Seit Kenneth Rogoff vorgeschlagen hat, das Bargeld abzuschaffen, um das Problem der Zinsuntergrenze zu umgehen und gleichzeitig kriminelle Machenschaften zu erschweren, wird über das Für und Wider von Bargeld diskutiert. Dieser Beitrag argumentiert, dass es zwischen Buch- und Bargeld Wettbewerb und somit auch einen Wechselkurs gibt, der Angebot und Nachfrage bestimmen sollte. Wie ein Paukenschlag schlug die Forderung des berühmten Harvard-Ökonomen Kenneth Rogoff ein, als er 2014 verkündete: Bargeld muss abgeschafft werden. Seit rund 4000 Jahren wickeln die Händler ihre Transaktionen in Bargeld ab. Jetzt aber, im 3. Jahrtausend nach Christus, lautet das Urteil des Ökonomen: Bargeld ist hinderlich. In der Schweiz scheint die Rechtslage klar: Das Nationalbankgesetz verlangt ausdrücklich, dass die Nationalbank die Bargeldversorgung gewährleistet. Bargeld verschafft dem Individuum das Recht, mit diesem Tauschmittel seine Schulden zu bezahlen; seine Abschaffung würde de facto einen Kontrahierungszwang etablieren. Die Abschlussfreiheit, als wichtiger Teil der Vertragsfreiheit, wäre ausgehebelt. Wer künftig über sein Kapital verfügen möchte, wäre gezwungen, einen Vertrag mit einer Bank oder einem Kreditkartenunternehmen abzuschliessen. Für Banken und andere Finanzmarktteilnehmer mögen diese Aussichten erfreulich sein, für den Einzelnen weniger.
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Seit Kenneth Rogoff vorgeschlagen hat, das Bargeld abzuschaffen, um das Problem der Zinsuntergrenze zu umgehen und gleichzeitig kriminelle Machenschaften zu erschweren, wird über das Für und Wider von Bargeld diskutiert. Dieser Beitrag argumentiert, dass es zwischen Buch- und Bargeld Wettbewerb und somit auch einen Wechselkurs gibt, der Angebot und Nachfrage bestimmen sollte.
Wie ein Paukenschlag schlug die Forderung des berühmten Harvard-Ökonomen Kenneth Rogoff ein, als er 2014 verkündete: Bargeld muss abgeschafft werden. Seit rund 4000 Jahren wickeln die Händler ihre Transaktionen in Bargeld ab. Jetzt aber, im 3. Jahrtausend nach Christus, lautet das Urteil des Ökonomen: Bargeld ist hinderlich.
In der Schweiz scheint die Rechtslage klar: Das Nationalbankgesetz verlangt ausdrücklich, dass die Nationalbank die Bargeldversorgung gewährleistet. Bargeld verschafft dem Individuum das Recht, mit diesem Tauschmittel seine Schulden zu bezahlen; seine Abschaffung würde de facto einen Kontrahierungszwang etablieren. Die Abschlussfreiheit, als wichtiger Teil der Vertragsfreiheit, wäre ausgehebelt. Wer künftig über sein Kapital verfügen möchte, wäre gezwungen, einen Vertrag mit einer Bank oder einem Kreditkartenunternehmen abzuschliessen. Für Banken und andere Finanzmarktteilnehmer mögen diese Aussichten erfreulich sein, für den Einzelnen weniger. Bereits heute ist die Verhandlungsmacht einseitig zugunsten der Banken verteilt. Der faktische Kontrahierungszwang, der mit der Bargeldabschaffung geschaffen würde, würde dieses Ungleichgewicht weiter verstärken. Die Rechtslage im Euro-Raum ist nicht so klar. Die Europäische Zentralbank muss den Zahlungsverkehr sicherstellen. Hierzu hat sie gemäss dem Vertrag über die Arbeitsweise der EU das Recht, aber nicht die Pflicht, zusammen mit den nationalen Zentralbanken Banknoten auszugeben.
Da die meisten Transaktionen heute über Buchgeld abgewickelt werden, spielt Bargeld eine immer geringere Rolle. Daher reicht Buchgeld aus. Bargeld sei sogar hinderlich, sagt Rogoff. Es stehe einer wirksamen Geldpolitik entgegen. Bei Bargeld könne die Zentralbank zwar den Zinssatz senken. Doch ab einer Grenze von schätzungsweise minus fünf Prozent würden die Individuen das Buchgeld meiden und ihre Transaktionen in Bargeld durchführen und so die Niedrigzinspolitik der Zentralbank konterkarieren. Mit der Abschaffung des Bargelds wäre das entscheidende Hindernis, welches die Zentralbanken davon abhält, zur Ankurbelung der Wirtschaft die Zinsen in den Minusbereich zu senken, überwunden. Fortan könnte relativ einfach verhindert werden, dass die Menschen das zusätzliche Geld horten, das die Notenbanken in Umlauf bringen. Überdies werde mit dem Bargeldverbot der Steuerflucht und der Drogenkriminalität der Boden entzogen.
Im Gegensatz zu Bargeld hinterlässt Buchgeld grundsätzlich seine Spuren. (Illegale) Geldströme könnten dadurch bis an ihren Ursprung zurückverfolgt werden, wodurch die Wahrscheinlichkeit, Vermögens- und Steuerdelikte (v. a. Geldwäsche und Steuerbetrug) aufzudecken, erheblich anstiege. Rogoff sagt aber nicht, weshalb gerade heute die Zinsen so niedrig sind und die Diskussion über das Bargeldverbot erst ausgelöst wird. Schliesslich existieren Zentralbanken seit etwa 300 Jahren, ohne dass ihre Geldpolitik je am Zins gescheitert wäre. Warum führen gerade heutige Zinsen zum Vorschlag eines Bargeldverbotes?
Nach der "Zentralbanktheorie des Zinses" haben in erster Linie die Zentralbanken die derzeit niedrigen Zinsen verursacht. Sie haben in den vergangenen 15 Jahren erst die Geldmenge ausgedehnt, u. a., um die Insolvenz von Staaten und von unterfinanzierten Banken abzuwenden. Aber mittlerweile haben sie "ihre Munition verschossen". Sie haben die Zinsen auf null gedrückt, um die Wirtschaft anzukurbeln. Damit haben sie sich der Möglichkeit begeben, die Zinsen noch weiter zu senken. Die Individuen würden dann – wie erwähnt – auf Bargeld ausweichen. Aus dieser Zwangslage ist erklärbar, dass die Zentralbanken jetzt Bargeld aus ihrem Angebot streichen wollen.
Doch warum sollen gerade die Sparer zur Verantwortung gezogen werden? Erst schafft der Staat das Bargeldmonopol, wonach allein den (staatlichen) Zentralbanken das Recht zur Ausgabe von Banknoten zusteht, und dann verbietet er den Privaten, dieses Bargeld zu benützen. Warum sollen gerade die Sparer auf Bargeld verzichten, wenn doch die Zentralbanken die jetzige Situation verursacht haben? Die Sparer leiden schon an den Niedrigzinsen. Jetzt auch noch Negativzinsen hinnehmen zu müssen und auf Bargeld zu verzichten, damit die Zentralbanken ihre Politik betreiben können, widerspricht dem Haftungsprinzip, wonach der Verursacher für die Folgen seines Handelns verantwortlich sein soll.
Daher fordern nicht wenige Ökonomen, dass die Zentralbanken ihre Niedrigzinspolitik einstellen, die Zinsen langsam wieder anheben und sich so selber wieder Luft für ihre eigentliche Aufgabe einer wirksamen Geldpolitik verschaffen. Doch wie soll das geschehen? Hierzu müssten sich die grössten Zentralbanker in einer kollektiven Aktion z. B. bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich auf gemeinsame Schritte der Zinserhöhung einigen. Jeder möchte der Letzte sein, der das Abkommen unterschreibt und den Zins anhebt, so dass ein solches Abkommen nicht zustande kommt. Es ist eine andere Theorie erforderlich, um den Zins zu erklären. Der Zins ist nicht einfach eine Naturkonstante, er ergibt sich aus Angebot und Nachfrage nach Krediten.
Die "Angebots-Nachfrage-Theorie des Zinses" (auch Loanable-Funds-Theorie genannt) geht auf Bertil Ohlin, ursprünglich aber auf den österreichischen Ökonomen Eugen von Böhm-Bawerk (19. Jahrhundert) zurück. Seiner Ansicht nach erklärt sich der Zins aus der Nachfrage nach Kapital. Erst im 21. Jahrhundert vervollständigte Carl Christian von Weizsäcker Böhm-Bawerks Theorie mit einer Theorie des Angebots an Kapital. Danach ergeben sich Negativzinsen einerseits aus der weltweit gestiegenen Ersparnis: Individuen sparen, weil sie im Alter nicht mittellos dastehen und überdies etwas an ihre Kinder vererben wollen. Fortschritte in der Medizin und kürzere Lebensarbeitszeiten haben die Sparbereitschaft in den OECD-Ländern angehoben. Aber auch die Bevölkerungen in den Schwellenländern China und Indien sind durch höheren Wohlstand und bessere Gesundheit zu vermehrtem Sparen angeregt worden.
Anderseits fehlt es an der Investitionsnachfrage, welche die erhöhten Ersparnisse aufnimmt. Die Wirtschaft braucht nicht Schwer-, sondern Leichtkapital. Digitalisierung und Fortschritte in der Logistik haben zu einer enormen Einsparung an Kapital geführt. Steigendes Sparangebot und sinkende Nachfrage nach Kapital führen zusammen zu Negativzinsen. Dabei spielen die Zentralbanken nur eine untergeordnete Rolle. Die oben betrachtete Geldmengenexpansion der Zentralbanken schlägt sich in der passiven Geldmenge (bei den Zentralbanken) und nicht so sehr in der aktiven Geldmenge nieder.
Der langfristige natürliche und risikofreie Zins bleibt bei null oder liegt sogar darunter. Nach der "Angebots-Nachfrage-Theorie des Zinses" bedarf es nicht eines Diktums der Zentralbankdirektoren, Bargeld abzuschaffen. Zwar mag der aus Angebot und Nachfrage resultierende natürliche Zins allmählich unter die Nullmarke fallen (und, wie viele meinen, dort verbleiben). Doch Bargeldhaltung wird nicht abgeschafft. Das Individuum unterliegt nicht einem Zwang zur Kontrahierung mit einem Kreditkarteninstitut.
Nach wie vor kann der Mensch bar bezahlen. Aber er hat nicht ein Recht auf Bargeld, das er nur auf Kosten anderer durchsetzen kann. Bei negativen Bankzinsen wird Bargeld zu einem Luxusgut, das unbeschränkt zugänglich ist, aber nur zu einem Aufgeld erworben werden kann. Im Endeffekt gibt es einen Wechselkurs zwischen Buchgeld und Bargeld, der sich nach Angebot und Nachfrage bestimmt. Beide, Buchgeld und Bargeld, haben ihre Berechtigung und bleiben unter dem Wettbewerbsprinzip bestehen. Die Abschaffung des Bargelds ist aus der "Angebots-Nachfrage-Theorie des Zinses" nicht erforderlich. Der Markt löst das Problem von selber.
©KOF ETH Zürich, 15. Dez. 2015
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