Die Ökonomik steht immer wieder in der Kritik, sie würde nichts zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen. Dabei ist es genau der Kern ihrer Aufgabe, mit ökonomischen Instrumenten Lösungswege aufzuzeigen, auch wenn diese nicht immer populär sind. Immer wieder werden die moderne Ökonomik und die Ökonomen mit beißender Kritik überzogen.[ 1 ] Dabei gerät verschiedenes durcheinander: Fast schon erfrischend ist, wenn Kritiker zugleich die angebliche Ökonomisierung aller Lebensbereiche geißeln und verkünden, die moderne Ökonomik sei zum Verständnis der realen Welt wertlos. Ärgerlich ist hingegen, wenn aufgrund teils berechtigter Vorbehalte gegen manche überzüchteten Spielarten ökonomischer Analyse das ökonomische Denken ganz allgemein zurückgewiesen wird. Denn gute Ökonomik will genau das, was ihre Kritiker angeblich wollen: wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme besser verstehen und lösen helfen. Dazu sind formale theoretische Modelle zuweilen, raffinierte empirische Verfahren oft, und modernes diszipliniertes ökonomisches Denken nahezu immer nützlich. Im Folgenden illustrieren wir die Kernelemente dieses Denkens und ihre Fruchtbarkeit. Kosten-Nutzen Ökonomen denken immer an Kosten und Nutzen. Das finden viele Kritiker viel zu eng. Dabei sind Kosten und Nutzen nur andere Worte für Vor- und Nachteile und somit ein sehr breites Konzept.
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Die Ökonomik steht immer wieder in der Kritik, sie würde nichts zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen. Dabei ist es genau der Kern ihrer Aufgabe, mit ökonomischen Instrumenten Lösungswege aufzuzeigen, auch wenn diese nicht immer populär sind.
Immer wieder werden die moderne Ökonomik und die Ökonomen mit beißender Kritik überzogen.[ 1 ] Dabei gerät verschiedenes durcheinander: Fast schon erfrischend ist, wenn Kritiker zugleich die angebliche Ökonomisierung aller Lebensbereiche geißeln und verkünden, die moderne Ökonomik sei zum Verständnis der realen Welt wertlos. Ärgerlich ist hingegen, wenn aufgrund teils berechtigter Vorbehalte gegen manche überzüchteten Spielarten ökonomischer Analyse das ökonomische Denken ganz allgemein zurückgewiesen wird. Denn gute Ökonomik will genau das, was ihre Kritiker angeblich wollen: wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme besser verstehen und lösen helfen. Dazu sind formale theoretische Modelle zuweilen, raffinierte empirische Verfahren oft, und modernes diszipliniertes ökonomisches Denken nahezu immer nützlich. Im Folgenden illustrieren wir die Kernelemente dieses Denkens und ihre Fruchtbarkeit.
Kosten-Nutzen
Ökonomen denken immer an Kosten und Nutzen. Das finden viele Kritiker viel zu eng. Dabei sind Kosten und Nutzen nur andere Worte für Vor- und Nachteile und somit ein sehr breites Konzept. Nicht-Ökonomen hingegen denken oft nur an Nutzen oder nur an Kosten, statt simultan an Kosten und Nutzen. So meinen viele, eine höhere Geburtenrate würde die Sicherung der Altersvorsorge erleichtern. Dabei vernachlässigen sie die hohen gesellschaftlichen Kosten der Erziehung und Ausbildung der Kinder. Ökonomen analysieren möglichst alle Nutzen und Kosten, insbesondere auch nichtmonetäre. So zielt die Gesundheitspolitik vor allem auf das Wachstum der Geldkosten und vernachlässigt, dass die Kosten infolge verlorener Zeit durch Krankheit und Behandlung riesig sind, aber dank medizinischem Fortschritt stetig sinken. Ökonomen betonen auch Opportunitätskosten, die entstehen, wenn eingesetzte Ressourcen nicht mehr anderweitig verwendet werden können. In der Politik hingegen werden Opportunitätskosten allzu gern vernachlässigt. Wird beispielsweise in der Flüchtlingskrise argumentiert, die hohen staatlichen Mehrausgaben hätten einen positiven Konjunktureffekt. Dabei wird unterschlagen, dass die gleichen Mittel, wenn sie anderweitig ausgegeben werden, etwa für gezielte lokale Infrastrukturmaßnahmen wie Straßenbau oder für Bildung wohl weit stärker auf die Konjunktur wirken würden. Die hohen Kosten der Besteuerung werden natürlich auch stets vernachlässigt.
Schließlich fokussieren Ökonomen neben Gesamtkosten und -nutzen auch auf Grenzkosten und -nutzen. So rechnen regelmäßig Studien vor, Kinderkrippen oder der öffentliche Verkehr, etc. brächten mehr Nutzen als Kosten, und flux werden daraus Argumente für zusätzliche Subventionen. Doch auch die größten Nutzenüberschüsse bedeuten nicht, dass der Leistungsumfang ausgedehnt werden muss. Die Frage, ob wir von etwas mehr oder weniger brauchen, hängt alleine davon ab, ob die Grenznutzen grösser oder kleiner als die Grenzkosten sind. Dazu sagen aber all die Auftragsstudien normalerweise wenig. Ein einschlägiges Beispiel ist Hochschulpolitik: Da wird heute dauernd mit den Rankings argumentiert. Dabei messen diese nur die Gesamtleistung und den Gesamtnutzen der Forschungsinstitutionen. Richtigerweise müssten natürlich auch die Kosten berücksichtigt und gefragt werden, wo ein zusätzlicher investierter Euro den größten zusätzlichen Nutzen liefert. Wenigstens nach unseren Berechnungen für die Schweiz dürfte das aber genau nicht bei den besonders hoch-gerankten, zumeist besonders großen Universitäten sein, sondern bei kleineren.
Modell menschlichen Verhaltens
Oft wird Ökonomen vorgeworfen, ihr Menschenbild sei unrealistisch. Tatsächlich treffen sie oft enge Verhaltensannahmen, da diese die mathematische Formulierung erleichtern. Das im einfachen ökonomischen Denken relevante Modell ist aber sehr allgemein. Salopp formuliert sind Menschen weder allwissende Engel noch dumme Schafe. Sie sind nie vollständig informiert; sie verfolgen nicht ausschließlich das Gemeinwohl sondern auch eigene Ziele; sie haben lieber Vor- als Nachteile und wägen diese halbwegs vernünftig ab; und sie folgen nicht jeder Vorschrift, sondern suchen aktiv nach für sie günstigeren Lösungen.
Dieses sehr realistische Menschenbild hat weitreichende Folgen. Wenn Politiker anders wären und, wie in manchen ökonomischen Modellen angenommen, tatsächlich das Volkswohl maximierten und alles wissen würden, sollte alle Entscheidungen von einer Weltzentralregierung getroffen werden. Weil aber auch Politiker normale Menschen sind und damit dem ökonomischen Menschenbild entsprechen, sind dezentrale und wettbewerbliche Strukturen oft überlegen. Sie generieren Informationen und geben den Politikern Anreize, auf die Bürger einzugehen.
Marktversagen ist allgegenwärtig
Gute Ökonomik predigt nicht Markteffizienz, sondern Lösungen für Marktversagen. Als Rezept gegen Marktversagen empfehlen Ökonomen im Regelfall marktwirtschaftliche Lösungen, also Lenkungssteuern und handelbare Lizenzen, anstelle von planerischen und polizeilichen Geboten und Verboten, Mengenfixierungen oder Subventionen.
Illustrativ ist die Verkehrspolitik. Die externen Kosten des Individualverkehrs aufgrund von Umweltschäden, Unfällen und Staus sollten aus ökonomischer Sicht durch ein effektives Road-Pricing im Sinne des Verursacherprinzips internalisiert werden. Gleichzeitig sollte der öffentliche Verkehr nicht mehr subventioniert werden, wenn der Individualverkehr seine wahren Kosten trägt. Dadurch wird ein Marktversagen behoben und Geld für Steuersenkungen frei.
Auch bei der Flüchtlingspolitik fokussiert die öffentliche Diskussion zu sehr auf polizeiliche Maßnahmen und Kontingente. Falls die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen negative Externalitäten hat und zu hohen Kosten führt, empfiehlt der ökonomische Ansatz, die Einwanderung über Preise zu steuern und von arbeitenden Flüchtlingen für die hier verbrachte Zeit zusätzliche Steuern zu erheben.
Auch Staatsversagen ist allgegenwärtig
Obwohl Marktversagen häufig ist, sind Ökonomen trotzdem eher marktfreundlich – weil sie vergleichend denken. Sie vergleichen die Marktlösung mit anderen Entscheidungssystemen und sind so heute auch Spezialisten für Staatsversagen und dessen Heilung. Staat und Politik leiden an ähnlichen Problemen wie Märkte. So wie eigennütziges Verhalten unter bestimmten Bedingungen zu Marktversagen führt, so kann es Staatsversagen bewirken.
In dezentralen politischen Systemen sind Probleme mit Externalitäten allgegenwärtig, wenn Leistungen der einen Gebietskörperschaften auch den Einwohnern anderer nützen. Zugleich sind Externalitäten in Zentralstaaten meist noch relevanter, denn dort werden Ausgaben zentral finanziert, d.h. die Einwohner aller Gebietskörperschaften leben dann auf Kosten der Allgemeinheit. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass Länder wie Griechenland, die stark zentralisiert sind, besondere Probleme haben, die Bürger zum Steuerzahlen zu veranlassen. Da praktisch nichts der in einer Gebietskörperschaft bezahlten Steuergelder dort bleibt, sehen die Bürger nur wenig Sinn darin, selbst Steuern zu zahlen und sich darum zu kümmern, ob Ihre Mitbürger die Steuern zahlen.
Moderne Ökonomie erhellt auch, wie unterschiedliche politische Systeme funktionieren. So leidet die repräsentative Demokratie daran, dass gute Ideen nicht patentiert und so frei von anderen Politikern übernommen werden können, also öffentliche Güter sind. Das mindert die Anreize von Politikern, viel Energie in die Entwicklung guter und realistischer Ideen zu investieren. Ein anderes Problem ist, dass Wahlversprechen nicht bindend sind. Die Bürger wissen zumeist nicht, weshalb die Wahlversprechen nicht eingehalten werden konnten. Es herrscht also asymmetrische Information, was die Anreize der Politiker zusätzlich senkt, sich an Versprechen zu halten. Direkte Demokratie überwindet diese Politikversagen wenigstens teilweise: Wenn eine Idee als Initiative formuliert wurde, kann sie von anderen kaum mehr einfach übernommen werden und die Entscheidungen sind bindend.
Angebot-Nachfrage, Gleichgewichte und Überwälzung
Was auf individueller Ebene die Abwägung von Kosten und Nutzen ist, sind auf aggregierter Ebene das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage und die sich daraus ergebenden Gleichgewichte. Ihre besonderen Eigenschaften werden von Nicht-Ökonomen oft vernachlässigt. Ein Beispiel ist Steuerüberwälzung. Die Steuerlast trifft oft nicht die formellen Zahler, sondern sie wird über die Märkte an andere weitergegeben. Ein Extrembeispiel für dieses allgemeine Phänomen sind international mobile Spitzensportler. In Ländern mit hohen Steuern arbeiten sie nur, wenn sie einen entsprechend höheren Bruttolohn erhalten. So wird die Steuerlast voll auf ihre Arbeitgeber überwälzt. Generell bleibt die Steuerlast bei den relativ immobilen Faktoren hängen. In einem föderalistischen Staat sind der Faktor Arbeit und das Kapital zwischen den Gebietskörperschaften mobil. Deshalb wird die Steuerlast weitgehend auf den Faktor Boden überwälzt, d.h. die Steuern „kapitalisieren“ im Bodenwert. In Gebietskörperschaften mit hohen Steuern sind die Bodenpreise tiefer; die Steuerlast tragen nicht die Arbeiter, sondern die Bodenbesitzer. Aber nicht nur Steuern kapitalisieren im Bodenpreis, sondern alles, was Vor- und Nachteile bringt, z.B. auch die Schulden von Gebietskörperschaften, wie wir in einem anderen Beitrag zeigen und wissenschaftlich dokumentieren (vgl. auch http://www.oekonomenstimme.org/artikel/2013/01/wenn-staatsschulden-nicht-auf-die-zukunft-ueberwaelzbar-sind/). In föderalen Staaten sind öffentliche Schulden deshalb weniger eine Belastung für zukünftige Generationen als für die heutigen Bodenbesitzer.
Ist das nicht zu optimistisch und trivial?
Das bisher Gesagte heißt natürlich nicht, dass Ökonomen immer Recht haben. Das ist aber keine Schwäche der der modernen Ökonomik, sondern gerade eine Ihren Stärken. Diese haben sie so einflussreich gemacht, dass heute Regierungen, Parteien und Interessengruppen ihre Politikvorschläge oft mit ökonomischen Gutachten zu rechtfertigen versuchen.
Schließlich stimmt auch, dass gute Ökonomik viel vermeintlich Triviales sagt. Gute Ökonomik ist oft einfach gesunder Menschenverstand. Wie wichtig dieser aber ist, zeigt sich darin, wie oft er Entscheidungsträgern abhandenkommt und Naivität überwiegt. Das gilt leider auch für Ökonomen selbst. So gibt es heute manche sonst hervorragende Ökonomen, die für die Abschaffung des Bargelds eintreten, nur um die ansonsten höchst problematischen Negativzinsen besser durchsetzen zu können. Dabei vernachlässigen sie, dass dadurch die Macht der Regierungen massiv zunähme und Machtmissbrauch droht. Tatsächlich aber sind sie damit in guter Gesellschaft. Selbst der große Paul Samuelson hat angenommen, die Regierung maximiere die Wohlfahrt. Sein Werk stammt aus den 1940er Jahren und wurde in den USA geschrieben – in Angesicht von Hitler, Stalin und Mao. Zum Glück ist das moderne ökonomische Denken realistischer.
- 1 Dieser Beitrag ist erstmals in modifizierter Form unter dem Titel Die Gesellschaft braucht die moderne Ökonomik” in der Zeitschrift “Die Volkswirtschaft, 8-9/2015, August 2015, erschienen.
©KOF ETH Zürich, 24. Feb. 2016