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Ataraxie statt Hysterie – Zum Handelsstreit zwischen der EU und den USA (Teil 1)

Summary:
Ataraxie ist der Begriff in der griechischen Philosophie für Gelassenheit. Die Epikureer sahen darin das Ideal der Seelenruhe. Diese Grundhaltung im Umgang mit der jetzigen US-Regierung unter Donald Trump ist wohl die angemessene Haltung, die der europäischen Politik im Handelsstreit mit den USA anzuraten ist, wie dieser Beitrag zeigt. Seitdem Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt geworden ist, ist genau das Gegenteil in der Auseinandersetzung mit ihm leider auch in Europa zu beobachten. Da er sich wenig um multilaterale Abkommen schert und nach dem Prinzip America First auch die handelspolitischen Interessen der USA mittels Strafzöllen gegen diverse Handelspartner durchsetzen will, ist quasi eine Ataxie (griechisch Unordnung in der Medizin für eine neurologische Störung des

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Ataraxie ist der Begriff in der griechischen Philosophie für Gelassenheit. Die Epikureer sahen darin das Ideal der Seelenruhe. Diese Grundhaltung im Umgang mit der jetzigen US-Regierung unter Donald Trump ist wohl die angemessene Haltung, die der europäischen Politik im Handelsstreit mit den USA anzuraten ist, wie dieser Beitrag zeigt.

Seitdem Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt geworden ist, ist genau das Gegenteil in der Auseinandersetzung mit ihm leider auch in Europa zu beobachten. Da er sich wenig um multilaterale Abkommen schert und nach dem Prinzip America First auch die handelspolitischen Interessen der USA mittels Strafzöllen gegen diverse Handelspartner durchsetzen will, ist quasi eine Ataxie (griechisch Unordnung in der Medizin für eine neurologische Störung des Bewegungsablaufs) im Verhalten der EU mit der US-Handelspolitik feststellbar.

Kern des Konflikts ist das nachhaltig hohe strukturelle Handelsbilanzdefizite der USA mit einer ganzen Reihe von US-Handelspartnern (China[ 1 ] , EU, Kanada, Mexiko), das sich in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten insbesondere seit dem Beitritts Chinas zur WTO und verstärkt noch nach der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise im Jahr 2008 aufgebaut hat.

Nach langjährigen Debatten über die Frage der Wechselkursmanipulation insbesondere des chinesischen Renminbi aber eben auch des Euro gegenüber dem US-Dollar ist der Geduldsfaden bei Donald Trump gerissen und er greift daher rigoros zur unilateralen Verhängung von Strafzöllen mit der vergleichsweise fadenscheinigen Begründung der Bedrohung der nationalen Sicherheit der USA.

Zunächst betraf dies die Stahl- und Aluminiumimporte in die USA mit einem Zollsatz von 25%. Hintergrund sind massive weltweit Überkapazitäten insbesondere auch in China, das sich bisher standhaft weigert aus beschäftigungspolitischen Gründen einen drastischen Kapazitätsabbau dieser Wirtschaftszweige in China einzuleiten. Viele veraltete Stahlwerke und Aluminiumhütten werden weiterhin am Leben erhalten anstelle diese mit dem Aufbau moderner Anlagen parallel dazu zu verschrotten. Hinzu kommt eine Strategie von internationalen Stahlproduzenten wie Mittal, die ebenfalls im großen Stil veraltete Werke betreibt solange sie noch profitabel am Markt ihre Produktion absetzen können. Dies führt letztendlich zu einem internationalen ruinösen Preiswettbewerb. ThyssenKrupp sah sich so schon gezwungen zwei moderne Stahlwerke in Brasilien und den USA mit hohen Verlusten zu veräußern, da sie gegen diese unfaire Billigkonkurrenz nicht profitabel zu bewirtschaften waren.[ 2 ] Am Ende wurde zuletzt die gesamte Stahlsparte jetzt mit  Tata zum zweitgrößten europäischen Stahlkonzern nach ArcelorMittal fusioniert.[ 3 ]

Die Verhängung von unilateralen Strafzöllen ist grundsätzlich aus Sicht der betroffenen Länder darunter auch die EU mit den Regeln der WTO unvereinbar. Allerdings kann ein Land aus sicherheitspolitischen Gründen durchaus zur Abwehr von solchen Gefahren protektionistische Maßnahmen einleiten.

Dementsprechend wurden auch Beschwerden gegen diese Maßnahme seitens der betroffenen Länder bei der WTO sowohl von China, der EU, Kanada und auch den USA eingereicht. Allerdings dauern solche juristischen Verfahren außerordentlich lange. Mithin hilft es in der aktuellen Lage den betroffenen Unternehmen wenig.

In der Öffentlichkeit wurde rasch stattdessen der Begriff Handelskrieg der USA gegen die multilaterale Handelsordnung zum Kampfbegriff in die Debatte gebracht, der nach Vergeltung in Form von Strafzöllen gegen andere amerikanische Produkte rief und auch anschließend in vergleichbarer Höhe vom rd. 5 Mrd. Euro von Seiten der EU gegen die USA Anfang Juni 2018 verhängt wurden.

Die Hoffnung war wohl dabei, dass dies eine abschreckende Wirkung auf die US-Handelspolitik zeitigen würde. Das erweist sich jedoch zunehmend als Illusion. Trump zeigte sich davon wenig beeindruckt.

Tit for Tat, die Lösung im Handelskonflikt mit den USA?[ 4 ]

Diese Strategie stößt jedoch zwangsläufig an seine logischen Grenzen. Da China und eben auch die EU einen deutlichen strukturellen Handelsbilanzüberschuss gegenüber den USA ausweisen, kann man mit deren Strafzöllen im Umfang des betroffenen Handelsvolumens bei Importen zwangsläufig nicht Schritt halten. Bei 100 Prozent der Importe aus den USA ist bei der EU und den anderen Handelspartnern der USA mit einem Handelsbilanzüberschuss Schluss. Da die USA jedoch jeweils einen deutlichen Importüberschuss gegenüber den Exporten in die EU (2017: 151 Mrd. US-Dollar) aber insbesondere auch China (2017: 376 Mrd. US-Dollar) haben, sitzt man in den USA zwangsläufig hier am längeren Hebel.

Die Strategie der reziproken Strafzölle stößt damit an rein logische Grenzen. Insbesondere China muss dieses sich jetzt eingestehen.[ 5 ] Trump erhöhte das von Strafzöllen betroffene Handelsvolumen mit China um weitere 50 Mrd. US-Dollar[ 6 ] mit einem Strafzoll von 10% als China wegen der Strafzölle auf Stahl und Aluminium mit Strafzöllen von 25% in gleichem Umfang für Exporte aus den USA nach China Anfang Juli 2018 reagierte.[ 7 ] Ebenso reagierte die EU parallel dazu mit Strafzöllen seit Anfang Juni 2018 im Gegenwert von 2,8 Mrd. Euro mit 25% (darunter Harley Davidson) auf die Strafzölle der USA gegen Stahl- und Aluminiumimporte aus der EU.[ 8 ] Interessanterweise schloss es aber auch China in diese Strafzölle mit ein.

Diese asymmetrische Reaktion auf andere Warengruppen macht deren jeweilige Hersteller zusätzlich zu Geiseln des Handelskonflikts mit den USA mit China, der EU und auch der Nafta (Mexiko und Kanada). So sind von den Strafzöllen Chinas gegen US-Importe z.B. auch deutsche Automobilhersteller betroffen, die ihre Fahrzeuge direkt aus den USA nach China exportieren. Harvey Davidson kündigte bereits eine Produktionsverlagerung aus den USA an, um die Strafzölle auf seine Produkte zu vermeiden. Das ganze System globaler Wertschöpfungsketten gerät damit sehr rasch durcheinander.

Nach dem China erneut mit einem reziproken Strafzoll auf Importe aus den USA in Höhe von rund 50 Mrd. US-Dollar reagiert hat[ 9 ] , droht nun Trump bereits jetzt weitere 200 Mrd. US-Dollar Importe von China in die USA mit zusätzlichen Strafzöllen zu belegen.[ 10 ] Da im Jahr 2017 die Importe der USA aus China bei rund 505 Mrd. US-Dollar lagen, wäre damit diese Grenze bald erreicht. Bei Importen Chinas aus den USA von rund 130 Mrd. US-Dollar im Jahr 2017 könnte man bereits dann nicht mit einer analogen Maßnahme mehr reagieren. Tit for Tat ist damit unmöglich geworden, um ein strategisches Gleichgewicht im Handelskrieg aufrecht zu erhalten.

Umso erstaunlicher ist es, dass es überhaupt zu dieser Eskalation kommen musste. Xi Jinping hat sich offenbar zu sehr auf die Unterstützung der multilateralen Handelsorganisation - wie der WTO -und die anderen Mitgliedsländer verlassen. Diese Form der Abschreckung der US-Handelspolitik erweist sich jedoch als Illusion. Da die USA unilateral als Hegemon agiert – d.h. eine Stackelberg Strategie als dominanter Spieler praktiziert – und die WTO als multilaterale Organisation zur Konfliktlösung offenbar missachtet, war dieser Kalkül jedoch aktuell von vornherein auf Sand gebaut. Für Xi Jinping ist die Situation noch prekärer, weil er sich nach seiner ersten Amtsperiode quasi zum Alleinherrscher in China aufgeschwungen hat und alle Fäden in der Hand hält. Das ist zwar eine Machtposition wie sie in China nach der Revolution nur Mao Tse Dong innehatte, aber damit steht er auch für alle Fehlentwicklungen in China unmittelbar in der Verantwortung. Scheitert er im Konflikt mit den USA, muss er auch mit einer zunehmenden innenpolitischen Kritik an seiner Führung rechnen.[ 11 ] Autokraten leiden immer unter diesem Dilemma. Allmacht und Ohnmacht sind zwei Seiten derselben Medaille. Man ist gleichsam zum Erfolg verdammt oder man verliert die Allmacht.

Durch die Geschwindigkeit der Eskalation bleibt den anderen US-Handelspartnern auch kaum eine Gelegenheit gegen diesen Blitzhandelskrieg der USA gegen sie sich noch darauf vorzubereiten. Man wird de facto überrumpelt. Die EU insbesondere Deutschland müssen mit weiteren Strafzöllen bei Automobilfahrzeugen aus den USA rechnen. Dies dürfte die deutsche Wirtschaft jedoch in seinem Kern massiv treffen.

Allerdings hat offenbar Jean-Claude Juncker zunächst ein Moratorium für die EU bis zum Jahresende 2018 mit Trump bei seinem Treffen mit ihm in Washington D.C. verhandeln können.[ 12 ] Zudem gibt es jetzt eine Agenda um einen weiteren Zollabbau zwischen den USA und der EU zu verhandeln. Kritikern dieses Deals ist entgegenzuhalten, dass sie offenbar eine weitere Eskalation des Handelsstreits mit den USA billigend in Kauf zu nehmen bereit waren. Das würde nur unmittelbar massive negative Folgen für die EU nach sich ziehen können. Was wäre denn passiert, wenn es bereits jetzt zur Verhängung von Strafzöllen gegen die europäische Automobilindustrie gekommen wäre?[ 13 ] Man hätte sich seitens der EU nur weiter in eine handelspolitische Sackgasse mit den USA manövriert.

Zwischenfazit

Tit for Tat war von vornherein die falsche Strategie der EU im Umgang mit den USA im Handelsstreit. Jean-Claude Juncker hat das einzig Richtige gemacht. Statt weiter auf eine Eskalation zu setzen, hat er die USA zu einer bilateralen Lösung des Konflikts in Zuge von Verhandlungen aufgefordert und dabei auch die Zustimmung von Donald Trump gefunden.

Die Bundesregierung sollte dabei bedenken, dass sich hier die Interessen von Frankreich und Deutschland in dieser Frage deutlich voneinander unterscheiden.[ 14 ] Deutschlands Ausfuhren in die USA im laufenden Jahr liegen bei derzeit 62,3 Mrd. US-Dollar (Stand Juni 2018) und bei den Einfuhren bei 29,4 Mrd. US-Dollar, somit liegt der Handelsbilanzsaldo von rund 32 Mrd. US-Dollar. Frankreich hingegen nur Ausfuhren von 25,7 Mrd. US-Dollar und Einfuhren aus den USA von 18,1 Mrd. US-Dollar und daher einen vergleichsweise geringen Handelsbilanzüberschuss 7,6 Mrd. US-Dollar. Man sollte daher bestrebt sein, hier die Verhandlungsführung seitens der EU zu übernehmen. Es wird ein delikater Balanceakt werden sowohl mit den USA als auch mit den Mitgliedsstaaten innerhalb der EU eine Einigung herbeizuführen, die über dieses Moratorium hinausreicht.

 Deutschland hat im Vergleich zu Frankreich sehr viel mehr bei einem eskalierenden Handelsstreit mit den USA zu verlieren. Das wirkt sich offenbar insbesondere auf die unterschiedliche Kompromissbereitschaft der beiden Regierungen aus.[ 15 ]

Die jetzt verkündete Einigung zwischen den USA und Mexiko zeigen, dass solche bilaterale Vereinbarungen bei einer realistischen Kompromissbereitschaft mit den USA auch unter Donald Trump möglich sind.[ 16 ]


©KOF ETH Zürich, 31. Aug. 2018

Georg Erber
Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Freien Universität Berlin war Georg Erber dort wissenschaftlicher Assistent am Institut für Versicherungsmathematik und Statistik mit dem Schwerpunkt Ökonometrie und Statistik.

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