BuchbesprechungDiana Coyle: Cogs and Monsters – What Economics is, and What it Should be, Princeton University Press, Oct 12, 2021, London.Das Wirtschaftssystem hat einen enormen Einfluss auf das Leben der Menschen und damit der Tiere und der Natur.Die Kritik an den Wirtschaftswissenschaften, die insbesondere seit der GFC (2008) im Allgemeinen deutlich geworden ist, nimmt inzwischen ...
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Buchbesprechung
Diana Coyle: Cogs and Monsters – What Economics is, and What it Should be, Princeton University Press, Oct 12, 2021, London.
Das Wirtschaftssystem hat einen enormen Einfluss auf das Leben der Menschen und damit der Tiere und der Natur.
Die Kritik an den Wirtschaftswissenschaften, die insbesondere seit der GFC (2008) im Allgemeinen deutlich geworden ist, nimmt inzwischen zu und fordert und fördert das Umdenken über die herkömmlichen Modelle.
Auch die Frage, die sich v.a. im Kontext mit der digitalisierten Wirtschaft stellt, ist berechtigt. Wie realistisch ist Homo Economicus? Mit anderen Worten: Sind die fragwürdigen Prämissen der Mainstream-Wirtschaftsmodelle noch gültig bzw. zeitgemäss?
Vor diesem Hintergrund befasst sich Diana Coyle in ihrem neuen Buch mit den augenfälligen Parametern der vorherrschenden Lehre, die die Umsetzung der Wirtschaftspolitik auf beiden Seiten des Atlantiks prägt. Und sie erspart sich dabei keine Selbstkritik, was die Stimmung und Stimmen im eigenen Berufsstand angeht.
In Sachen «schwindelerregende Veränderungen» hebt die Autorin Finanzkrisen, das träge Wirtschaftswachstum, in die Breite gehende Ungleichheit, Klimakrise und zuletzt die aktuelle Pandemie-Bekämpfung hervor.
Und sie sagt, dass Wirtschaftswissenschaftler im öffentlichen Sektor zwar einflussreich, aber nicht in der Lage sind, einige der wichtigen Herausforderungen, die der Wandel der modernen Wirtschaft mit sich bringt, auf praktische Weise anzugehen.
Dies gilt v.a. für die Schwierigkeiten, die die digitale Wirtschaft mit sich bringt, was z.B. die Messung des BIP betrifft.
Es geht um die Frage des wirtschaftlichen Fortschritts. Einige Ökonomen argumentieren, dass es in der Wohlfahrtsökonomie spätestens seit den 1970er Jahren keinen Fortschritt mehr gibt. Müssen wir Wachstum und Fortschritt auf neue Weise messen? Was verstehen wir unter wirtschaftlichem Fortschritt, der das Leben verbessert?
Das Hauptmerkmal der digitalen Wirtschaft ist die größere Interdependenz. Zunehmende Skalenerträge und externe Effekte wie Netzwerkeffekte oder Datenübertragungen bedeuten, dass die Entscheidung einer Person oder eines Unternehmens Auswirkungen auf andere hat.
Was bedeutet es für die Politik, die Dinge zu verbessern? Was ist das Ergebnis, das die Politik erreichen soll, und was macht ein bestimmtes Ergebnis besser als ein anderes?
Wie wird die Gesellschaft als Ganzes besser, und woran können wir das erkennen? Welche Art von Gesellschaft wollen wir, und wie messen wir den Fortschritt auf dem Weg dorthin?
Was zählt als Fortschritt in einer digitalen Welt?
Der Beweis für den enormen technologisch bedingten Wandel ist im täglichen Leben allgegenwärtig und findet sich fast nirgends in den üblichen Wirtschaftsstatistiken. Einerseits wird das BIP-Wachstum als Maß für den Fortschritt in Frage gestellt, andererseits gibt es auch andere Gründe, an seiner Nützlichkeit zu zweifeln.
Coyle deutet als Abhilfe darauf hin, dass Big Data, High Tech, maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz (AI) heute Instrumente bereitstellen, die neuen Phänomene besser zu verstehen und angemessen zu erfassen.
Die Mainstream-Wirtschaftstheorie hingegen geht davon aus, dass die Menschen «eigennützige, berechnende und unabhängige Akteure» sind, die in bestimmten Zusammenhängen interagieren.
Dadurch, dass die Wirtschaftswissenschaft die Menschen als («cogs») «Zahnrädchen» behandelt, schafft sie sich ihre eigenen «Monsters», wie die Autorin schildert.
Das unerforschte Gebiet, in dem so vieles noch unbekannt ist, wurde nämlich auf mittelalterlichen Karten damals als "Ungeheuer" («monsters») bezeichnet.
Die herrschende Lehre erweist sich damit einen Bärendienst; weil sie die neuen Probleme, mit denen sie konfrontiert wird, nicht mehr verstehen kann.
Das Ergebnis ist, dass sich die Wirtschaftswissenschaften trotz all ihrer Vorzüge ändern müssen, wenn sie weiterhin einen möglichst nützlichen Beitrag zur Politik und zum Dienst an der Öffentlichkeit leisten wollen.
Die digitalen Technologien haben die wirtschaftlichen Strukturen sowohl des Konsums als auch der Produktion grundlegend und dauerhaft verändert. Die Globalisierung mag zwar teilweise rückgängig gemacht werden, aber die Technologien werden nicht unentdeckt oder ungenutzt bleiben.
Wie sollten wir aber Preis, Quantität und Qualität in diesem Kontext eines immer immaterielleren Outputs definieren? Was ist Produktivität, wenn es keine materiellen Produkte gibt?
Die ökonomische Analyse digitaler Märkte ist noch in Arbeit. Die Standard-Wohlfahrtsökonomie kann die Wohlfahrt der Verbraucher im Kontext von Netzwerk-Spillover, Lock-in und Nicht-Linearitäten nicht analysieren.
Coyle ist überzeugt, dass ein verändertes "Mainstream"-Paradigma notwendig ist und es sich sicherlich herausbilden wird.
Ferner werden die GFC 2008 und die Coronavirus-Krise laut Coyle die Erwartungen der Öffentlichkeit an die Rolle des Staates möglicherweise dauerhaft verändern.
Obwohl es nie einen Markt ohne den Staat gab (oder umgekehrt), hat ihre gegenseitige Abhängigkeit mit dem Grad der wirtschaftlichen Komplexität stark zugenommen, argumentiert die Autorin.
Die Umstände, unter denen Märkte scheitern, sind genau die Umstände, unter denen auch Staaten scheitern, denn sie sind genau die Umstände, unter denen private und kollektive Interessen am stärksten divergieren, so Coyle weiter.
Die Autorin hat sicherlich zu viele Details im Kopf zur Lehre und Praxis der Wirtschaftspolitik. Das kompakte Buch ist aber für Laien nicht geeignet.
Ein anspruchsvolles Werk mit fundierten Anregungen zu einem umfassenden und wichtigen Thema, wie wir die Wirtschaft verstehen und konzipieren. Es geht um die Errungenschaften der modernen Wirtschaftssysteme.
Diane Coyle: «Cogs and Monsters», Princeton University Press, Oct 12, 2021