Nikolaj Schmidt, internationaler Chefökonom bei T. Rowe Price Die chronisch schwache Nachfrage und die tiefen Zinsen sind eher das Ergebnis des Schuldenabbaus und weniger Symptome einer langfristigen Stagnation, meint Nikolaj Schmidt von T. Rowe Price. Daher sei die Weltwirtschaft wohl in einer viel besseren Verfassung als viele glauben.Die beständig niedrigen und sogar negativen Zinssätze haben Befürchtungen geweckt, dass die Weltwirtschaft in eine Phase mit einer chronisch schwachen Nachfrage eingetreten ist, die der frühere US-Finanzminister Larry Summers als "langfristige Stagnation" beschrieb. Warum die Menschen besorgt sind, liegt auf der Hand: Seit der globalen Finanzkrise von 2007 bis 2008 wurde die Geldpolitik immer weiter gelockert, um das Wachstum zu stützen – mit
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Die chronisch schwache Nachfrage und die tiefen Zinsen sind eher das Ergebnis des Schuldenabbaus und weniger Symptome einer langfristigen Stagnation, meint Nikolaj Schmidt von T. Rowe Price. Daher sei die Weltwirtschaft wohl in einer viel besseren Verfassung als viele glauben.
Die beständig niedrigen und sogar negativen Zinssätze haben Befürchtungen geweckt, dass die Weltwirtschaft in eine Phase mit einer chronisch schwachen Nachfrage eingetreten ist, die der frühere US-Finanzminister Larry Summers als "langfristige Stagnation" beschrieb. Warum die Menschen besorgt sind, liegt auf der Hand: Seit der globalen Finanzkrise von 2007 bis 2008 wurde die Geldpolitik immer weiter gelockert, um das Wachstum zu stützen – mit enttäuschenden Ergebnissen. Da sich die Leitzinsen so nah an der Untergrenze bewegen, bleibt der Geldpolitik kaum Spielraum, falls es zu einem negativen Nachfrageschock kommen sollte. Den Zentralbanken bereitet das schweres Kopfzerbrechen.
Vier Phasen des Schuldenabbaus
"Ich bin nicht der Auffassung, dass die Hauptursache für das schwache Wachstum in den letzten zehn Jahren eine langfristige Stagnation ist", meint Nikolaj Schmidt, internationaler Chefökonom bei T. Rowe Price, "Vielmehr sind die beispiellos tiefen Zinssätze der letzten Jahre meiner Ansicht nach das Ergebnis eines langwierigen Schuldenabbaus, der aber irgendwann enden dürfte. Daher glaube ich, dass die Weltwirtschaft wohl in einer besseren Verfassung ist, als die Anhänger der These der langfristigen Stagnation uns glauben machen möchten", erklärt er in seinem jüngsten Marktkommentar.
Der Ökonom zeigt auf, in welche Phasen sich dieser Schuldenabbau seit der globalen Finanzkrise gliedert:
- Die "heisse" Phase der Krise, die den Anstoss zur Verringerung der Schulden in den US-Bilanzen gab,
- die Staatsschuldenkrise in der Eurozone, die den Schuldenabbauprozess in Europa in Gang setzte,
- das "Taper Tantrum", das in erster Linie die Schwellenländer (ohne China) traf, und
- der Schuldenabbau in der chinesischen Wirtschaft.
Diese Phasen des Schuldenabbaus haben die globale Konjunktur in den letzten elf Jahren nacheinander kräftig abgebremst. Schmidt meint: "Normalerweise dauern Schuldenabbauphasen nach einer Krise wenige Jahre; dass dieser Prozess schon jetzt recht lange dauert und in so vielen Bereichen erfolgt, zeigt, wie gross die makroökonomischen Ungleichgewichte waren, die vor und während der globalen Finanzkrise entstanden sind."
Schuldenabbau mit unterschiedlichen Richtungen
Der Schuldenabbau hat in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Richtungen eingeschlagen. "In den USA haben die Haushalte ihre Verschuldung zwar zügig reduziert, der Sektor der Nichtfinanzunternehmen hat die Kreditaufnahme aber massiv erhöht. Genutzt wurden diese Kredite hauptsächlich für Financial Engineering – also für Aktienrückkäufe, Dividendenzahlungen, Übernahmen – was keinen Beitrag zum Wachstum leistet", erklärt Schmidt. In Europa und Japan habe sich der Schuldenabbau auf viele verschiedene Weisen vollzogen. Gleichwohl gebe es einen starken Impuls, die Haushaltsdefizite, die sich während der globalen Finanz- und der europäischen Staatsschuldenkrise aufgebläht hatten, zu reduzieren, meint der Experte. Der Schuldenabbauprozess in China ging mit einer entschlossenen Neuausrichtung der politischen Prioritäten weg vom Wachstum und hin zur Finanzstabilität einher und konzentrierte sich auf Sektoren abseits der privaten Haushalte.
Wenn alle gleichzeitig ihre Schulden abbauen wollen, dämpft eine zu geringe Endnachfrage das Wachstum. Zudem drückt der Überschuss an verleihbaren Mitteln die Zinssätze. Schmidt warnt allerdings: "Es wäre jedoch ein Fehler zu glauben, dass ein langfristiger, langwieriger Schuldenabbau etwas 'Natürliches' oder 'Logisches' wäre. In Volkswirtschaften mit einer wachsenden Bevölkerung sollten die Schulden der privaten Haushalte einen immer grösseren Anteil am Gesamteinkommen haben. Denn bei einer steigenden Zahl von Haushalten muss auch der Bestand an verfügbarem Wohnraum wachsen. Das wiederum bedeutet, dass irgendwer eine Hypothek aufnehmen muss – entweder der Haushalt oder der Eigentümer des Wohnraums bzw. Vermieter."
Tiefe Zinsen sind nicht Symptome einer Stagnation
Der Experte von T. Rowe Price fragt sich, ob die Wirtschaft die steigende Verschuldung im Sektor der Nicht-Finanzunternehmen in den USA zu sehr auf die leichte Schulter nehmen. Finanziell sei das seiner Meinung nach eindeutig ein Unsicherheitsfaktor, der bei der nächsten Rezession eine wichtige Rolle spielen wird. Da diese Schulden aber nicht – etwa in Form eines Investitionsbooms – ihren Weg in die Realwirtschaft gefunden hätten, haben sich auf makroökonomischer Ebene wahrscheinlich auch keine grösseren Verzerrungen ergeben.
Was ist nötig, damit Verbraucher und Unternehmen wieder Kredite aufnehmen und dadurch das Wachstum ankurbeln? "Diese Frage ist schwieriger zu beantworten. Eine Voraussetzung für die Schuldenaufnahme ist neben der Beendigung der Bestandskorrektur im Bau- und Wohnbaubereich ein gewisses Zukunftsvertrauen, das wiederum eine stabile Politik erfordert. Die letzten Jahre brachten uns jedoch das Hin und Her im Handelskonflikt zwischen den USA und China, die schier unendliche Geschichte vom Brexit und den Aufstieg von populistischen Anti-Establishment-Parteien in vielen Ländern", erklärt Schmidt. Möglicherweise müsse erst wieder ein gewisses Mass an politischer Stabilität Einzug halten, ehe die Haushalte und Unternehmen wieder Geld ausgeben.
Nikolaj Schmidt betont nochmals: "Bei der chronisch schwachen Nachfrage und dem tiefen Zinsniveau der letzten zehn Jahre handelt eher um das Ergebnis des Schuldenabbaus, der durch die starke Zunahme von makroökonomischen Ungleichgewichten vor der globalen Finanzkrise ausgelöst wurde, als um Symptome einer langfristigen Stagnation. Daher ist die Weltwirtschaft wahrscheinlich in einer viel besseren Verfassung, als die Anhänger der These von der langfristigen Stagnation behaupten."