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Begrenzt die Alterung das Arbeitsangebot in Europa?

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Die europäische Bevölkerung wird immer älter. Hat die starke Alterung negative Auswirkungen auf das Arbeitsangebot? Gibt es Maßnahmen, um dem entgegenzuwirken? Oder gibt es unbenutzte Arbeitskräftereserven, auf die zurückgegriffen werden kann? Dieser Beitrag weist darauf hin, dass das größte Problem nicht die Alterung der Bevölkerung, sondern ein starkes Ungleichgewicht zwischen angebotenen und nachgefragten Qualifikationen und Kompetenzen am Arbeitsmarkt sein wird. Der erste Anschein demographischer Trends suggeriert, dass es ein Problem mit dem Arbeitskräfteangebot aufgrund der allgemeinen Alterung der Bevölkerung geben wird. Nimmt man die aktuelle Bevölkerungsprognose für die EU 28 als Ausgangsbasis, so wird erwartet, dass die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, in den nächsten 15 Jahren — also bis zum Jahr 2030 — schrumpfen wird (Hammer & Prskawetz, 2014; Zwickl et al., 2016; European Parliament, 2015). Sofern sich die Erwerbsbeteiligung — also der Anteil jener Personen im erwerbsfähigen Alter, die tatsächlich am Arbeitsmarkt auftreten — nicht ändert, wird die Zahl der Erwerbspersonen — seien sie unselbständig oder selbständig beschäftigt oder arbeitslos — entsprechend sinken. Die Arbeitskräfte würden also weniger werden. Höhere Abhängigkeitsraten und neue soziale Risiken werden dadurch ausgelöst.

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Die europäische Bevölkerung wird immer älter. Hat die starke Alterung negative Auswirkungen auf das Arbeitsangebot? Gibt es Maßnahmen, um dem entgegenzuwirken? Oder gibt es unbenutzte Arbeitskräftereserven, auf die zurückgegriffen werden kann? Dieser Beitrag weist darauf hin, dass das größte Problem nicht die Alterung der Bevölkerung, sondern ein starkes Ungleichgewicht zwischen angebotenen und nachgefragten Qualifikationen und Kompetenzen am Arbeitsmarkt sein wird.

Der erste Anschein demographischer Trends suggeriert, dass es ein Problem mit dem Arbeitskräfteangebot aufgrund der allgemeinen Alterung der Bevölkerung geben wird. Nimmt man die aktuelle Bevölkerungsprognose für die EU 28 als Ausgangsbasis, so wird erwartet, dass die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, in den nächsten 15 Jahren — also bis zum Jahr 2030 — schrumpfen wird (Hammer & Prskawetz, 2014; Zwickl et al., 2016; European Parliament, 2015).

Sofern sich die Erwerbsbeteiligung — also der Anteil jener Personen im erwerbsfähigen Alter, die tatsächlich am Arbeitsmarkt auftreten — nicht ändert, wird die Zahl der Erwerbspersonen — seien sie unselbständig oder selbständig beschäftigt oder arbeitslos — entsprechend sinken. Die Arbeitskräfte würden also weniger werden. Höhere Abhängigkeitsraten und neue soziale Risiken werden dadurch ausgelöst.

Allerdings sind Bevölkerungsprognosen vor allem aufgrund von schwer zu prognostizierenden Migrationsströmen sehr unsicher. Für viele Länder lagen sie deutlich unter den eingetretenen Entwicklungen. Zudem kann sich das Arbeitskräfteangebot bei steigender Erwerbsbeteiligung auch dann erhöhen, wenn die erwerbsfähige Bevölkerung zurückgeht. Gegenwärtig ist die EU bei hoher Arbeitslosigkeit von einer quantitativen Verknappung weit weg.

Die Herausforderung für den Arbeitsmarkt in der EU ist somit weniger die Quantität, als vielmehr den Arbeitsmarkt auf einen Wandel in den Anforderungen an die Qualifikationen und Kompetenzen der Arbeitskräfte rechtzeitig und adäquat vorzubereiten.

Das europäische Projekt WWWforEurope analysiert die Alterung der Bevölkerung aus einem strategischen Blickwinkel, um eine intelligente, inklusive und nachhaltige Zukunftsstrategie für Europa zu gestalten.

Es gib eine Vielzahl an Faktoren, die gegen eine Verknappung des Arbeitsangebotes wirken: Eine Reduktion der Arbeitslosigkeit von momentan 10% (24 Millionen der Europäischen Erwerbsbevölkerung) und weniger Unterauslastung der bereits beschäftigten Personen. Marth, 2015; Leoni, 2015; Altzinger et al., 2015 und Crespo Cuaresma et al., 2015A identifizieren zudem folgende freie Reserven:

  • Unfreiwillige Teilzeit-Arbeitskräfte, welche mehr arbeiten wollen, so wie junge Menschen in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen.
  • Ältere Menschen, welche frühzeitig in Pension geschickt werden nach dem sie ihren Job verloren haben.
  • Erhöhung des allgemeinen Pensionsalters auf 69 Jahre aufgrund rapide ansteigender Lebenserwartung würde die extrem niedrigen Erwerbsquoten der 65 bis 69 Jährigen verbessern. Ein zusätzliches Angleichen des Pensionsalters von Männer und Frauen, in jenen Ländern in denen das Pensionsantrittsalter für Frauen immer noch unter jenem der Männer liegt, würde weitere Reserven freischalten.
  • Innereuropäische zyklische Migration von Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit hin zu Ländern mit Arbeitskräfteknappheit und Migration von Nachbarstaaten.

Die Mobilisierung von ungenutzten Arbeitskräftereserven kann der Verknappung des Arbeitsangebots bis 2030 entgegenwirken. Um dem sinkenden Arbeitsangebot entgegenzutreten, müssen Qualifikationen und Fähigkeiten gesteigert werden um dadurch den Anteil an höher qualifizierten Arbeitnehmern zu fördern.

Abgesehen von der Aktivierung der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter kann die Migration von qualifizierten Arbeitskräften aus Ländern außerhalb der EU dazu beitragen, einen Arbeitskräfteengpass innerhalb der EU zu verringern. Dafür bedarf es allerdings gezielter und koordinierter Ansätze zur Auswahl und Integration von qualifizierten MigrantInnen aus nicht EU-Staaten sowie der Anerkennung ihrer mitgebrachten Qualifikationen und Kompetenzen.

Mit einem verstärkten Fokus von Arbeitsmarkt, Sozialpolitik und Bildungseinrichtungen auf die Anforderungen einer multikulturellen Gesellschaft kann es zu einer Steigerung des qualifizierten Arbeitsangebotes kommen. (Crespo Cuaresma et al., 2015B)

Die Forscher von WWWforEurope sind überzeugt, dass das Problem von Arbeitslosigkeit um einiges schwerwiegender ausfallen wird als jene negativen Effekte ausgelöst durch Alterung. Das größte Problem wird somit nicht die Alterung der Bevölkerung, sondern ein starkes Ungleichgewicht zwischen angebotenen und nachgefragten Qualifikationen und Kompetenzen am Arbeitsmarkt sein. Auf der einen Seite wird es weiter steigende Arbeitslosigkeit bei den niedrig qualifizierten Arbeitnehmern geben. Auf der anderen Seite wird es zu Engpässen bei den höher qualifizierten Arbeitskräften kommen, wodurch Wettbewerbsnachteile entstehen können. In solch einer Struktur wird es für Europa schwierig werden, private und öffentliche Schulden abzubauen und Innovationen zu fördern.

Soziale Investitionen sind ein wichtiges Instrument, um Ungleichheit und Arbeitsknappheit zu verhindern. Qualitativ hochwertige Kinderbetreuung, frühzeitige Bildung und Chancengleichheit von Kindern und Jugendlichen ermöglichen ein rechtzeitiges Gegenlenken. Es bedarf einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie, um zu verhindern, dass sich Arbeitskräfte gänzlich aus dem Erwerbsprozess zurückziehen. Es braucht eine verbesserte Work-Life-Balance. Mit Regulierungen die auf die aktive Alterung und die Wahrung der Arbeitsfähigkeit abzielen, wird es alternden Menschen ermöglicht, weiterhin im Berufsleben zu bleiben. Mit diesen Maßnahmen können soziale Risiken absorbiert und zusätzlich positive Beschäftigungseffekte hervorgerufen werden.

Literatur

Aiginger, K., Eine neue Strategie für Europa: Dynamik durch soziale und ökologische Innovation. WWWforEurope Synthesis Report Part I, Draft Version, Februar 2016.

Altzinger, W., Crespo Cuaresma, J., Rumplmaier, B., Sauer, P., Schneebaum, A., Education and Social Mobility in Europe: Levelling the Playing Field for Europe’s Children and Fuelling its Economy, WWWforEurope Working Paper, 2015, (80).

Crespo Cuaresma, J., Huber, P., Oberdabernig, D., Raggl, A. (2015A), Migration in an ageing Europe: What are the challenges?, WWWforEurope Working Paper, 2015, (79).

Crespo Cuaresma, J., Huber, P., Raggl, A. (2015B), Reaping the Benefits of Migration in an Ageing Europe, WWWforEurope Policy Brief, 2015, (7).

European Parliament, Labour Market Shortages in the European Union, DG for internal Policies, Policy Department Economic and Scientific Policy, 2015.

Eurostat: http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/File:Population_ structure_by_major_age_groups,_EU-28,_2014%E2%80%9380_%28%C2%B9%29_%28%25_of_ total_population%29_YB15-de.png .

Hammer, B., Prskawetz, A., Freund, I., Reallocation of Resources Across Age in a Comparative European Setting, WWWforEurope Working Paper, 2014, (13).

Leoni, T., Welfare state adjustment to new social risks in the post-crisis scenario. A review with focus on the social investment perspective, WWWforEurope Working Paper, 2015, (89).

Marth, St., How strong is the correlation between unemployment and growth really? The persistence of Okun’s Law and how to weaken it, WWWforEurope Policy Paper, 2015, (23).

Zwickl, K., Disslbacher, F., Stagl, S., Work-sharing in a sustainable economy, WWWforEurope Working Paper, 2016, (112).

©KOF ETH Zürich, 14. Apr. 2016

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