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Protektionismus durch die Hintertür? Nicht-tarifäre Handelshemmnisse der USA während der Finanzkrise

Summary:
Gab es während der Finanzkrise eine Zunahme von Protektionismus in den USA? Auf den ersten Blick nicht, zumindest wenn man die bei der WTO meldungspflichtigen Handelsmaßnahmen in Betracht zieht. Doch eine strengere Durchsetzung von existierenden Produktstandards ist nicht meldungspflichtig. Auf dieses Instrument scheinen die USA verstärkt gesetzt zu haben – mit negativen Folgen für die Importe, wie dieser Beitrag zeigt. Die Angst vor Protektionismus führte während der Finanzkrise 2008/2009 zu einer genauen Beobachtung von nicht-tarifären Handelshemmnissen (siehe Baldwin und Evenett, 2009). All jene Handelsmaßnahmen, welche der WTO gemeldet werden müssen, weisen im Fall der Vereinigten Staaten im Laufe der Krise nur geringe Anstiege an Protektionismus auf. Eine strengere Durchsetzung von existierenden Produktstandards zieht allerdings keine WTO-Meldung nach sich. Wir argumentieren in diesem Beitrag, dass die USA während der letzten Wirtschaftskrise vermehrt auf dieses weniger transparente Handelsinstrument zurückgegriffen haben … mit negativen Auswirkungen auf die US-amerikanischen Importe. Produktstandards haben zum Ziel, die Gesundheit von heimischen Konsumentinnen und Konsumenten zu schützen. Die Food and Drug Administration (FDA) ist für die Sicherheit einer breiten Palette an heimischen und ausländischen Produkten in den USA verantwortlich.

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Gab es während der Finanzkrise eine Zunahme von Protektionismus in den USA? Auf den ersten Blick nicht, zumindest wenn man die bei der WTO meldungspflichtigen Handelsmaßnahmen in Betracht zieht. Doch eine strengere Durchsetzung von existierenden Produktstandards ist nicht meldungspflichtig. Auf dieses Instrument scheinen die USA verstärkt gesetzt zu haben – mit negativen Folgen für die Importe, wie dieser Beitrag zeigt.

Die Angst vor Protektionismus führte während der Finanzkrise 2008/2009 zu einer genauen Beobachtung von nicht-tarifären Handelshemmnissen (siehe Baldwin und Evenett, 2009). All jene Handelsmaßnahmen, welche der WTO gemeldet werden müssen, weisen im Fall der Vereinigten Staaten im Laufe der Krise nur geringe Anstiege an Protektionismus auf. Eine strengere Durchsetzung von existierenden Produktstandards zieht allerdings keine WTO-Meldung nach sich. Wir argumentieren in diesem Beitrag, dass die USA während der letzten Wirtschaftskrise vermehrt auf dieses weniger transparente Handelsinstrument zurückgegriffen haben … mit negativen Auswirkungen auf die US-amerikanischen Importe.

Produktstandards haben zum Ziel, die Gesundheit von heimischen Konsumentinnen und Konsumenten zu schützen. Die Food and Drug Administration (FDA) ist für die Sicherheit einer breiten Palette an heimischen und ausländischen Produkten in den USA verantwortlich. Während die FDA den Marktzugang für heimische Produkte nur verweigern kann, wenn sie auch eine Verletzung von Produktstandards beweisen kann, so reicht es im Falle von Importlieferungen aus, dass ein bestimmter amerikanischer Produktstandard “scheinbar verletzt ist” (engl. “appear to violate”). Diese Formulierung geht auf den Paragraphen 801(a) des Federal Food, Drug, and Cosmetic (FD&C) Act zurück. Die FDA hat dadurch einen beträchtlichen Spielraum für mögliche diskriminierende Maßnahmen gegen Importe in die USA.

Warum wird jedes Jahr tausenden von Importlieferungen der Marktzutritt verwehrt? Die FDA selbst nennt folgende Hauptgründe für diese Importzurückweisungen (engl. “import refusals”). Ein Produkt ist minderwertig, es stellt ein erhebliches Gesundheitsrisiko dar oder es erfüllt nicht die amerikanischen Beschriftungs- und Zertifikationsrichtlinien. Darüber hinaus gibt es aber auch anekdotische Evidenz, dass eine strengere Durchsetzung von Produktstandards heimische Industrien vor internationalem Wettbewerb schützen soll. Das erfolgreiche Lobbying der amerikanischen Wels-Produzenten hat beispielsweise tatsächlich zu häufigeren Grenzkontrollen von Wels-Importen geführt (siehe New York Times, 2013).

Protektionismus ist nicht zufällig

Zwei wichtige Beiträge zur Literatur haben bereits betont, dass Protektionismus mit Hilfe technischer Regulierungen kein Zufallsprodukt ist, sondern eine Folge von Lobbying und Importwettbewerb (siehe Trefler, 1993, und Essaji, 2008). Basierend auf Querschnittsdaten untersucht Essaji (2008) den Einfluss von technischen Regulierungen der USA auf US-amerikanische Importe im Jahr 1999. Sein Maß für technische Regulierung ist ein de jure Maß, das nicht über verschiedene Handelspartner variiert und  nicht zwischen Regulierungen der Importförderung und -hinderung unterscheidet. Im Gegensatz dazu untersuchen wir die ökonomischen Auswirkungen von einem de facto Maß für technische Regulierung (Importzurückweisungen), welches über die Zeit und Länder-Produkt-Gruppen variiert (siehe Grundke und Moser, 2016). Wann immer eine Produktgruppe eines Landes in einem bestimmten Jahr von einer Nicht-Einhaltung amerikanischer Produktstandards betroffen ist, spiegelt sich das in den Importzurückweisungen wider. Ein Anstieg dieser Variable bedeutet, dass existierende technische Regulierungen zunehmend “Zähne zeigen”.

Ist Protektionismus zyklisch oder antizyklisch?

Bagwell und Staiger (2003) stellen einen Modellrahmen vor, in dem Handelspolitik in schlechten wirtschaftlichen Zeiten zunehmend protektionistischer wird. Die aktuelle empirische Literatur zeichnet kein eindeutiges Bild. Auf der einen Seite argumentiert Rose (2013), basierend auf einem reichen Paneldatensatz, gegen antizyklischen Protektionismus nach dem Zweiten Weltkrieg. Auf der anderen Seite zeichnen Kee et al. (2013) und Bown and Crowley (2013) ein etwas differenzierteres Bild. Die erste der beiden Studien findet einen relativen schwachen Anstieg amerikanischer nicht-tarifärer Handelshemmnisse, vor allem für Antidumping. Die zweite Studie zeigt, dass sogenannte temporäre Handelsbarrieren tendenziell bei negativen makroökonomischen Schocks (wie beispielsweise einem Anstieg der Arbeitslosigkeit) in den USA zunehmen. Unsere Studie unterscheidet sich von diesen wertvollen Arbeiten in einer zentralen Dimension: Eine strengere Durchsetzung von Produktstandards muss nicht an die WTO gemeldet werden.

Abbildung 1 gibt einen ersten Eindruck von der strengeren Durchsetzung von Produktstandards während der amerikanischen Wirtschafts- und Finanzkrise. Die Anzahl der FDA-Inspektionen von Importlieferungen hat sich von 2008 auf 2011 fast verdoppelt und verblieb in den folgenden Jahren auf hohem Niveau. Diese FDA-Kontrollen können vor Ort (im Hafen oder am Flughafen) stattfinden oder aber eine wissenschaftliche Laboranalyse einer Stichprobe beinhalten. Nach einem starken Anstieg der Importzurückweisungen aufgrund von Verletzungen der amerikanischen Produktstandards sind die Importzurückweisungen nach der Krise im Gleichschritt mit der Arbeitslosenquote wieder gefallen. Dies ist umso bewundernswerter, wenn man bedenkt, dass die Importe nach der Krise wieder stark gestiegen sind. Zudem ist es sehr erstaunlich, dass gerade die Importzurückweisungen ohne wissenschaftliche Evidenz die Gesamtzahl der Importzurückweisungen treibt, wobei gerade diese Kontrollart für möglichen versteckten Protektionismus prädestiniert ist.

Die Nicht-Einhaltung von amerikanischen Produktstandards ist kostspielig … für ärmere Länder

Unsere Arbeit basiert auf einem neuen Datensatz. Dabei verknüpfen wir sorgfältig Informationen der FDA-Datenbank zu “Import Refusals Report (IRR)” mit Außenhandelsdaten der U.S. International Trade Commission (ITC). Die empirischen Ergebnisse beruhen auf einem bilateralen Gravitationsmodell und bis zu 93 Produktgruppen aus 170 verschiedenen Importländern in den Jahren 2002 bis 2014. Alle Spezifikationstests (u.a. Tests für schwache Instrumente sowie Über- und Unteridentifikationstests) belegen, dass unser präferiertes Regressionsmodel, ein Arellano-Bond Schätzer, gut spezifiziert ist. Unsere Hauptergebnisse sind in mehrerlei Hinsicht robust. Sie hängen nicht von der genauen Form der Instrumentenmatrix der internen Instrumente ab. Zudem beeinflussen zusätzliche fixe Effekte sowie die zusätzliche Berücksichtigung von externen Instrumenten, welche auf Informationen der europäischen Food and Feed Safety Alerts (RASFF) beruhen, die Ergebnisse nicht.

Unsere empirischen Ergebnisse zeigen, dass die negativen Handelseffekte sich auf Schwellen- und Entwicklungsländer beschränken. Ein Anstieg der Importzurückweisungen um eine Standardabweichung führt zu einem Rückgang der kurz- und langfristigen Exporte von Nicht-OECD-Ländern in die USA um 2.8 bis 5 Mrd. USD. Die Nichteinhaltung von amerikanischen Produktstandards zieht somit hohe Handelskosten für ärmere Länder nach sich.

Abbildung 1: Strengere Durchsetzung von Produktstandards und Arbeitslosenquote

Quelle: Grundke und Moser (2016)

Gibt es Anhaltspunkte für versteckten Protektionismus durch die USA?

Überraschung, Überraschung – versteckte Handlungen können normalerweise nicht direkt beobachtet werden. Zitzewitz (2012) betont, dass Personen gerne ein bestimmtes Verhalten versteckt halten, wenn dieses Verhalten rechtswidrig oder zu mindestens unethisch ist. Folglich, und im Einklang mit der Literatur zu “forensic economics”, suchen wir nach ungewöhnlichen Mustern in den Daten, die konsistent mit verstecktem Protektionismus sind. Die folgenden Punkte stimmen uns positiv, solche Evidenz gefunden zu haben.

  1. Es gibt zweifelsohne einen starken Anstieg der Kontrollen und Importzurückweisungen der FDA in den Jahren mit hoher US-amerikanischer Arbeitslosenrate. Mit sinkender Arbeitslosigkeit nach der Krise sinken auch die Importzurückweisungen, obwohl die Importe stark ansteigen und die Zahl der Importkontrollen auf hohem Niveau verbleibt.
  2. Die Ergebnisse der Studie von Levshenko et al. (2011) lassen es als sehr unwahrscheinlich erscheinen, dass ein plötzlicher Einbruch der Qualität der Importe zu diesem Anstieg der Importzurückweisungen geführt hat.
  3. Die Beamtinnen und Beamten der FDA haben relativ viel Spielraum bei der Durchsetzung von US-amerikanischen Produktstandards an der Grenze und es sind gerade diejenigen Kontrollen ohne wissenschaftliche Stichprobe und Beweis, welche den negativen Handelseffekt treiben.
  4. Da wir in unserer Studie für gesetzliche Änderungen der US-amerikanischen Produktstandards kontrollieren, führt mit hoher Wahrscheinlichkeit die strengere Durchsetzung von gegebenen Produktstandards zum Rückgang der Importe.
  5. Ein Blick auf die sogenannten “specific trade concerns” (STCs) bestätigt eine allgemeine Wahrnehmung von erhöhtem Protektionismus, die bereits Fontagne et al. (2015) geäußert haben. Die STCs gegen die USA sind während der Großen Rezession gestiegen.
  6. Schließlich zeigen unsere empirischen Ergebnisse, dass China und Russland [die Ukraine] zu den Ländern gehören, deren Importe in die USA in der Krise am stärksten [wenigsten] aufgrund von Importzurückweisungen (ohne Stichprobe) gefallen sind. Reiner Zufall? Vielleicht, aber gleichzeitig sind die internationalen Beziehungen zwischen den USA und Russland seit dem Georgien-Konflikt nachweislich auf dem tiefsten Niveau seit dem Ende des Kalten Kriegs (siehe Nichol, 2014).

Schlussfolgerungen

Zusammenfassend zeigt unsere Studie, dass die Befürchtungen eines Anstiegs des Protektionismus während der Weltwirtschaftskrise nicht ganz grundlos waren. Die empirische Evidenz ist im Einklang mit einer strengeren Durchsetzung von bestehenden US-amerikanischen Produktstandards, insbesondere gegen Nicht-OECD-Länder. Bemerkenswerterweise sind gerade die FDA-Importzurückweisungen, welche nicht auf wissenschaftlicher Evidenz beruhen, für den Importrückgang während der Krise verantwortlich. Wir schließen aus den empirischen Ergebnissen, dass sie konsistent mit antizyklischem, verstecktem Protektionismus aufgrund von nicht-tarifären Handelshemmnissen der Vereinigten Staaten sind. Unsere Studie bestätigt somit Befürchtungen über ansteigenden Protektionismus, die bereits Baldwin und Evenett (2009) geäußert haben.

Literatur

Bagwell, Kyle und Robert Staiger (2003), “Protection and the Business Cycle,” Advances in Economic Analysis and Policy, Vol. 3, No. 1, Art. 3, S. 1-43.

Baldwin, Richard und Simon Evenett (2009), “The Collapse of Global Trade, Murky Protectionism, and the Crisis: Recommendations for the G20,” A VoxEU.org Publication.

Bown, Chad und Meredith Crowley (2013), “Import Protection, Business Cycles, and Exchange Rates: Evidence from the Great Recession”, Journal of International Economics, Vol. 90, S. 50–64.

Essaji, Azim (2008), “Technical Regulations and Specialization in International Trade,” Journal of International Economics, No. 76, S. 166-176.

Fontagne, Lionel, Gianluca Orefice, Roberta Piermartini und Nadia Rocha (2015), “Product Standards and Margins of Trade: Firm Level Evidence,” Journal of International Economics, Vol. 97, S. 29-44 .

Grundke, Robert and Christoph Moser (2016), “Hidden Protectionism? Evidence from Non-tariff Barriers to Trade in the United States“, Working Papers in Economics and Finance, No. 2016-02, University of Salzburg.

Kee, Hiau Looi, Cristina Neagu und Alessandro Nicita (2013), “Is Protectionism on the Rise? Assessing National Trade Policies During the Crisis of 2008,” Review of Economics and Statistics, Vol. 95, S. 342-345.

Levchenko, Andrei, Logan Lewis und Linda Tesar (2011), “The Great Trade Collapse of 2008-2009, The ‘Collapse in Quality’ Hypothesis,” American Economic Review, Papers and Proceedings, Vol. 101, S. 293-297.

Nichol, Jim (2014), “Russian Political, Economic, and Security Issues and U.S. Interests,” Congressional Research Service, Prepared for Members and Committees of Congress, March 31, 2014.

Nixon, Ron, “Number of Catfish Inspectors Drives a Debate on Spending,” The New York Times, July 26th, 2013.

Rose, Andrew (2013), “The March of an Economic Idea? Protectionism Isn’t Countercyclic (anymore),” Economic Policy, Vol. 28, S. 569-612.

Trefler, Daniel (1993), “Trade Liberalization and the Theory of Endogenous Protection: An Econometric Study of U.S. Import Policy,” Journal of Political Economy, Vol. 101, S. 138- 160.

Zitzewitz, Eric (2012), “Forensic Economics,” Journal of Economic Literature, Vol. 50, S. 731-369.

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