Photo: How I see life from Flickr (CC BY-ND 2.0) Es ist ein ausgewachsener Skandal! Ja, auch die Selbstbereicherung bei den Maskendeals, aber darum geht es diesmal nicht. Sondern um eine der populistischsten Maßnahmen, die dieses Land außerhalb des Bereichs der Rentenpolitik seit Langem gesehen hat: den Berliner Mietendeckel. Alternative Wirklichkeiten Durch einen Bericht von Bloomberg ist dieses Projekt inzwischen zu einem international sichtbaren Beispiel für Politikversagen geworden. Während die deutsche Hauptstadt immer attraktiver wurde und durch Zuzug aus dem In- und Ausland seit rund zehn Jahren beständig wuchs, ließen die Zuständigen aus einer Kombination von Desinteresse und Veränderungsaversion die damit verbundenen infrastrukturellen Fragen einfach liegen. Neubau,
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Es ist ein ausgewachsener Skandal! Ja, auch die Selbstbereicherung bei den Maskendeals, aber darum geht es diesmal nicht. Sondern um eine der populistischsten Maßnahmen, die dieses Land außerhalb des Bereichs der Rentenpolitik seit Langem gesehen hat: den Berliner Mietendeckel.
Alternative Wirklichkeiten
Durch einen Bericht von Bloomberg ist dieses Projekt inzwischen zu einem international sichtbaren Beispiel für Politikversagen geworden. Während die deutsche Hauptstadt immer attraktiver wurde und durch Zuzug aus dem In- und Ausland seit rund zehn Jahren beständig wuchs, ließen die Zuständigen aus einer Kombination von Desinteresse und Veränderungsaversion die damit verbundenen infrastrukturellen Fragen einfach liegen. Neubau, Nachverdichtung – alles, was das Angebot hätte steigern können, war des (kapitalistischen) Teufels. Als steigende Mieten und Wohnungsknappheit dann immer drängender wurden, beschloss man, mit Mitpreisbremse und Mietendeckel die Probleme einfach wegzuzaubern. Dabei hätte man von vielen Beispielen in anderen Städten weltweit lernen können, die mit diesen Instrumenten immer wieder gegen die Wand gefahren sind. Oder einfach auf den Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher hören können: „Enteignungen und Mietenstopp führen nicht zu mehr Wohnraum, sondern untergraben die Investitionsbereitschaft für den Mietwohnungsbau“.
Ökonomen und Stadtplaner schlugen die Hände über dem Kopf zusammen, aber der Berliner Senat erschuf sich eine alternative Wirklichkeit, in der eine krasse Verschärfung der (ohnehin schon äußerst mieterfreundlichen) bundesweiten Regulierung den Durchbruch bringen würde: Günstige Wohnung für alle in bester Lage und top-Zustand. Oder so was ähnliches … Wenig überraschend ist schon jetzt mehr als offensichtlich, dass das nicht funktioniert. Wohnungen in Berlin sind kaum mehr zu finden. Das nicht gerade für neoliberale Umtriebe bekannte DIW stellt fest: Seit Inkrafttreten des Mietdeckels ist das Angebot an Mietwohnungen um 57,5 Prozent zurückgegangen. Keine zwölf Monate nachdem das Gesetz beschlossen wurde, ist der Berliner Wohnungsmarkt in einem desolaten Zustand. Außer natürlich für diejenigen, die jetzt weniger Miete zahlen müssen – falls das Bundesverfassungsgericht nicht dazwischenfunkt.
Der Mietendeckel ist reaktionär und protektionistisch
Warum ist denn der vermeintliche Mieterschutz nicht nur eine gewöhnliche politische Fehlentscheidung, sondern auch ein Skandal? Weil hier übelster Etikettenschwindel betrieben wird. Die mietenpolitischen Maßnahmen werden von Regierenden und den „Bürgerinitiativen“, die ihnen Schützenhilfe leisten, als soziale Maßnahmen dargestellt. Das Gegenteil ist der Fall: Es wird schwer, in den letzten Jahren eine Regulierung zu finden, die so unsozial war wie die Berliner Mietenpolitik. Sie verschärft soziale Spaltungen und spielt Großkonzernen in die Hände. Sie ist eine reaktionäre und protektionistische Politik, die auf Besitzstandswahrung zielt und billigen Stimmenfang betreibt.
Wenn von „bezahlbarem Wohnraum“ die Rede ist, dann taucht vor dem inneren Auge eine alleinerziehende Mutter auf, die als Reinigungskraft arbeitet, oder der Langzeitarbeitslose. Doch hier greifen in sehr vielen Fällen – erfreulicherweise! – schon jetzt Unterstützungsangebote. Allein 60 Prozent der rund 320.000 im Besitz der Stadt befindlichen Wohnungen werden nur gegen Wohnberechtigungsschein ausgegeben. Die wirklich armen Menschen in der Stadt sind also gar nicht betroffen von der Regulierung. Wer hat dann etwas davon, dass die Mieten gesenkt werden? Am deutlichsten wurden die Mieten reduziert in den Bezirken Mitte, Kreuzberg, Prenzlauer Berg, Grunewald und Friedrichshain. Um es zu veranschaulichen: Die geschiedene Rechtsanwältin, die allein in einer 96-Quadratmeter-Wohnung im schicken Kreuzberger Bergmannkiez lebt, muss womöglich etliche hundert Euro weniger bezahlen, obwohl sie ohnehin schon einen alten Mietvertrag hat. Nun gut, bleibt mehr für den nächsten Urlaub. Auch für die Eltern des studentischen Aktivisten, der neulich noch bei einer Demo gegen den „Mietenwahnsinn“ das Auto eines Klempners demoliert hat, fallen jetzt geringere Zahlungen für dessen WG-Zimmer im Boxhagener Kiez an.
Chancen für alle statt Privilegienwirtschaft
Es scheint in den Augen vieler Menschen eine Art übernatürliches Recht darauf zu geben, in den besten Gegenden der Stadt zu Preisen unterzukommen, die im internationalen Vergleich immer noch moderat sind. Mieten in Paris, Dublin, London, Kopenhagen und Amsterdam sind im Durschnitt 100 bis 150 Prozent teurer als in Berlin. Auch in Warschau, Prag und Breslau zahlt man mehr. Während aber unsere Kreuzberger Rechtsanwältin angesichts der Schnäppchenpreise vermutlich die nächsten dreißig Jahre nicht einmal an Umzug denken wird, schaut die junge Familie mit zwei, drei Kindern in die Röhre. In einem vollständig auf Besitzstandswahrung (und einen Untervermietungs-Schattenmarkt) ausgerichteten System haben sie kaum eine Chance, an eine Wohnung zu kommen. Sie sind zurückgeworfen auf teuren Neubau, der vom Mietendeckel ausgenommen ist, oder auf ein sich zunehmend verteuerndes, aber immer noch schlecht angebundenes Brandenburger Umland. Kurzum: Wir haben es hier mit Privilegienwirtschaft der übelsten Sorte zu tun.
Weitere Opfer dieser eklatanten Eingriffe in Eigentumsrechte und Marktprozesse sind die Immobilienbesitzer, die hier für ihre Alterssicherung investieren. Das Ehepaar, das sich vor 25 Jahren eine Wohnung in Berlin gekauft hat, wird unter den neuen restriktiven Bedingungen auch neu kalkulieren müssen, ob sich die Investition noch lohnt. Wer wird ihnen wohl das gute Stück abnehmen? Genau: einer der Immobiliengiganten, die es sich auch in dieser Zeit noch leisten können, Berliner Wohnungen aufzukaufen. Damit wird nicht nur einer ungesunden Marktkonzentration Vorschub geleistet. Es wird auch immer mehr Anonymität geschaffen. Die in den meisten Fällen freundlichen Verhältnisse und kurzen Kommunikationswege zwischen Vermietern und Mietern werden ersetzt durch die funktionale Kälte riesiger Immobilienverwaltungen. Auch bei diesem Aspekt gilt: sozial ist wohl anders.
In einer vulgärsozialistischen Utopie ist das alles gar nicht so schlimm, denn nachdem der Privatbesitz in die Hand von Großkonzernen übergegangen ist, kann man die dann enteignen und dann gibt es bezahlbaren Wohnraum für alle. Aber in dieser Welt, wo man an den Realitäten einfach nicht vorbeikommt, bleibt es halt so: Die Wirkungen der Berliner Mietenpolitik sind zutiefst unsozial und atmen den reaktionären Geist derer, die es sich schon eingerichtet haben. Es ist das exakte Gegenteil der Offenheit, für die Berlin doch eigentlich steht. Wenn das Thema jetzt womöglich sogar in den Bundestagswahlkampf hineinschwappt, sollte man sich diskursiv wappnen. Machen wir nicht nur deutlich, wie unsozial solche Politiken sind. Werden wir auch nicht müde, im Gegenzug herauszustellen, wie sehr technischer Fortschritt, geringere Regulierungsdichte, ein Markt mit möglichst vielen Akteuren und eine Haltung der Offenheit und Veränderungsbereitschaft dazu beitragen, dass mehr, günstigere und bessere Wohnungen entstehen.