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Die Beziehungen zwischen Strom- und Klimapolitik

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Am 27. November 2016 stimmen die Schweizer Stimmbürgerinnen und -bürger über die "Atomausstiegsinitiative" ab. Die Befürchtung, die Schweiz würde mit einer Abschaltung ihrer Atomkraftwerke über den Import "dreckigen" Stroms automatisch die europäischen CO2-Emissionen erhöhen, ist unbegründet, da deren Höhe reguliert ist. Allerdings hängt, wie dieser Beitrag zeigt, die Beziehung zwischen Storm- und Klimapolitik ansonsten entscheidend von den relativen Produktionskosten ab. Im Zusammenhang mit der Schweizerischen Atomausstiegsinitiative wird oft argumentiert, dass durch die frühere Abschaltung der schweizerischen Atomkraftwerke mehr so genannter Dreckstrom aus dem restlichen Europa importiert werden müsste und, weil dieser Strom teilweise aus fossilen Kraftwerken stammt, dadurch die CO2-Emissionen anstiegen. Das Argument gilt es noch genauer zu hinterfragen. Die Diskussion zeigt aber, dass zwischen Strom- und Klimapolitik ein Zusammenhang besteht, über dessen genaue Wirkungsweise allerdings wenig Klarheit herrscht. Darum soll im vorliegenden Beitrag die gegenseitige Beeinflussung der beiden Politiken systematisch analysiert werden. Dabei wird zuerst untersucht, welchen Einfluss die Schweizerische Strompolitik auf die CO2-Emissionen in der Europäischen Union und in der Schweiz ausübt.

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Am 27. November 2016 stimmen die Schweizer Stimmbürgerinnen und -bürger über die “Atomausstiegsinitiative” ab. Die Befürchtung, die Schweiz würde mit einer Abschaltung ihrer Atomkraftwerke über den Import “dreckigen” Stroms automatisch die europäischen CO2-Emissionen erhöhen, ist unbegründet, da deren Höhe reguliert ist. Allerdings hängt, wie dieser Beitrag zeigt, die Beziehung zwischen Storm- und Klimapolitik ansonsten entscheidend von den relativen Produktionskosten ab.

Im Zusammenhang mit der Schweizerischen Atomausstiegsinitiative wird oft argumentiert, dass durch die frühere Abschaltung der schweizerischen Atomkraftwerke mehr so genannter Dreckstrom aus dem restlichen Europa importiert werden müsste und, weil dieser Strom teilweise aus fossilen Kraftwerken stammt, dadurch die CO2-Emissionen anstiegen.

Das Argument gilt es noch genauer zu hinterfragen. Die Diskussion zeigt aber, dass zwischen Strom- und Klimapolitik ein Zusammenhang besteht, über dessen genaue Wirkungsweise allerdings wenig Klarheit herrscht. Darum soll im vorliegenden Beitrag die gegenseitige Beeinflussung der beiden Politiken systematisch analysiert werden. Dabei wird zuerst untersucht, welchen Einfluss die Schweizerische Strompolitik auf die CO2-Emissionen in der Europäischen Union und in der Schweiz ausübt. In einem zweiten Schritt wird erörtert, welche Auswirkungen die europäische Klimapolitik auf die Art der Stromproduktion in der Schweiz hat.

Der Einfluss der Strompolitik auf die CO2-Emissionen

Wenn aufgrund der Stilllegung der schweizerischen Kernkraftwerke vermehrt Strom aus fossiler Produktion aus Europa importiert wird, so hat das, entgegen der ersten Intuition, keinen Einfluss auf die europäischen CO2-Emissionen. Der Grund dafür ist, dass über das europäische Handelssystem für Treibhausgasemissionen EHS die maximale Emissionsmenge fest vorgegeben ist und nicht davon abhängt, wie viel Strom aus fossiler Produktion die Schweiz importiert.

Das EHS umfasst 31 Länder (alle EU-Länder plus Norwegen, Island und Liechtenstein) und deckt rund 45 Prozent der Treibhausgasemissionen dieser Länder ab. Dem EHS sind alle energieintensiven Anlagen und damit auch die fossilen Kraftwerke unterstellt. Für das Jahr 2016 gilt eine Emissionsdeckelung von knapp 2 Mrd. Tonnen CO2-Äquivalente, welche jährlich um 1.74 Prozent reduziert wird.

Die Konsequenzen vermehrter Stromimporte aus fossiler Produktion im Rahmen des EHS sind schematisch in Abbildung 1 dargestellt, welche den Markt für CO2-Zertifikate darstellt. Weil die Menge der gehandelten Zertifikate politisch festgelegt ist, verläuft die Angebotskurve (AZertifikat) vertikal auf Höhe der vorgegebenen Menge. Die Ausgangssituation ist zudem durch die Nachfragekurve N1Zertifikate gekennzeichnet, so dass sich ein Zertifikatspreis in der Höhe von P1 ergibt. Wenn nun der Import von Strom aus fossiler Produktion in die Schweiz erhöht wird, führt dies zu einer Zunahme der nachgefragten Menge nach Zertifikaten. Die Nachfragekurve verschiebt sich nach rechts (Pfeil a) auf N2Zertifikate. Der entscheidende Punkt ist nun, dass aufgrund der Mehrnachfrage nach Zertifikaten der Zertifikatspreis ansteigt und deshalb die nachgefragte Menge wieder zurückgeht (Pfeil b) bis beim neuen Preis P2 wieder die alte Menge an Zertifikaten und damit an CO2-Emissionen resultiert. Wenn also wegen der Mehrnachfrage aus der Schweiz die CO2-Emissionen der Kraftwerke ansteigen, so wird dieser Anstieg vollständig kompensiert, weil aufgrund der Preiserhöhung zum Beispiel in der Stahlindustrie vermehrt Emissionsvermeidungen vorgenommen werden.

Abbildung 1: Markt für CO2-Zertifikate

abbildung-1

Auch wenn die Schweiz den Atomstrom durch vermehrte Produktion aus inländischen fossilen Kraftwerken ersetzte, würde dadurch die Gesamtmenge an CO2-Emissionen unverändert bleiben. Dabei ist aber nicht ein Zertifikatssystem, sondern die Kompensationspflicht fossil-thermischer Kraftwerke von Bedeutung. So hält das Schweizerische CO2-Gesetz in Artikel 22 fest, dass solche Kraftwerke nur erstellt und betrieben werden dürfen, falls sie die verursachten CO2-Emissionen vollumfänglich kompensieren, wobei höchstens die Hälfte durch ausländische Bescheinigungen abgedeckt werden kann.

Die CO2-Verordnung führt zudem aus, dass auch Investitionen in Anlagen, die Strom oder Wärme aus erneuerbaren Energien produzieren, als Kompensationsmassnahme gelten (Art. 83, 1b). Dabei sind für die Berechnung der Emissionsminderung diejenigen Emissionen massgebend, die im Durchschnitt bei der Stromproduktion im Inland anfallen. Eine Studie im Auftrag des Bundesamts für Umwelt (Frischknecht et al., 2012) schätzt die CO2-Intensität des Schweizer Strommixes auf knapp 20 Kilogramm CO2 pro Megawattstunde Strom. Im Vergleich dazu emittiert ein Gaskraftwerk rund 500 Kilogramm CO2 pro Megawattstunde. Angesichts dieser Zahlen ist es kaum vorstellbar, dass sich eine solche Kompensationsmassnahme rechnet. Denn mit jeder Einheit fossil produzierten Stroms müssten zusätzlich Investitionen getätigt werden, die zu einer um ein Vielfaches höhere erneuerbaren Stromproduktion führten.

Als Fazit zeigt sich, dass die CO2-Emissionen einerseits über das Europäische Zertifikatssystem EHS und andererseits über die Kompensationspflicht inländischer fossiler Kraftwerke bereits so reguliert sind, dass das Ausmass der Emissionen weder von Stromproduktion noch von Stromkonsum in der Schweiz abhängig ist. Eine Strompolitik mit dem Ziel der Minderung von CO2-Emissionen ist daher redundant.

Das bedeutet nicht, dass die Förderung von erneuerbarer inländischer Stromproduktion nicht sinnvoll sein kann. Sie lässt sich aber nicht mit verminderten CO2-Emissionen rechtfertigen. Bessere Begründungen für eine Förderung sind die Reduktion der Abhängigkeit von Stromimporten sowie die Verhinderung der Substitution von inländischen durch ausländischen Nuklearstrom.

Der Einfluss Klimapolitik auf die Art der Stromproduktion

In welcher Art Strom produziert wird, hängt entscheidend von den relativen Produktionskosten der verschiedenen Technologien ab. Und weil die Klimapolitik über den CO2-Emissionspreis die Kosten der fossilen Stromproduktion beeinflusst, hat sie Auswirkungen auf die Art der Stromproduktion. Dies gilt umso mehr als die europäischen Spotmarktpreise für Strom typischerweise von den Grenzkosten der fossilen Kraftwerke bestimmt werden.

Die Abbildung 2 zeigt schematisch den Spotmarkt für Strom. Angebotsseitig wird dieser durch die Grenzkosten der einzelnen Stromproduktionsanlagen gebildet: Das ist die so genannte merit order, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die erneuerbaren Energien sehr tiefe variable Kosten aufweisen, während die fossilen Kraftwerke am anderen Ende der Kurve liegen. Den tiefen variablen Kosten der erneuerbaren Energien stehen allerdings hohe fixe Kosten gegenüber, welche langfristig gedeckt werden müssen, wenn diese Energien wettbewerbsfähig sein sollen.

Die Abbildung zeigt zudem zwei Situationen mit relativ tiefer und hoher Nachfrage, bei welchen die entsprechenden Nachfragekurven die merit order im Bereich der fossilen Kraftwerke schneidet. Daher wird der Spotmarktpreis häufig durch die variablen Kosten der Kohle bzw. der Öl- und Gaskraftwerke bestimmt.

Abbildung 2: Merit Order und Nachfrage

abbildung-2

Schematische Übernahme von Meister (2013)

Welchen Einfluss der CO2-Emissionspreis auf die variablen Kosten der fossilen Stromproduktion hat, hängt von den Emissionsfaktoren der Kraftwerke ab. Tabelle 1 zeigt, dass diese je nach Kraftwerkstyp zwischen 0.38 und 1.15 Tonnen CO2pro Megawattstunde liegen. Beim aktuellen Zertifikatspreis von rund 7 Euro führt diese zu einer Erhöhung der variablen Kosten zwischen 3 und 8 Euro pro Megawattstunde. Das ist bei den aktuell tiefen Spotmarktpreisen zwischen 30 und 40 Euro pro Megawattstunde nicht vernachlässigbar.

Die Tabelle zeigt aber auch, dass sich bei einem Zertifikatspreis von 76 Euro, welcher dem Abgabesatz der schweizerischen CO2-Abgabe in der Höhe von 84 Franken entspricht, die variablen Kosten der fossilen Stromproduktion drastisch erhöhen würden. Damit würde sich auch die Wettbewerbsfähigkeit der erneuerbaren Stromproduktion stark verbessern. Wie nötig eine finanzielle Unterstützung des erneuerbaren Stroms zur Erhöhung der entsprechenden Produktionskapazitäten ist, hängt damit entscheidend von der Höhe des europäischen CO2-Emissionspreises und damit vom Ausmass der ausgegebenen Emissionsrechte ab.

Tabelle 1: Emissionsfaktoren und der Einfluss von CO2-Preisen auf den Strompreis

tabelle-1

Ammon (2014)

Während sich also das Ausmass der erneuerbaren Stromproduktion in der Schweiz nicht auf die europäischen CO2-Emissionen auswirkt, beeinflusst die europäische Klimapolitik den Strompreis und damit auch die Art der Stromproduktion in der Schweiz. Die Asymmetrie liegt darin begründet, dass das Ausmass der CO2-Emissionen im Rahmen des EHS fest vorgegeben ist, während für den erneuerbaren Strom in der Schweiz kein vergleichbares Mengensystem vorliegt. Bei einem Zertifikatssystem für grünen Strom wäre dies anders, dann hätte die europäische Klimapolitik nur Einfluss auf den Preis der grünen Zertifikate, die Menge an erneuerbarem Strom bliebe aber unverändert.

Literatur

Ammon, Martin (2014), Einfluss der CO2-Zertifikatspreise auf die Stromgestehungskosten im deutschen Energiemix, Z Energiewirtsch 38, 37-46.

Frischknecht, R., Itten, R., & Flury, K. (2012). Treibhausgasemissionen der Schweizer Strommixe. Studie im Auftrag des Bundesamts für Umwelt. Uster.

Meister, Urs, (2013) Keine Energiewende im Alleingang, Diskussionspapier, Avenir Suisse.

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