Cash.ch: Herr Centonze, Sie sind Chef des 2005 gegründeten Textil-Spezialisten und ETH-Spin-Offs HeiQ. Im November 2019 rief eine Mitarbeiterin aus China Sie an und erzählte, dass in Wuhan über ein rätselhaftes Virus geredet werde. Was ging Ihnen damals durch den Kopf? Carlo Centonze: Die Mitarbeiterin war die HeiQ-Chefin in China, die gut vernetzt ist im chinesischen Informationswesen. Die Nachricht liess bei mir schon ein wenig die Alarmglocken läuten. Aber erst nach einem kleinen Zeitungsartikel im Dezember zu dieser Thematik war ich wirklich alarmiert. Haben Sie dann gleich an Ihre Anti-Viren-Technologie gedacht? HeiQ war zu diesem Zeitpunkt ja nicht im Maskengeschäft tätig. Wir hatten unsere Anti-Viren-Technologie im Jahr 2013 nach der Ebola-Krise in die Schublade gesteckt. Der Markt
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cash.ch: Herr Centonze, Sie sind Chef des 2005 gegründeten Textil-Spezialisten und ETH-Spin-Offs HeiQ. Im November 2019 rief eine Mitarbeiterin aus China Sie an und erzählte, dass in Wuhan über ein rätselhaftes Virus geredet werde. Was ging Ihnen damals durch den Kopf?
Carlo Centonze: Die Mitarbeiterin war die HeiQ-Chefin in China, die gut vernetzt ist im chinesischen Informationswesen. Die Nachricht liess bei mir schon ein wenig die Alarmglocken läuten. Aber erst nach einem kleinen Zeitungsartikel im Dezember zu dieser Thematik war ich wirklich alarmiert.
Haben Sie dann gleich an Ihre Anti-Viren-Technologie gedacht? HeiQ war zu diesem Zeitpunkt ja nicht im Maskengeschäft tätig.
Wir hatten unsere Anti-Viren-Technologie im Jahr 2013 nach der Ebola-Krise in die Schublade gesteckt. Der Markt für anti-virale Technologien wurde irrelevant. Als ich dann die scharfen Lockdowns in China zu Beginn der Corona-Ausbruchs sah, war mir klar: Die wissen mehr, als sie sagen. Und es wurde auch klar: Wir mussten nun Gas geben mit unserer Technologie. Als in der Schweiz der Notstand ausgerufen wurde, konnten wir bereits mit der Grossproduktion beginnen. HeiQ selber produzierte zu Beginn der Pandemie keine eigenen Masken, sondern stellt die antivirale Funktion auf der Aussenseite der Maske sicher.
Nun stellen Sie aber auch eigene Masken her. Warum?
Wir erhielten sicher 30 Anrufe von Schweizer Medizinern, die Hilfe suchten, weil es in der Schweiz keine Masken gab. Mithilfe unseres Partners in China stellten wir dann sehr früh auch eigene Masken her.
Wieviel eigene Masken haben Sie bislang verkauft?
Ungefähr zehn Millionen Stück. Allerdings läuft dies weitgehend in der Schweiz ab. Wir entwickeln unsere Masken ständig weiter. Unser Job als Textil-Innovator besteht ja primär nicht darin, den Masken-Look herzustellen, sondern die Technologien zu entwickeln.
Bei der Beschaffung von Gesichtsmasken lief in der Schweiz letztes Jahr einiges schief, vor allem beim Militär. Was sagen Sie als ehemaliger Armeepilot zu diesen Vorgängen?
Ich möchte dazu nicht allzu viel sagen. Wir waren alle schlicht nicht bereit. Das Szenario Pandemie war in der Eidgenossenschaft nicht seriös aufbereitet als Risikofaktor. Aber das war nicht nur bei uns so. Wir hatten vor rund 100 Jahren eine ähnliche Pandemie. Aber 100 Jahre reichen, um zu vergessen.
HeiQ kann ja nicht ewig vom Maskenboom leben.
Wir hoffen natürlich auch, dass die Pandemie rasch vorbei geht. Denn das Kerngeschschäft von HeiQ sind Funktionstechnologien für Textilien und Oberflächen. Und dieses Geschäft leidet unter Corona. Nur ein Beispiel: Wir hätten ein Team an den Olympischen Spielen mit unseren Textiltechnologien am Start. Bloss findet in diesem Jahr wohl keine Olympiade statt in Japan.
Wer sind Ihre Hauptkonkurrenten auf dem Weltmarkt?
Auf Ebene Grosschemie sind dies sicher Dupont, Clariant, Dow Chemical oder BASF. Wir als kleine Firma haben den Vertriebskanal etwas anders aufgebaut. Wir reden nicht primär zuerst mit unseren Kunden, den Textil- oder Oberflächenveredlern. Wir reden zuerst mit deren Kunden, also den Brands. Davon haben wir rund 500, darunter Speedo, Patagonia, New Balance, Odlo, Mammut und so weiter. Das sind unsere Ansprechpartner. Erst dann gehen wir zu den ‘echten’ Kunden, die Hersteller. Auf dieser Ebene haben wir eigentlich keine Konkurrenz.
HeiQ produziert in der Schweiz in Bad Zurzach, aber auch in Spanien, in Australien, Taiwan und in den USA. Wie muss man sich das vorstellen?
Ich zähle Ihnen ein paar extreme Beispiele auf: In den USA haben wir 7 Doppel-Tanklastwagen. Die fahren jeden Tag zu unseren Teppichkunden und müssen innerhalb von 2 Stunden nach Bestellung grosse Menge liefern können. Drei unserer Kunden produzieren etwa 42 Prozent der Teppiche weltweit. In Spanien haben wir eine medizinische Maskenproduktion mit rund 40 Angestellten. In Bad Zurzach betreiben wir Spezialitätenchemie für hochwertige Produkte mit 4 Mitarbeitern. In Australien betreiben wir eine Art ‘Labor plus’.
Wo sehen die grössten Wachstumschancen und die besten Margen?
Wir wollen die Lebensdauer von Textilien verlängern. Im Zentrum steht die Nachhaltigkeit. Denn viel zu viele Textilien werden viel zu rasch weggeworfen. Da wollen wir etwas bewirken.
Können Sie sich vorstellen, eine eigene Kleidermarke zu lancieren?
Um damit unsere Kunden zu konkurrenzieren? (lacht) Nein, das Know-How würde uns dies sicher erlauben. Und ich will auch nicht ausschliessen, dass wir dies in einer Spezialnische auch tatsächlich machen werden. Ich rede hier von Schutzausrüstungen für Spitäler, Bekleidung für Elite-Triathleten im obersten Feld oder für Extrem-Alpinisten.
HeiQ profitierte im ersten Halbjahr 2020 beim Umsatz klar vom Maskengeschäft, er verdoppelte sich auf rund 30 Millionen Dollar mit einem Betriebsgewinn von 8,6 Millionen Dollar. Ende Januar folgte die Mitteilung, beim Umsatz fürs ganze Jahr 2020 werde HeiQ über den Markterwartungen liegen und beim operativen Gewinn nur etwa bei den Markterwartungen. Können Sie das etwas erläutern?
Im Bereich Masken sind die Margen nicht dermassen hoch, was den Unterschied erklären mag. Unter normalen Umständen hätten wir das Maskengeschäft ja auch nicht vorangetrieben.
HeiQ ist seit Anfang Dezember an der Börse in London kotiert. War das Maskengeschäft und der Umsatzanstieg der Grund für den Börsengang?
Wir haben im Verwaltungsrat bereits 2017 entschieden, dass wir einen Börsengang anstreben. Doch in diesem Jahr erfüllten wir verschiedene Anforderungen für einen Börsengang nicht. Der Markt hatte im letzten Jahr wegen unserer anti-viralen Technologie allerdings nach dem gesucht, was wir anbieten können. Und wir sagten uns: Eine Firma soll nicht an die Börse gehen, wenn sie bereit ist, sondern dann, wenn sie gefragt ist. Wir arbeiteten doppelschichtig über sechs Monate mit der ganzen Belegschaft, damit wir diesen Börsengang stemmen konnten. Es war wohl der erste vollvirtuelle Börsengang an einer grösseren Börse weltweit. Wir haben keinen einzigen Investor oder Berater persönlich getroffen, alles lief auf Zoom oder Teams ab.
Für den Börsengang, dem vierten eines ETH-Spin-Offs nach Cytos, U-blox und Sensirion, wurde ein SPAC, ein Special Purpose Acquisition Company, benutzt, also ein leerer Börsenmantel, in den sie quasi hineinschlüpften. Weshalb?
Mit einem SPAC konnten wir viel schneller und kostengünstiger an die Börse gehen. Wie gesagt, wir verfügten nicht über alle Kapazitäten, einen ‘normalen’ IPO durchzuführen. Das brauchten wir auch nicht unbedingt, weil wir nicht dringend Liquidität benötigten.
Mit einem herkömmlichen IPO wären Sie heute noch nicht an der Börse.
Nein. Die Form des Börsenganges, wie wir ihn gewählt haben, kann ich nur empfehlen.
Diese IPO-Form hat aber nicht den besten Ruf. Man umgeht damit Banken, die den IPO-Prozess begleiten und die Firma besser durchleuchten können für Investoren.
Diese Form hat keinen guten Ruf, weil die Banken weniger verdienen (lacht). Ich bleibe dabei: Für eine Firma ist dieser Weg super.
Es fehlen bislang mit Ausnahme von Fidelity die grossen und bekannten Vermögensverwalter und Fondsgesellschaften im HeiQ-Aktionariat. Warum?
Das ist auch tiptop so. Wir benötigen die noch nicht. Wir sind nun erst einmal an der Börse, wir sind Schweizer und gern konservativ. HeiQ hatte seit eh und je über 100 Investoren. Wir kennen uns gut aus in der KMU-Welt und fühlen uns wohl dabei. Wir bevorzugen die unternehmerischen Investoren. Weshalb brauchen wir jetzt die grossen Namen?
War Ihnen der Ort der Börsenkotierung denn egal? Hauptsache, Sie fanden einen geeigneten Börsenmantel?
Mein Wunsch war es immer, den Börsengang in der Schweiz zu vollziehen. Wir kamen aber zum Schluss, dass der beste Markt eigentlich Hongkong wäre. Also schauten wir uns nach möglichen SPAC in Hongkong um. Mit den dortigen neuen Gesetzen wird Hongkong von den Amerikanern aber als China betrachtet. Ein Drittel der HeiQ-Investoren sind Amerikaner und die Hälfte unserer Kunden auch. Sie sehen das Problem.
Wie gingen Sie weiter?
Die Nasdaq in New York wäre die zweitbeste Lösung gewesen. Somit wären wir aber eine US-Firma gewesen mit der Aussicht, dass die Geschäfte mit Chinesen sehr schwierig geworden wären. Das Ökosystem mit vorangeschrittenen Materialien und Technologien gab dann den Ausschlag für London gegenüber der Schweiz. Mein Wunsch ist aber nach wie vor, dass wir in der Schweiz eine Zweitkotierung vornehmen.
Die HeiQ-Aktie hat sich nach der Kotierung im Wert verdoppelt. Die britische Zeitung 'Mail on Sunday' empfahl die Aktie mit dem Hinweis, dass die Queen Handschuhe trage mit der anti-viralen Technologie von HeiQ. Inwiefern hat dies die Aktie 'gepusht'?
Ich glaube, das hatte kaum Einfluss. Ich gehe davon aus, dass die Investoren uns mit der Konkurrenz verglichen haben, die eine weitaus höhere Bewertung hatten als HeiQ.
Ende Januar kam es unter sehr hohen Handelsvolumen aber zu einer deutlichen Korrektur der HeiQ-Aktie.
Zum Glück.
Warum?
Beim Aktienkurs von 250 Pence wurde mir ein wenig unwohl. Jetzt sind wir glücklicher mit dem Kurs. Bis Ende Jahr könnten wir aber wieder auf dieses Niveau zurückkehren, sollten wir einige von unseren Innovationen platzieren können.
Hatte der Kursabfall einen bestimmten Grund?
Es kam zu Gewinnmitnahmen von langjährigen Investoren, was auch in Ordnung war. Bis zu fünf Prozent des Aktienkapitals wurden in dieser Phase gehandelt. Das zeigt, dass eine gewisse Liquidität im Handel ist. Das war für mich ein sehr positives Signal, da mehr Retailinvestoren eingestiegen sind.
Würden Sie die HeiQ-Aktie als defensiven Titel oder eher als Wachstumsaktie einstufen?
In der Pandemie sind wir sicher ein guter ‘Hedge’. Bleibende Themen wie neue Beschichtungstechnologien oder auch spezifische Märkte wie Spitäler, die sich gegen multiresistente Bakterien wappnen müssen, sprechen sicher dafür, dass HeiQ eine defensive, antizyklische Aktie ist. Andererseits haben wir technologisches Potenzial, zum Beispiel die neuen Graphenmembran. Die befinden sich noch in der Erforschung und sind, wie ich sage, binär. Das heisst, die Chancen stehen 50 zu 50, ob sich die Technologie durchsetzt. Falls es funktioniert, könnte eine Entsalzungsanlage zehnmal billiger produzieren. Oder ein Tesla könnte doppelt solange fahren, weil die Batterie besser gebaut werden kann. Dialyseverfahren in Spitälern würden zehn Minuten statt vier Stunden dauern. Wir haben also auch das Potenzial, eine Wachstumsaktie zu sein.
Sie sind grösster HeiQ-Einzelaktionär mit 11 Prozent, HeiQ-Mitgründer Murray Height hält über 6 Prozent. HeiQ wäre mit dem relativ zersplitterten Aktionariat ein einfaches Übernahmeziel. Ist eine Übernahme von HeiQ erstrebenswert, auch punkto Wachstum?
Unser Ziel ist ein möglichst breit aufgestelltes Aktionariat. Klar, Übernahmen können immer passieren. Als Roche zum Beispiel merkte, dass sie mehr Marketing- denn Innovationsfirma ist, wurde Genentech übernommen. In der Spezialitätenchemie haben solche Entwicklungen noch nicht begonnen. Insofern ist es durchaus eine Möglichkeit, dass ein grosser Player HeiQ als sein Forschungs- und Entwicklungs-Hub sehen könnte.
HeiQ mit Sitz in Schlieren ZH wurde 2005 als ETH-Spin-Off gegründet. Ursprung der Firma war eine mehrtätige Wanderung in den Bergen, wo Gründer Carlo Centonze und Murrya Height angesichts ihrer nach Schweiss stinkenden Shirts auf die Idee kamen, eine auf Textilchemie basierende Firma zu gründen. Mit HeiQ-Technologien behandelte Textilien sollen unter anderem vor Viren, Wärme, Kälte und Insekten schützen oder geruchshemmend sein. Die Firma gewann diverse Auszeichnungen, unter anderem den "Swiss Technology Award".
Der Tessiner Carlo Centonze hat sich an der ETH Zürich zum Forstingenieur ausbilden lassen. Während des Studiums gründete er mit Kollegen die Klimaschutzorganisation MyClimate. Seit 2005 ist er CEO von HeiQ. Centonze ist mit einer Schwedin verheiratet und hat zwei Kinder.
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