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Die staatlichen Corona- und Klimamaßnahmen können wissenschaftlich nicht begründet werden

Summary:
[Dieser Beitrag wurde unter dem Titel „Umwelt- und Katastrophen-Meme im Dienste des Interventionismus“ auf der Jahreskonferenz 2020 des Ludwig von Mises Instituts Deutschland vorgetragen.[1] Das Thema der Konferenz lautete „Wie der Markt Umwelt und Ressourcen schützt“. Den Videobeitrag finden Sie hier.] Mit meinem Beitrag betrachtete ich den Aspekt, dass der staatliche Interventionismus, also der zwangsweise Eingriff des Staates in den ansonsten freiwilligen Austausch der Menschen, nicht wissenschaftlich begründet werden kann mit dem Schutz von Mensch, Umwelt und Ressourcen in Bezug auf die im Folgenden aufgeführten Umwelt- und Katastrophen-Meme. Und dass sich die negativen Folgen dieser Eingriffe nicht einfach zu Gunsten des „Gemeinwohls“ „weg-abwägen“

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Die staatlichen Corona- und Klimamaßnahmen können wissenschaftlich nicht begründet werden

[Dieser Beitrag wurde unter dem Titel „Umwelt- und Katastrophen-Meme im Dienste des Interventionismus“ auf der Jahreskonferenz 2020 des Ludwig von Mises Instituts Deutschland vorgetragen.[1] Das Thema der Konferenz lautete „Wie der Markt Umwelt und Ressourcen schützt“. Den Videobeitrag finden Sie hier.]

Mit meinem Beitrag betrachtete ich den Aspekt, dass der staatliche Interventionismus, also der zwangsweise Eingriff des Staates in den ansonsten freiwilligen Austausch der Menschen, nicht wissenschaftlich begründet werden kann mit dem Schutz von Mensch, Umwelt und Ressourcen in Bezug auf die im Folgenden aufgeführten Umwelt- und Katastrophen-Meme. Und dass sich die negativen Folgen dieser Eingriffe nicht einfach zu Gunsten des „Gemeinwohls“ „weg-abwägen“ lassen.

Zunächst noch zu dem Begriff Mem: Mem ist etwa das moderne Wort für „Idee“ und kann als ein bestimmter Bewusstseinsinhalt verstanden werden, etwa in Anlehnung zum Gen, das in der Physiologie die Bedeutung von Informationsinhalten hat. Es geht also darum, wie Bewusstseinsinhalte im Hinblick auf die Umwelt und auf Katastrophen aller Art – seien es ökonomische, ökologische oder medizinische – genutzt, verstärkt oder erzeugt werden, um Handlungen anderer Menschen planmäßig und institutionell zu erzwingen.

Umwelt- und Katastrophen-Meme

Verschiedene solcher Meme sind Ihnen bereits begegnet, und sie wurden alle dienstbar gemacht, um Zwang zu begründen. Sie kennen die Narrative von Überbevölkerung, Pandemien, Klimawandel, Waldsterben, Flächenfraß und so weiter. Das soll nicht heißen, dass solchen Phänomenen, wie Waldschäden, Klimaveränderungen, Krankheitswellen oder Flächenumnutzung jede reale Grundlage fehlt, sondern es geht darum, dass sie nicht als Grundlage dafür dienen können, staatlichen Interventionismus wissenschaftlich zu begründen.

Wann ist der Einsatz von Zwang eine feindliche Handlung?

Zunächst etwas Prinzipielles zum Interventionismus, also dem Einsatz von Zwang und dessen Folgen. Ludwig von Mises hat die Praxeologie begründet, also die Handlungslogik. Wann immer Zwang eingesetzt wird, kann uns die Praxeologie von vornherein Auskunft darüber geben, ob der Einsatz des Zwanges eine feindliche Handlung darstellt oder ob Verteidigung oder Vergeltung vorliegen. Dabei ist Verteidigung die Abwehr eines Angriffs und Vergeltung die Zurückgabe eines Schadens, falls der Angriff bereits stattgefunden hat und eine Wiedergutmachung nicht erfolgt ist oder nicht erfolgen kann.

Eine feindliche Handlung liegt vor, wenn entweder

  • eine zwischenmenschliche Handlung durch Drohung, Zwang oder Täuschung bewirkt werden soll,
  • Gewalt gegen den Körper eines anderen ausgeübt wird oder
  • Gewalt über seinen Besitz erlangt wird,

und zwar in allen Fällen gegen den Willen des Geschädigten. Der Betroffene wird durch solche feindlichen Handlungen in seinem Besitz am eigenen Körper oder seinen eigenen Sachen geschädigt oder gefährdet.

Ein freiwilliger Austausch ist eine freundliche Handlung und führt zu einer Win-Win-Situation. Wenn Sie für 50 Cent ein Brötchen beim Bäcker kaufen, dann bewerten Sie das Brötchen höher als 50 Cent und der Bäcker bewertet die 50 Cent höher, sonst käme es zu keinem Austausch. Wir können in diesem Fall auch davon sprechen, dass ein neues Pareto-Optimum erreicht wurde. Dies wurde nach dem Ökonomen und Soziologen Vilfredo Pareto benannt. Ein Pareto-Optimum ergibt sich, wenn durch eine Handlung zumindest einer besser gestellt wird, ohne dass dies zu Lasten oder auf Kosten eines anderen geschieht. Und es bedeutet,  dass durch die Handlung zumindest einer einen subjektiven Mehrnutzen gewonnen hat, wenn man alle Beteiligten betrachtet. Das ist bei der friedlichen Handlung der Fall, also einer erreicht etwas, ohne einem anderen zu schaden, und bei der freundlichen Handlung, bei der alle Beteiligten aus ihrer Sicht gewinnen.

Ein erzwungener Austausch, der durch Drohung oder Zwang bewirkt wird, führt hingegen stets zu einer sogenannten Pareto-Verschlechterung. Einer gewinnt etwas auf Kosten und zu Lasten des anderen. Wenn ich Sie bedrohe, Sie mögen mir 1.000 Euro geben, oder ich sperre Sie ein, dann gewinne ich 1.000 Euro. Sie geben mir die 1.000 Euro aber nicht freiwillig, sondern weil Gefängnis für Sie das schlimmere Übel ist, als mir die 1.000 Euro zu geben. Da mein Nutzen, den ich gewinne, und ihr Leid nicht objektiv vergleichbar sind, sondern subjektiv, kann man sagen, dass die Handlung des Angreifers zu einem Ergebnis führt, das pareto-unvergleichbar ist.

Der Unterschied zwischen äußeren Größen und psychischen Vorlieben

Physische Größen der Außenwelt können mit Größenzahlen, sogenannten Kardinalzahlen, beschrieben werden. Physische Größen können gemessen, also mit über-persönlichen Standards verglichen werden, wie Meter oder Kilogramm. Psychische Phänomene wie Vorlieben, Nutzen oder Leid werden praxeologisch mit Ordinalzahlen beschrieben, also mit Ordnungszahlen wie erstens, zweitens und so weiter.

Eine Vorliebe, ein Wahlakt, enthält keine quantitativen Informationen, also etwa wie sehr mein Nutzen an den 1.000 Euro, die ich von ihnen erpresst habe, ihr Leid durch den Verlust der 1.000 Euro übersteigt. Größen kann man messen und wiegen, Nutzen und Leid nicht. Es handelt sich dabei um psychische Phänomene, die man bestenfalls in vagen Begriffen beschreiben kann.

Friedliches und freundliches Handeln, also zumindest dem anderen nicht zu schaden oder der freiwillige Austausch, führen stets zu einem neuen Pareto-Optimum, also einer Win-Win-Situation oder – im Falle friedlichen Handelns – zu einer Win-Neutral-Situation. Feindliches Handeln, also der Einsatz von Drohung, Zwang, Täuschung und Gewalt, führt stets zu einer Pareto-Verschlechterung, also einer Win-Lose-Situation, der eine gewinnt auf Kosten und zu Lasten des anderen.

Dabei ist die Abwehr einer feindlichen Handlung oder Ihre Vergeltung, wenn Widergutmachung nicht zu erlangen ist, selbst keine feindliche Handlung, sondern sozusagen die Negation der Negation. Verteidigung oder Vergeltung sind insofern friedliche Handlungen, weil sie das vor dem Angriff erreichte Pareto-Optimum verteidigen beziehungsweise die Pareto-Verschlechterung korrigieren.

Diese kurzgefasste praxeologische Nutzen- und Schadenslehre ist den meisten Menschen, wenn nicht explizit als das Ergebnis von Schlussfolgerungen aus der Logik des Handelns, so doch zumindest intuitiv bekannt. Du sollst nicht stehlen, betrügen, rauben, vergewaltigen oder töten sind sozusagen „Ableitungen“ hiervon. Und dass Notwehr keine „Straftat“ ist, sondern die Abwehr einer solchen, ist auch bekannt. Diese Regeln sind auch universalisierbar im Sinne Kants, sie sind über-individuell, folgen also nicht aus der Willkür eines Individuums, sondern aus der Logik des Handelns, und sind für alle Handelnden zeitlos gültig.

Wenn es nun darum geht, Verteidigung und Vergeltung auf der einen Seite und Angriff oder feindliche Handlungen auf der anderen voneinander zu unterscheiden, so können wir nicht auf die Mittel schauen. Denn zur Verteidigung und Vergeltung können dieselben Mittel gewählt werden wie zum Angriff. Die Frage ist schlicht: ging eine feindliche Handlung voraus? Ist dies nicht der Fall oder kann dies nicht bewiesen werden, liegt eben keine Abwehr einer Schädigung vor, sondern schlicht ein Angriff.

Das Prinzip friedlichen und freundlichen Zusammenlebens lautet also: Füge zumindest kein Leid zu! Diesen Satz kennen Sie zum Beispiel vom Hippokratischen Eid her: „Primum non nocere!“ Wer also jemand anderen bedroht, zwingt, täuscht oder Gewalt antut, handelt nur dann friedlich, wenn er dies in Abwehr oder Vergeltung eines vorangegangenen feindlichen Aktes tut. Deshalb kam die Juristerei über die Zeit hinweg zu der Formel „in dubio pro reo“, also im Zweifel für den Angeklagten. Denn bestehen Zweifel, ist die Tat nicht sicher nachgewiesen, stellen die Zwangsmaßnahmen der Justiz, also des Staates, keine Reaktionen auf feindliches Handeln dar, sondern sind selbst feindliche Handlungen.

Diese Prinzipien sind den meisten Menschen intuitiv bekannt, ebenso wie ihre sprichwörtlichen Entsprechungen, also der Hippokratische Eid und das „in dubio pro reo“-Prinzip.

Lediglich bei Handlungen des Staates ist man geneigt, eine Ausnahme zu sehen. Allerdings sehen sich die staatlichen Akteure hier einem Begründungszwang ausgesetzt, da sie ihre Zwangsmaßnahmen gegenüber Bürgern regelmäßig damit zu begründen versuchen, dass aus dem ein oder anderen Grund ein Schaden oder eine Gefahr von dem augenscheinlich friedlichen Bürger ausgeht. Dazu setzt man den Bürger nicht vor ein allgemeines Gericht, sondern man führt in der öffentlichen Debatte Theorien ins Feld, die dies angeblich „wissenschaftlich“ belegen, sprich: beweisen sollen. Früher waren das Theorien wie Kommunismus und Sozialismus, also dass der eine nur auf Kosten eines anderen besitzen könne. Oder dass der freiwillige Austausch ein Nullsummenspiel sei – dann würden wir freilich, überspitzt formuliert, noch heute alle in Höhlen leben.

Heute wurden und werden in die öffentlichen Debatten Theoriegebäude eingeführt wie eben die Menschengemachtheit des Klimawandels oder Theorien betreffend Krankheitswellen, Überbevölkerung, Grenzen des Wachstums und so weiter. Diese Theorien sollen Beweis erbringen dafür, dass die Interventionen der politischen Akteure im Einzelfall begründet sind, etwa als die Verteidigung der Person und des Besitzes anderer. In einem größeren Rahmen werden diese Theorien genutzt, um den Ausbau und die Stärkung globaler staatlicher Institutionen zu fordern, damit diese angeblich globalen Probleme mit einem globalen Interventionismus angegangen werden können.

Beweis durch Experten-Meinungen (Mutmaßungen)

Bei den Umwelt- und Katastrophen-Memen versuchen die Politiker Beweis zu erbringen durch die Meinungen von Experten. Bei einem Strafverfahren liegt der Sachverhalt abgeschlossen in der Vergangenheit und der Beweis für die Täterschaft kann mit allen Beweismitteln erbracht oder erschüttert werden, von Zeugenaussagen bis zu Sachverständigengutachten, Fotos und so weiter. Bei den Umwelt- und Katastrophen-Memen geht es jedoch sozusagen um precrimes, also künftige „Verbrechen“, die noch nicht passiert sind. Oft beschäftigen sich die Theorien der Klima-, Bevölkerungs-, Umwelt- oder Pandemien-Forscher mit langen Zeiträumen, die sich über Jahre oder Jahrzehnte erstrecken können, sodass die Theorien schon alleine aus diesem Grunde im Hier und Jetzt, wo die Zwangsmaßnahmen gegen die Bürger eingeleitet werden, gar nicht evidenzbasiert getestet werden können.

Und anders als im Gerichtsprozess steht den Bürgern regelmäßig kein Verteidiger zur Hand, der die Expertenaussagen dahingehend kritisiert, ob sie gegen Denkgesetze verstoßen, also falsche Schlussfolgerungen gezogen werden. Kritik und gegenläufige Expertenmeinungen werden nicht logisch, wissenschaftlich und kühl analysiert. Vielmehr werden in der öffentlichen Debatte auch augenscheinlich sachliche Kritiker als Klimaleugner oder Covidioten verunglimpft und verächtlich gemacht. Die eigenen Behauptungen werden gebetsmühlenartig wiederholt und gegensätzliche Behauptungen oder Kritik werden als Fakenews diskreditiert oder es wird einfach ein für alle Mal festgestellt, dass the science settled ist, also der wissenschaftliche Prozess beendet ist.

Dabei wird den Experten in den Klima-, Umwelt- oder Pandemiedebatten ein gehöriger Vertrauensvorschuss gegeben, weil sie sich anscheinend der naturwissenschaftlichen Methoden bedienen, die in der Bevölkerung als verlässlich gelten. Alleine, dies trifft nicht zu.

Die Methode der klassischen Naturwissenschaft

Die naturwissenschaftliche Methode ist das Feststellen von gleichbleibenden Zusammenhängen zwischen messbaren Größen. Dabei sind die Zusammenhänge in den klassischen Naturwissenschaften isolierbar und wiederholbar. Und messbar heißt, dass die Ergebnisse sensorisch wahrnehmbar und nach einem unpersönlichen Standard vergleichbar sind, etwa Meter, Kilogramm, Farbe, Aggregatszustand etc. Jedermann kann also jederzeit eine naturwissenschaftliche These objektiv – das heißt nach über-persönlichen Standards – testen. Wenn ich behaupte, dass ein Glas, das ich in der Hand halte, jedes Mal zu Boden fällt, wenn ich es loslasse, dann kann jeder diese These auf ihre Richtigkeit hin testen.

Eigentümliches Verstehen und Mutmaßen

Hingegen wenden die empirischen Sozial- und Geschichtswissenschaften, also auch die empirische Volkswirtschaft, die Methoden des eigentümlichen Verstehens beziehungsweise Mutmaßens an. Sollen Vorgänge in der Vergangenheit verstanden werden, handelt es sich um eigentümliches Verstehen, werden Mutmaßungen über die Zukunft angestellt, handelt es sich um eigentümliches Mutmaßen.

Die wissenschaftliche Methode des eigentümlichen Verstehens oder Mutmaßens beruht letztlich auf persönlichen Relevanzurteilen, zu Deutsch: Bedeutsamkeitsurteilen. Beispielsweise wie bedeutsam war der Vertrag von Versailles für die späteren Ereignisse in der Weimarer Republik. Oder wie bedeutsam war die Einführung eines Mindestlohnes für die Hebung des Wohlstandes der Arbeiter.

Anders als Werturteile sind Bedeutsamkeitsurteile nicht Ausdruck einer Vorliebe, sondern eine persönliche Einschätzung, wie relevant (bedeutsam) ein Ereignis A für ein Ereignis B ist.

Verstehen und Mutmaßen können anhand der objektiven, also unpersönlichen, Methoden der anderen Wissenschaftszweige überprüft werden, also ob sie

  • gegen Denkgesetze der Logik oder Handlungslogik verstoßen,
  • mathematisch falsche Schlüsse enthalten oder
  • im Widerspruch stehen zu naturwissenschaftlich Erkenntnissen.

Beispielsweise kann die Aussage, ein Mindestlohn habe allgemein den Wohlstand der Arbeitnehmer gehoben, widerlegt werden, denn aus der Praxeologie wissen wir, dass ein Mindestlohn unterhalb des Marktlohnes wirkungslos bleibt, ein Mindestlohn oberhalb des Marktlohnes unter sonst gleichen Umständen zu Arbeitslosigkeit führt.

Sofern aber mit der Methode des Verstehens aufgestellte Thesen nicht gegen eine der vorgenannten „harten“ Wissenschaften „verstoßen“, verbleibt ein persönliches Element, das nicht nach einem objektiven Standard testbar ist. Das ist genau der Grund, warum die Analysen der Historiker, der Soziologen oder der empirischen Volkswirte so weit auseinandergehen. Der geschichtliche Prozess ist unumkehrbar fortschreitend und nicht wiederholbar. In ihm wirken viele Ursachen zusammen, die nicht isoliert werden können. Es ist ein komplexer Prozess mit Rückkoppelungen, was sogar so weit geht, dass die Äußerungen von Intellektuellen oder Volkswirten zu Verhaltensänderungen führen können, die es ohne diese Äußerungen gar nicht gegeben hätte.

Zudem sind uns im Bereich des Verstehens und Mutmaßens manchmal zwar einige Faktoren bekannt, die wir für bedeutsam für ein gewisses Ereignis halten, aber oft nicht alle. Und der Streit darüber, welches die relevanten Faktoren sind und wie relevant diese Faktoren sind, lässt sich nicht nach überpersönlichen Kriterien entscheiden, weil der Ursachen viele sind, diese nicht isolierbar sind und das Geschehen oder „die Krise“ nicht wiederholbar sind.

Die Statistik als Methode der Geschichtsschreibung mit Zahlen

Zur Methode des Verstehens gehört auch die Statistik. Ludwig von Mises beschrieb bereits, dass die Statistik ein Mittel der Geschichtsschreibung mit Zahlen sei. Statistiken werden dort verwendet, wo kausale Zusammenhänge nicht sicher bekannt sind. Niemand fertigt eine Statistik darüber an, wie oft dieses Glas zu Boden fällt, wenn ich es loslasse, weil wir auf Grund des Gravitationsgesetzes wissen, dass es jedes Mal zu Boden fällt. Und wenn eine Statistik aussagt, dass in 95% der Fälle auf A B folgt und in 5% der Fälle C, dann heißt das, dass wir unvollständiges Wissen über A haben. Hätten wir vollständiges Wissen über A, könnten wir sagen, dass auf A1 stets B und auf A2 stets C folgt.

Der Anwendungsbereich des eigentümlichen Verstehens oder Mutmaßens ist also das geistige Verstehen von Phänomenen, die nicht vollkommen mit den Mitteln der Logik, der Mathematik, der Praxeologie und der Naturwissenschaften aufgeklärt werden können, eben insoweit sie von diesen Wissenschaften nicht erklärt werden können.

Im Übrigen spricht überhaupt nichts per se gegen die Methode des eigentümlichen Verstehens beziehungsweise Mutmaßens. Viele wollen ihre Vergangenheit verstehen. Die Menschen mutmaßen, wie sich Freund X verhalten wird, wenn man selbst Y tut. Jeder Unternehmer mutmaßt bei der Produktionsplanung, wie viele Waren seine Kunden nächstes Jahr abnehmen werden.

Es steht uns in solchen Fällen schlicht keine sicherere Methode zur Verfügung als die des eigentümlichen Verstehens beziehungsweise Mutmaßens. Wir greifen zurück auf unsere Erfahrungen, treffen Einschätzungen, nutzen unsere Intuition und erstellen Modellrechnungen.

Und immer wieder liegen Laien wie auch Experten falsch, von Fußball-Experten über Hauptstromökonomen bis hin zu Unternehmern oder ganz normalen Menschen in ihrem Alltag. Verstehen ist die Methode, die jeder von uns anwendet, wenn er die Vergangenheit verstehen will oder Mutmaßungen über die Zukunft anstellt.

Informiertes eigentümliches Mutmaßen – die Mutmaßungen der Experten

Der Unterschied zwischen dem Verstehen und Mutmaßen von Laien und Experten ist kein kategorischer, sondern ein gradueller. Der Unterschied ist, dass die Experten in ihrem jeweiligen Fachgebiet „informiertere“ Mutmaßungen anstellen können als der Laie.

Aber auch das informierte Mutmaßen der Experten, die in ihrem Metier über besonders viel Expertise und Renommée verfügen, führt keineswegs zu sichererem Wissen. Gerade Expertenmeinungen gehen oft diametral auseinander. Informiertes Mutmaßen und Verstehen könnte man gegenüber den vorgenannten „harten Wissenschaften“ deshalb auch als soft science bezeichnen, da mit dieser Methodik keine vergleichbare, über-individuelle Gewissheit zu erlangen ist.

Die heutigen Klima- und Umweltwissenschaften, die Meteorologie und zum Teil auch die Biologie und die Psychologie und auch die Wissenschaften, die sich mit dem Verlauf einer Pandemie beschäftigen, bedienen sich also nicht lediglich der Methodik der klassischen Naturwissenschaften, sondern einer kombinierten Methodik, die sowohl naturwissenschaftliche Komponenten beinhaltet als auch Elemente des eigentümlichen Verstehens beziehungsweise Mutmaßens.

Vortrag von Dr. Andreas Tiedkte bei der Ludwig von Mises Institut Deutschland Konferenz 2020

Die informierten Mutmaßungen der Klima-Experten

In der Klimawissenschaft gelten zum Beispiel einige Ursache-Wirkungen-Zusammenhänge als bekannt, etwa wie sich in geschlossenen Systemen eine Erhöhung der CO2-Konzentration auf die Temperatur auswirkt. Die Erde ist jedoch kein vergleichbares geschlossenes System, sondern es gibt weitere Einflussfaktoren auf die Temperatur, wie etwa die Wolkenbildung, Sonneneinstrahlung, Luft- und Meeresströmungen etc. Und diese reagieren wiederum untereinander. Zudem findet mit der Photosynthese ein „Gegenprozess“ statt: Pflanzen verwenden CO2, um ihre Struktur aufzubauen. Darüber hinaus ist das Erdklima nicht wiederholbar. Es handelt sich also beim Erdklima um ein komplexes geschichtliches Phänomen mit Rückkoppelungen.

Wie bedeutsam der Faktor ‚menschliche CO2-Emmissionen‘ im Hinblick auf Temperatur und Meeresspiegel ist, lässt sich also nicht zweifelsfrei feststellen, weil Daten, die aus historischen, komplexen Phänomenen mit Rückkoppelung gewonnen werden, von vornherein nicht Beweis erbringen können für konstante Zusammenhänge.

So ist denn die Aussage des IPCC, also des Weltklimarates, dass sich die Experten im Hinblick auf die Menschengemachtheit des Klimawandels zu „über 95%“ sicher seien, eine Aussage, die wir in der klassischen Naturwissenschaft nicht erwarten würden. Wenn ich Ihnen sage, dass ich mir zu 95% sicher bin, dass dieses Glas zu Boden fällt, wenn ich es loslasse, werden Sie annehmen, dass ich nicht von einer Naturgesetzlichkeit ausgehe.

Zudem sind die „über 95%“ nicht errechnet, sondern abgestimmt. Die Angabe einer numerischen Wahrscheinlichkeit, nämlich 95%, ist hier nur eine Metapher zur Klassenwahrscheinlichkeit der Mathematik.

Auch die berühmte Aussage, dass sich 97% der Experten sicher seien im Hinblick auf die Menschengemachtheit des Klimawandels, befördert nicht den Eindruck, dass die Experten selbst davon ausgehen, dass sie unpersönliche, also objektive, Erkenntnisse darlegen, sondern eben eigentümliche, persönliche Bedeutsamkeitsurteile. Denn ansonsten macht es keinen Sinn, die relative Anzahl der Personen anzugeben, die zu einer Annahme gelangt sind.

Und Abstimmen ist keine wissenschaftliche Erkenntnismethode, sondern bei Abstimmungen geht es um das Zählen von Wert- oder Bedeutsamkeitsurteilen, ohne dass das Abstimmungsergebnis selbst ein Wert- oder Bedeutsamkeitsurteil ist, sondern es ist schlicht ein mathematisches Verhältnis von Größenzahlen.

Sie werden kaum je gehört haben, dass bei einem Experiment 97% der Teilnehmer beobachten konnten, dass das Glas zu Boden fiel, aber für 3% fiel es nicht zu Boden. Und 3% kann eine große Zahl bedeuten. Das würde bedeuten, dass bei 2,4 Millionen Deutschen die Gläser nicht herunterfallen, wenn sie sie loslassen. Wir würden in diesem Fall nicht von einer Kausalität ausgehen.

Zudem sagen die 97% nichts darüber aus, für wie bedeutsam diese Experten den menschengemachten Anteil halten. Mehr als 1%? Mehr als 10%? Oder gar mehr als 50%?

Selbst wenn sich zwei Klimawissenschaftler im Hinblick auf die Datensätze völlig einig sind und wenn die Bedeutsamkeit, die sie gewissen Einflussfaktoren beimessen, weder naturgesetzlichen noch mathematischen oder logischen Erkenntnissen widersprechen, können sie dennoch zu unterschiedlichen Prognosen gelangen. Und ebenso kann ein und derselbe Klimawissenschaftler zu zwei verschiedenen Zeitpunkten zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen.

Die informierten Mutmaßungen der Corona-Experten

Auch bei den Mutmaßungen im Zusammenhang mit den staatlichen Zwangsmaßnahmen im Hinblick auf die Krankheitswelle ‚Corona‘ in 2020 haben wir es mit informiertem, eigentümlichem Mutmaßen zu tun. Auch hier kamen verschiedene Experten zu verschiedenen Mutmaßungen im Hinblick auf Ansteckung, Gefährlichkeit und welche Maßnahmen zu ergreifen wären. Das Virus wurde mit verschiedenen Tests aufgespürt und schon im Hinblick auf die Aussagefähigkeit der Tests gab es unterschiedliche Experten-Meinungen. Zudem war fraglich, ob jemand an oder mit Corona verstorben sei, weil Vorerkrankungen eine Rolle spielten. Darüber hinaus steckten sich nicht alle an, die mit Infizierten in Kontakt kamen, und diese Tatsache wurde ebenfalls unterschiedlich interpretiert. Und auch bei einer Krankheitswelle fehlt es an der Wiederholbarkeit und der Isolierbarkeit der Zusammenhänge zwischen Größen. Es handelt sich bei einer Pandemie daher ebenfalls um ein komplexes geschichtliches Phänomen mit Rückkoppelungen.

Selbst im Nachhinein kann nicht gesagt werden, wer recht hatte

Deshalb kann selbst im Nachhinein nicht gesagt werden, wer recht hatte. Denn welche Faktoren sich wie ausgewirkt haben, hängt eben von persönlichen Bedeutsamkeitsurteilen ab. Man kann eine Pandemie nicht unter den gleichen Bedingungen wiederholen, die Zusammenhänge sind komplex, nicht isolierbar und rückgekoppelt.

Überbevölkerung

Ein weiteres populäres Mem ist das von der Überbevölkerung. Hier bringen Experten vor, dass es zu viele Menschen auf dem Planeten gäbe. Dabei handelt es sich um ein persönliches Bedeutsamkeitsurteil, wenn einer etwa meint ‚zu viel‘ im Hinblick auf das, was die Erde ressourcenmäßig verkraften kann. Und wenn einer meint, weniger wären besser aus seiner Sicht, etwa weil dann die Natur unberührter wäre, dann handelt es sich um ein Werturteil.

Grenzen des Wachstums

Auch das Mem der „Grenzen des Wachstums“ ist ein beliebtes, um politisches Handeln zu begründen. Dabei ist Wohlstand von vornherein nicht messbar, weil er ein psychisches Phänomen ist. Was aber keine Größe der Außenwelt ist, kann in der Außenwelt auch an keine physische Grenze stoßen.

Nachdem nun geklärt ist, dass die Methode, die die Experten in diesen Fällen anwenden, von vornherein nicht zu sicherem Wissen führen kann, wird auch klar, weshalb Sie im Fernsehen oder Radio oder den Hauptstromzeitungen stets nur eine Seite der Expertenmeinungen hören – und die andere Seite quasi ausgeblendet wird, wenn nicht gar verunglimpft und verächtlich gemacht. Denn Kritik ist nicht nur möglich, sondern prinzipiell genauso richtig oder falsch wie die Expertenmeinungen, die vorgetragen werden. Selbst ein Laie kann einen Denkfehler im Schlussfolgern aufzeigen, sofern er sich seines logischen Verstandes bedient.

Es gibt keine normative Wissenschaft, keine Wissenschaft von etwas, das sein sollte

Darüber hinaus kann aus einer wissenschaftlichen Ist-Aussage nicht auf eine Sollte-Aussage geschlossen werden. Die empirischen Wissenschaften können stets nur aussagen was ist, aber nicht, was deswegen getan werden sollte. Sollen ist Wollen für andere.

Natürlich sagen die Politiker, angesichts der Bedrohungslage müsse etwas unternommen werden, whatever-it-takes, also was-immer-es-auch-kostet. Sie sagen, ihr Handeln sei „alternativlos“, selbst wenn die Experten falsch liegen könnten.

Alleine, niemand ist in einer Position, Vor- und Nachteile für andere abzuwägen, weil es hier eben schon gar nicht um Wiegen, also um das Vergleichen von Größen der Außenwelt, geht, sondern um Nutzen und Leid. Und Vorlieben sind eben subjektiv und zwischen zwei Personen nicht vergleichbar.

Auch dass das Gemeinwohl über dem Einzelwohl stünde ist Humbug, denn das Gemeinwohl besteht nur aus den verschiedenen Einzelwohlen. Man kann nicht gegeneinander „gewichten“, wie unrecht dem A eine Maßnahme ist und wie recht sie hingegen dem B und dem C ist. Leid und Nutzen sind psychische Phänomene, die nur vage in Ausdrücken beschrieben werden können, aber nicht gewichtet oder gemessen.

Niemand kann also sagen, dass der Nutzen der einen den Schaden der anderen „überwiegt“. Das Verbieten oder Verteuern der Nutzung von bestimmten Rohstoffen wirkt sich massiv auf den Wohlstand und damit auch die Lebens- und Familienplanung gerade der Ärmsten aus. Sie haben weniger Mittel für Ernährung, Gesundheitsvorsorge oder die Umweltschonung zur Verfügung. Social Distancing, Lockdown oder Maskenzwang haben massive negative gesundheitliche, psychische und wirtschaftliche Folgen. Und niemand ist in einer Position, „objektiv festzustellen“, dass der Nutzen solcher Zwangsmaßnahmen ihren Schaden überwiegen würde. Denn bei Schaden und Nutzen heißt die Frage immer: Schaden oder Nutzen für wen?

Fazit

In dubio pro reo bedeutet in einem weiteren Sinne: Im Zweifel, füge kein Leid zu. Wenn also nicht mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ feststeht, so die Formel der Justiz, dass der von den staatlichen Zwangsmaßnahmen Betroffene selbst ein Schädiger oder Gefährder ist, dann liegt keine Abwehr einer Schädigung vor. Sondern es liegt ein Angriff vor, eine feindliche Handlung.

Mit der Methode des persönlichen informierten Mutmaßens betreffend komplex-rückgekoppelte Phänomene über lange Zeiträume hinweg lässt sich eine solche Sicherheit jedoch a priori nicht erlangen. Bei einem Gerichtsprozess wird ein einzelner, abgeschlossener Sachverhalt beurteilt. Bei diesen eigentümlichen Langzeitprognosen hingegen langdauernde, komplexe und unwiederholbare geschichtliche Entwicklungen.

Darüber hinaus kann aus wissenschaftlichen Argumenten kein Sollen, also kein Wollen für andere folgen. Es gibt keine normative Wissenschaft, keine Wissenschaft von etwas, das sein sollte. Das einzige, was wir wissenschaftlich über Zwangsmaßnahmen sagen können, ist, ob eine friedliche oder eine feindliche Handlung vorliegt, also Verteidigung (Abwehr) oder Angriff, ohne dass hiermit eine Wertung verbunden wäre. Ob man friedlich oder feindlich handeln sollte, darüber kann die Praxeologie als wertfreie apriorische Wissenschaft vom menschlichen Handeln nichts aussagen.

Das Thema der Konferenz des Ludwig von Mises Instituts Deutschland 2020 war, „wie der Markt Umwelt und Ressourcen schützt“. Mein Beitrag dazu ist, dass der zwangsweise Eingriff in den Markt, also der staatliche Interventionismus, in Bezug auf die hier angesprochenen Umwelt- und Katastrophen-Meme nicht mit Schutz vor oder Abwehr von Schädigungen wissenschaftlich begründet werden kann.

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[1] Anmerkung des Verfassers: Für den Zweck der Veröffentlichung des Vortrages in Schriftform habe ich diesen noch etwas überarbeitet, sodass dieser Artikel zwar weitgehend, aber nicht exakt dem Manuskript des Vortrages entspricht.

Dr. Andreas Tiedtke ist Rechtsanwalt und Unternehmer.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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