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Deutschland, der Organisationsweltmeister

Summary:
Welche Faktoren haben zu Deutschlands Exporterfolg der letzten Jahre beigetragen? War es die Lohnzurückhaltung im Vergleich zu anderen Ländern Europas oder gar Glück, dass deutsche Exporteure das Richtige zur richtigen Zeit produziert haben? Dieser Beitrag argumentiert, dass der Erfolg weniger mit niedrigen Löhnen als mit der Arbeitsorganisation der deutschen Exporteure zu tun hat. Deutschland ist Exportweltmeister. Die deutschen Exporte stiegen zwischen 2000 und 2013 um 154 Prozent, verglichen mit 127 Prozent in Spanien, 98 Prozent in England, 79 Prozent in Frankreich und 72 Prozent in Italien. In Deutschland haben sich zudem nach der Finanzkrise im Jahr 2009 die Exporte am raschesten wieder erholt verglichen mit den anderen Ländern der Europäischen Union. Deshalb wird Deutschland als Modellfall einer erfolgreichen Anpassung gesehen vom "kranken Mann Europas" in den neunziger Jahren zur heute wirtschaftlich stärksten Volkswirtschaft Europas. Was erklärt diesen außergewöhnlichen Exporterfolg Deutschlands? Lohnzurückhaltung Untersucht man die Faktoren, die zu Deutschlands Exporterfolg geführt haben, so kommt man zu einem überraschenden Ergebnis (vgl. Marin et al. 2015)[ a ]. Deutschlands Exporterfolg hat weniger mit den niedrigen Löhnen zu tun als mit der Arbeitsorganisation seiner Exporteure.

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Welche Faktoren haben zu Deutschlands Exporterfolg der letzten Jahre beigetragen? War es die Lohnzurückhaltung im Vergleich zu anderen Ländern Europas oder gar Glück, dass deutsche Exporteure das Richtige zur richtigen Zeit produziert haben? Dieser Beitrag argumentiert, dass der Erfolg weniger mit niedrigen Löhnen als mit der Arbeitsorganisation der deutschen Exporteure zu tun hat.

Deutschland ist Exportweltmeister. Die deutschen Exporte stiegen zwischen 2000 und 2013 um 154 Prozent, verglichen mit 127 Prozent in Spanien, 98 Prozent in England, 79 Prozent in Frankreich und 72 Prozent in Italien. In Deutschland haben sich zudem nach der Finanzkrise im Jahr 2009 die Exporte am raschesten wieder erholt verglichen mit den anderen Ländern der Europäischen Union. Deshalb wird Deutschland als Modellfall einer erfolgreichen Anpassung gesehen vom "kranken Mann Europas" in den neunziger Jahren zur heute wirtschaftlich stärksten Volkswirtschaft Europas. Was erklärt diesen außergewöhnlichen Exporterfolg Deutschlands?

Lohnzurückhaltung

Untersucht man die Faktoren, die zu Deutschlands Exporterfolg geführt haben, so kommt man zu einem überraschenden Ergebnis (vgl. Marin et al. 2015)[ a ]. Deutschlands Exporterfolg hat weniger mit den niedrigen Löhnen zu tun als mit der Arbeitsorganisation seiner Exporteure. Denn die führende Erklärung für Deutschlands Exporterfolg taugt nur bedingt als Erklärung. Zwar sind die Nominallöhne zwischen den Jahren 2000 und 2008 bloss um 19 Prozent gestiegen verglichen mit 48 Prozent in Spanien. Seit der Finanzkrise 2009 hat sich jedoch die Entwicklung der Löhne in diesen beiden Ländern umgekehrt. Zwischen 2009 und 2013 beschleunigten sich die deutschen Löhne um 14 Prozent verglichen mit 4 Prozent in Spanien. Trotz dieses rapiden Wachstums der Nominallöhne verzeichnete Deutschland das stärkste Exportwachstum seit 2009 in Europa.

"Made in Germany" als Geschäftsmodell

Um den deutschen Exporterfolg zu verstehen, muss man das Geschäftsmodell deutscher Exporteure näher betrachten. Deutsche Exporteure operieren mit einer stärker dezentralisierten und weniger hierarchischen Organisationsform als andere europäische Unternehmen. Die Dezentralisierung der Entscheidungsbefugnisse im Unternehmen bewirkt, dass die Beschäftigten auf den unteren Hierarchiestufen des Unternehmens stärker motiviert sind, neue Ideen in der Produktgestaltung zu entwickeln und diese auch in die Tat umzusetzen. Sie sind auch aufgrund ihrer Nähe zum Markt besser über Kundenwünsche informiert. Damit führt eine dezentralisierte Unternehmensorganisation dazu, dass sich die Produktqualität der Exporte verbessert. Die dezentralisierten Unternehmen behaupten sich auf diese Weise durch ihre nicht-preisliche Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten. Denn wenn die Qualität stimmt, dann ist der Kunde auch bereit einen höheren Preis für das Produkt zu bezahlen.

Hat die Dezentralisierung der Organisation deutschen Exporteuren tatsächlich geholfen ihren Exportmarktanteil auf den Weltmärkten auszubauen? In einer neuen Studie analysieren wir das Organisationsverhalten der Exportsuperstars in Europa – die top 1 Prozent der Exporteure des jeweiligen Landes aus sieben europäischen Ländern. In Deutschland machen die Exportsuperstars dabei über 25 Prozent der Gesamtexporte aus. Wurden diese Firmen zu Exportweltmeistern, weil sie die richtige Organisation gewählt haben?

Deutschlands Exportsuperstars konnten ihren Exportmarktanteil auf den Weltmärkten mehr als verdoppeln, wenn Sie mit einer dezentralisierten Organisation operierten. Jene Exporteure, die die Firmenorganisation nicht als Wettbewerbsinstrument einsetzten, waren auf den Weltmärkten nicht erfolgreich. Deutschlands Geschäftsmodell im Export unterscheidet sich damit wesentlich von den anderen europäischen Ländern. Die Exporteure in Frankreich, Italien, England und in Spanien orientieren ihr Geschäftsmodell im Export vor allem an der preislichen Wettbewerbsfähigkeit. Sie verlagern Teile der Produktion in Billiglohnländer, um im Preis- und Kostenwettbewerb auf den Weltmärkten zu bestehen. In Deutschland spielt die Produktionsverlagerung als Wettbewerbsinstrument im Export nicht so eine bedeutende Rolle. Nur Österreich verfolgt als einziges anderes Land Europas eine ähnlich erfolgreiche Exportstrategie wie Deutschland.

Hat das dezentralisierte Management zur Marke "Made in Germany" beigetragen?

Sind Deutschlands Exporte tatsächlich besser in der Qualität als jene anderer Länder Europas? Geht man nach der Einschätzung der Firmen selbst, so bezeichnen fast 40 Prozent der Firmen in Deutschland ihr Produkt als Topqualität relativ zu einem Marktdurchschnitt. In Frankreich sind es bloss 10 Prozent. Hat die dezentralisierte Firmenorganisation dazu beigetragen, dass Deutschland sich als Qualitätsmarke "Made in Germany" etablieren konnte? Unsere Studie bestätigt das. Das dezentralisierte Management half den deutschen Exporteuren ihre Produktqualität wesentlich zu heben. Sie verdreifachten ihren Marktanteil an Gütern mit Topqualität auf den Weltmärkten. Das gelang so keinem anderen Land in Europa. Warum nicht?

Auf die Kultur kommt es an

Ist das deutsche Geschäftsmodell im Export ein Rezept für die anderen Länder Europas? Das Modell ist nicht einfach transferierbar. Denn jene österreichischen, französischen und italienischen Exporteure, die ein dezentralisiertes Management einführten, konnten ihren Exportmarktanteil an Gütern mit Topqualität trotzdem nicht ausbauen. Wie kann das sein? Mehr Autonomie auf der unteren Ebene der Firmenhierarchie kann auch dazu genutzt werden, die Interessen des Abteilungsmanagers statt jene des Unternehmens durchzusetzen. Der Abteilungsmanager entscheidet sich dann für eine Strategie, die vor allem das eigene Fortkommen begünstigt, statt jenes des Gesamtunternehmens. Die Dezentralisierung im Unternehmen funktioniert in jenen Ländern gut, in denen die Bevölkerung generell mehr Vertrauen zu seinen Mitmenschen hat. In Deutschland antworteten die Befragten des World Value Survey, dass sie im allgemeinen ihren Mitmenschen Vertrauen entgegenbringen. In Italien, Frankreich und Spanien ist das Vertrauen der Bevölkerung zu den Mitmenschen weniger stark ausgeprägt. Wie stark die Bevölkerung eines Landes den Mitmenschen vertraut, ist mit der Religion des Landes hoch korreliert. Länder mit hierarchisch organisierten Religionen wie dem Katholizismus oder dem Judentum folgen lieber den Anordnungen des Vorgesetzten, während Länder mit einem hohen Anteil an Protestanten weniger autoritätsgläubig sind. Das erklärt etwa warum die Dezentralisierung der Unternehmensorganisation als Anreizmechanismus gut in Deutschland und England funktioniert weniger jedoch in Frankreich, Österreich, Spanien und Italien.   

Warum Deutschland mit einem starken Euro gut lebt

Die Ausrichtung auf die Qualität mag erklären, warum Deutschlands Exporte sich nach der Finanzkrise 2009 sehr rasch erholten trotz des starken Anstiegs der Nominallöhne. Denn die Fähigkeit, den Preis zu erhöhen, ohne zu sehr die Kundschaft an andere Wettbewerber zu verlieren, ist ein wesentliches Merkmal der Produktqualität. Im Fachjargon wird diese Verwundbarkeit der Exporte durch den Preis die "Preiselastizität der Exportnachfrage" genannt. Verwendet man nun eine geringe Verwundbarkeit durch den Preis als Kriterium für die Qualität des Produktes, so sieht man, dass Deutschland und England durch eine dezentrale Firmenorganisation den Exportmarktanteil bei Produkten mit niedriger Verwundbarkeit durch den Preis stark ausweiten konnten. Ein Indiz für ihre Qualität. Im Gegensatz dazu konnten französische und italienische Firmen ihren Exportmarktanteil gerade bei jenen Produkten erweitern, die eine hohe Abhängigkeit vom Preis aufwiesen, wenn sie ihre Produktion in Billiglohnländer auslagerten. Ein Indiz dafür, dass es in diesen beiden Ländern auf den Preis ankam. Denn die Produktionsverlagerung senkt die Kosten und verbessert damit die preisliche Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder. Die stärkere Preisabhängigkeit der Exporte Italiens und Frankreichs mag auch erklären, warum sich diese beiden Länder bei der Europäischen Zentralbank dafür einsetzten, den Euro zu schwächen. Denn Frankreich und Italien erlitten wesentlich stärkere Exporteinbussen durch einen starken Euro als etwa Deutschland. Deutschland konnte sich durch die Qualität im Export von den negativen Auswirkungen eines starken Euros weitgehend schützen. Damit kommen wir zu dem Ergebnis: Deutschland ist Exportweltmeister, weil es Weltmeister in der Organisation ist.

Dalia Marin, Jan Schymik, Jan Tscheke (2015), Europe’s Export Superstars – it’s the Organization! [ a ]Bruegel Working Paper, Juli 2015, Brüssel.

©KOF ETH Zürich, 26. Okt. 2015

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