Karl Brenke hat in seinem Beitrag War was? Zwei Jahre gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland darauf hingewiesen, dass die Mindestlohn-Einführung keine negativen (auch keine positiven) Effekte hatte. An dieser Stelle folgt eine Replik von Fank Westermann, der argumentiert, dass es für eine Entwarnung noch zu früh ist. Die Einführung des Mindestlohns in Deutschland im Januar 2015 ist aus wissenschaftlicher Sicht eines der interessantesten natürlichen Experimente der Bundesrepublik. Kaum ein Thema hat die wirtschaftspolitische Diskussion so geprägt und die Volkswirte an Universitäten und Forschungsinstituten mit Gutachten und Expertisen beschäftigt. Eine der besten Prognosen zur Auswirkung des Mindestlohns auf die Beschäftigung stammte z.B. von Thum und Ragnitz (2007) vom ifo Dresden. Auf Basis der Daten des statistischen Bundesamtes sowie einer Literatur-Analyse zu Schätzungen der Arbeitsnachfrageelastizität nahmen sie eine Überschlagsrechnung vor, die zunächst für die jeweiligen Lohnstufen die prozentuale Änderung der Löhne berechnete und anschließend, über alle Lohnstufen aggregiert, eine Abschätzung der Verluste an Arbeitsplätzen vornahm. Die Ergebnisse lagen – je nach Höhe des Mindestlohns – in einem Bereich von ca. 360.000 bis zu 1.9 Millionen Arbeitsplätzen.
Topics:
Neueste Artikel in der Ökonomenstimme considers the following as important:
This could be interesting, too:
Cash - "Aktuell" | News writes Länder einigen sich bei Weltklima-Konferenz auf globalen Emissionshandel
Cash - "Aktuell" | News writes Selenskyj glaubt an mögliches Kriegsende 2025
Cash - "Aktuell" | News writes Was Schweizer Bäuerinnen und Bauern verdienen
Cash - "Aktuell" | News writes Schweizer Efta/EU-Delegation will Abkommen mit China optimieren
Karl Brenke hat in seinem Beitrag War was? Zwei Jahre gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland darauf hingewiesen, dass die Mindestlohn-Einführung keine negativen (auch keine positiven) Effekte hatte. An dieser Stelle folgt eine Replik von Fank Westermann, der argumentiert, dass es für eine Entwarnung noch zu früh ist.
Die Einführung des Mindestlohns in Deutschland im Januar 2015 ist aus wissenschaftlicher Sicht eines der interessantesten natürlichen Experimente der Bundesrepublik. Kaum ein Thema hat die wirtschaftspolitische Diskussion so geprägt und die Volkswirte an Universitäten und Forschungsinstituten mit Gutachten und Expertisen beschäftigt.
Eine der besten Prognosen zur Auswirkung des Mindestlohns auf die Beschäftigung stammte z.B. von Thum und Ragnitz (2007) vom ifo Dresden. Auf Basis der Daten des statistischen Bundesamtes sowie einer Literatur-Analyse zu Schätzungen der Arbeitsnachfrageelastizität nahmen sie eine Überschlagsrechnung vor, die zunächst für die jeweiligen Lohnstufen die prozentuale Änderung der Löhne berechnete und anschließend, über alle Lohnstufen aggregiert, eine Abschätzung der Verluste an Arbeitsplätzen vornahm. Die Ergebnisse lagen – je nach Höhe des Mindestlohns – in einem Bereich von ca. 360.000 bis zu 1.9 Millionen Arbeitsplätzen.
In einem neuen Artikel auf der Ökonomenstimme konfrontiert der Arbeitsmarktexperte Karl Brenke die Autoren dieser und ähnlicher Studien mit den aktuellen Daten der Deutschen Bundesbank, der Bundesagentur für Arbeit sowie eigenen Berechnungen für die Zeitperiode von 2013 bis 2016. Auf Basis der unten nachgestellten Grafik argumentiert er u.a., dass die Beschäftigtenzahlen bei den geringfügig Beschäftigten vor der Einführung des Mindestlohns “stagniert” hätten, und – nach einem kurzen Einbruch von wenigen Monaten – wieder zum “Stillstand” kamen. Der Beleg für diese Aussagen sind die unten aufgeführten roten Balken die, mit Ausnahme der Monate unmittelbar um den Januar 2015, sehr klein waren und dicht bei null lagen. In einer Überschlagsrechnung rechnet er mit lediglich 100.000 verlorenen Arbeitsplätzen.
Abbildung 1: Veränderung der Beschäftigten gegenüber dem Vormonat (in Tausend; saisonbereinigt)
Quelle: Deutsche Bundesbank und eigene Berechnungen (wie in Brenke 2017)
Aus meiner Sicht ist dies eine irreführende Darstellung. Dazu trägt zum einen die Frequenz der Daten auf Monatsbasis bei. Pro Monat fallen also nur wenige Tausend Arbeitsplätze weg – auf Jahresbasis wären die Zahlen aber viel größer. Darüber hinaus sind die roten Balken zwar klein, liegen jedoch bei genauerer Betrachtung vor der Einführung des Mindestlohns fast immer über der null-Line, danach meist darunter. In Veränderungswerten auf Monatsbasis lässt sich die Trendentwicklung daher mit bloßen Auge nur sehr schlecht erfassen. Aussagekräftiger wären die Bestandszahlen. Diese sind in Abbildung 2 dargestellt. Es handelt sich dabei um genau die gleichen Daten, nur akkumuliert über die Zeit.
In dieser Darstellungsform erkennt man zwei wichtige Entwicklungen, die in Abbildung 1 nicht gut sichtbar waren: (i) vor der Einführung des Mindestlohns im Januar 2015 gab es einen Aufwärtstrend – einen Zugewinn von ca. 50.000 Arbeitsplätzen. (ii) Seit 2015 gibt es dagegen einen kontinuierlichen Abwärtstrend ohne eine offenkundige Trendwende gegen Ende der Stichprobe. Sowohl die “Stagnation” vor dem Mindestlohn, als auch der “Stillstand” nach der Einführung sind also vor allem ein Ergebnis der Darstellung als Veränderungen gegenüber dem Vormonat (den ersten Differenzen der Bestandszahlen). Kumulativ sind seit dem 1.1.2015 immerhin 217.000 geringfügig Beschäftigte Arbeitsplätze verloren gegangen. Wenn man den Ankündigungseffekt im November und Dezember 2014 hinzurechnet, sind es knapp über 250.000.
Abbildung 2: Geringfügig entlohnt Beschäftigte (kumulative Änderungen seit 2013)
Quelle: Deutsche Bundesbank und eigene Berechnungen
Unklar ist natürlich, unabhängig von der Darstellungsform, ob die geringfügig Beschäftigten im regulären Arbeitsmarkt eine alternative Beschäftigung gefunden haben. Auch wenn die Gesamtbeschäftigung derzeit steigt, kann man z.B. nicht sicher sagen, ob es sich um dieselben Personen und dieselben Segmente des Arbeitsmarktes handelt. Zudem muss man dabei berücksichtigen, dass Deutschland sich in einem konjunkturellen Aufschwung befindet, und die Europäische Zentralbank mit ihrer ultra-expansiven Geldpolitik den Euro abwertet und so auch geringqualifizierte Arbeitnehmer in Europa vorübergehend wettbewerbsfähig macht (siehe auch Fuest (2016)).
Vor diesem Hintergrund scheint eine Entwarnung zu früh. Zwei Jahre sind noch nicht einmal ein halber Konjunkturzyklus und die Abschwung-Phase steht noch bevor. Thum und Ragnitz haben von einem neuen Gleichgewicht gesprochen, bei dem weniger Arbeitsplätze vorhanden sind und nicht von der Dynamik dorthin, die mehrere Jahre dauern kann. Zudem war es natürlich eine bedingte Prognose – also ein Ausblick auf die Entwicklung der Arbeitsplätze bei einer sonst gleichen Entwicklung anderer Einflussfaktoren.
Die Schlussfolgerung “Viel Rauch um fast nichts” erscheint daher (…vielleicht “noch”) nicht angemessen. Was viel oder wenig ist liegt wie immer im Auge des Betrachters. Ob eine einmalige Reaktion im Januar 2015 oder eine Trendwende vorliegt, macht aber definitiv einen Unterschied für ein Zwischenfazit beim Mindestlohn.
Für all diejenigen die Entwicklung weiter verfolgen wollen: Die Daten gibt es bei der Bundesbank in Niveau-Werten frei zugänglich zum Download. Die Bundesbank nimmt eine Saisonbereinigung vor. Die Ursprungsdaten stammen von der Bundesagentur für Arbeit. “Eigene Berechnung”, wie das Bilden der ersten Differenzen, sind also eigentlich gar nicht notwendig…
Literatur
Brenke, Karl “War was? Zwei Jahre gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland” Ökonomenstimme, 26. Jan. 2017
Fuest, Clemens, 2017, Der Mindestlohn: Eine erste Bilanz, ifo Standpunkt Nr. 181
Ragnitz, Joachim und Marcel Thum, “Zur Einführung von Mindestlöhnen: empirische Relevanz des Niedriglohnsektors”, ifo Dresden berichtet 14 (03), 2007, 36-39
©KOF ETH Zürich, 7. Feb. 2017