Photo: Wikimedia Commons (CC 0) Von Dr. Sven Prietzel, Historiker. Um den Föderalismus ist es in Deutschland nicht gut bestellt. Aller Föderalismuskommissionen zum Trotz wächst der Einfluss des Bundes und geht der Gestaltungspielraum der Länder zurück. Ein Grund dafür ist die seit Jahrzehnten schwindende Finanz- und Steuerautonomie der Länder. Hinter dieser Entwicklung steckt kein perfider Plan des Bundes, sondern nicht zuletzt die Indolenz vieler Landesregierungen, die für Mittel aus Berlin allzu leicht ihre politische Beinfreiheit aufgeben. Die Haltung der Bürger steht dem auch keineswegs entgegen. Umfragen zeigen, dass die Deutschen zwar starke Länder befürworten, aber im konkreten Fall doch auf die größere Effizienz des Bundes vertrauen. Deutschland ein föderaler Staat ohne
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Von Dr. Sven Prietzel, Historiker.
Um den Föderalismus ist es in Deutschland nicht gut bestellt. Aller Föderalismuskommissionen zum Trotz wächst der Einfluss des Bundes und geht der Gestaltungspielraum der Länder zurück. Ein Grund dafür ist die seit Jahrzehnten schwindende Finanz- und Steuerautonomie der Länder. Hinter dieser Entwicklung steckt kein perfider Plan des Bundes, sondern nicht zuletzt die Indolenz vieler Landesregierungen, die für Mittel aus Berlin allzu leicht ihre politische Beinfreiheit aufgeben. Die Haltung der Bürger steht dem auch keineswegs entgegen. Umfragen zeigen, dass die Deutschen zwar starke Länder befürworten, aber im konkreten Fall doch auf die größere Effizienz des Bundes vertrauen.
Deutschland ein föderaler Staat ohne Föderalisten? Die Corona-Krise, die vieles ins Wanken bringt, könnte auch an dieser Überzeugung rütteln. Nachdem angesichts der ersten Ausbruchswelle und der Unsicherheit, wie mit dem Virus umzugehen ist, aus gutem Grund alle Länder sich mit der Bundeskanzlerin auf ein gemeinsames Vorgehen, den „Lockdown“, verständigt hatten, bröckelt die Geschlossenheit nun zusehends. Im gleichen Zug wie angesichts niedriger Infektionsraten die Zustimmung der Bevölkerung zu allzu harten Beschränkungen abnimmt, verschaffen sich auch die Landeschefs größere Autonomie. Schließlich leuchtet es kaum noch ein, warum in allen Ländern dieselben Corona-Regeln gelten sollen. Dass die Lage im dünn besiedelten Sachsen-Anhalt mit seiner geringeren Infektionszahl eine andere ist als im Stadtstaat Hamburg, liegt auf der Hand und wird auch von zunehmend mehr Bürgern anerkannt.
Dass der Konsens unter den Regierungschefs und zwischen ihnen und der Kanzlerin größerer Flexibilität und Länderautonomie weicht, ist richtig. Schon aus verfassungsrechtlicher Sicht ist es geboten, dass die Landesregierungen die Stellung wahrnehmen, die ihnen nach dem Infektionsschutzgesetz eigentlich zukommt. Mit gewissen Befremden konnte man doch in den letzten Wochen feststellen, dass sich eine Art Weisungsbefugnis der Kanzlerin etablierte, obwohl ihre Rolle bei der Festlegung der Corona-Maßregeln doch maximal die einer Moderatorin sein konnte. Befeuert wurde diese stille Kompetenzausweitung von der Öffentlichkeit, wo nicht selten von den „Entscheidungen“ der Kanzlerin auf Feldern die Rede war, auf denen sie gar keine Entscheidungsgewalt besitzt.
Es bleibt abzuwarten, wie sich die Ministerpräsidenten in den nächsten Wochen verhalten werden und ob die Landesregierungen ihre Befugnisse verantwortungsvoll wahrnehmen. Wichtig im Sinne des Föderalismus und des Parlamentarismus wäre es in jedem Fall, dass die Landesparlamente in die Entscheidungen der Exekutive endlich eingebunden werden. Der Föderalismus leidet nicht zuletzt auch darunter, dass die Landtage kaum noch als zentrale Orte der politischen Entscheidungsfindung wahrnehmbar sind. Auch dies hat maßgeblich mit der erwähnten Ausweitung des Einflusses des Bundes auf die Länder zu tun. Landespolitik ist heute oft Exekutivpolitik. In der Corona-Krise wurde dies überdeutlich, als die Rechtsvorordnungen, die etwa die Kontaktsperre und andere Gebote und Verbote regelten, ohne die Einbindung der Parlamente erlassen wurden. Zwar waren die Landesregierungen rechtlich dazu befugt, doch in der politischen Praxis bedürfen solche gravierenden Grundrechtsbeschränkungen geradezu zwingend einer Legitimierung durch die Legislative. Corona-Maßnahmen-Gesetze der Länder wären der richtige Schritt, wenn man die Rolle der politisch wie öffentlich wenig beachteten Landesparlamente wieder ernst nähme.
Eine Krise kann eine Chance sein. So wäre zu hoffen, dass die jüngsten Erfahrungen eine Debatte über die Rolle der Länder und ihrer Parlamente anstoßen würden. Der Föderalismus hat Schwächen, aber nicht zuletzt in Krisen zeigen sich seine Stärken. Vielleicht setzt sich diese Erkenntnis wieder mehr durch.