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Was machen die Ökonomen eigentlich so den lieben langen Tag?

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Wollten Sie schon immer einmal erfahren, was Ökonomen den lieben langen Tag so machen, dann lesen Sie diesen Beitrag. Dieser Frage begegnet man in den Kommentaren auf Ökonomenstimme des Öfteren. Sie wird meistens von Amateurökonomen gestellt, die auf ihren je speziellen Klassiker (Schumpeter, Keynes, Marx, Hayek etc.) schwören und aufgrund der Genialität ihres Gewährsmannes die Ursachen der krisenhaften Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft auf jeden Fall besser zu kennen glauben als die gesamte ökonomische Zunft. Sensiblere Leser meinen, dahinter Hass und Neid zu spüren, nach dem Motto: Warum bekommen diese Scharlatane, die nicht einmal untereinander einig sind, auch noch einen Haufen Kies hinterher geworfen? Leider reagieren sie auch selten, die professionellen Ökonomen,

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Wollten Sie schon immer einmal erfahren, was Ökonomen den lieben langen Tag so machen, dann lesen Sie diesen Beitrag.

Dieser Frage begegnet man in den Kommentaren auf Ökonomenstimme des Öfteren. Sie wird meistens von Amateurökonomen gestellt, die auf ihren je speziellen Klassiker (Schumpeter, Keynes, Marx, Hayek etc.) schwören und aufgrund der Genialität ihres Gewährsmannes die Ursachen der krisenhaften Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft auf jeden Fall besser zu kennen glauben als die gesamte ökonomische Zunft. Sensiblere Leser meinen, dahinter Hass und Neid zu spüren, nach dem Motto: Warum bekommen diese Scharlatane, die nicht einmal untereinander einig sind, auch noch einen Haufen Kies hinterher geworfen? Leider reagieren sie auch selten, die professionellen Ökonomen, die Anwürfe können noch so aggressiv sein. Antworten auf die oben genannte Frage findet man in der Tat eher selten.

1. Jede Antwort ist abenteuerlich

Was die Ökonomen so machen hängt von zahlreichen Umständen ab. Darum ist jeder Versuch, eine konkrete Antwort zu geben, immer von Einseitigkeit geprägt. Zwar könnte man ganz allgemein sagen: Der Ökonom produziert im weitesten Sinne Texte (schriftlich oder mündlich), die auf zahlreiche andere Texte Bezug nehmen (müssen). Aber das tun auch andere Berufsgruppen (Pastoren, Komponisten, Rechtsanwälte etc.). Der Versuch, die Spezifik ökonomischer Texte herauszuarbeiten, würde schnell in die Wissenschaftstheorie hineinführen. So scheint mir die obige Frage nicht gemeint zu sein. Wahrscheinlich zielt sie eher auf den sozialen Aspekt ab.

Was der Wissenschaftler als soziales Wesen so tut, hängt von zahlreichen Faktoren ab, von denen ich nur wenige nennen kann: da wäre z.B. das berufliche Alter. Ein Promovend[ 1 ] hat etwas anderes zu tun als ein Emeritus. Ein Promovend muss ein spezielles Thema bearbeiten und dazu vor allem eine Menge Artikel und Bücher lesen. In der Regel wird er von seinem Professor in der Lehre eingesetzt, so dass er ständig darum kämpft, Zeit für seine Forschung zu finden. Möglicherweise hat er auch noch Familie oder ein anderweitiges Privatleben, dann kann es leicht passieren, dass er das Ziel, den Doktor-Titel, nicht erreicht.

Was der Ökonom so macht, hängt von seinen persönlichen Eigenschaften ab: Unter den Ökonomen gibt es faule und fleißige, intelligente und solche, die man eher als borniert einschätzen möchte, theoretische, aber auch anpackende Typen, clevere und einfältige, ehrgeizige und solche, die nur einen guten Job haben, aber nicht machen wollen. Das soziale System Wissenschaft bietet allen diesen Typen genügend Freiraum, ihre persönlichen Vorzüge so auszugestalten, dass sie sich gegenüber der Administration und gegenüber dem breiten Publikum als respektabel darstellen können. Um zwei Beispiele zu nennen: Merkt man mit 50, dass die Ideen ausgehen und man die komplizierten Modelle der jungen Kollegen nicht mehr versteht, lässt man sich zum Dekan oder Prorektor wählen – die Chancen dafür sind fast immer gut, da ein durchschnittlicher Wissenschaftler diese Arbeit eher verschmäht. Steht man am Anfang seiner Karriere und merkt, dass die mathematische und logische Intelligenz doch nicht ganz ausreicht, kümmert man sich halt um ein angewandtes Thema und versucht, sich durch abartige Themen wie "Geld entsteht aus Luft" oder "die Inflation wird vom Konsum der Reichen verursacht" zu profilieren.

2. Die lästige Lehre

Arbeitet der Ökonom an einer Hochschule, muss er unterrichten. Auch hierbei kommt es auf die Umstände an. Der neu berufene Professor ist in der Regel durch seine herausragenden Leistungen auf einem ganz speziellen Gebiet der Forschung ausgewählt worden. Doch nun steht er vor der Aufgabe, nicht nur sein inzwischen liebgewonnenes Thema darzustellen, sondern über etwa 99 andere Themen Vorlesungen zu halten, von denen er nur von fern etwas gehört hat. Klarerweise schreibt er jetzt ein paar Lehrbücher ab oder bezieht sich gleich auf ein bereits vorhandenes, mit dem er die Köpfe der Studierenden traktiert. Wenn er ehrgeizig ist, hat er nach 10 oder 20 Jahren sein eigenes Lehrbuch – doch wie viel eigenständige Forschung mag da wohl drin stecken? Der clevere Professor dagegen organisiert Projekte, mit denen er den "wissenschaftlichen Nachwuchs" beschäftigt, die dann seine Lehre machen müssen. Dann kann er sich ganz in Ruhe seinen Interessen widmen, so abartig die auch sein mögen. Natürlich gibt es auch engagierte Hochschullehrer! Sie stecken eine Menge Zeit in die Vor- und Nachbereitung ihrer Lehraufgaben, meistens so viel, dass nur in den Semesterpausen Zeit für ernsthafte Forschung bleibt. Aber auch hier kommt es auf die Umstände an: Ein junger Assistent braucht vielleicht 14 Tage, um eine einzige Vorlesung vorzubereiten. Ein alter Hase schaut sich eine Stunde vorher das Thema (seine Folien!) an, um dann quasi aus dem Stehgreif eine Vorlesung zu halten, die seine Studenten begeistert.

Jedoch: Die wenigsten Hochschullehrer sind "alte Hasen"; aufgrund der herrschenden Auswahlverfahren sind die meisten eher Forschertypen als Pädagogen; dem überwiegenden Teil der Lehre eines Hochschullehrers liegt keine eigenständige Forschung zugrunde – diese drei Fakten zusammen genommen erklären, warum die ökonomische Lehre in der Regel nicht besonders gut ist, ja gar nicht gut sein kann. Zum Glück trifft der fachlich ausgebildete, aber pädagogisch untaugliche Professor auf Menschen, die geneigt sind, ihre Verständnis-Schwierigkeiten sich eher selber zuzuschreiben. 

3. Die Ökonomik ist so komplex wie die Realität

Ob ein etablierter Ökonom jenseits seiner Lehrtätigkeit wissenschaftliche Interessen verfolgt, erkennt man an seiner Produktivität. An den existierenden tausenden Zeitschriften gemessen, die regelmäßig mit ca. einem Dutzend Beiträgen bestückt werden, darf man wohl sagen, dass die Ökonomen fleißige Leute sind. Der an Krisen interessierte Amateurökonom wird jetzt womöglich wissen wollen, womit sich diese "fleißigen Ökonomen" denn so beschäftigen. Die allermeisten jedenfalls NICHT mit den Krisen dieser Welt. Warum auch? Nehmen wir die mikroökonomische Theorie des Haushaltes. Welchen Erkenntnisgewinn soll denn die seit langem bekannte Tatsache erbringen, dass sich Haushalte so hoch und so massenhaft verschulden können, dass dies auch dem Makroökonomen auffällt? – Dass sich der gemeine Ökonom in der Regel nicht um die Weltwirtschaftskrisen kümmern muss hängt damit zusammen, dass die Ökonomik inzwischen eine hochspezialisierte, arbeitsteilig betriebene intellektuelle Veranstaltung ist, die sich den verschiedenen Aspekten der ökonomischen Realität zumeist in theoretischer Abgehobenheit widmet. Wer hier nicht nur eine Verteidigung, sondern auch eine kritische Spitze heraushört, liegt richtig: Zwar hat die Ökonomik die arbeitsteilige Struktur der Physik übernommen, nicht aber die enge Zusammenarbeit zwischen Empirikern und Theoretikern, die in den Naturwissenschaften praktiziert wird. Für mich ist ein besonders gravierendes Beispiel nicht die oft kritisierte und fälschlicherweise unterstellte, de facto aber nie erreichte Axiomatisierung der Ökonomik, sondern die Orientierung des Theoretikers an stilisierten Fakten. Der Empiriker weiß, wie leicht diese Theorien an den "echten" Fakten scheitern.

4. Der ideologische Aspekt

Den mühsamen Weg des Tests von Theorien und ihrer Verbesserung anhand von Beobachtungen kann man sich auch als Hochschullehrer mit lebenslanger Anstellung ersparen, indem man sich einem der laufenden ideologischen Kämpfe widmet. (Amateure haben wahrscheinlich sowieso kein Interesse daran, die eigenen Überzeugungen einer harten Kontrolle zu unterwerfen.) Wer also beispielsweise der Meinung ist, dass die bereits in den 30er Jahren widerlegten Theorien von Friedrich August von Hayek die Grundlage des Wohlstandes der westlichen Welt sind, der kann auf finanzstarke Mäzene und eine gläubige Anhängerschaft hoffen. Gegenüber den Kollegen, die eher dem Mainstream zuzuordnen sind, rechtfertigt man sich mit demokratischen Werten wie "Meinungsfreiheit" und "Pluralität" nach dem Motto: nur Dogmatiker halten daran fest, dass die Wahrheit nur eine sein kann. Und FALLS das doch so sein sollte, so muss es jedenfalls die Wahrheit von Hayek sein.

Nun, die Namen sind austauschbar. Einige habe ich schon genannt. Es gibt aber auch sehr komische Beispiele. So darf man sich für längst verstorbene Kollegen freuen, die noch nach mehr als einem halben Jahrhundert zu Ehren kommen, weil sie zu ihrer Zeit eine geniale Idee hatten. Aktuelles Beispiel ist die Saldenmechanik. Es gibt immer noch Amateure, aber auch Theoretiker aus der Zunft, die nicht bemerkt haben, dass die Saldenmechanik komplett in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen aufgegangen und damit obsolet ist. Aber natürlich ist es viel einfacher, anderen ein paar triviale Identitäten um die Ohren zu schlagen, als sich mit dem oftmals viel zu komplizierten Darstellungen auseinander zu setzen, die in den einschlägigen Büchern der VGR zu finden sind.

5. Der ideale Ökonom

Doch kommen wir nun zu dem Typ, wie ihn die kritisch-rationalistische Wissenschaftstheorie gerne hätte: Ein Wissenschaftler, der rücksichtslos auf seine Karriere, seine eigenen Theorien, aber, da es davon nicht so viele gibt, vorzugsweise die seiner Kollegen mit den Daten konfrontiert und dabei feststellt, dass die wenigsten zu gebrauchen sind (Theorien, nicht: Kollegen). Dieser Forscher wird die wenigen bestätigten Theorien auswählen, um daran die Wirtschaftspolitik zu messen. Er wird dann unter Missachtung der Interessen von Redaktionen und Förderern versuchen, seine Ergebnisse zu publizieren und sich in die Wirtschaftspolitik einzubringen. Was macht dieser Forscher so den lieben langen Tag?

Der ideale Ökonom arbeitet immer an einem, meistens mehreren Artikeln. Angenommen, dabei handelt es sich um ein empirisches Thema. Dann wird er wohl die meiste Zeit damit verbringen, sich mit den technischen Problemen der Bereitstellung von Daten zu befassen. Zwar hat sich die Situation in den letzten 20 Jahren in dieser Beziehung dramatisch zum Positiven geändert, so dass die meisten Daten frei und kostenlos angeboten werden; ein Problem stellt aber die oft miserable Datenqualität dar. Für den Amateurökonom (der ich selber 20 Jahre lang war, von 1983-2003) nicht abzuschätzen und darum vielleicht auch nicht vorstellbar ist der logistische und darum auch zeitliche Aufwand, die Daten so aufzubereiten, dass sie analysierbar sind. Dagegen beansprucht die eigentliche Datenanalyse nur noch wenig Zeit – hier schlägt sich die Verfügbarkeit statistischer Methoden über die moderne Rechentechnik nieder. Je nachdem, wie tief das wissenschaftliche Interesse ist, wird der ideale Empiriker trotzdem eine Zeitlang in diesem Stadium verweilen – verschiedene Ideen testen, die man vor der Dateninspektion noch gar nicht haben konnte. Jetzt kommen auch Theorien ins Spiel, die oftmals das einzige sind, was der Amateur kennt. Leider passen die wenigsten Theorien zu den Daten. Darum wird der ideale Ökonom versuchen, seine Erkenntnisse aufzuschreiben, natürlich in Englisch, also für die meisten auf dieser Welt in einer Fremdsprache. Hat er seinen Text bei einer Redaktion eingereicht, wartet er Wochen, manchmal auch Monate, um dann zwei Gutachten zu bekommen, denen man schon von fern ansieht, dass die anonymen Kollegen nicht die geringste Ahnung vom Thema hatten und lediglich formale Kriterien abgearbeitet haben. Doch er gibt nicht auf: Der ideale Ökonom ist mit einem Liebhaber vergleichbar, der seine Geliebte alle 10 Jahre küssen darf.

Beim theoretischen Ökonom ist die Sachlage zum Teil ähnlich, aber in vielen Punkten auch grundverschieden. Hier treten an die Stelle der Daten des Empirikers die vielen theoretischen Ansätze andrer Ökonomen, die es gibt und die das Problemfeld definieren. Erfordert das Problem des Theoretikers ein hohes Maß an Mathematik, kann es sein, dass er ein paar Stunden seines Arbeitstages dem Training widmet. Wie beim Schach kann man in der Mathematik nur dann wirklich gut sein, wenn man sich ständig mit ihr beschäftigt. Hat man eine neue theoretische Lösung für ein Problem gefunden, bleibt immer noch die Frage der Anwendbarkeit. Viel zu oft genügt es dem Theoretiker, wenn seine Lösung "im Prinzip" den beobachteten Daten entspricht. Wohlgemerkt geht die Fragestellung anders herum: Nicht die Probleme dieser Welt definieren, was theoretisch erforscht wird, sondern die Probleme in der herrschenden Theorie. Die realen Weltwirtschaftskrisen sind für die Theorie ein viel zu komplexer Gegenstand, so wie es die Wirbel in einer Tasse Kaffee für den Physiker sind.  

6. Der Alltag

Nun muss man aber sowohl mit Blick auf den Empiriker und den Theoretiker noch bedenken, dass der ideale Ökonom in ein Arbeitsumfeld eingebettet ist (von Familie und Freunden mal abgesehen). Er leistet sein Lehrdeputat ab. Er engagiert sich in der akademischen Selbstverwaltung. Er reagiert auf die Anforderungen einer ständig wachsenden Bürokratie. Er prüft Studenten. Betreut Dissertationen, Master- und Bachelorarbeiten, liest massenhaft Hausarbeiten. Er leitet ein Forschungsseminar oder nimmt daran teil. Er stellt Anträge auf Investitionsmittel und Forschungsprojekte, schreibt Gutachten für Stipendiaten. Er hält seine eigene Homepage aktuell. Beobachtet die Veröffentlichungen seiner Kollegen, aber auch die der Nachbarfakultäten, schließlich muss man interdisziplinär und historisch gebildet erscheinen. Er verfolgt die Medien, um zu sehen, ob nicht gerade eine Weltwirtschaftskrise ausgebrochen ist. Womöglich schreibt er auch noch Beiträge zu und Kommentare auf Ökonomenstimme, um dann von den Amateurökonomen zu hören, dass er gar nicht mitreden kann, weil das Thema seiner Habilitation ein ganz anderes war. Und überhaupt: Was machen die Ökonomen eigentlich so den lieben langen Tag? Man weiß es nicht.


©KOF ETH Zürich, 16. Aug. 2017

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