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Lieferketten widerstandsfähiger machen

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Die Coronakrise offenbarte die Anfälligkeit der globalen Lieferketten. Wie lassen sich diese widerstandsfähiger machen? Und welche Bemühungen seitens der Regierungen können sinnvoll sein? Automobil- und Elektronikunternehmen weltweit mussten in letzter Zeit ihre Produktion stillstehen lassen, weil eine schwere Dürre in Taiwan die Halbleiterproduktion der Insel getroffen hat. Diese und andere globale Unterbrechungen der Lieferkette – von denen viele durch die COVID-19-Pandemie verursacht wurden – haben die Industrieländer dazu veranlasst, Schritte zu unternehmen, um die potenziellen Auswirkungen abzumildern. Doch welche staatlichen Maßnahmen sind wirtschaftlich sinnvoll? Lieferkettenengpässe können erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen haben. Deutschland importiert beispielsweise

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Die Coronakrise offenbarte die Anfälligkeit der globalen Lieferketten. Wie lassen sich diese widerstandsfähiger machen? Und welche Bemühungen seitens der Regierungen können sinnvoll sein?

Automobil- und Elektronikunternehmen weltweit mussten in letzter Zeit ihre Produktion stillstehen lassen, weil eine schwere Dürre in Taiwan die Halbleiterproduktion der Insel getroffen hat. Diese und andere globale Unterbrechungen der Lieferkette – von denen viele durch die COVID-19-Pandemie verursacht wurden – haben die Industrieländer dazu veranlasst, Schritte zu unternehmen, um die potenziellen Auswirkungen abzumildern. Doch welche staatlichen Maßnahmen sind wirtschaftlich sinnvoll?

Lieferkettenengpässe können erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen haben. Deutschland importiert beispielsweise 8 % seiner Vorprodukte aus Niedriglohnländern (die Vereinigten Staaten beziehen 4,6 % ihrer Vorleistungen aus diese Volkswirtschaften). Probleme bei der Vorleistungslieferung haben das ifo Institut zuletzt dazu veranlasst, seine Prognose für das deutsche BIP-Wachstum in diesem Jahr um fast einen halben Prozentpunkt auf 3,3 % zu senken.

Staatliche Bemühungen in Europa und den USA

Diese Schwachstelle erklärt, warum die Europäische Union einen Teil der Gelder ihres 750 Mrd. Next Generation Aufbauprogramms dazu nutzt in Europa eine Halbleiterindustrie aufzubauen. Der US-Chiphersteller Intel will in mehreren europäischen Ländern investieren und mit EU-Hilfe eine Halbleiterfabrik in der Region eröffnen.

Unterdessen hat Bosch, Europas größter Automobilzulieferer, kürzlich mit Hilfe europäischer Fördermittel ein Chipwerk in Dresden eröffnet. Die Bosch-Investition in Ostdeutschland ist das jüngste einer Reihe von Batteriezellenprojekten in „Silicon Sachsen“, von denen die Politik hofft, dass sie Europas Abhängigkeit von asiatischen Zuliefererunternehmen verringern und es widerstandsfähiger gegen zukünftige globale Gesundheits- und Klimakrisen machen wird.

Ähnliche Bedenken haben die US-Regierung. Im Juni legte eine von der Regierung Biden ernannte Task Force ihre Einschätzung der amerikanischen Lieferketten-Schwachstellen bei vier Schlüsselprodukten vor: Halbleiter und fortschrittliche Verpackungen, Batterien mit großer Kapazität, wie sie in Elektrofahrzeugen verwendet werden, kritische Mineralien und Materialien sowie Pharmazeutika und fortschrittliche pharmazeutische Inhaltsstoffe.

Wie können Lieferketten widerstandsfähiger gemacht werden?

Manche mögen argumentieren, dass die Bemühungen der Regierungen reicher Länder, einheimische und regionale Produktionsnetzwerke zu stärken, eine neue Form des wirtschaftlichen Nationalismus darstellen, der von der Angst vor China angetrieben wird. Die entscheidende Frage ist jedoch, ob Unternehmen wirklich staatliche Hilfe brauchen, um sich vor Turbulenzen in der Lieferkette zu schützen.

Es gibt drei Möglichkeiten, wie Unternehmen ihre Vorleistungen widerstandsfähiger machen können, und nur eine davon erfordert eine Beteiligung der Regierung. Eine Möglichkeit besteht darin, die Produktion aus Entwicklungsländern zurückzuholen. Meine jüngste Forschung zeigt, dass die COVID-19-Krise durch die Erhöhung der relativen Kosten der Lieferketten den Rückverlagerungs-Trend beschleunigte, der mit der globalen Finanzkrise 2008-09 begann.

Die aus der Pandemie resultierenden Produktionsstörungen und höhere Transportkosten verteuerten die Lieferketten; der Preis von Containern, mit denen Waren von Asien nach Europa und in die USA verschifft werden, hat sich mehr als verachtfacht. Gleichzeitig sanken die Kreditzinsen im Verhältnis zu den Stundenlöhnen nach der Finanzkrise stark, wodurch die roboterbasierte Produktion deutlich günstiger wurde als die Beschäftigung von ArbeitnehmerInnen.

Eine zweite Möglichkeit für Unternehmen, sich gegen Schocks in der Lieferkette zu versichern, ist der Aufbau von Lagerbeständen. Firmen aus reichen Ländern haben vor langer Zeit schlanke Fertigungsabläufe im Toyota-Stil übernommen, die es ihnen ermöglichten, ihre Kosten erheblich zu senken. Aber viele können jetzt von der „Just-in-Time“-Produktion auf ein „Just-in-Case“-Modell umsteigen, das zwar teurer ist, aber mehr Sicherheit und Berechenbarkeit bietet.

Drittens können Unternehmen Inputs aus zwei oder sogar drei Quellen beziehen und sich auf Lieferanten aus verschiedenen Kontinenten verlassen, um das Risiko von Naturkatastrophen oder anderen regionalen Störungen abzusichern. Doch diese Diversifikationsstrategie hat ihre Grenzen. Beispielsweise ist ein hochspezialisiertes Zulieferunternehmen, das in Forschung und Entwicklung investiert, um einen bestimmten Input zu liefern, nicht leicht zu ersetzen, sodass die Beschaffung vergleichbarer Vorprodukte von anderen Zulieferunternehmen sehr kostspielig sein kann.

Geografisches Clustering der Herstellung wichtiger Vorprodukte als Risiko

Auch die starke regionale Konzentration von auf die Herstellung bestimmter Vorprodukte spezialisierter Unternehmen erschwert die Diversifizierung. Die meisten Herstellfirmen von Chips, Batteriezellen und pharmazeutischen Inhaltsstoffen sowie seltenen Erden wie Kobalt und Lithium haben ihren Sitz in Asien. Die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) und das südkoreanische Samsung dominieren den globalen Halbleitermarkt, während China 70 % der weltweiten Batteriezellen für Elektrofahrzeuge herstellt.

Die aktuelle globale Knappheit bei Halbleitern zeigt, wie das geografische Clustering von Vorleistungslieferunternehmen im Rest der Welt zu Verwerfungen führen kann. In einem Papier[ a ] aus dem Jahr 2012 zeigten Daron Acemoglu vom Massachusetts Institute of Technology und seine Koautoren, dass Störungen eines asymmetrischen Lieferkettennetzwerks – in dem ein oder wenige Zulieferunternehmen viele Produktionsunternehmen beliefern – sich über die Weltwirtschaft ausbreiten und möglicherweise zu einer globalen Rezession führen können.Zwei aktuelle Studien unterstützen die Schlussfolgerung, dass Unterbrechungen der Lieferkette gesamtwirtschaftliche Auswirkungen haben können. Jean-Noël Barrot von der HEC Paris und Julien Sauvagnat von der Bocconi University untersuchten drei Jahrzehnte großer Naturkatastrophen[ b ] in den USA und fanden heraus, dass Zulieferunternehmen, die von einer Flut, einem Erdbeben oder ähnlichen Ereignissen betroffen sind, ihren KundInnen große Produktionsverluste auferlegen. Wenn ein Zulieferunternehmen von einer Katastrophe getroffen wurde, ging das Umsatzwachstum der Unternehmen um durchschnittlich 2-3 Prozentpunkte zurück. Und der Effekt griff auf andere Anbietende über und verstärkte den anfänglichen Schock.

In ähnlicher Weise zeigen Vasco Carvalho und seine KoautorInnen[ c ], dass sich die durch das Erdbeben in Ostjapan im Jahr 2011 verursachten Störungen stromaufwärts und stromabwärts entlang der Lieferketten ausbreiteten und direkte sowie indirekte Lieferantinnen und Kunden der von der Katastrophe betroffenen Unternehmen tangiert waren. Sie fanden heraus, dass das Erdbeben im Jahr nach der Katastrophe zu einem Rückgang des realen BIP-Wachstums Japans um 0,47 Prozentpunkte führte.

Welche Rolle für die Regierungen?

In solchen Fällen können Regierungen eine nützliche Rolle spielen, indem sie Unternehmen dabei helfen, mehr potenzielle alternative Zulieferunternehmen bereitzustellen. Durch Anreize für Unternehmen, in Sektoren mit hoher Anfälligkeit für Lieferunterbrechungen zu wechseln, können Regierungen in der EU und den USA sicherstellen, dass sowohl in Europa als auch in Nordamerika eine ausreichende Anzahl von Herstellfirmen von Vorprodukten zur Verfügung steht, um sich gegen das Risiko von Lieferunterbrechungen abzusichern.

Die Welt hat in letzter Zeit eine Kaskade von Unterbrechungen der Lieferketten erlebt und wird in Zukunft wahrscheinlich unter weiteren globalen Pandemien und extremen Wetterbedingungen leiden. Wirtschaftsführer und politische Entscheidungsträgerinnen müssen darüber nachdenken, wie sich die Auswirkungen solcher Schocks auf Produktionsnetzwerke und die Weltwirtschaft minimieren lassen – und wann die Regierungen eingreifen sollten.

Eine gekürzte Version dieses Artikels ist unter dem Titel „Was tun, wenn die Lieferketten reißen?“ am 17.9.2021 in der Wirtschaftswoche erschienen.

©KOF ETH Zürich, 6. Okt. 2021

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