Die deutsche Konjunktur fällt ab, der Arbeitsmarkt entwickelt sich weiter positiv: Wie passt das zusammen? Seit Mitte des letzten Jahres stottert die Konjunktur. Seitdem werden auch die Wachstumsprognosen für Deutschland nach unten revidiert. Aktuell gehen viele Prognosen von 0,8 Prozent Wirtschaftswachstum für 2019 aus. Das entspricht etwa einer Halbierung der letztjährigen Prognosen für dieses Jahr. Die Signale für die weitere Konjunkturentwicklung sind nicht eindeutig. Zu den gesamtwirtschaftlichen Risiken insbesondere für die exportorientierte deutsche Industrie zählen unter anderem weiterhin der Brexit, weltweite Handelskonflikte sowie auch eine Wachstumsdrosselung in China. Hinzu kommen Risiken, die sich aus geändertem Konsumverhalten ergeben können. Aktuelles Beispiel ist
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Die deutsche Konjunktur fällt ab, der Arbeitsmarkt entwickelt sich weiter positiv: Wie passt das zusammen?
Seit Mitte des letzten Jahres stottert die Konjunktur. Seitdem werden auch die Wachstumsprognosen für Deutschland nach unten revidiert. Aktuell gehen viele Prognosen von 0,8 Prozent Wirtschaftswachstum für 2019 aus. Das entspricht etwa einer Halbierung der letztjährigen Prognosen für dieses Jahr. Die Signale für die weitere Konjunkturentwicklung sind nicht eindeutig. Zu den gesamtwirtschaftlichen Risiken insbesondere für die exportorientierte deutsche Industrie zählen unter anderem weiterhin der Brexit, weltweite Handelskonflikte sowie auch eine Wachstumsdrosselung in China. Hinzu kommen Risiken, die sich aus geändertem Konsumverhalten ergeben können. Aktuelles Beispiel ist der Rückgang der Nachfrage nach PKWs mit Dieselmotoren infolge der Dieselkrise und eine steigende Nachfrage nach Elektroautos. Doch wie wirkt sich ein anhaltender Konjunkturabschwung auf die Beschäftigung aus?
Einer abschwächenden Konjunktur begegnen Unternehmen zumeist mit drei personalpolitischen Maßnahmen: verkürzte Arbeitszeiten, verzögerte Neueinstellungen oder Entlassungen. Arbeitszeitverkürzungen sind dabei mit dem geringsten Aufwand verbunden. Zu welchem dieser Mittel Unternehmen im Konjunkturabschwung greifen, hängt von ihren Erwartungen ab. Der aktuelle Konjunkturabschwung bezieht sich bisher vorwiegend auf das produzierende Gewerbe. Bauwirtschaft und Dienstleistungssektor sind kaum betroffen.
Verkürzte Arbeitszeiten erscheinen aus personalpolitischer Sicht besonders dann attraktiv und sind kurzfristig realisierbar, wenn ausreichend viele Beschäftigte die Arbeitszeit reduzieren möchten oder bereits Überstunden angesammelt haben. Es ist davon auszugehen, dass diese beiden Voraussetzungen nach rund einer Dekade mit moderaten Wachstumsraten erfüllt sind. Viele Erwerbstätige möchten, das zeigen Befragungen, ihre Arbeitszeit reduzieren. Noch bis Ende 2018 stieg zudem der Anteil der offenen, nicht besetzten Stellen an, so dass weiterhin in Teilen der Wirtschaft von einem Fachkräftemangel gesprochen werden kann und Überstunden anfallen. So betrachtet sind Arbeitszeitreduktionen in den vom Abschwung stärker betroffenem Unternehmen das erste Mittel der Wahl. Auch im ersten Jahr der letzten größeren Rezession von 2008 wurden die jährlich geleisteten Arbeitsstunden im deutschen produzierenden Gewerbe mit 5,6 Prozent prozentual im gleichen Umfang reduziert wie die Wirtschaftsleistung zurückging.
Neueinstellungen hinauszögern
Zweitens können, sollte der Abschwung stärker ausfallen oder länger andauern, Unternehmen Neueinstellungen hinauszögern und damit ihre Beschäftigung reduzieren. Dieses personalpolitische Instrument ist dann für Unternehmen besonders wirkungsvoll, wenn es hinreichend viele Beschäftigte gibt, die von sich aus gerne ausscheiden möchten, etwa, weil sie in Rente gehen oder über andere Optionen verfügen. Ein Zahlenbeispiel kann helfen, die potenzielle Wirksamkeit dieser Maßnahme zur Reduktion der Beschäftigung zu verdeutlichen. 2018 wurden nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit je 100 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte 17,7 Abgänge aus Beschäftigung registriert. Im gleichen Jahr wurden 19,5 Neuzugänge in Beschäftigung registriert, so dass die Beschäftigung 2018 insgesamt zugenommen hat. Diese beachtliche Fluktuation, die je nach Alters-, Geschlechts- und Qualifikationsstruktur der Beschäftigten zwischen Unternehmen variiert, wird zwar möglicherweise geringer, wenn der Abschwung länger dauern sollte. Jedoch wird erkennbar, das Unternehmen, die sich bei Neueinstellungen zurückhalten, im Mittel relativ zügig Beschäftigung abbauen können. Das Hinauszögern von Neueinstellungen bedarf einer sorgfältigen Abwägung, da neu eingestellte Beschäftigte erst nach einer Einarbeitungszeit ähnlich produktiv wie langjährig Beschäftigte werden. Die Maßnahme wird daher in aller Regel nur von den Unternehmen angewendet, die mittelfristig von einem Umsatzrückgang ausgehen.
Drittens können Unternehmen Entlassungen vornehmen, um auf einen Rückgang ihrer Umsätze zu reagieren. Mit diesem dritten Mittel werden Unternehmen in aller Regel ebenfalls nicht auf einen rein konjunkturell bedingten Umsatzrückgang reagieren. Das hat mit wirtschaftlichen Erwägungen zu tun. „Hire and fire“ ist mit hohen Kosten verbunden, die, so eine Daumenregel, dem Durchschnittsjahresgehalt eines Beschäftigten entsprechen. Aus diesem Grund entlassen Unternehmen nur dann, wenn sie auch langfristig von einem Umsatzrückgang ausgehen.
Gesamtwirtschaftlicher Beschäftigungsrückgang aktuell eher unwahrscheinlich
Aus rein konjunkturellen Gründen werden vorausschauende Unternehmen in aller Regel keine Entlassungen vornehmen. Vielmehr wird zunächst die Arbeitszeit reduziert und dann werden, falls der Abschwung anhält, auch Neueinstellungen hinausgezögert. Die Beschäftigungspolitik der Unternehmen orientiert sich an den mittel- bis langfristigen Umsatzerwartungen und am Produktivitätszuwachs, weniger am konjunkturellen Auf und Ab. Zwar hängt auch der Umsatz vieler Unternehmen von der gesamtwirtschaftlichen Konjunktur ab. Jedoch spielen oftmals spezifische Einflussfaktoren eine ebenso wichtige Rolle für ihren Umsatz. So hat etwa eine Reduktion des Wirtschaftswachstums in China für Industrieunternehmen stärkere negative Auswirkungen als für Unternehmen im Einzelhandel. Oder, die Dieselkrise trifft Autobauer mit einem höheren Dieselanteil stärker als andere. Die unterschiedlichen Entwicklungen in den Unternehmen summieren sich aktuell zu einem bislang eher moderaten konjunkturellen Abschwung. Sollte der Abschwung jedoch länger als aktuell gedacht dauern, und es auch 2020 zu keiner konjunkturellen Erholung kommen, wird sich dies allmählich in den gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungsstatistiken niederschlagen.
©KOF ETH Zürich, 29. Mai. 2019