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Weshalb die Schweiz nach Honig schmeckt

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Monika Bütler Nach gut zweijähriger Pause wieder zurück bei der NZZaS als Kolumnistin. Hier also mein erster Text (veröffentlicht am 6. September): Das Leitungswasser schmeckt ja wie Honig, meinte einer unserer Söhne nach der Rückkehr aus Zentralasien. Und auch sonst sei alles so angenehm zu Hause, sogar die Schule. Die Streitereien um Sozialhilfe und Mittelstandspolitik lassen uns zu oft vergessen, dass wir praktisch gratis – quasi direkt vom Hahn – viele staatliche Leistungen beziehen können. Zu Unrecht, denn die vom Staat gebotene Lebensqualität entlastet die Haushalte direkt – finanziell und organisatorisch. Ein Stück Luxus für alle. So ist, erstens, unser Leitungswasser nicht nur sauber und wohlschmeckend, es ist auch gesund. Für Getränke kann in einem engen Haushaltbudget getrost eine Null eingesetzt werden. Wer im Ausland gelebt hat – auch in vielen reichen Gegenden der Welt – weiss hingegen, wie mühsam das Nach-Hause-Schleppen von Wasserkanistern aus dem Supermarkt ist. Dort, wo Trinkwasser kostet, geht dies bei einer Familie rasch ins Geld. Zweitens: wir haben sehr viel öffentlichen Raum, der allen als Erholungsraum und Treffpunkt offen steht. Die Kinder können auch ohne Einfamilienhaus im Freien spielen (falls man sie denn lässt). Selbst unsere Seeufer sind im internationalen Vergleich gut zugänglich. Viele Sportplätze und Schulareale sind öffentlich.

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Monika Bütler

Nach gut zweijähriger Pause wieder zurück bei der NZZaS als Kolumnistin. Hier also mein erster Text (veröffentlicht am 6. September):

Das Leitungswasser schmeckt ja wie Honig, meinte einer unserer Söhne nach der Rückkehr aus Zentralasien. Und auch sonst sei alles so angenehm zu Hause, sogar die Schule.

Die Streitereien um Sozialhilfe und Mittelstandspolitik lassen uns zu oft vergessen, dass wir praktisch gratis – quasi direkt vom Hahn – viele staatliche Leistungen beziehen können. Zu Unrecht, denn die vom Staat gebotene Lebensqualität entlastet die Haushalte direkt – finanziell und organisatorisch. Ein Stück Luxus für alle.

So ist, erstens, unser Leitungswasser nicht nur sauber und wohlschmeckend, es ist auch gesund. Für Getränke kann in einem engen Haushaltbudget getrost eine Null eingesetzt werden. Wer im Ausland gelebt hat – auch in vielen reichen Gegenden der Welt – weiss hingegen, wie mühsam das Nach-Hause-Schleppen von Wasserkanistern aus dem Supermarkt ist. Dort, wo Trinkwasser kostet, geht dies bei einer Familie rasch ins Geld.

Zweitens: wir haben sehr viel öffentlichen Raum, der allen als Erholungsraum und Treffpunkt offen steht. Die Kinder können auch ohne Einfamilienhaus im Freien spielen (falls man sie denn lässt). Selbst unsere Seeufer sind im internationalen Vergleich gut zugänglich. Viele Sportplätze und Schulareale sind öffentlich. Und unterwegs kann man sich zwischendurch gemütlich niederlassen – ohne Schilderwald „Privat!“ mit abgebildeten gfürchigen Hunden und Gewehren.

Der kleine Platz am Ende unserer Strasse ist ein wunderbares Beispiel: Er verwandelt sich von einem morgendlichen Spielplatz für die Krippen und Kindergärten der Umgebung zu einem Imbissplatz über Mittag. Nach den Drinks nach Arbeitsschluss grillieren am Abend Familien aller Nationen friedlich nebeneinander. Es gibt wohl kaum eine bessere Methode der Integration und der Gewaltprävention als ein einladender öffentlicher Raum.

Drittens: Unsere öffentlichen Schulen bieten qualitativ hochstehende Bildung auf allen Stufen. Und sie kosten bis zur Matura oder Lehrabschluss nichts; die Gebühren an den Hochschulen sind bescheiden. Mindestens 20‘000 Franken kostet die Schulbildung eines Kindes in vielen Ländern – pro Jahr! – und reisst so den Mittelstandsfamilien grosse Löcher in die Kasse.

Viertens: Der Öffentliche Verkehr würde es der Mehrheit der Einwohner erlauben, ohne Auto auszukommen. Die Arbeitsstelle ist mit ÖV erreichbar; die Kinder müssen nicht zu Schule oder Sport chauffiert werden; einkaufen lässt sich ohne Auto (nur schon weil man kein Trinkwasser tragen muss). Dass davon einkommensärmere Haushalte am meisten profitieren, zeigt das Gegen-Beispiel Neuseeland. Sogar in Städten sind Familien für Berufstätigkeit, Organisation des Schulalltags und Einkauf auf ein oder zwei Autos angewiesen. Die Kosten dafür verschärfen die ohnehin schon angespannte finanzielle Situation dieser Familien weiter.

Fünftens schliesslich geniessen wir ein grosses Mass an Sicherheit in allen Bereichen. Kaum jemand wohnt in gated communities; wir können uns auch nachts unbewacht bewegen; die Lebensmittelsicherheit ist hoch (einigen vielleicht zu hoch) und sogar die Tollwut ist ausgerottet.

Die Schweiz ein Land, wo Milch und Honig fliessen? Auf jeden Fall wäre es schade, wenn wegen Verteilungskämpfen solche staatlichen Leistungen in Zukunft zu kurz kämen. Sie bilden als „bedingungslose Lebensqualität“ einen wichtigen Pfeiler der Sozial- und Familienpolitik. Einen Pfeiler nota bene, der ohne bürokratische Kontrollen und ohne Schwelleneffekte auskommt und von dem wir alle profitieren können.

Kein Wunder schmeckt die Schweiz nach Honig.

Monika Bütler
Professorin für Volkswirtschaft und geschäftsführende Direktorin des Schweizerischen Instituts für Empirische Wirtschaftsforschung (SEW) an der Universität St. Gallen (HSG), Vorstand der Volkswirtschaftlichen Abteilung der HSG. Lizentiat in Mathematik/Physik, mehrjährige Tätigkeiten am Eidgenössischen Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos und bei der damaligen Swissair. Zweitstudium und Doktorat in Volkswirtschaftslehre, danach Assistenzprofessur in Tilburg (Niederlande) und Professur an der HEC Lausanne. Forschungsschwerpunkte: Sozialversicherungen, Arbeitsmarkt, politische Ökonomie und Informationsökonomik.

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