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Die Regisseurin Carla Simón erzählt von einer Familie, die eine Pfirsichplantage betreibt. Ihr Film "Alcarràs" gewinnt den Goldenen Bären der Berlinale.
Der Film erzählt vom Alltagsleben einer Familie, die Pfirsiche auf einer Plantage anbaut und in Existenznöte gerät. Denn auf dem Gelände sollen plötzlich Solarpaneele gebaut werden.
Das Drama „Alcarràs“ der spanischen Regisseurin Carla Simón hat den Goldenen Bären der Berlinale gewonnen. Die Jury zeichnete in Berlin auch Meltem Kaptan aus. Die Darstellerin, die in Köln lebt, bekam den wichtigsten Schauspielpreis des Festivals.
Die Comedienne spielt die Hauptrolle in „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“. Der Film erzählt, wie die Mutter von Murat Kurnaz versucht, ihren Sohn aus dem US-Gefangenenlager Guantánamo zu befreien. Auch die Drehbuchautorin des Films, Laila Stieler, gewann einen Silbernen Bären. Damit bekam die Produktion von Regisseur Andreas Dresen („Gundermann“) gleich zwei Preise.
Kaptan bedankte sich bei ihrer Familie. „Mama und Papa, ihr seid hier vor so vielen Jahren hergekommen“, sagte die 41-Jährige am Mittwochabend. „Und habt nicht verlangt von euren Töchtern, dass sie Medizin oder Jura studieren. Sondern habt gesagt: „Folgt eurem Weg.““ Das hätten sie mit bedingungsloser Liebe gemacht. „Und dafür einfach nur Danke.“
Ihren Preis widmete sie Rabiye Kurnaz und allen Müttern, deren Liebe stärker sei als alle Grenzen. In ihrer Filmrolle zeigt sie Schlagfertigkeit, Humor und vor allem Selbstironie. Kaptan hatte bisher etwa Fernsehauftritte mit „Ladies Night“ und ist nun erstmals in einem deutschen Kinofilm zu sehen. Der Film soll Ende April anlaufen. Die zweite deutsche Regiearbeit im Wettbewerb ging leer aus: „AEIOU – Das schnelle Alphabet der Liebe“ von Nicolette Krebitz.
Lange war diskutiert worden, wie die Berlinale diesmal stattfinden kann. „Es war die richtige Entscheidung, die Berlinale trotz Pandemie live stattfinden zu lassen“, sagte Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne). Aus Liebe zum Film sei das Wagnis angegangen worden. „Gewonnen haben der Film und das Kino insgesamt.“ Damit habe die Berlinale unter schwierigen Umständen erneut Haltung gezeigt „als das politischste“ unter den großen internationalen Filmfestivals.
Keine Küsschen wegen Corona
Wegen der Pandemie wurde der Ablauf geändert. Die Preise wurden diesmal früher verliehen als üblich – bis Sonntag sind nun noch mehrere Publikumstage geplant. Beim Kinobesuch gelten besondere Regeln. Auch bei der Preisverleihung saßen die Gäste mit Abstand zueinander im Saal. „Leider keine Küsschen hier heute“, sagte Moderatorin Hadnet Tesfa, als Regisseurin Ruth Beckermann („Mutzenbacher“) einen Preis der Reihe Encounters bekam. „Keine Küsschen hier heute?“, fragte Beckermann zurück. „Naja.“
Jurypräsident für die Hauptauszeichnungen war US-Regisseur M. Night Shyamalan („The Sixth Sense“). Die Jury bewertete insgesamt 18 Beiträge im Wettbewerb. Die Französin Claire Denis wurde für die beste Regie ausgezeichnet: In „Avec amour et acharnement“ spielt Juliette Binoche eine Frau, deren Leben durcheinandergerät, als ein Ex-Partner wieder auftaucht. Der Große Preis der Jury ging an „The Novelist’s Film“ des Südkoreaners Hong Sangsoo – darin begegnet eine Autorin verschiedenen Menschen.
Das Drama „Robe of Gems“ von Regisseurin Natalia López Gallardo gewann den Preis der Jury. Der Film zeigt drei Frauen in Mexiko, die mit dem Drogengeschäft in Konflikt geraten. Die Collage „Everything Will Be Ok“ des Kambodschaners Rithy Panh wurde für eine besondere künstlerische Leistung geehrt. Der Film schneidet aus Trick- und Dokumentarfilmbildern eine zivilisationskritische Collage zusammen.
Persönlich und politisch
Die Berlinale zählt neben Cannes und Venedig zu den großen Filmfestivals der Welt. Die Schauspielpreise werden seit vergangenem Jahr nicht mehr getrennt nach Geschlecht vergeben, sondern für die beste Leistung in Haupt- und Nebenrolle. Der Silberne Bär für die beste Schauspielleistung in einer Nebenrolle ging diesmal an Laura Basuki für die indonesische Geschichte „Nana“. Vergeben wurde auch eine mit 50.000 Euro dotierte Auszeichnung für den besten Erstlingsfilm – der Preis ging an „Sonne“ von Kurdwin Ayub („Ich hoffe, die Steuern nehmen mir nicht das Geld weg“).
Viele Filme schafften es in diesem Jahr, mit persönlichen Geschichten politische Hintergründe zu erzählen. So ist es auch beim Drama „Alcarràs“, das den Goldenen Bären gewonnen hat. Der Film erzählt von einer Familie, die eine Pfirsichplantage in Katalonien bewirtschaftet. Das sieht zunächst nach Idylle aus: Die Erwachsenen arbeiten in der Landwirtschaft, die Kinder spielen.
Dann jedoch droht der Verlust des Landes, denn das Recht zur Bewirtschaftung wurde vor Generationen lediglich durch einen Handschlag besiegelt. Nun sollen dort Solarpaneele aufgestellt werden. Hinzu kommt, dass die Bauern von den Erträgen ihrer Arbeit ohnehin kaum mehr leben können. Der lautstark geführte Arbeitskampf wirkt sich auch auf die Familie aus.
Arbeit und Freizeit
Regisseurin Simón zeigt unaufgeregt den Familienalltag zwischen Arbeit und Freizeit. Feinsinnig verweist sie dabei auf den Wert eines respektvollen, achtsamen Umgangs miteinander. Zugleich spiegelt sie, wie scheinbar Privates von sozialen Umständen geprägt wird. So wird das Drama zu einem facettenreichen Gesellschaftsporträt, das die Macht der Profitgier anprangert. Ihre Familie züchte selbst Pfirsiche, sagte Simón. Deswegen sei ihr die Welt so nah. Die Auszeichnung wolle sie den kleinen Familien von Bauern widmen, „die jeden Tag den Boden bestellen, damit wir Essen auf dem Tisch haben“.
In Spanien fand die Auszeichnung auch im Streit um die Unabhängigkeitsbestrebungen der Region Katalonien im Nordosten des Landes Niederschlag. Der separatistische Regionalregierungschef Kataloniens, Pere Aragonès, sprach von einem „Triumph“ und dankte Simón dafür, dass sie „der Welt die katalanische Kultur und Sprache gezeigt“ habe. Hingegen gratulierte der sozialistische Regierungschef Spaniens, Pedro Sánchez, Simón zu dem Erfolg des „spanischen Films“: „Heute hast Du Geschichte geschrieben.“ (dpa/red)