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Mit einer Reform will die britische Regierung das Versammlungsrecht ändern. Es ist nur eine von mehreren Maßnahmen, die Kritiker als Angriff auf Demokratie und Gewaltenteilung verurteilen.
Autoritär, reaktionär, repressiv: Die Kritik an möglichen Einschränkungen der Demonstrationsfreiheit durch das geplante britische Polizeigesetz im Oberhaus hätte kaum beißender sein können.
Die Mitglieder im House of Lords fügten der Regierung von Premierminister Boris Johnson in der Nacht zum Dienstag eine Abstimmungsniederlage nach der anderen zu.
Mit großer Mehrheit lehnten die Lords mehrere Paragrafen im Entwurf des geplanten neuen Polizeigesetzes ab. Darin waren beispielsweise erhebliche Einschränkungen von Protesten vorgesehen, wenn diese nach Ansicht der Polizei eine Lärmbelästigung darstellen oder Verkehrswege blockieren.
Mit der „Police, Crime, Sentencing and Courts Bill“ will die Johnson-Regierung Klima- und Antirassismusproteste in die Schranken weisen, die in den vergangenen Jahren Schlagzeilen gemacht hatten. Der Gesetzentwurf durchlief in der Nacht zum Dienstag das letzte Stadium im Oberhaus – und soll anschließend wieder ins Unterhaus zurückkehren. Erwartet wird, dass die Regierung die Änderungen der Lords bei den Commons wieder weitgehend rückgängig macht. Üblicherweise gibt das Oberhaus in diesem Fall nach.
Befürchtungen der Kritiker
Kritiker fürchten, die vage gehaltenen Vorschriften und Befugnisse für die Polizei könnten Anlass geben, jegliche Demo als unrechtmäßig aufzulösen. Wenn man nicht mehr auf der Straße mit Lärm seinen Ablehnung über das Handeln der Regierung zum Ausdruck bringen könne, seien die „Menschenrechte ernsthaft infrage gestellt“, sagte das konservative Oberhaus-Mitglied John Gummer während der Debatte am Montagabend. Der Bischof von Leeds, Nick Baines, der ebenfalls im House of Lords sitzt, verwies auf Mahatma Ghandi und Nelson Mandela, denen zu Ehren auf dem Platz vor dem britischen Parlament Statuen errichtet wurden: Ihr Protest, so Baines, hätte unter diesen Umständen nicht stattfinden können.
Doch das geplante Polizeigesetz ist bei Weitem nicht das einzige Instrument, mit dem die Regierung Johnson nach Ansicht ihrer Kritiker versucht, die Grundfesten von Gewaltenteilung und Demokratie zu untergraben.
Unter anderem soll die Normenkontrolle in dem Land nach dem Willen der Tories stark eingeschränkt werden. Die Macht der Justiz, Entscheidungen der Regierung auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen, will Justizminister Dominic Raab mit einer Justizreform brechen. Seine „Judicial Review and Courts Bill“ sieht Berichten zufolge vor, dass die Regierung unliebsame Gerichtsurteile einfach ignorieren kann. Die Kontrolle durch die Justiz ist der Regierung Johnsons spätestens ein Dorn im Auge, seit der Supreme Court im Jahr 2019 die von Johnson auferlegte Parlamentspause für rechtswidrig erklärte.
Bleiberecht in Großbritannien
Ein weiteres Raabs-Projekt sieht vor, Großbritannien aus der Europäischen Menschenrechtskonvention zu führen und sich damit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg zu entziehen. Mit der „Nationality and Borders Bill“ will Innenministerin Priti Patel es für illegal eingereiste Asylbewerber nahezu unmöglich machen, ein Bleiberecht in Großbritannien zu erlangen.
Für viel Kritik sorgte auch ein Gesetzentwurf zur Reform des Wahlrechts, der von der Regierung am Montag dank ihrer satten Mehrheit durchs Unterhaus gepeitscht wurde. Die „Elections Bill“ sieht eine Pflicht zur Vorlage eines Identitätsnachweises für die Teilnahme an der Parlamentswahl vor, um Wahlbetrug zu verhindern. Die Opposition wittert dahinter jedoch den Versuch, die Wahlbeteiligung zugunsten der Tories zu beeinflussen. In Großbritannien gibt es keine Ausweispflicht und keinen Personalausweis. Weniger wohlhabende Wähler, die sich keine Auslandsreisen leisten können, haben daher seltener einen Reisepass.
Demonstration vor dem Parlament
Vor dem Parlament versammelten sich am Montagabend Demonstranten, die unter dem Motto „Kill the Bill“ (Tötet den Gesetzentwurf) gegen die Einschränkungen des Versammlungsrechts lautstark demonstrierten. Ein Mann namens Nick Newman beantragte aus Protest gegen das Gesetzesvorhaben einem Bericht des „Guardian“ zufolge sogar, sich in „Kill the Police, Crime, Sentencing and Courts Bill“ umbenennen zu dürfen. Das liberale Namensrecht in Großbritannien erlaubt so gut wie jede Namenswahl.
Anders als andere westliche Demokratien verfügt Großbritannien nicht über eine geschriebene Verfassung. Mit einer einfachen Mehrheit könnten prinzipiell die Fundamente von Demokratie und Rechtsstaat ausgehebelt werden. Dass dies nicht geschieht, ist dem Prinzip Hoffnung überlassen – man nennt das auch das „good chap“-Prinzip. Dahinter steckt die Annahme, dass sich die Mehrheit der Entscheidungsträger immer für die Prinzipien von Rechtsstaat und Demokratie einsetzen wird. Doch sind Boris Johnson und seine Konservativen noch „good chaps“, also „gute Kerle“? Daran gibt es inzwischen Zweifel. (dpa/red)