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Schuldenbremse oder Schuldenrückwärtsgang?

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Marius Brülhart, Patricia Funk, Christoph Schaltegger, Peter Siegenthaler und Jan-Egbert Sturm Seit das Schweizer Stimmvolk 2001 die Schuldenbremse zog, geht es dem Bundeshaushalt prächtig. Die Bremse erwies sich gar als Rückwärtsgang: Bis 2016 schrumpfte die Verschuldung des Bundes von 124 auf 99 Milliarden Franken und von 26% auf 15% des BIP. Dem bedrohlichen Schuldenanstieg der Neunzigerjahre konnte somit Einhalt geboten werden, und daher ist die Schuldenbremse ohne Zweifel als eine helvetische Erfolgsgeschichte zu bewerten. Sie wurde denn auch zum Exportschlager. Die wiederkehrenden Überschüsse des Bundeshaushalts hatten allerdings auch ihren Preis. In politischer Hinsicht verursachen sie ein gewisses Kommunikationsproblem. Es ist schwierig, Ausgabendisziplin und Sparanstrengungen

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Marius Brülhart, Patricia Funk, Christoph Schaltegger, Peter Siegenthaler und Jan-Egbert Sturm

Seit das Schweizer Stimmvolk 2001 die Schuldenbremse zog, geht es dem Bundeshaushalt prächtig. Die Bremse erwies sich gar als Rückwärtsgang: Bis 2016 schrumpfte die Verschuldung des Bundes von 124 auf 99 Milliarden Franken und von 26% auf 15% des BIP.

Dem bedrohlichen Schuldenanstieg der Neunzigerjahre konnte somit Einhalt geboten werden, und daher ist die Schuldenbremse ohne Zweifel als eine helvetische Erfolgsgeschichte zu bewerten. Sie wurde denn auch zum Exportschlager.

Die wiederkehrenden Überschüsse des Bundeshaushalts hatten allerdings auch ihren Preis.

In politischer Hinsicht verursachen sie ein gewisses Kommunikationsproblem. Es ist schwierig, Ausgabendisziplin und Sparanstrengungen durchzusetzen, wenn die Staatsrechnung Jahr für Jahr besser ausfällt als budgetiert.

Und in ökonomischer Hinsicht stellt sich die Frage, ob Schuldenabbau wirklich die effizienteste Verwendung der entsprechenden Mittel darstellt. Dieselben Gelder hätten nämlich auch für zusätzliche öffentliche Ausgaben eingesetzt werden können. Oder man hätte sie den Steuerzahlern gar nicht erst entziehen können.

In einem eben veröffentlichten Gutachten zu Handen des Bundesrates haben wir uns dazu Gedanken gemacht.

Einfach gesagt geht es darum, abzuwägen, wo künftige Überschüsse des Bundeshaushalts am besten aufgehoben wären: (a) wie gehabt beim Schuldenabbau, (b) bei zusätzlichen Ausgaben in Folgejahren oder (c) bei Steuererleichterungen.

Alle drei Verwendungszwecke haben ihre Vor- und Nachteile, und eine Klassierung kann weder rein wissenschaftlich noch wertefrei sein. Zudem sind natürlich auch Kombinationen der drei Mechanismen denkbar.

Dennoch haben wir uns auf eine Art „Rangliste“ einigen können.

Abgeschlagen auf dem dritten Platz landet die Option, Rechnungsüberschüsse für Mehrausgaben in künftigen Jahren zu verwenden.

Dahinter steht folgende Überlegung.

Ein Teil der jährlich wiederkehrenden Budgetreste erklärt sich dadurch, dass Budgetüberschreitungen für die betroffenen Verwaltungseinheiten kostspieliger sind als Budgetunterschreitungen – sowohl hinsichtlich der administrativen Umtriebe wie auch der Auswirkung auf die Reputation der Verantwortlichen. Somit haben Verwaltungseinheiten einen Anreiz, im Voraus generös zu budgetieren, um sich damit die Ungemach nachträglicher Budgetüberschreitungen möglichst zu ersparen. Zudem ist es für die Finanzverwaltung schwieriger, vorausschauende Budgetvorschläge zu prüfen als retrospektive Rechnungsabschlüsse. In diesem administrativen Gefüge ergibt sich somit im Endeffekt eine Tendenz zu Budgetunterschreitungen. (Aus dem Universitätsalltag kennen wir einen ähnlichen Mechanismus bei der Beantragung und Verwaltung von Forschungsgeldern.) Und da solche Überschüsse in erster Linie einer vorsichtigen (sprich: grosszügigen) Budgetierung entspringen, liegt der Schluss nahe, dass das optimale Ausgabenniveau eher bei den effektiven als bei den budgetierten Ausgaben liegt. Somit wäre es dann auch kaum sinnvoll, die anfallenden Budgetreste für künftige Ausgabenerhöhungen einzusetzen.

Deswegen stehen wir einer Erhöhung des Ausgabenplafonds im Umfang der zuvor angefallenen Budgetreste skeptisch gegenüber.

Wichtig: Damit äussern wir keine Meinung zur Angemessenheit des gegenwärtigen Umfangs der Bundesausgaben. Wir deuten lediglich darauf hin, dass die administrativen Budgetreste an sich kein Indiz für Unterversorgung an öffentlichen Leistungen sind.

Etwas schwieriger scheint uns die Abwägung zwischen Schuldenabbau und Steuersenkung.

Schuldenabbau macht die Staatsfinanzen widerstandsfähiger für künftige Negativereignisse, kostet aber Steuergelder – ein direkter Mittelverzicht für die Steuerzahler, der zudem unweigerlich gewisse Verzerrungswirkungen hat. In einem Ländervergleich sind Ökonomen des Internationalen Währungsfonds unlängst zum Schluss gekommen, dass sich ein weiterer Schuldenabbau für tief verschuldete Staaten wie die Schweiz kaum lohnt. Tiefere Steuern wären ökonomisch wertvoller als ein weiterer Schuldenabbau.

Im Prinzip spricht daher einiges für eine Stabilisierung des Schuldenstands und eine gleichzeitige Steuerreduktion im Umfang der wiederkehrenden Budgetreste. Eine Stabilisierung der Nominalschuld entspräche zudem dem Verfassungstext und würde angesichts von Wirtschaftswachstum und Teuerung immer noch einen allmählichen Abbau der Verschuldungsquote bedeuten.

Dies könnte erreicht werden mittels Einführung eines „administrativen Faktors“, der im Budget den prognostizierten Einnahmen zugeschlagen würde. Somit würde ex ante ein Defizit budgetiert welches sich ex post jedoch im Durchschnitt nicht bestätigt – vergleichbar mit einer Fluggesellschaft, die ihre Maschinen überbucht im Wissen darum, dass ein gewisser Prozentsatz der Passagiere letztlich nicht erscheint. Das politische Kommunikationsproblem wäre damit auch gelöst.

Allerdings wäre die Umsetzung einer solchen Anpassung nicht ganz ohne. Tarifänderungen bei der Mehrwertsteuer oder der direkten Bundessteuer sind politisch aufwändig und somit ziemlich langlebig. Daher müsste der „administrative Faktor“ auf Dauer verlässlich beziffert werden können. Insbesondere sollte dieser Faktor nicht überschätzt werden, denn dann würde man quasi Defizite vorprogrammieren.

Eine solche Schätzung wäre gegenwärtig jedoch besonders schwierig anzustellen. Seit Januar gilt nämlich das „Neue Führungsmodell der Bundesverwaltung“, welches die administrativen Budgetreste reduzieren dürfte. Das Ausmass dieser Wirkung ist jedoch überhaupt nicht schlüssig vorhersehbar. Zudem beruhte ein Teil der Überschüsse der letzten Jahre auf ausserordentlichen makroökonomischen Umständen: Jahr für Jahr fielen Zinsen und Teuerungsraten tiefer aus als prognostiziert. Es gibt gute Gründe, davon auszugehen, dass die Prognosefehler künftig kleiner und nicht mehr systematisch positiv sein werden.

Somit plädieren wir für eine vorläufige Beibehaltung des Status Quo. Falls die administrativ bedingten Budgetreste allerdings auch in ein paar Jahren noch signifikant bleiben sollten, könnte sich eine Anpassung der Schuldenbremse lohnen, und dies insbesondere im Zusammenhang mit allfälligen ohnehin in Betracht gezogenen Steuerreformen. Es gälte dannzumal allerdings auch, eine Globalbetrachtung anzustellen mit Einbezug der impliziten Verschuldung der AHV.

Lieber kontrolliert rückwärts als blindlings voraus.

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