Pandemie weiterleben können.

Der Wunsch, das Ende der Pandemie einzuläuten wird zudem durch die Impfmöglichkeiten verstärkt. Bei hohen Infektionszahlen, möglichen weiteren Komplikationen durch Mutationen des Virus, einer starken bis extremen Auslastung der Spitalkapazitäten an Intensivbetten und ausgebildeten Personal und Coronavirus-Todesfällen, welche pro Kopf aktuell zu den höchsten in Europa oder sogar weltweit gehören, ist es zu früh, auf das nahende Ende der Pandemie zu setzen. Es nimmt den Spielraum für sinnvolle Massnahmenpakete und führt dazu, dass die Einschränkungen und damit die Reduktion der Kontakte zur Bekämpfung der Pandemie nicht weit genug gehen.

Wenn es ganz eng in den Spitälern wird, dann reagieren zwar die Kantone mit schärferen Massnahmen wie zum Beispiel mit weitgehenden Ladenschliessungen. Allerdings ist das keine effiziente Lösung. Einerseits führt es zu einem Zyklus an Lockerungen und Einschränkungen in einzelnen Kantonen oder Regionen, ohne die Infektionszahlen nachhaltig zu senken. Zudem können Lockerungen in benachbarten Kantonen die Infektionszahlen im eigenen Kanton wieder ansteigen lassen, da die Dienstleistungen in den benachbarten Kantonen nachgefragt werden. Bei der Grösse der Schweiz und den aktuellen Infektionszahlen, welche nicht so unterschiedlich zwischen den Kantonen sind, muss der Hauptteil der Einschränkungen auf Bundesebene beschlossen werden oder wenigstens durch die Koordination aller Kantone.    

Einschränkungen und Unterstützungsmassnahmen als Paket

Auch aus ordnungspolitischer Sicht, in der die fiskalische Solidität des Staates immer im Zentrum steht, ist die Bekämpfung der COVID-19 Pandemie ein Paket aus Testen, weiteren medizinischen Massnahmen, Einschränkungen der Kontakte, eigenverantwortlichem Handeln und geeigneten wirtschaftlichen Unterstützungsmassnahmen. Es gibt keine Zielkonflikte bei grundsätzlichen Überlegungen. Wenn die Pandemie ausser Kontrolle gerät, würden auch bald enorme starke wirtschaftliche Schäden entstehen. Das rechtfertigt sowohl die medizinischen Massnahmen wie auch die Einschränkungen und ein gewisses Mass an wirtschaftlicher Unterstützung, da eine Konkurswelle bei den Firmen und hohe Arbeitslosigkeit langfristige wirtschaftliche Schäden verursachen würde. Zu vermeiden gilt es aus volkswirtschaftlicher Sicht, dass Humankapital, Wissenskapital oder Netzwerke zerstört werden, welche für das zukünftige Wachstum fehlen würden. Strukturveränderungen, Umsatz- oder Gewinneinbrüche sind allein jedoch noch kein Grund für staatliche Unterstützungsmassnahmen.  

Kurz- und mittelfristig gibt es jedoch eine Reihe von Zielkonflikten, welche eine Gesellschaft über den Diskurs und ihre politischen Entscheidungsträger zu lösen hat. Man kann die Pandemie härter oder weniger hart mit Einschränkungen bekämpfen und kleinere oder grössere Risiken für die Spitäler und mehr oder weniger Todesfälle in Kauf nehmen. Allerdings sind die Zusammenhänge zwischen Massnahmen und Wirkungen nicht genau bekannt. Insbesondere weiss man nicht genau, wie stark eine bestimmte Einschränkung auf das Infektionsgeschehen wirkt, weil sich das Verhalten der Akteure anpasst. Man ist deshalb auf eine Analyse unter Unsicherheit zwischen verschiedenen Massnahmenpaketen und deren Auswirkungen auf die Pandemie angewiesen.

Wenn die Pandemie deshalb durch scharfe Einschränkungen, wie zum Beispiel durch weitgehende Schliessungen der Läden, Schliessungen von Freizeiteinrichtungen und Restaurants und Homeoffice, umfassend bekämpft werden soll, dann rechtfertigt sich auch eine zeitlich und im Umfang begrenzte finanzielle Überbrückungshilfe des Staates für die direkt betroffenen Branchen. Dafür gibt es vier Gründe. Der Staat ordnet die Reduktion der wirtschaftlichen Aktivität selbst an. Zudem würde ohne Unterstützung und bei längerer Dauer eine Konkurswelle und Arbeitslosigkeit mit grösseren wirtschaftlichen Schäden entstehen. Schliesslich rechtfertigen die Externalitäts- und Fairness-argumente eine gewisse Unterstützung, da die Schliessungen das Risiko vieler Bürgerinnen und Bürger vermindert, infiziert zu werden und eine gewisse Lastenteilung von der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger gewünscht wird.  

Übertreibungen bei den Überbrückungshilfen gilt es allerdings zu vermeiden. Da die Firmen bereits Kurzarbeitsentschädigungen erhalten, muss diese bei der Berechnung der Überbrückungshilfe beachtet werden. Beispiele aus Deutschland, bei welchem die Überbrückungshilfen an hohen Prozentzahlen des Umsatzes ausgerichtet wurden, sollten nicht als Leitlinie genommen werden. Zudem sollen die Hilfen nicht so stark sein, dass auch Firmen, welche keine zukunftsträchtigen Geschäftsmodelle mehr haben, überleben können. Auch in einer Pandemie muss mit Steuergeld zielgerichtet und vorsichtig umgegangen werden.  

Zusammenfassend sind zeitlich beschränkte und moderate Überbrückungshilfen für die direkt betroffenen Branchen, ein Verzicht auf Lockerungen und weitere Einschränkungsmassnahmen der geeignete Weg, um die Pandemie in der jetzigen Situation zu bekämpfen.  Andere Ansätze, wie sie zum Teil in Asien mit sehr tiefen Fallzahlen verfolgt werden, oder die Konzentration auf den alleinigen Schutz der Risikogruppen, sind beim jetzigen Infektionsgeschehen nicht möglich.  

Die Balance wiederherstellen

Warum die Schweiz die Balance nach der erfolgreichen ersten Phase nicht mehr findet wird Gegenstand späterer Forschung sein. Durch die Fixierung auf das nahe Ende der Pandemie hat die Politik auf jeden Fall einen Weg eingeschlagen, der die Balance zuungunsten der Gesundheit verschoben hat und mittelfristig auch die wirtschaftliche Erholung verzögert. Mit einem geeigneten Paket kann aber der verengte Spielraum jederzeit wieder vergrössert und die Balance, welche die Schweiz in der ersten Phase erreicht hatte, wiederhergestellt werden. Wenn dann massive Anstrengungen unternommen werden, um mit der Impfung der Bevölkerung so schnell als möglich voranzukommen, wird auch die wirtschaftliche Erholung nicht mehr weit sein.   

©KOF ETH Zürich, 29. Dez. 2020

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