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Schädliche Wirkung von Streitschlichtungsverfahren auf Direktinvestitionen?

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Die Möglichkeit, Gastländer wegen vorgeblicher Vertragsverletzungen vor internationalen Schiedsgerichten zu verklagen, wirkt sich negativ auf die Direktinvestitionen aus, wie dieser Beitrag zeigt. Dies erklärt auch einen Teil des politischen Widerstands gegen Direktinvestoren. Der verstärkte Schutz privater Investoren, den die Regeln zur Streitschlichtung in vielen bilateralen und regionalen Abkommen gewähren, wird sowohl unter Experten als auch in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. In Europa macht sich der Widerstand insbesondere an den Verhandlungen über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) fest. Aber auch anderswo – etwa in Lateinamerika und Südafrika – schwindet die politische Neigung, ausländische Direktinvestitionen dadurch anzulocken, dass es den Investoren ermöglicht wird, Gastländer wegen vorgeblicher Vertragsverletzungen vor internationalen Schiedsgerichten mit der Aussicht auf hohe Kompensationszahlungen zu verklagen. Zum einen wird bezweifelt, dass der Abschluss solcher Abkommen überhaupt positive Wirkungen auf den Zustrom von Direktinvestitionen in das Gastland hat. Zum anderen scheinen die lange Zeit vernachlässigten Kosten von Schiedssprüchen angesichts der steigenden Zahl von Streitfällen nun ins Blickfeld zu rücken.

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Die Möglichkeit, Gastländer wegen vorgeblicher Vertragsverletzungen vor internationalen Schiedsgerichten zu verklagen, wirkt sich negativ auf die Direktinvestitionen aus, wie dieser Beitrag zeigt. Dies erklärt auch einen Teil des politischen Widerstands gegen Direktinvestoren.

Der verstärkte Schutz privater Investoren, den die Regeln zur Streitschlichtung in vielen bilateralen und regionalen Abkommen gewähren, wird sowohl unter Experten als auch in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. In Europa macht sich der Widerstand insbesondere an den Verhandlungen über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) fest. Aber auch anderswo – etwa in Lateinamerika und Südafrika – schwindet die politische Neigung, ausländische Direktinvestitionen dadurch anzulocken, dass es den Investoren ermöglicht wird, Gastländer wegen vorgeblicher Vertragsverletzungen vor internationalen Schiedsgerichten mit der Aussicht auf hohe Kompensationszahlungen zu verklagen. Zum einen wird bezweifelt, dass der Abschluss solcher Abkommen überhaupt positive Wirkungen auf den Zustrom von Direktinvestitionen in das Gastland hat. Zum anderen scheinen die lange Zeit vernachlässigten Kosten von Schiedssprüchen angesichts der steigenden Zahl von Streitfällen nun ins Blickfeld zu rücken.

Wie lässt sich die Wirkung von Streitfällen auf BITs nach Vertragsabschluss messen?

Die wissenschaftliche Literatur hat sich traditionell schwer getan, positive Wirkungen auf Direktinvestitionen nach dem Abschluss bilateraler Investitionsabkommen (BITs) nachzuweisen, insbesondere weil Endogenitätsprobleme kaum in den Griff zu bekommen waren. Studien zur Frage, ob Streitfälle nach Vertragsabschluss die Direktinvestitionen wieder schrumpfen lassen, sind Mangelware. Um diese Lücke zu füllen, stellen Aisbett, Busse und Nunnenkamp (2016) in einer neuen Analyse auf die Unterschiede in den Reaktionen von geschützten und ungeschützten Investoren auf Streitschlichtungsverfahren ab, die im Zeitraum 1980-2010 vor das International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) und ähnliche Schiedsgerichte gebracht worden sind. Die Unterscheidung von Investoren, die in BIT-Partnerländern beheimatet sind, und Investoren aus Herkunftsländern ohne den Schutz durch BITs, ermöglicht es zugleich besser zu identifizieren, auf welche Weise BITs die Direktinvestitionen beeinflussen.

Drei Hypothesen stehen im Raum, die voneinander abweichende Vorhersagen zu den Reaktionen geschützter und ungeschützter Investoren auf den Abschluss von BITs und Streitschlichtungsverfahren machen. Die unter anderem von Neumayer und Spess (2005) vertretene erste Hypothese interpretiert BITs als allgemeines Signal des Gastlandes, das damit auf sein gutes Investitionsklima aufmerksam macht. Dieses Signal wird demnach nicht nur von Investoren aus den BIT-Partnerländern aufgenommen, sondern auch von Investoren aus Ländern, mit denen es (noch) kein BIT gibt. Diese Hypothese sieht deshalb gar keinen Anlass, zwischen den Reaktionen geschützter und ungeschützter Investoren zu differenzieren. Beide Gruppen sollten verstärkt in Gastländern investieren, die BITs abschließen. Wenn diese BITs dann später verletzt werden und es zur Streitschlichtung vor internationalen Schiedsgerichten kommt, würde das von beiden Gruppen als neues, nun negatives Signal verstanden. Das Investitionsklima hätte sich als schlechter erwiesen als ursprünglich gedacht, so dass beide Gruppen ihre Direktinvestitionen einschränken würden.

Die beiden alternativen Hypothesen lassen dagegen erwarten, dass der Abschluss von BITs eine stärker positive Wirkung auf die Direktinvestitionen geschützter Investoren hat als auf die Direktinvestitionen ungeschützter Investoren. Die Begründungen sind aber unterschiedlich. Die zweite Hypothese betont den „Versicherungsschutz“ durch BITs. Investoren erwarten demnach zwar nicht, dass das Gastland nach dem Abschluss von BITs Vertragsverletzungen unter allen Umständen vermeidet. Der mögliche Rückgriff auf Streitschlichtung durch internationale Schiedsgerichte und die Aussicht auf Kompensationszahlungen könnte Investoren mit BIT-Schutz aber vor Gewinneinbußen in der Folge von Vertragsverletzungen weitgehend bewahren. Die dritte Hypothese betont hingegen den Abschreckungseffekt von BITs. In diesem Fall erwarten die Investoren mit BIT-Schutz, dass das Gastland potenziell hohe Strafzahlungen antizipiert und Vertragsverletzungen deshalb vermeidet.

Versicherungsschutz oder Abschreckung hätten nach dem Abschluss von BITs zwar ähnliche Effekte, indem sie in erster Linie Direktinvestitionen aus Partnerländern anlocken. Diese beiden Hypothesen lassen aber gegensätzliche Reaktionen erwarten, sobald es zu Streitfällen kommt. Geschützte Investoren, die auf Abschreckungseffekte vertraut haben, müssten vergleichsweise stark auf Streitfälle reagieren, indem sie ihre Direktinvestitionen in dem Gastland zurückfahren, das ihre Erwartungen durch Vertragsverletzung enttäuscht hat. Da Investoren aus anderen Herkunftsländern von Anfang an kein Wohlverhalten des Gastlandes erwarten konnten, mit dem kein BIT bestand, dürften ihre negativen Reaktionen vergleichsweise schwach ausfallen, wenn dieses Gastland in ein Streitschlichtungsverfahren gerät. Ein ganz anderes Reaktionsmuster ist dagegen zu erwarten, wenn auch geschützte Investoren nicht auf das Wohlverhalten des Landes vertraut haben, sondern auf den Versicherungsschutz gesetzt haben. Im Vergleich zu den Direktinvestitionen ungeschützter Investoren, die keine Kompensationsforderungen vor dem ICSID erheben können, sollten die Direktinvestitionen von geschützten Investoren dann weniger negativ auf Streitfälle reagieren.

Aisbett et al. (2016) schätzen ein erweitertes Gravitätsmodell für ein Sample von 83 Gastländern und 39 Herkunftsländern von Direktinvestitionen, um die Reaktionen von geschützten und ungeschützten Investoren auf Streitschlichtungsverfahren zu testen und dabei zwischen den alternativen Hypothesen zu diskriminieren. Die konservative Schätzmethode (mit fixen Effekten für jedes Länderpaar und jedes Jahr) minimiert Endogenitätsprobleme aufgrund von unbeobachteten Faktoren und umgekehrter Kausalität (von höheren Direktinvestitionen auf die Wahrscheinlichkeit des Abschlusses von BITs und des Auftretens von Streitfällen). Der Fokus auf unterschiedlichen Reaktionen geschützter und ungeschützter Investoren gewährleistet darüber hinaus, dass derartige Probleme so weit wie möglich auszuschließen sind.

Einbruch nach Streitfall

Das wesentliche Ergebnis der Analyse lässt sich illustrieren, indem man die Entwicklung der bilateralen Direktinvestitionen von geschützten und ungeschützten Investoren bezogen auf den Zeitpunkt vergleicht, zu dem das Gastland sich zum ersten Mal einem Streitschlichtungsverfahren ausgesetzt sieht (in der Abbildung durch die vertikale Linie im Zeitpunkt 0 gekennzeichnet). Die rote Linie kennzeichnet den Durchschnitt der (transformierten) bilateralen Direktinvestitionen von Investoren, die im gesamten Zeitraum (seit 10 Jahren vor dem ersten Streitfall) durch BITs geschützt waren. Die blaue Linie kennzeichnet das Äquivalent für Direktinvestitionen von ungeschützten Investoren. Der negative Effekt des ersten Streitfalls scheint sich auf die Direktinvestitionen von geschützten Investoren zu konzentrieren. Um den Zeitpunkt 0 herum ist ein relativ starker Einbruch der Direktinvestitionen von geschützten Investoren zu beobachten, was ein erstes Indiz zugunsten der Abschreckungsthese bietet.

Abbildung: Entwicklung der Direktinvestitionen geschützter und ungeschützter Investoren vor und nach dem ersten Streitschlichtungsverfahren

Die ökonometrischen Schätzungen verstärken diesen Eindruck. Wenn man nicht zwischen geschützten und ungeschützten Investoren unterscheidet, zeigt sich zunächst ein negativer Effekt von Streitfällen auf die Direktinvestitionen im betroffenen Gastland. Dieser Effekt ist sowohl statistisch hoch signifikant als auch substantiell bedeutsam. Allerdings ist er mit allen oben beschriebenen kausalen Hypothesen vereinbar. Bei einer Differenzierung zwischen geschützten und ungeschützten Quellen wird jedoch eindeutig die Abschreckungsthese unterstützt. Der signifikant negative Effekt von Streitfällen beschränkt sich auf die Direktinvestitionen geschützter Investoren. Der zunächst positive Effekt des BIT-Abschlusses wird durch diese negative Reaktion geschützter Investor völlig zunichtegemacht; d.h., BITs locken nur so lange Direktinvestitionen an, wie das Gastland keinem Streitschlichtungsverfahren unterliegt. Es zeigt sich zudem, dass BITs, die erst nach dem ersten Streitfall abgeschlossen werden, keinerlei positive Effekte auf den Zustrom von Direktinvestitionen mehr haben. Auch dieses Ergebnis stützt die Abschreckungsthese. Schließlich erweisen sich die zentralen Schätzergebnisse als robust, z.B. wenn das Sample der Gastländer eingeschränkt oder die Spezifikation durch zusätzliche Kontrollvariablen erweitert wird.

Die Analyse von Aisbett et al. (2016) hilft den zunehmenden politischen Widerstand erklären, es ausländischen Direktinvestoren durch Regeln in bilateralen und regionalen Investitionsabkommen einseitig zu ermöglichen, Gastländer wegen vorgeblicher Vertragsverletzungen vor internationalen Schiedsgerichten wie dem ICSID zu verklagen. Die potenziellen Kosten solcher Regeln beschränken sich nicht auf die bewusst eingeschränkte nationale Souveränität, um Direktinvestitionen anzulocken. Sie gehen auch über eventuelle Kompensationszahlungen im Streitfall hinaus. Sobald es zur Streitschlichtung kommt, wird es höchst fraglich, dass der Abschluss von Investitionsverträgen überhaupt noch positive Effekte auf die Direktinvestitionen hat.

Literatur

Aisbett, E., M. Busse und P. Nunnenkamp (2016). Bilateral investment treaties do work; until they don’t. Kiel Working Paper 2012. Institute for the World Economy, Kiel.

Neumayer, E. and L. Spess (2005). Do bilateral investment treaties increase foreign direct investment to developing countries? World Development 33(10): 1567-1585.

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