Globalisierung kann und soll nicht so fortgesetzt werden wie bisher, sondern sich mehr an gesellschaftlichen Zielen und auch an deren regionalen Unterschieden orientieren. Auch die Architekten der Globalisierung werden wechseln, nicht mehr die USA und die multinationalen Unternehmen werden das Tempo und die Spielregeln bestimmen, sondern China, Europa und Kalifornien, wie dieser Beitrag zeigt. Die Kritik erreicht "Mainstream Economics" Die Globalisierungskritik hat einen Wandel durchgemacht. War früher die Kritik im Mittelpunkt gestanden, dass die Industriestaaten die armen Länder ausbeuten, für billige Rohstoffe und Arbeit nutzen und Raubbau an der Natur betreiben, werden heute stärker die Nachteile für reiche Länder thematisiert: Arbeitslosigkeit und Ungleichheit,
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Globalisierung kann und soll nicht so fortgesetzt werden wie bisher, sondern sich mehr an gesellschaftlichen Zielen und auch an deren regionalen Unterschieden orientieren. Auch die Architekten der Globalisierung werden wechseln, nicht mehr die USA und die multinationalen Unternehmen werden das Tempo und die Spielregeln bestimmen, sondern China, Europa und Kalifornien, wie dieser Beitrag zeigt.
Die Kritik erreicht "Mainstream Economics"
Die Globalisierungskritik hat einen Wandel durchgemacht. War früher die Kritik im Mittelpunkt gestanden, dass die Industriestaaten die armen Länder ausbeuten, für billige Rohstoffe und Arbeit nutzen und Raubbau an der Natur betreiben, werden heute stärker die Nachteile für reiche Länder thematisiert: Arbeitslosigkeit und Ungleichheit, Entindustrialisierung durch Dumping und manipulierte Währungen. Die Kritik hat auch die Mainstream-Ökonomie erreicht. Rodrik (2016) betont, man müsse auf Globalisierung verzichten, wenn diese progressive Steuern, antizyklische Konjunkturpolitik und reichhaltige Produktionsstrukturen verhindert. Mit Coeure (2017) fordert ein Vertreter der EZB Verbesserungen in der Finanzglobalisierung und entschlossene Regierungen ("firm governance") als Bedingungen für ihre Fortsetzung. Maskin (2014) fragt, wer denn die erforderliche Verbesserung der Ausbildung der geringer Qualifizierten zahlen sollte. Bayer (2016, 2017) fordert eine Besteuerung von Finanztransaktionen und Vermögen sowie eine stärkere Berücksichtigung der kulturellen Unterschiede der Betroffenen. Summers (2016) kritisiert, dass bisher die Konzerne einen überdurchschnittlichen Einfluss auf die Globalisierung hatten, nicht hingegen der Wunsch der Bevölkerung, die Lebensbedingungen der Gesellschaften zu bestimmen, in denen sie lebt.
Wir zeigen (in Erweiterung und Aktualisierung von Aiginger, 2016 sowie Aiginger – Pohl, 2016), dass die Globalisierung überwiegend Vorteile gebracht hat. Aber auch Nachteile, die schon in den Modellen angekündigt waren (z. B. für gering Qualifizierte in reichen Ländern) sind eingetreten. Noch wichtiger ist aber die Erkenntnis, dass erkennbare Nachteile in Industrieländern mehr die Folge von Staatsversagen und Lobbyismus als von Globalisierung sind und dass es auch in einer geschlossenen Wirtschaft sinnvoll wäre, diese Politikirrtümer abzubauen z. B. Preise für ökologische Schäden zu verrechnen oder die ungleichen Lebenschancen durch Bildungsvererbung abzubauen. Wir leiten im Folgenden sieben Prinzipien einer verantwortungsbewussten Globalisierung ab (vgl. auch Aiginger, 2017B, Aiginger – Handler, 2017). Diese Prinzipien sind in einer globalisierten Wirtschaft besonders wichtig, würden die Wohlfahrt aber auch in einer geschlossenen Wirtschaft heben.
Empirie der Hyperglobalisierung 1990-2016
Das weltwirtschaftliche Wachstum liegt seit den neunziger Jahren trotz der Finanzkrise bei hohen und stabilen 3 % pro Jahr. Die Entwicklungs- und Schwellenländer hatten in dieser „dritten Phase der Globalisierung“ (Aiginger – Pohl, 2016) ein stärkeres Wachstum und holten einen Teil des Wohlstandsvorsprungs der Industrieländer auf. Als Folge ist die Ungleichheit der Pro Kopf Einkommen zwischen den Ländern deutlich gesunken.
Die absolute Armut definiert nach einem konstanten und preisbereinigten Dollarbetrag pro Tag, aber ebenso nach Kriterien für manifeste Armut, ist weltweit im Sinken, und besonders stark in den Entwicklungsländern. Als wohl umfassendster Wohlfahrtsindikator kann die steigende Lebenserwartung herangezogen werden. Sie ist in den Schwellenländern zwischen 1950 und 2015 von 50 auf 67 Jahre gestiegen. Auch die Lebenserwartung in den Industrieländern ist noch einmal um 10 Jahre auf 81 Jahre angewachsen (Aiginger, 2017B). Das zeigt, dass das Wachstum mit Wohlfahrtsgewinnen auf breiter Basis (und nicht nur solchen der Bezieher von Spitzeneinkommen) verbunden war.
Tabelle 1: Lebenserwartung nach Wirtschaftsräumen
Quelle: Weltbank.
Allerdings steigt die relative Ungleichheit in den meisten Ländern, aber nicht in allen, sodass sich auch hier nationale Handlungsspielräume zeigen. Die Arbeitslosigkeit in Europa ist seit der Finanzkrise gestiegen, gleichzeitig auch die Beschäftigungsquote. In den USA ist es umgekehrt, sowohl Arbeitslosigkeit als auch Erwerbsquote sind nun deutlich niedriger als vor der Finanzkrise. In den USA stagniert der Medianlohn seit Jahrzehnten, in Europa steigen die Durchschnittslöhne – wenn auch das untere Drittel nur wenig. Ein problemfreies „Gleichgewicht“ gibt es am Arbeitsmarkt weder in den USA noch in Europa.
Wie weit steigende Ungleichheit mit der Globalisierung zusammenhängt, ist umstritten. Die meisten Studien geben der Technologieentwicklung (sie begünstigt die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften und weltweit umworbener Spitzenkräfte), eine wichtigere Rolle beim Anstieg der personellen Ungleichheit als die zur Globalisierung. Wahrscheinlich ist es das Zusammenwirken von Technologie und Globalisierung in Verbindung mit einer Schwächung der Gewerkschaften, das zur empirisch sichtbaren Verstärkung der Ungleichheit innerhalb der meisten Industrieländer beigetragen hat.
Mit der jüngsten Globalisierungswelle hat der Anteil Chinas am Welthandel besonders rasch zugenommen. In den USA wird dies als „disruptiv“ angesehen, weil die Importe aus China zur De-Industrialisierung und zum Außendefizit beigetragen hat. Im Gegensatz dazu verzeichnet Europa einen Überschuss in der Handels- und Leistungsbilanz. Die negative Bilanz gegenüber China wird durch positive Bilanzen gegenüber anderen Ländern, u.a. auch die USA, mehr als ausgeglichen. Die Leistungsbilanz des Euroraumes war 2000 noch negativ, heute beträgt der Überschuss 2 % des BIP. In den USA liegt das Defizit der Leistungsbilanz bei 3.4 %. Es ist durch verringerte Energieimporte etwas geringer als 2000, die Bilanz bei technologiegetriebenen Gütern hat sich hingegen deutlich verschlechtert. Die Unfähigkeit des weltweiten Technologieführers, seine Stärken für einen Anstieg der Löhne oder den Export von Technologiewaren auszunutzen, wird mit geringen Vernetzungsvorteilen und frühem Outsourcing erklärt (vgl. Berger, 2013). Beides kann nicht als negative Folge der Globalisierung oder eines unfairen Kostenwettbewerbs von Schwellenländern erklärt werden. Der Anteil der Industrie (manufacturing) an der Wirtschaftsleistung ist in den USA deutlich gesunken und ist nun niedriger als in Europa. In den EU-Mitgliedstaaten entwickelten sich der Rückgang des industriellen Sektors und der Saldo der Handelsbilanz äußerst unterschiedlich. In Südeuropa, Frankreich und Großbritannien sinkt der Industrieanteil Richtung 10 % und die Leistungsbilanzen sind stark defizitär; in Deutschland, Österreich und Irland ist der Industrieanteil relativ stabil und die Leistungsbilanzüberschüsse sind hoch.
Tabelle 2: Leistungsbilanz der Industrieländer
Quelle: Europäische Kommission, OeNB, WDS - WIFO-Daten-System, Macrobond.
Nimmt man die Leistungsbilanz einer Region als Indikator für den positiven bzw. negativen Einfluss der Globalisierung, so kann man für die Industrieländer keinen negativen Gesamteinfluss feststellen. Die Leistungsbilanz der OECD (die als Proxy für Industrieländer herangezogen werden kann) ist praktisch ausgeglichen; im Jahr 2000 hatten die OECD-Mitglieder noch ein Defizit von 1,2 %. Das bedeutet, dass die sichtbaren Verluste von Markt- und Industrieanteilen an Entwicklungsländer in spezifischen Branchen, durch die starke Marktausweitung aufgrund des hohen Wachstums der "Dritten Welt", insgesamt ziemlich genau ausgeglichen wurden. Die Unterschiede von Land zu Land deuten den Spielraum durch nationale Politik an.
Prinzipien einer verantwortungsbewussten Globalisierung
Die Querdenkerplattform Wien Europa hat sieben Prinzipien einer verantwortungsbewussten Globalisierung mit einer aktiveren Prägung durch Europa entwickelt (Aiginger, 2017 B, Aiginger und Handler, 2017)
Kompass: Die Globalisierung ist kein Ziel an sich, sondern muss an ihrem Beitrag zur Erhöhung von Lebensqualität und Weltfrieden beurteilt werden.
Ob ein bestimmter Globalisierungsgrad – weltweit, für einzelne Regionen, oder Länder – positiv ist, ist auf Basis von Zielen (Beyond-GDP- Ziele, bzw. Sustainable- Developement-Indikatoren) zu beurteilen.
Gestaltung: Die Globalisierung soll den Handlungsspielraum von Individuen und Ländern erhöhen, die wirtschaftspolitische Begleitung soll Bottom up Elemente einbeziehen und für Experimente offen sein.
Globalisierung soll so gestaltet werden, dass sie Personen, Firmen und Länder befähigt, eigene Entscheidungen zu treffen. Individuelle Wahlmöglichkeiten und die Berücksichtigung auch unterschiedlicher kultureller Präferenzen nach Ländern und Regionen sind eine wichtige Komponente der Lebensqualität.
Anhebung der Standards: Die Globalisierung erfolgt in einer offenen Weltwirtschaft durch Arbeitsteilung und neue Technologien. Die politische Begleitung ist dafür entscheidend, ob soziale und ökologische Herausforderungen besser bewältigt werden als bei Abschottung.
Transportkosten und andere externe Effekte müssen in die Produktions- und Konsumentscheidungen einbezogen werden, unverschuldete soziale Risiken durch das Sozialsystem abgefedert werden. Ob Standards nach untern oder nach oben angeglichen werden, wird auch in den Handels- und Investitionsverträgen bestimmt. Die Unterschiedlichkeit und Vielfalt der Ziele (Dynamik, Inklusivität, Nachhaltigkeit) erfordern einen simultanen Ansatz: "Silostrategien", die je nur ein Problem ohne Berücksichtigung anderer Ziele forcieren, sind ineffizient und teuer (Aiginger, 2016).
Befähigung zum Wandel: Das Tempo der Veränderungen steigt durch Globalisierung, unterschiedliche Effekte nach Qualifikationen und Berufen erfordern, dass die Verlierer der Globalisierung entschädigt werden oder- noch besser- dazu befähigt werden, in die Gewinnergruppe umzusteigen.
Langfristig muss das Bildungs- und Ausbildungssystem auf den schnelleren strukturellen Wandel vorbereiten. Kurzfristig sind Veränderungen (z. B. durch Standortverlagerungen großer Firmen) nicht immer absehbar und sie treten oft regional geballt auf. Daher sind Umschulungsmaßnahmen zu verstärken. Die Gewinner der Globalisierung sollen einen Anreiz haben, bei Veränderung von Qualifikationen und der Regionalstruktur mitzuwirken (Bayer, 2017). Beiträge zur Umschulung der Verlierer in den Industrieländern und Verbesserungen des Schul- und Ausbildungssystems sowie die Schaffung inländischer Unternehmen in den Schwellenländern sollen steuerlich begünstigt werden. Dagegen sollen Gewinntransfers in Steueroasen verhindert werden. Zufallsgewinne können durch progressive Besteuerung oder stärkere Anreize zur investiven Verwendung der Gewinne begrenzt werden.
Evaluation des Erfolges: Der Beitrag der Globalisierung zur Verbesserung der Lebensqualität muss laufend an den Komponenten, die sie generieren, gemessen werden. Das ermöglicht das Erkennen von Problemen und auch die Anpassung der Wirtschaftspolitik an nationale Präferenzen und Chancen (Functionality approach).
Lebensqualität ist ein besseres Erfolgsmaß für Gesellschaften als das Bruttoinlandsprodukt oder das Wachstum. Es müssen die Komponenten (Funktionen) definiert werden, die zur Lebensqualität beitragen und der Fortschritt muss laufend gemessen werden. Die Politik muss Individuen und Firmen stärken, diese Chancen durch Innovationen und Experimente zu nutzen.
Rolle Europas: Die Europäische Union soll verstärkt Verantwortung für die Globalisierung übernehmen und europäische Werte in die Globalisierung einbringen, aber auch von anderen Regionen lernen, da Vielfalt ein wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Vorteil ist.
Europa war bisher kein gewichtiger Gestalter der Globalisierung. Mit dem abnehmenden Anteil der Industrieländer insgesamt (und Europas im Besonderen) an der Weltbevölkerung, konkurrieren in einer multipolaren Welt unterschiedliche Wertesysteme. Die USA hatten bisher über internationale Organisationen und multinationale Konzerne einen großen Einfluss, China versucht zunehmend diese Rolle einzunehmen. In dieser Situation sollte Europa versuchen, gesellschaftliche Werte wie Demokratie und Menschenrechte, aber auch soziale Ambitionen und ökologische Exzellenz stärker einzubringen.
Grundkonsens: Gemeinsames Handeln generiert Wohlfahrt und wirtschaftlichen Erfolg, nationale Alleingänge zu Lasten anderer Regionen sind bestenfalls kurzfristig erfolgreich.
Verantwortungsbewusste Globalisierung ist kein Nullsummenspiel, in dem einer gewinnt, was der andere verliert, sondern zielt auf die Verbesserung der Lebensqualität bei allen Partnern ab. Verträge die nur das Wohl eines Landes erhöhen wollen ("My country first" Strategien), sind erfolglos und ineffizient.
Die unerwartete Konsequenz
Die meisten wirtschaftspolitischen Eingriffe zur Erfüllung dieser Prinzipien wären auch in einer nationalen Wirtschaft wohlfahrtserhöhend, nur auf einem niedrigeren Niveau der Lebensqualität. Gleichzeitig stehen viele dieser Prinzipien den Leitgedanken der neuen US-Administration teilweise sogar diametral entgegen. Als Träger und Gestalter der Globalisierung treten die Vereinigten Staaten nun offensichtlich in den Hintergrund – zumindest auf gesamtstaatlicher Ebene. Andererseits wollen einzelne Bundesstaaten und insbesondere Kalifornien mit einer offenen Handelsstrategie die Globalisierung fortsetzen und auch bei der Bekämpfung des Klimawandels voranzugehen. China verteidigt die Globalisierung und investiert seine Finanzreserven in neue Technologien und Transportwege, wobei es sicher in einigen Fragen andere Prioritäten als Europa hat, aber auch eine stärkere Entschlossenheit neue Wege zu gehen. In dieser Situation könnte sowohl die Weiterführung der Globalisierung als auch der erfolgreiche Kampf gegen den Klimawandel drei ungleiche, einander aber gut ergänzende Kapitäne haben: Kalifornien, China und Europa.
Aiginger, K., New Dynamics for Europe: Reaping the Benefits of Socio-ecological Transition[ a ], WWWforEurope, Vienna, Brussels, 2016.
Aiginger, K. (2017A), "How a strong Europe could create more national scope of action", Policy Crossover Center, Flash Paper, 4/2017, forthcoming in Intereconomics.
Aiginger, K. (2017B), "Die Globalisierung verantwortungsbewusst und europäisch gestalten", Querdenkerplattform: Wien-Europa, Policy Brief, 2/2017.
Aiginger, K., Handler, H., Europe taking the lead in responsible globalization, Economics, Discussion Paper 42, July 2017.
Aiginger, K, Pohl, A. "Globalisierung: Politische Begleitung statt neuer Mauern", Ökonomenstimme, 20.12.2016.
Bayer, K., "Wie könnte 'gute' Globalisierung aussehen?", ÖGfE, Policy Brief, 24. Oktober 2016.
Bayer, K., "Keine falschen Alternativen: Globalisierung muss gestaltet werden", Policy Crossover Center, Flash Paper, 4/2017.
Berger, S., Making in America: From Innovation to Market, MIT Press, August 2013.
Coere, B., "Sustainable globalization: Lessons from Europe", European Central Bank, 15.2.2017
Maskin, E., "Globalization is increasing inequality", World Bank, 23.06.2014.
Rodrik, D., "There is no need to fret about deglobalisation", Financial Times, October 4, 2016.
Summers, L., "Voters deserve responsible nationalism not reflex globalism", Financial Times, July 10, 2016.
©KOF ETH Zürich, 21. Jul. 2017