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“Resilienz” – inhaltsleerer Trendbegriff oder Ansatzpunkt für ein neues wirtschaftspolitisches Leitbild?

Summary:
Resilienz hat sich zu einem beliebten – und beliebigen – Schlagwort in der wirtschaftspolitischen Diskussion entwickelt. Dabei zeigt sich allerdings, dass die meisten aktuellen Resilienz-Definitionen im wirtschaftspolitischen Kontext unpräzise sind. Es bedarf deshalb einer genaueren Begriffsdefinition. Die Karriere eines Begriffs und kritische Fragen Wirtschaftspolitische Strategiepapiere haben einen neuen Leitbegriff.[ 1 ] Ob G-20-Abschlussdokumente, Papiere der Europäischen Kommission zur Zukunft des Euro oder Communiqués von OECD oder IWF – kaum ein Dokumente verlässt heute die Endredaktionen internationaler Organisationen, ohne dass darin das Ziel der "Resilienz" prominent platziert würde. Diese fast schon inflationäre Verwendung wirft Fragen auf. Handelt es sich bei dem

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Resilienz hat sich zu einem beliebten – und beliebigen – Schlagwort in der wirtschaftspolitischen Diskussion entwickelt. Dabei zeigt sich allerdings, dass die meisten aktuellen Resilienz-Definitionen im wirtschaftspolitischen Kontext unpräzise sind. Es bedarf deshalb einer genaueren Begriffsdefinition.

Die Karriere eines Begriffs und kritische Fragen

Wirtschaftspolitische Strategiepapiere haben einen neuen Leitbegriff.[ 1 ] Ob G-20-Abschlussdokumente, Papiere der Europäischen Kommission zur Zukunft des Euro oder Communiqués von OECD oder IWF – kaum ein Dokumente verlässt heute die Endredaktionen internationaler Organisationen, ohne dass darin das Ziel der "Resilienz" prominent platziert würde.

Diese fast schon inflationäre Verwendung wirft Fragen auf. Handelt es sich bei dem Begriff der Resilienz einfach um einen neuen rhetorischen Modebegriff, der so allgemein und inhaltsleer ist, dass er bedenken- und folgenlos verwendet werden kann? Ist das Modewort wirklich mehr als ein Container für Altbekanntes? Oder steckt vielleicht sogar eine wirtschaftspolitische Konzeption dahinter, die einen neuen produktiven Blick auf wirtschaftspolitische Herausforderungen liefern könnte?

Geschichte des Begriffs

Diese Fragen sind deshalb so schwer zu beantworten, weil Resilienz im wirtschaftspolitischen Kontext in den wenigsten Verwendungen inhaltlich präzisiert wird. Für eine Präzisierung ist zunächst ein Blick in die Begriffsgeschichte und verschiedene disziplinäre Verwendungen hilfreich. Sprachgeschichtlich leitet sich "Resilienz" vom lateinischen Verb "resilire" ab, was durch "zurückspringen" oder "zurückprallen" übersetzt werden kann. Ein resilienter Gegenstand wird durch eine Krafteinwirkung nicht dauerhaft verändert. Die Verwendung des Begriffs in der physikalischen Materialforschung entspricht eng dieser Wortbedeutung, er bezeichnet hier die Eigenschaft eines Materials, nach einer Deformation wieder rasch die ursprüngliche Form einzunehmen.

Von dieser Ausgangsbedeutung her war der erste wesentliche Entwicklungsschritt in der Begriffsgeschichte, eine Analogie zwischen den Merkmalen eines Materials auf der einen und denen eines komplexen Systems auf der anderen Seite herzustellen. Für die Anwendung des Begriffs auf ein System gilt Holling (1973) als Pionier, der Resilienz für den Bereich der Ökologie als Überlebensfähigkeit eines Ökosystems bei Änderung von Umfeldbedingungen definiert. Die Ingenieurswissenschaften schließen nahtlos an diese für die Ökologie konzipierte Begriffsverwendung an, nur dass es dieser Disziplin nicht um natürliche, sondern um technologische Systeme geht. Komplexe technologische Systeme sind resilient, wenn sie ihre Funktionen weiterhin erfüllen können, auch wenn negative Ereignisse von außen einwirken.

Der nächste Schritt der Begriffsentwicklung, der zum hier interessierenden wirtschaftspolitischen Kontext hinführt, ist der Bezug des Resilienzbegriffs auf den Menschen als Individuum. Die Psychologie betrachtet dabei die Resilienz des Individuums in Bezug auf einschneidende traumatische Erlebnisse. Deutlicher als in den zuvor genannten disziplinären Kontexten geht es hier nicht primär um die Rückkehr zum Status quo vor der externen Störung, weil dieser etwa aufgrund einer einschneidenden Veränderung der Lebensumstände etwa durch Krankheit nicht mehr erreichbar ist. Im Vordergrund steht vielmehr die Anpassung an die neuen Verhältnisse unter Bewahrung einer hohen Lebensqualität.

Der Schritt von der individuellen Dimension zur Betrachtung menschlicher Resilienz im Kontext gemeinschaftlicher Systeme erfolgt in den Sozialwissenschaften und eröffnet den für die wirtschaftspolitische Betrachtung relevanten Kontext. So beleuchten beispielsweise regionalwissenschaftliche Ansätze die Katastrophen-Resilienz von Siedlungs-Systemen, die durch Menschen und ihre Interaktionen geprägt sind. Dabei wird die bereits in der Psychologie betonte adaptive Dimension von Resilienz wichtig. Resilienz bezeichnet somit nicht mehr zwingend die Fähigkeit eines Systems, nach kurzer Abweichung wieder zum alten und unveränderten Zustand zurückzukehren. Vielmehr stellt die adaptive Resilienz auf die Fähigkeit ab, ob ein Übergang zu einem möglicherweise neuen Zustand gelingt, der aber nicht weniger zufriedenstellend ist als der alte Zustand.

Abgrenzung Resilienz von Prävention

Eine Abgrenzung ist unverzichtbar, um die Präzision des Resilienzbegriffs zu schärfen: Resilienz stellt nicht ab auf Aussagen zur Wahrscheinlichkeit eines plötzlichen adversen Ereignisses ("Schock", "Krise" etc.), sondern befasst sich mit dessen Auswirkungen und Verarbeitung. Dieses Verständnis durchzieht alle disziplinären Anwendungen. Von daher sollten Analysen zur Resilienz im Kontext wirtschaftlicher Krisen konzeptionell von Fragen der Krisenentstehung oder -prävention getrennt betrachtet werden. Im Kern einer Resilienzstrategie steht nicht die Prävention von Krisen, sondern der Versuch, eine (unvermeidbare oder in ihrer Wahrscheinlichkeit nur bedingt beeinflussbare) Krise möglichst gut zu bewältigen.

Eine Begriffsdefinition für den wirtschaftspolitischen Kontext

Gemessen an den vorhergehenden konzeptionellen Präzisierungen können aktuelle Resilienz-Definitionen im wirtschaftspolitischen Kontext bislang selten überzeugen. So dominiert bei den internationalen Institutionen ein eindimensionales makroökonomisches Verständnis des Resilienzbegriffs. In einem aktuellen Arbeitspapier der Europäischen Zentralbank heißt es beispielsweise: "Resilience is understood here as the capacity to minimise output losses once an adverse shock hits the economy" (Sondermann 2016: 2). Diese Gleichsetzung von Resilienz mit der Neutralisierung von Wachstums- und Beschäftigungsfolgen unter weitgehender Ausblendung der dynamischen, adaptiven Dimension ist nicht untypisch. In gewisser Hinsicht sind gängigen Resilienz-Definitionen somit gleichzeitig zu breit, weil sie Resilienz und Krisen-Prävention oftmals vermengen, und zu eng, weil sie die dynamische, adaptive Dimension des Begriffs ausblenden und die Performance des ökonomischen Systems zu eindimensional bewerten.

In Übereinstimmung mit dem sozialwissenschaftlichen Verständnis des Resilienzbegriffs muss eine Definition im wirtschaftspolitischen Kontext zwingend die adaptive Dimension umfassen und darf sich nicht auf ein statisches Verständnis im Sinne einer Rückkehr zum Zustand vor der Störung begrenzen. Ökonomische Systeme sind ohnehin aufgrund von Innovationen und Wachstumsprozessen ständigen Veränderungen unterworfen. Mag es bei einem ökologischen oder technischen System noch sinnvoll sein, primär über eine mögliche Rückkehr zum alten "Normalzustand" zu sprechen, so gilt dies für ein ökonomisches System nicht.

Eine Definition für den ökonomischen Kontext muss außerdem berücksichtigen, dass eine Volkswirtschaft ein System darstellt, das durch eine Vielzahl von Akteuren auf verschiedenen Ebenen und deren Zusammenspiel determiniert wird. Dabei spielen gesellschaftliche Zusammenhänge und die Entscheidungsprozesse des politischen Systems ebenso eine Rolle wie das Entscheidungsverhalten der Individuen als Wähler, Konsumenten oder Unternehmer.

Vor diesem Hintergrund erscheint folgende Definition von Resilienz für den wirtschaftspolitischen Kontext geeignet:

Ökonomische Resilienz ist die Fähigkeit einer Volkswirtschaft, vorbereitende Maßnahmen zur Krisenbewältigung zu ergreifen, unmittelbare Krisenfolgen abzumildern und sich an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen. Der Resilienz-Grad wird dadurch bestimmt, inwieweit das Handeln und Zusammenspiel von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft die Performance der Volkswirtschaft gemäß Bewertung durch die gesellschaftliche Zielfunktion auch nach einer Krise sicherstellen kann.

Diese Definition greift die im ökonomischen Kontext maßgeblichen Inhalte des Resilienzbegriffs unter Einschluss der proaktiven und adaptiven Dimension auf. Außerdem machen die Formulierungen deutlich, dass die Resilienz eines ökonomischen Systems durch das Zusammenspiel verschiedener Ebenen determiniert wird. Die in der Definition genannte gesellschaftliche Zielfunktion ist ein Platzhalter, der im jeweiligen regionalen und historischen Kontext auszufüllen ist und durch die demokratische Entscheidungsfindung zu bestimmen ist. Im Kontext heutiger deutscher oder europäischer Wirtschaftspolitik wäre die Zielfunktion etwa mit der Begrifflichkeit des inklusiven Wachstums zu umschreiben und entsprechend zu operationalisieren.

Messbarkeit und Entwicklung von Resilienzstrategien

Wenn der Resilienzbegriff auf diese Weise präzisiert wird, dann bietet er tatsächlich Potenzial als eine Art neuer Kompass der Wirtschaftspolitik. Denn die Frage, wie Volkswirtschaften auf allen ihren Ebenen ihre Krisenverarbeitungsfähigkeit steigern können, ist in einer Zeit multipler Krisen von unabweisbarer Bedeutung.

Dabei sind die Grenzen der neuen Begrifflichkeit zu beachten. Die große Akzeptanz für den Resilienzbegriff sollte nicht zu dem Missverständnis verleiten, dass dieser Terminus die Formulierung gesellschaftlicher Zielsetzungen ersetzen könnte. Wie dargelegt, kann das Ausmaß der ökonomischen Resilienz eines Landes nur im Licht einer zuvor bestimmten gesellschaftlichen Zielfunktion bewertet werden; ohne eine Zielbenennung etwa im Hinblick auf Wachstum und Verteilung bleibt der Terminus eine leere Hülse. Erst diese Zielfunktion eröffnet dann auch den Weg für die Quantifizierung von Resilienz. Resilienz ist dann messbar an der Entwicklung von gesellschaftlichen Zielindikatoren während und nach dem Auftreten eines Schocks (für eine beispielhafte Anwendung im Hinblick auf die Resilienz von OECD-Staaten gegenüber Außenwirtschaftsschocks unter einer Zielsetzung des inklusiven Wachstums siehe Harendt und Heinemann, 2017).

Mit dieser Begriffspräzisierung eröffnet sich tatsächlich ein interessantes empirisches Forschungsfeld: Wie unterscheidet sich die Resilienz von Industriestaaten für verschiedene Typen von Schocks? Welche Resilienztypen im Hinblick auf verschiedene gesellschaftliche Ziele lassen sich unterscheiden? Welche Resilienz begünstigenden Faktoren sind empirisch von hoher Signifikanz? Wo liegen die spezifischen Defizite Deutschlands und der EU im Hinblick auf die Bewältigung von Krisen? Welche Strategien zur Steigerung von Resilienz lassen sich hier implementieren und sind erfolgversprechend? All dies sind Fragen, die bislang noch weitgehend unbeantwortet sind – eben auch deshalb, weil es bislang an begrifflicher Präzision gemangelt hat.

Harendt, C. and Heinemann, F. (2017). "Building Resilience" - A Comparison of Eight OECD Countries, Bertelsmann Stiftung, Inclusive Growth for Germany, No. 12.

Holling, C.S. (1973). "Resilience and stability of ecological systems." Annual Review of Ecological Systems (4) 1: 1–23.

Sondermann, D. (2016). "Towards more resilient economies: the role of well-functioning economic structures." ECB Working Paper Series. No. 1984.


©KOF ETH Zürich, 29. Sep. 2017

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