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Die Theorie des Geldmultiplikators ist ein neoklassischer Irrtum

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In der jüngsten Diskussion argumentierte Georg Quaas, dass das Verleihen von Kundengeld für die Geldschöpfung wesentlich sei. Dieser Beitrag erwidert, dass dies weder theoretisch möglich noch empirisch plausibel sei – und die Bundesbank ebenfalls so argumentiere. Die Geldschöpfung per Kredit ist demnach eine Bilanzverlängerung.

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Dirk Ehnts considers the following as important:

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In der jüngsten Diskussion argumentierte Georg Quaas, dass das Verleihen von Kundengeld für die Geldschöpfung wesentlich sei. Dieser Beitrag erwidert, dass dies weder theoretisch möglich noch empirisch plausibel sei – und die Bundesbank ebenfalls so argumentiere. Die Geldschöpfung per Kredit ist demnach eine Bilanzverlängerung. Der durch die Publikation zur Geldschöpfung im Monatsbericht April 2017 angeregte Diskurs auf Ökonomenstimme und anderswo zeigt, dass es einen großen Graben gibt zwischen der Geldtheorie an der Universität und der Praxis der Zentralbanken. Während die Studierenden mit dem Geldmultiplikator konfrontiert werden, distanzieren sich Zentralbanken inzwischen sehr deutlich von dieser Theorie. Der Geldmultiplikator unterstellt eine Kausalität vom Zentralbankgeld hin zum Giralgeld. Die Zentralbanken sagen aber inzwischen sehr explizit, dass Zentralbankgeld nicht erforderlich ist für die Kreditschöpfung der Banken. Im Folgenden möchte ich meine Position, die mit der Meinung der Bundesbank einhergeht, näher vorstellen. Sie steht im Gegensatz zu der Ansicht von Quaas, die im Übrigen neoklassisch anmutet. Der Geldschöpfungsprozess ist fundamental wichtig für die Ökonomik. Die Rolle von Geld geht weit über Tauschmittel, Wertaufbewahrung und Recheneinheit hinaus. In einer modernen monetären Ökonomie spielt die Verschuldung eine fundamentale Rolle. Die monetäre Seite ist daher nicht von der realen zu trennen und muss genau analysiert werden. Mit Hyman Minskys (1982, 22-23) Worten: "The fundamental monetary process in a capitalist economy is the financing of positions and of investment; in particular investment and owning capital assets are exchanges of money now for money later". Wie auch schon Adam Smith bemerkte, sind es monetäre Profite, welche die Unternehmen antreiben. Also muss in der heutigen Ökonomik die Erklärung von Geld im Vordergrund stehen, gerade weil die Finanz- und Schuldenkrise endogen erzeugt wurde und keinen exogenen Schock darstellt. Im Folgenden möchte ich die für die Diskussion wesentlichen Punkte hervorheben (Eine ausführliche Darstellung der Funktionsweise des Geld- und Kreditsystems findet sich in Ehnts (2016)). Quaas (2017) stellt folgende zentrale Behauptung auf: "Voraussetzung der Geldschöpfung durch eine Geschäftsbank (GB) ist, dass sie über Geld der Zentralbank (ZB) verfügt." Dem widerspricht explizit die Bundesbank (2017a, S. 18) in ihrem Buchungsbeispiel 1a (siehe Abbildung 1) zur Kreditgewährung: Abbildung 1: Buchungsbeispiel Buchungsbeispiel Man beachte die leere Zentralbankbilanz unten. Bank A hält kein Zentralbankgeld, gewährt aber einen Kredit. Quaas hat Recht, wenn er behauptet, dass der Kunde X einen Anspruch auf Bargeld hat. Allerdings kann die Bank sich ja Zentralbankgeld dann leihen, wenn sie es für den Zahlungsausgleich oder die Auszahlung von Bargeld benötigt. Banken halten normalerweise nur sehr wenig Zentralbankgeld, denn dafür zahlen sie ja einen Zins. Die Bilanz der Deutschen Bank beispielsweise wies für das Geschäftsjahr 2006 – also vor der Krise – eine Barreserve von 7.008 Mrd. € aus bei einer Summe der Aktiva von 1.584.493 Mrd. € und verzinslichen Einlagen bei Kreditinstituten von 19.199 Mrd. € sowie Forderungen aus übertragenen Zentralbankeinlagen und aus Wertpapierpensionsgeschäften (Reverse Repos) in Höhe von 14.265 Mrd. €. Dies bedeutet, dass die Deutsche Bank Ende 2006 mehr als 33 Mrd. € an Forderungen gegenüber anderen Banken hatte – Forderungen, die aus dem Zahlungsausgleich entstanden und diesen in gleicher Höhe verhinderten. Banken greifen bei der Kreditgewährung im Normalfall eben nicht sofort auf Zentralbankgeld zurück oder leihen sich für die Kreditschöpfung Zentralbankgeld in entsprechender Höhe. Diesen Punkt diskutiere ich ausführlich in Ehnts (2016). Auch bei Bindseil (2014, S. 32-33) findet sich eine Diskussion der Geldschöpfung. Bindseil der im übrigen bei der EZB für das Tagesgeschäft zuständig ist, schreibt dort: "It is important to note that the credit money expansion by the bank has no impact on the central bank balance sheet in the financial accounts system above as long as the difference in the pace of additional credit provision by the two banks is not too large".

Kredit aus dem Nichts

Insofern stimme ich Quaas zu, dass ein Kredit "eine Schuldverpflichtung der Bank gegenüber dem Kreditnehmer darstellt, der sie jederzeit durch Auszahlung oder Überweisung von ZB-Geld nachkommen muss". Allerdings gilt dies für alle Banken und eine Überweisung bzw. mehrere führen in der Realität eben nicht zum sofortigen Zahlungsausgleich. Ansonsten hätten wir nicht diese hohen Forderungen aus dem Interbankenmarkt gehabt, die sich vor der Krise in deutschen Banken ansammelten. In der Realität gewähren sich Banken gegenseitig in einem gewissen Rahmen Kredit und vermeiden dadurch routinemäßig den Zahlungsausgleich. Das Buchungsbeispiel 1a der Bundesbank (2017a) ist also so zu interpretieren, dass Banken Kredit "aus dem Nichts" erzeugen (können). Die Bundesbank bestätigt dies. Sie schreibt: "Dabei hängt die Fähigkeit der Banken, Kredite zu vergeben und Geld zu schaffen, nicht davon ab, ob sie bereits über freie Zentralbankguthaben oder Einlagen verfügen" (Bundesbank 2017a, S. 15). Nichtsdestotrotz behauptet Quaas: "Das Verleihen von Kundengeld ist ein zentraler Mechanismus, der es den Geschäftsbanken erlaubt, neues Geld zu schöpfen. Die Darstellung dieses Mechanismus ist ein unwider­sprochenes Element der GMT." Einen genauen Mechanismus der Kreditschöpfung bleibt Quaas schuldig, wenn er schreibt: "Den Verbindlichkeiten stehen Aktiva gegenüber, mit denen ‚gearbeitet’ wird." Es ist dabei unklar, was gemeint ist: Spareinlagen, Zentralbankgeld oder eine, mir in der Geldtheorie zumindest im Bereich der Banken unbekannte andere Art von Aktivum.  Wenn er Ersparnisse meinen sollte, dann gehört er zu den Neoklassikern und sollte sich offen dazu bekennen. Die Meinung der Bundesbank (2017b) zu einer solchen Theorie des "Verleihen[s] von Kundengeld" ist übrigens klar ablehnend: "Tatsächlich wird bei der Kreditvergabe durch eine Bank stets zusätzliches Buchgeld geschaffen. Die weitverbreitete Vorstellung, dass eine Bank auch altes, schon früher geschöpftes Buchgeld, z.B. Spareinlagen, weiterreichen’ (könne), wodurch die volkswirtschaftliche Geldmenge nicht erhöht wird, trifft nicht zu". Weiter heißt es: "Man stelle sich z. B. vor, dass ein Kunde eine Sichteinlage bei seiner Bank in eine Spareinlage umwandelt. Für die Bank bedeutet dies einen Passivtausch. Gewährt sie nun einen frischen Kredit, schreibt sie dem Kreditnehmer den Kreditbetrag auf dessen Konto gut und schafft in diesem Zuge zusätzliches Buchgeld (es kommt zu einer Bilanzverlängerung). Die Spareinlage wird also nicht ‚weitergereicht’, es kommt vielmehr durch die Kreditvergabe zu Geldschöpfung […]". Die Bundesbank hat klargestellt, dass letztlich der Kreditnehmer  Einlagen bei der Bank und nicht deren Aktiva erhält. Insofern ist es zumindest diesem egal, wie und ob überhaupt mit der Aktiva der Bank "gearbeitet" wird. Wenn Quaas recht hätte, dann würden Banken vor der Kreditvergabe vorneweg bei der Kasse (Treasury) anrufen (,) um zu klären, ob die Bank denn noch genügend Geld, in Form von Einlagen der Bank oder bei der Zentralbank, für einen Kredit zur Verfügung hätte. Dies ist aber nachweislich nicht der Fall. Einer meiner Studierenden hatte die Berliner Sparkasse gefragt, und in deren Geschäftsprozessen komme eine solche Abfrage nicht vor. Banken verleihen also kein Geld weiter, sie schöpfen Geld aus dem Nichts. Die Behauptung von Quaas: "Zwar werden Spareinlagen nicht buchstäblich weitergereicht, aber sie füllen den Topf, aus dem heraus Kredite vergeben werden"; ist meiner Meinung nach falsch und weder empirisch noch theoretisch zuhalten. Es gibt zu diesem neoklassischen "Spartopf" mit "loanable funds" (dt.: ausleihbare Fonds) in dieser Metapher keine Entsprechung in der realen Welt. Das oben angeführte Buchungsbeispiel der Bundesbank stützt meine These und ist mit der von Quaas nicht in Einklang zu bringen. Die Bilanz einer Bank ist erst leer, und dann tauchen Kredit und Einlagen auf. Die Zentralbankbilanz bleibt unberührt. Kreditschöpfung aus dem Nichts bedeutet, dass es bei der Kreditschöpfung keine Wertdeckung gibt und dass das Giralgeld, ebenso wie Zentralbankgeld, ein Bilanzkonstrukt ist. Es gibt daher keine "natürliche" Knappheit des Geldes, da dies theoretisch unendlich erzeugt werden kann. Bilanziell gesehen entsprechen die neuen Einlagen den neuen Krediten, die nur vergeben werden, wenn Sicherheiten vorliegen und eine tatsächliche Nachfrage nach Kredit da ist. Und dies ist der wesentliche Grund, warum die Kreditmenge nicht unbegrenzt wächst: Kredite kosten Geld, nämlich Zinsen, und die Rückzahlung ist mit Unsicherheit behaftet, da sie in der Zukunft liegt und diese nicht vorherzusehen ist. Die effektive Kreditnachfrage bestimmt die Kreditmenge. Diese Sicht auf die Kredit- und Geldschöpfung sollte in der Lehre unbedingt als eine Alternative zu den gängigen Lehrbüchern dargestellt werden.

Doppelte Buchhaltung

Einer der ersten Ökonomen, die auf diese Zusammenhänge hinwiesen, war übrigens ein gewisser Joseph Schumpeter. In seiner Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung schrieb Schumpeter (1912, S. 197): "Man könnte ohne große Sünde sagen, dass der Bankier Geld schaffe." Vielleicht muss die Ökonomie sich an ihre Wurzeln zurückbegeben, bevor sie gestärkt aus den geldtheoretischen und makroökonomischen Verwirrungen der letzten Jahrzehnte hervorgehen kann. Unserer Disziplin würde auch mehr Pluralität sicherlich nicht schaden. Als moderne Methode der Analyse schlage ich die doppelte Buchführung vor, denn durch sie lassen sich die grundlegenden Geschehnisse der Geld- und Kreditschöpfung und der Transaktionen systematisch betrachten. "Welche Vorteile gewährt die doppelte Buchführung dem Kaufmanne! Sie ist eine der schönsten Erfindungen des menschlichen Geistes und ein jeder guter Haushalter sollte sie in seiner Wirtschaft einführen", wusste schon Goethe. Meiner Meinung nach können und sollten auch die ÖkonomInnen von diesen Vorteilen profitieren.

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